Das Feldzeichen der XIII. Hastatt

Aus Xidurianische unabhängige Bibliothek
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mareikje Groß und Michael Brum, Mai/September 2005

Die Erde erzitterte unter dem Gleichschritt der genagelten Sandalen. Die Olan der XIII. Hastatt 3 der XLIX. Legion marschierten perfekt geordnet in fünf Gruppen vor und hinter dem Käfigwagen mit dem Gefangenen. Weder die glühende Sonne, noch der Staub der Straße beeinträchtigten ihre Geschwindigkeit. Der Trupp hatte sich in vielen Feldzügen auf Huanaca gegen aufständische Eingeborene bewährt, daher zählte der Gefangenentransport für sie nicht mehr, als ein Wandertag mit der 3 Eine Hastatt (Militärische Einheit aus dem Reich des Feuers) besteht aus 100 Olan (Soldaten), die von einem Centas (Offizier) befehligt wird. Ihm unterstehen drei Codari (Unteroffiziere) Truppe. Centas Valete, der Führer dieser Hastatt, war sich der Schwere seines Auftrages wohl bewußt. Der Gefangene war immerhin ein führendes Mitglied der Widerstandsbewegung. Diese Neuigkeit hatte er, unter Zuhilfenahme ausgeklügelter Foltermethoden herausbekommen. Der D’ascas würde Stolz auf ihn sein. Endlich hatte man einen großen Erfolg gegen diese Rebellion erzielt. Daher war es nicht nur recht und billig, sondern sollte auch als Abschreckendes Beispiel dienen, das er in Tizio hingerichtet wurde und nicht in Hu’chuy Llaqta, diesem winzigem Kaff, wo man ihn ergriffen hatte. Da der Gefangene als tödlicher Kämpfer Gesprengte Ketten Seite 31 berüchtigt war, hatte man sich einer List und einer gehörigen Menge an Gold bedienen müssen. Der ansässige Wirt war nicht schwer davon zu überzeugen gewesen, das Mahl des Widerständlers mit einem Schlafmittel zu würzen. Der Centas war ein vorsichtiger Mann, sonst hätte er nicht 20 Dienstjahre in der Legion überstanden. Es war damit zu rechnen, daß versucht werden würde, den Gefangenen zu befreien. Mehr auf seine langjährige Erfahrung hörend, als auf Dienstvorschriften achtend, hatte er mehr Kundschafter eingesetzt, als vorgesehen. Nur weil in den letzten zwei Tagen nichts passiert war, hieß das nicht, daß auf dem weiteren Weg kein Hinterhalt lauerte. Unerwartet kam die Vorhut ins Stocken. Irgend etwas geschah dort vorne. Valete nickte einem seiner Codari zu und dieser setzte sich in Bewegung, um die Ursache des Haltens zu ergründen. Es dauerte nicht lange, bis er zurückkehrte. ”Centas, die Straße wird blockiert. Von einer Frau. Sie verlangt die Herausgabe des Gefangenen.” Valete sah sich um. Das Terrain war nicht geeignet für einen Hinterhalt, es gab zu wenig Möglichkeiten, sich zu verbergen. Entweder war das Überfallkommando unsichtbar, oder – die Frau war allein. Es zeugte schon von gigantischem Selbstvertrauen oder aber absoluten Wahnsinn, zu glauben, man könne alleine eine ganze Hastatt dazu bewegen, aufzugeben. Diese Frau mußte er mit eigenen Augen sehen. Flankiert von seinem Standartenträger und dem Codar ritt er nach vorne. \ Fedora hätte sich in den Hintern beißen können, wenn sie ihn nur erreichen würde. Sie mußte endlich einmal lernen, warten zu können. Ohne näher darüber nachzudenken, war sie nach dem Eintreffen der Nachricht, daß man Gaetano gefaßt hatte, losgestürmt. Es wäre ein Leichtes gewesen, erst zu planen und dann mit einer überragenden Übermacht einen Hinterhalt zu legen. Aber nein, all dies hätte ihr zu lange gedauert. Länger zumindest, als die fünf Minuten, die sie gebraucht hatte, das Schwert zu packen, auf ein Pferd zu springen und loszureiten, ohne dabei auch nur im geringsten auf das Geschrei von Arnoldo zu achten. Nun stand sie hier, ganz allein, und hoffte, das die alte Weisheit: ”Frechheit siegt.” auch in diesem Fall stimmte. Sie konnte beobachten, wie sich drei Reiter nach vorne schoben. Unruhig tänzelte ihr Pferd auf der Stelle. Schnell hatte die Frau das Tier beruhigt, dann sah sie gelassen zu den Männern hinüber. \ Valete ergriff als erster das Wort. ”Was wollt Ihr?” Seine Augen tasteten Zentimeter für Zentimeter den Körper der Frau ab. Sie mußte in aller Eile aufgebrochen sein, von wo auch immer. Ihr Hemd hing halb aus der Hose, ihre Haare flatterten zerzaust im Wind und ihr Gesicht war erhitzt. Er sah nichts vor sich, was ihm gefährlich werden würde. ”Sprecht schon, Weib!” rief er ungehalten zu ihr hinüber. ”Nun,” setzte Fedora an. ”Ich sagte es bereits zu Eurem Lakai.” Wobei sie auf den Codar deutete. ”Ich verlange die Herausgabe des Gefangenen.” ”Was glaubt Ihr, wer Ihr seid, Weib?” donnerte Valete los. ”Die violette Lilie vielleicht?” Fedora grinste frech. ”Ihr habt es erraten, Legionär.” Zuerst herrschte Stille doch dann ließ sich leises Gemurmel und Gekichere aus Gesprengte Ketten Seite 32 den Reihen der Legionäre vernehmen. ”Und ich bin der Sheng von Ao-Lai! Schert Euch fort, bevor ich mich gezwungen sehe, Euch in Gewahrsam zu nehmen, Weib.” Die Stimme des Mannes war weithin zu hören. Niemandem entging der Hohn darin. Das Lachen der Legionäre wurde lauter. Fedoras Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, Wut stieg in ihr hoch. Diese Legionäre waren doch allesamt hochmütige Dreckskerle. Sie bemerkte, wie eine, von ihr schon lange nicht mehr gespürte Hitze in ihrem Körper empor stieg. ”Ich kann nichts dafür, das ihr meine Worte nicht begreift, Centas.” rief sie ihrem Gegenüber zu. ”Versuchen wir es also mit einfachen, klaren Befehlen. An die seid Ihr ja gewöhnt, nicht wahr?” Nun triefte ihre Stimme vor Spott. ”Also, lest es mir meinetwegen von den Lippen ab. L a ß t d e n G e f a n g e n e n f r e i !” Fedora sprach langsam und betonte jeden einzelnen Buchstaben, gerade so, als würde sie mit einem Idioten reden. Der Centas drehte sich unbeeindruckt zum Codar um. ”Schafft mir dieses Weibsbild aus dem Weg. Ich habe genug davon.” Dann wendete er sein Pferd und ließ die Frau einfach stehen. Der Codar winkte daraufhin einige Legionäre herbei. Das Lachen der Truppe rauschte in Fedoras Ohren, zuerst leise, doch dann immer lauter und lauter. \ Der Gefangene versuchte zu erkennen, was vor ihm los war. Der Wagen war zum Stillstand gekommen und immerwährendes Gegröle drang zu ihm herüber. Aus einzelnen Wortfetzen erfuhr er die Neuigkeiten. ” ... Ja, eine Frau .... ... Alleine .... ? ... Die muß echt verrückt sein ... noch nie erlebt ... Nein, sonst ist keiner zu sehen .... ihr kennt doch Valete ... nimmt keine Frau ernst ... würde ich auch nicht ...... !” Erneutes Gelächter. Gaetano zerrte an seinen Fesseln. Er mußte hier heraus, bevor Schlimmeres passierte. Voller Angst und Panik um diese Frau versuchte er, seine Hände aus den Riemen zu ziehen. ‘Verdammt, Fedora! Du bist doch nicht wirklich so wahnsinnig, alleine hier zu erscheinen?‘ ”He, laß das!” Ein Olan hieb auf den Käfigwagen ein, dann wanderte dessen Aufmerksamkeit wieder nach vorne. \ Fedoras Wut explodierte. Wie konnte dieser Mistkerl es wagen, sie auch nicht im Entferntesten ernst zu nehmen? Auf keinen Fall konnte sie es zulassen, Gaetano zu verlieren. Auch wenn es ihren eigenen Tod bedeuten würde, aber besser sie gab ihr Leben, als einer ihrer besten Freunde. Für einen kurzen Augenblick sah sie auf ihre Hände und bemerkte, wie aus ihren Fingerspitzen kleine Flammen entschlüpften. Fedora hob verwundert eine Augenbraue. ‘Konnte es sein, das ...?‘ fragte sie sich im Stillen, ohne den Satz zu vollenden. ”Ihr habt es nicht anders gewollt.” raunte sie daraufhin gerade noch so laut den Legionären zu, das diese es vernehmen konnten. Sie sprang vom Pferd und rannte auf die Soldaten zu. Erst kurz vor ihnen zog sie ihr Schwert und nach nur einem Wimpernschlag lagen die Männer schreiend und sterbend zu ihren Füßen. Der Codar preschte auf Fedora zu, welche bloß gelangweilt ihre rechte Hand hob. Ohne sich großartig darauf konzentrieren zu müssen formte sich in ihrer Handfläche ein Feuerball und sie schleuderte diesen dem Codar entgegen. Voller Panik spürte dieser den Druck, welcher von dem Geschoß ausging. Gleich darauf Gesprengte Ketten Seite 33 wurde er aus dem Sattel gehoben und ging wenig später wie ein Stück altes Pergament in Flammen auf. Sein Todesschrei hallte zu Valete hinüber. Dieser schaute entsetzt auf das ganze Geschehen. Das konnte nicht sein. Innerhalb kürzester Zeit hatte dieses Weib zehn seiner Männer umgebracht. Nicht nur Fedoras Blick hatte sich verfinstert, sondern auch die Luft um sie herum erschien dunkel und drohend. Sie deutete, einer Rachegöttin gleich, mit ihrer Schwertspitze auf Valete. ”Ich gebe Euch eine letzte Chance. Überlaßt mir den Gefangenen un ...” Valete brüllte einige Befehle und das Schicksal nahm seinen Lauf. Fedora verteilte ihre Hiebe und Stiche eben so schnell wie ihre Feuerbälle. Um sie herum krümmten sich blutende und brennende Gestalten. Schützend hatte sich ein Ring aus Legionären um den Centas gebildet, was die Frau jedoch nicht im entferntesten davon abhielt, sich auf ihn zu stürzen. Ein Feuerball schlug in einen Haufen von zehn Olan ein. Schilde wurden hoch gerissen und wie Strohhalme flogen die brennenden Männer auseinander. ”Kommt und kämpft wie ein Mann und nicht wie ein Legionär.” rief sie zu Valete hinüber. Er trieb sein Pferd vorwärts und sein Schwert sauste hinunter. Geschickt tauchte Fedora unter dem Hieb hindurch, wirbelte herum, packte seinen Arm und zerrte den Centas vom Pferd herunter. Valete war ohne Frage ein guter Kämpfer, aber diese Tatsache nützte ihm hier nicht viel, denn auch ihm gelang es nicht dem Wahnsinn dieser Furie Einhalt zu gebieten. Unfähig etwas dagegen unternehmen zu können, waren seine Männer vom Feuersturm dieser Frau überrascht worden. Das hätte er sich nie Träumen lassen. Sie standen in den Diensten des MAGHANS, war das Feuer nicht immer auf ihrer Seite gewesen? ”Warum habt Ihr mir nicht einfach den Gefangenen ausgehändigt? Seht, ...” Fedora zeigte auf die Umgebung, ”... was Ihr mit eurem Starrsinn angerichtet habt!” ”Wer seid Ihr?” fragte Valete, diesmal jedoch nicht mehr so hochmütig. Langsam umkreisten sich die beiden, abwartend, lauernd. ”Dies sagte ich Euch bereits, doch in der Euch eigenen Art der Arroganz, wie sie nur das Reich des Feuers hervorbringt, habt Ihr mir keinen Glauben geschenkt!” Fedoras lachen war weithin zu hören. ”Nun, wo ihr erkennt, daß ich, ein einfaches Weib, die Wahrheit sagte, ist es für Euch allerdings zu spät, Legionsmarionette!” Angestachelt von den Beleidigungen seines Gegners, und vor Zorn alle Vorsicht vergessend, hieb Valete auf die Frau ein. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah er an sich herunter und erkannte, das ihre Waffe in seinem Leib steckte. Seine Beine gaben nach und er fiel hin. Langsam, fast behutsam, legte Fedora eine Hand auf seine Schulter. ”Nur so, als kleiner Trost. Gegen Euch persönlich habe ich ja gar nichts ...” In einer fließenden Bewegung zog sie ihr Schwert aus seinen Leib, wobei sich ein Schwall Blut über ihre Hände ergoß, trat einen Schritt zurück und schenkte den sich nähernden Olan ihre Aufmerksamkeit. Nachdem Fedora auch diese niedergestreckt hatte, wirbelte sie fast anmutig herum. ” ... Ihr werdet mir aber sicherlich beipflichten, das ich Euch unter keinen Umständen am Leben lassen kann ...” Ihr Schwert sauste herunter und trennte den Kopf Valetes sauber vom Rest seines Körpers. Die verliebenden Legionäre schrien auf , doch ihre Schreie wurden von einem HaGesprengte Ketten Seite 34 gel aus Feuerbällen zum Schweigen gebracht. Über allem lag der Duft von Schwefel, Rauch und verbranntem Fleisch. Die Luft war angefüllt von den schreien und dem stöhnen der sterbenden Männer. Blutüberströmt bahnte Fedora sich einen Weg zum Käfigwagen. Sie schritt über die kläglichen Überreste vieler Legionäre, gleichgültig trat sie dabei in Blutlachen und Eingeweide. Einige wenige hatten das Massaker überlebt und stellten sich ihrem Gegner mutig in den Weg, kurz darauf winselten sie um Gnade. Doch Fedora hörte nicht auf das flehen der Männer. Keiner dieser Bastarde sollte ihr entkommen, die Zeit der Barmherzigkeit war schon lange vorüber. Mit einem Knall flog die Käfigtür auf und mit zwei Hieben hatte sie die Fesseln Gaetanos durchtrennt. ”Komm.” rief sie ihm bloß entgegen. Gaetano konnte sich kaum bewegen. Was er hier gesehen hatte, konnte er nicht fassen. Und dabei hatte er sich noch Sorgen um diese Frau gemacht. Was war bloß mit ihr los? Voller Abscheu blickte er sie an. ‘100 Mann‘ dachte er. ‘Sie hat ohne mit der Wimper zu zucken 100 Mann getötet. Was für ein Wahnsinn.‘ Es waren 99. Ein Späher hatte es geschafft zu entkommen und sein Pferd galoppierte so schnell es konnte davon. Fedora fuhr herum und sah dem Mann nach, dabei hob sie ihre Hand. Gaetano stürzte auf sie zu. ”Durena!” Er packte ihren Arm und wollte diesen nach unten drücken. ”Was machst du?” Rot unterlaufene Augen sahen ihn an. Wahnsinnige Augen, die er schon einmal bei ihr gesehen hatte. ”Aufräumen.” erwiderte eine eisige Stimme. Sie fixierte den immer kleiner werdenden Punkt am Horizont an, und senkte ihren Arm. Daraufhin ließ Gaetano sie los. Lächelnd sah Fedora ihren Freund an, ihr Arm schnellte nach oben und ohne ein weiteres Mal hinzusehen schickte sie dem Reiter einen Feuerball hinterher. Dieser verfehlte sein Ziel nicht, der Olan und sein Reittier gingen in Flammen auf. Gaetano schrie und schlug Fedora mit voller Wucht ins Gesicht. ”Was hast du nur getan?” brüllte er die Frau fassungslos an. ”Dir dein erbärmliches Leben gerettet.” antwortete sie matt. ”Ich wäre lieber getötet worden, als der Grund für dieses Massaker zu sein.” ”Paß lieber auf, das du nicht noch einmal in die Falle der Legionäre stolperst.” ”Bei allen Göttern, Fedora, was ist in dich gefahren?” Er packte sie grob bei den Schultern und schüttelte sie kräftig durch. Fedora wehrte sich nicht. Ihre alles vernichtende Wut, die so plötzlich über sie gekommen war, hatte eben so schnell nachgelassen. Der dunkle Glanz in ihren Augen war verschwunden, der Zauber verflogen. Sie fühlte sich auf einmal so unendlich müde. Ihre Waffe, die sie immer noch fest in ihrer Linken hielt, fiel polternd zu Boden, als die Hand erschlaffte. Kraftlos sank sie gegen Gaetano. \ Kurze Zeit später öffnete Fedora ihre Au-gen, ihr Kopf ruhte immer noch an der Schulter des Mannes. Ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase. Sie sah sich um und erschrak – was war geschehen? ”Gaetano,” flüsterte sie leise ”was ... ?” Er umfaßte ihre Arme und schob sie ein Stück von sich weg, so das er ihr besser ins Gesicht sehen konnte. ”Erzähl mir nicht, das du dich an nichts mehr erinnern kannst!” antwortete Gaetano droGesprengte Ketten Seite 35 hend. ”Das glaube ich dir nämlich nicht.” Fedora schluckte. Doch, sie konnte sich an die Grauenhaftigkeit ihres Handelns erinnern, und diese Erinnerung traf sie wie ein Fausthieb. Sie torkelte benommen einige Schritte nach hinten. Übelkeit stieg in ihr hoch. Wie hatte sie nur so barbarisch sein können? ”Gaetano. Was geschieht mit mir?” Sie streckte Hilfe suchend ihre Hände nach vorne, dabei fiel ihr Blick auf ihre Blutigen Hände. ”Was!? Sag es mir!” Tränen rollten an ihren Wangen hinunter. ”Sind alle tot?” ”Ja!” Ein Wimmern kam über ihre Lippen. ”Was für ein Monster wird aus mir? Hilf mir, Gaetano. Ich flehe dich an!” Sie ergriff seine Hand, doch er riß sich los. Wenn er gewußt hätte, wie er ihr Einhalt gebieten konnte, wäre er schon längst eingeschritten. Seit Fionas Verschwinden hatte sich Fedora völlig verändert. Zuerst war es ihm nicht aufgefallen. Sie stürzte sich in die unmöglichsten Situationen, und schaffte es auch noch, diese unbeschadet zu überstehen. Dabei legte sie bei der Planung und Ausführung ihrer Überfälle ein derartiges Tempo vor, das es den anderen schwer fiel, mit ihr Schritt zu halten. Fedora gönnte sich und dem Rest ihrer Truppe keine Ruhepause. Doch so etwas wie heute hatte sie noch nie getan. Er ahnte nicht, das solche Kräfte in ihr lauerten. Und die waren mehr als gefährlich. Die anderen erkannten ihre Verrücktheit nicht. Ihm war sie ja auch eben erst richtig bewußt geworden. Im Gegenteil, sie bewunderten auch noch Fedoras Waghalsigkeit, weil sie jemanden hatten, der für sie kämpfte, zu welchem Preis interessierte keinen. Noch nicht. Wenn sie erst einmal das bekamen, was sie begehrten, sah es mit Sicherheit anders aus. Mit Schrecken erkannte der Mann, das sich Fedora in keinster Weise mehr von seinem Vater unterschied. Wo sollte sie das alles noch hinführen? Wo war die Frau geblieben, die er schätzen gelernt hatte? ‘Oh, große Erdmutter. Es kann nicht wirklich dein Wille sein, das ich an der Seite dieser Frau bleibe.‘ ”Ich bitte dich, wende dich nicht von mir ab.” jammerte Fedora mit Tränen erstickter Stimme. Doch weder rührte er sich, noch gab er ihr eine Antwort. Der Schock saß zu tief. ”Gaetano!” Er schüttelte seinen Kopf. ”Laß mich. Ich muß fort von hier. Ich ertrage dies alles nicht länger.” meinte er resigniert. ”Ich ertrage dich nicht länger. Mache was du für richtig hältst. Ich mache das meine. Und versuche nie wieder, mein Leben zu retten.” ”Das kannst du mit mir nicht machen.” Fedora war ihm hinterher geeilt. Ihre Hand schnellte nach vorne und sie drehte ihn unsanft herum. Da bemerkte sie das getrocknete Blut, welches an seinem zerrissenem Hemd klebte. Vorsichtig schob sie den Stoff ein wenig zur Seite. Seine Wunden wurden von rot durchtränkten Verbänden verdeckt. ”Was haben sie dir angetan.” flüsterte Fedora. Als sie jedoch in sein Gesicht sah, erschrak sie. Mit solch einer Kühle und Härte hatte er noch nie auf sie hinab geblickt. ”Das geht dich nichts an.” Diese so offensichtliche Zurückweisung entflammte erneut ihren Zorn. ”Wie kannst du es wagen, dich so über meine Taten aufzuregen? Du tötest auch Menschen ...” Sie wollte ihn packen, doch statt dessen ergriff er grob ihre Handgelenke, ihren Schmerzensschrei ignorierte er dabei Gesprengte Ketten Seite 36 völlig. ”Du willst es nicht begreifen, oder? Außerdem warst du eben selbst noch über deine Handlungen entsetzt! Vergiß das nicht.” Voller Abscheu ließ er sie los und machte erneut Anstalten, sich zu entfernen. ”Bitte ... Tu mir das nicht an. Laß mich nicht allein ...” rief Fedora flehend. ”Was ist, wenn doch,” fiel er ihr wütend ins Wort. ”wirst du mich dann ebenfalls töten?” Fassungslos starrte sie ihn an. ”Du weist, das ich dazu nie fähig wäre.” ”So, weis ich das?” ”Ich liebe dich.” erwiderte sie kaum hörbar. Krampfhaft hielt sie ihre Tränen zurück. Er zuckte nur mit der Schulter, ergriff sich ein Pferd und schwang sich auf dessen Rücken. ”Du liebst nur dich selber. Das hast du in den letzten Monaten mehr als einmal bewiesen. Ist dies der Kampf, den du immer führen wolltest? Dann sage ich dir, führe ihn ohne mich. Und wenn du ehrlich zu dir selber bist, wirst du sehen, daß es für jemand anderen in deinem Herzen keinen Platz geben wird, ... falls du überhaupt eins Besitzen solltest? ... Es gab eine Zeit, da dachte ich wirklich, du wärest anders ... da habe ich mich wohl geirrt.” ‘Hatte sich die Erdmutter auch geirrt. War Fedora wirklich eine Erwählte?‘ Alle Farbe war bei diesen Worten aus ihrem Gesicht verschwunden. Gaetano fiel auf, wie krank und zerbrechlich Fedora auf einmal aussah. ”Ich verfluche die Kraft des Feuers. Ich ahnte nicht, das sie mir geblieben war. Ach, ... hätte man sie mir doch genommen. Ich will sie nie wieder nutzen. Nie wieder!” brüllte sie ihm entgegen. ”Ich habe nicht darum gebeten, das ich das kann!” Sie deutete auf ihre Umgebung. ”Entschuldigt dies deine Handlungen?” Matt schaute Gaetano auf die Frau herunter. Er hätte fast Mitleid mit ihr haben können. Trotzig schob sie ihr Kinn nach vorne. ”Muß ich mich dafür entschuldigen?” ”Leb wohl, Fedora.” ”Geh! ... So wie es alle machen, du Feigling! ... Ich brauche dich nicht! ... Verschwinde endlich!” schrie sie ihn an. Ohne noch etwas zu erwidern, ritt Gaetano davon. Fedora blickte ihm so lange nach bis ihre Augen vor Anstrengung brannten. Schon lange konnte sie nichts mehr erkennen. Tränen hatten ihren Blick verschleiert. Ihr Zorn hatte sie Dinge sagen lassen, die sie so nicht gemeint hatte, aber ... sie hatte sie ausgesprochen. Nun war er fort. Fedora liebte Gaetano, um so mehr schmerzte sie seine Reaktion. Ja, für ihn hatte es immer einen Platz in ihrem Herzen gegeben. Er war ihr Vertrauter, ihr Kampfgefährte, ihr Retter aus so manch brenzliger Situation, ihr Freund. Sie war hierher gekommen um ihn zu retten und nicht zu verlieren, doch sie hatte alles falsch gemacht und nun war er fort. Fedora drehte sich um und ihre Stiefelspitze berührte einen Gegenstand. Lange fixierte sie diesen mit ihren Augen. ‘Wann habe ich die Kontrolle über die Dinge verloren, seit wann läuft es nicht mehr wie geplant?‘ Vor ihr lag, mit Blut überzogen, das Feldzeichen der XIII. Hastatt. Sie bückte sich, griff in ihr Hemd und zog eine Lilie hervor. Behutsam legte sie diese darauf. Langsam glitten ihre Finger von der Blume auf das Feldzeichen. ”Niemals wieder.” murmelte Fedora beschwörend. \ Gesprengte Ketten Seite 37 Ihre Mitstreiter fanden Fedora inmitten der toten Legionäre. Arnoldo hatte nach Fedoras überstürztem Aufbruch den anderen von dem Vorfall berichtet und gemeinsam hatte man sich aufgemacht, in der Hoffnung, ihren Anführer noch Rechtzeitig einholen zu können. Doch sie waren nicht schnell genug gewesen. Eigentlich hatte er damit gerechnet, das Fedora festgenommen worden wäre, oder schlimmeres, Tot sei. Mit dem Bild, welches sich ihnen hier bot, hatte allerdings keiner gerechnet. Die Erde war wie von Feuer geschwärzt, abgetrennte Körperteile und verkohlte Leichen lagen im Blutgetränkten Staub. Welch furchtbare Schlacht mußte hier getobt haben. Arnoldo Mattia hob seine Hand und die anderen hielten an. ”Ihr wartet hier.” befahl er laut, dann sprang er von seinem Pferd und stürzte sich auf die Frau. ”Ist alles in Ordnung mit dir?” fragte er besorgt. Fedora nickte nur stumm. Arnoldo zog einen Seidenschal aus seiner Tasche und maskierte damit das Gesicht seines Gegenübers. ”Wir wollen doch kein Risiko eingehen, nicht wahr,” flüsterte er ihr leise ins Ohr und deutete auf die anderen, welche sich zum Glück weit genug von ihnen aufhielten. ”Es sind ein paar neue dabei, und man kann nicht vorsichtig genug sein.” Er zwinkerte Fedora aus seinem ebenfalls Maskierten Gesicht zu. Mit keinem Wort fragte er, was hier geschehen war. ”Du hast wie immer Recht.” meinte sie erschöpft. Fedora blickte in die fragenden Gesichter der anderen, aber keiner von ihnen wagte zu sprechen. Was sie hier sahen war Antwort genug. ”Wo ist er?” Mattias Stimme klang leise zu Fedora hinüber. Deutlich konnte sie seine Angst heraus hören. ”Fort.” Die Frau schritt nun gelassen über die Leichen auf ihr Pferd zu, ergriff die Zügel und saß auf. Arnoldo war ihr gefolgt und klopfte dem nervösen Tier beruhigend auf den Hals. ”Ist er ....?” ”Nein! Er lebt. Er hat uns bloß verlassen.” Dann trat sie dem Tier in die Flanken, so das es sich aufbäumte. ”Wir werden ohne ihn auskommen müssen, mein Freund. Und nun ... reiten wir nach Hu’chuy Llaqta.” \ Corvin konnte es nicht fassen. Eine ganze Hastatt war ausgelöscht worden. Soeben hatte ihn die Nachricht von dem Gemetzel erreicht. In seinen Händen hielt er das Goldene Feldzeichen, an dem immer noch eine Violette Lilie befestigt war. Er dachte an Valete, einem seiner besten Centas. Wie hatte ausgerechnet ihm so etwas passieren können? Fest umschloß seine Faust den Gegenstand, Blüten der Lilie fielen dabei zu Boden. In die bedrückende Stille meinte Mamercus: ”Sie sind wie wilde Tiere, Conius. Ihr müßt ein Exempel statuieren.” Der D’ascas fuhr wütend herum. ”Schon wieder? Und an wem diesmal?” ”Spielt das irgend eine Rolle?” Mamercus Stimme war Eiskalt. ”Wenn die Volksseele überkocht, Damiano, wollt Ihr bestimmt nicht im Mittelpunkt ihres Interesses stehen, oder? Die letzten Hinrichtungen sind noch nicht vergessen. Also erzählt mir nicht, das es egal wäre, wen ich dafür zur Rechenschaft ziehe!” sagte der D’ascas drohend. Corvin schritt um seinen großen, mit Wachstäfelchen und Pergamenten überladenen Tisch herum und setzte sich schwerfällig in seinen Stuhl. Er dachte, das wenigstens diese schrecklichen Übergriffe auf seine Leute aufgehört hätten. Aber so bestialisch waren sie noch nie hingeschlachtet worden. Gesprengte Ketten Seite 38 ”Ein Exempel statuieren, also wirklich ...” Corvin schüttelte seinen Kopf. ”Denkt nach, Damiano, bevor Ihr mir solch einen Unsinn unterbreitet. Hier, lest selbst ...” Der D’ascas ergriff eine Handvoll an Pergamentrollen und schleuderte sie Mamercus entgegen. Dieser versuchte vergeblich wenigstens einige davon aufzufangen, doch sie fielen zu Boden. Ein Schnaufen Corvins war zu hören. Erneut Blickte der D‘ascas auf die Lilie. ”Berichte von Übergriffen auf die Truppen des Imperiums und dessen treuen Anhängern stapeln sich auf meinem Tisch. Diese Lilie muß ein Geist sein, wie sonst läßt es sich erklären, das er gleichzeitig an verschiedenen Orten auftaucht und zuschlagen kann.” Er schnaufte erneut ungehalten. ”Mittlerweile hinterläßt doch jeder kleine Halunke solch ein Teil am Ort seines Verbrechens. Sie vollführen ihre Taten und schieben es der Lilie zu. Diese Tatsache zu durchschauen dürfte selbst Euch gelingen. Lest die Berichte und zieht Eure eigenen Schlußfolgerungen.” Conius schüttelte müde seinen Kopf, die Anstrengungen der letzten Tage spiegelten sich deutlich auf seinem Gesicht wieder. ”Nun müssen wir nur noch rausfinden, für welche Verbrechen sich die Lilie zu verantworten hat. Bringt mir Leute aus der Widerstandsbewegung, Damiano. Das dürfte für Euch nicht so schwer sein. Ich möchte endlich brauchbare Informationen darüber erhalten, wer der führende Kopf dieser Bewegung ist, außerdem will ich wissen, wer sich hinter der Lilie verbirgt. Und vergeßt nicht, ich will ihn lebend. Setzt das Kopfgeld hoch, verdreifacht es meinetwegen, aber legt mir endlich Resultate vor. Bis heute dachte ich immer, ihr wäret ein fähiger Hoendis. Oder sollte vielleicht die Aussicht auf eine Degradierung Euren Ehrgeiz, mir zu gefallen, ein wenig anspornen?” Finster blickte der D’ascas auf Mamercus und schlug gleichzeitig voller Wut mit seiner Faust auf den Tisch, wobei die Berge der Dokumente bedrohlich wankten. Sie waren einem großen Erfolg schon so nahe gewesen. Dieser Einheimische hätte bestimmt einiges zu erzählen gehabt. Hätte ihm Valete wenigstens mitgeteilt, um wenn es sich dabei handelte. Verdammt! Aber, er wußte immerhin wo man den Rebellen aufgegriffen hatte. Er mußte sofort einen Trupp in dieses Kaff schicken, um näheres in Erfahrung zu bringen. Conius trommelte nervös mit seinen Fingern auf den Tisch. Er sah auf und bemerkte, das Mamercus immer noch vor ihm stand. Den hatte er ganz vergessen. ”Ihr stellt sofort einen Trupp zusammen und begebt Euch heute noch nach Hu’chuy Llaqta. Findet heraus, um wenn es sich bei dem Rebellen gehandelt hat. Irgend einer wird Valete dort schon bei der Ergreifung des Burschen hilfreich zur Seite gestanden haben. Spart nicht an Gold, wenn es von Nöten sein sollte. Ihr habt Eure Befehle, laßt mich nun allein. Und Damiano ... ich will endlich Erfolge sehen, ich denke wir haben uns verstanden!” Ärgerlich sah er zu seinem Untergebenen hinüber. Mamercus nickte und nichts ließ erahnen, was er über das dachte, welches der D’ascas ihm in Aussicht gestellt hatte, dann vollführte er noch einen militärischen Gruß und schritt aus Corvins Arbeitszimmer. Der D’ascas ergriff seufzend ein Stück Pergament und begann seinen Bericht an den Protector niederzuschreiben.