Auf Messers Schneide
NOCH NICHT FORMATIERT
Aus den Chroniken des Widerstandes ” ... Liebe ist eine mächtige Waffe. Mächtiger noch als die Kraft des Lichtes ...” Aus den Schriften Lli’phllis Auf Messers Schneide
Mareikje Groß, Februar/September05/ Januar06
Ärgerlich wanderte der Torreòn in seinem Gemach auf und ab. Im Moment verlief nichts so, wie er es geplant hatte. Die Agia war aus ihrem Gefängnis entkommen, und für ihn bestand nicht die geringste Möglichkeit, in ihre Nähe zu gelangen. Es hieß, sie hätte sich gegen die Belange des Imperiums gestellt. Und er glaubte dies, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Diese Frau war keine jener Personen, die immer das taten, was andere von ihnen erwarteten oder verlangten. Eigentlich war es ihm aber egal, auf welcher Seite sie stand. Es konnte ihm nur mehr als recht sein, wie sich die Dinge entwickelten und was sich hier abspielte. Wenn ihn das Glück noch nicht gänzlich verlassen hatte, würde es einen blutigen Aufstand geben, und er würde sich am Ende mit Freuden der Übriggebliebenen annehmen. Bei diesem Gedanken erhellte sich das Gesicht des Torreòn für einen kurzen Augenblick. Aber zuerst hatte er wichtigeres zu erledigen, denn er mußte eine Möglichkeit finden, um mit der Agia Kontakt aufzunehmen - sofern er sie überhaupt aufspüren konnte. Eine Sackgasse gab es bereits. Aus Quint, dem alten Schwachkopf, war nichts heraus zu bekommen, und seine eigenen Leute schienen mehr als unfähig zu sein, ihm die benötigten Informationen zu liefern. War er den nur von Versagern umgeben? Der Torreòn gönnte sich eine kurze Denkpause, blieb vor einem Tisch stehen und starrte verloren auf dessen Oberfläche. Plötzlich hob er seinen rechten Arm und fegte mit einer wütenden Geste die sich darauf befindenden Gegenstände herunter, welche krachend auf dem Boden aufkamen, um sich dann darauf zu verteilten. Er begehrte etwas von der Agia, und es lohnte sich, für dieses Amulett über Leichen zu gehen. Die Tür öffnete sich und ein Mann spähte vorsichtig herein. ”Was ist mit Euch, Herr?” Der Angesprochene trat mürrisch gegen einen Kerzenstummel. Als dieser gerade Wegs auf die Tür zuflog, duckte sich der Diener und wich so gerade noch dem Geschoß aus. ”Mein Herr!” Er schloß die Tür hinter sich. ”Mein treuer Jeepo. Sag, warum hat sich alles gegen mich verschworen?” Noch immer verärgert, nahm der Torreòn seine rastlose Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Jeepo fing an, die auf dem Boden verteilten Gegenstände aufzusammeln. Dabei beobachtete er immer wieder seinen jungen Herrn. Vor einigen Monaten war dieser noch so zuversichtlich gewesen. Er hatte Pläne ausgeheckt, wie er an dieses verfluchte Amulett gelangen konnte, war ihm schon so nahe gewesen, aber dann kam alles ganz anders. Das In’Ret war über die Menschen und über das Land gekommen. Einrichtungen wurden geschlossen, eine Ausgangssperre verhängt. Das Militär kontrollierte alles und jeden aufs Strengste. Dies war keine leichte Zeit für seinen Herrn, da es auch immer schwieriger wurde, mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu bleiben. Aber er hatte ihn ja gewarnt. Diese Frau brachte nichts als Unglück, soviel war sicher. Jeepo stellte die Sachen auf den Tisch zurück und betrachtete dabei eingehend seinen Herrn. Der Diener seufzte innerlich, ging zu einer kleinen Anrichte hinüber und goß aus der Karaffe, welche sich darauf befand, Wein in ein recht großes Glas, um es dann seinem Herrn hinzuhalten, der in seiner immer noch rastlosen Wanderung an ihm vorbei zog. ”Danke.” Der Torreòn ließ sich schwer in einen Sessel fallen. ”Ihr werdet sehen, Herr, wir werden diese Frau bald finden.” Aufrichtige Ehrlichkeit schwang in Jeepos Stimme mit, da er sich sehr sicher war, bald einen Erfolg in dieser Angelegenheit verzeichnen zu können. Überall hingen ihre Steckbriefe, die Legion durchsuchte täglich die Räumlichkeiten des Ordens, sie mußte am Leben sein. Und es bedeutete, daß man sie nach wie vor in Tizio vermutete. Bis die Soldaten die Agia jedoch finden würden, konnte es dauern. Sein Herr hatte also alle Zeit der Welt. Wenn die Frau mit dem Orden Kontakt aufnahm, würden sie es sofort erfahren, ihr dortiger Spion war sehr fähig. Man mußte nur genau die Tochter der Agia im Auge behalten, dann würde man sie finden. Das wußte auch sein Herr. ”Ihr hattet bis jetzt so viel Geduld, Herr. Bald schon seid Ihr am Ziel Eurer Träume, und das Land wird Euch gehören.” Mit diesen abschließenden Worten ging Jeepo hinaus und überließ seinen Herrn wieder sich selbst.
Bunte Fahnen flatterten im Wind, Musik tönte durch die Gassen, von überall war lautes Lachen zu vernehmen. Die Bewohner Tizios feierten Celebrationis Vernus. Maskierte und bunt gekleidete Menschen überfüllten - mehr noch, als in den vergangenen Jahren - die breiten Straßen und gut zugänglichen Gäßchen der Stadt. Ausgelassen und fröhlich gaben sie sich dem Treiben hin. Eigentlich nichts ungewöhnliches - in normalen Zeiten. Aber die Zeiten waren alles andere als normal. Auch wenn es dem neuem Befehlshaber der Legion, dem D’ascas Conius Corvin nicht behagte, so war er dennoch nicht so verrückt gewesen, dieses wichtige Fest zu verbieten. Noch größeren Unmut konnte er in der Bevölkerung nicht gebrauchen, einen offenen Aufstand wollte er nicht riskieren. Corvins Blick schweifte über die fröhlichen Menschen, die ihn umgaben. Er verstand sie nicht. Wie konnten diese Menschen so ausgelassen feiern, wenn über ihnen das Kriegsrecht hing? Genauso unverständlich war ihm diese Widerstandsbewegung, welche wider Erwarten solch großen Ärger bereitete. So sehr er sich auch bemühte, aber seit Monaten gab es keine neuen Erkenntnisse darüber, wer im Hintergrund die Fäden zog. Etliche Soldaten hatten bei dem Versuch, ihm Informationen zu beschaffen, bereits ihr Leben verloren. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Nun mußte er auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen. Ungehalten setzte er seinen Weg fort. Nach einer gesellschaftlichen Verpflichtung war ihm nicht zumute, aber es half nichts. Von ihm wurde erwartet, daß er sich heute Abend auf dem großen Empfang der Familie Banderini blicken ließ. Dies war eine dem Staat stets treu ergebene Familie, die dem Militär jeden Monat eine nicht gerade unbedeutende Menge Gold spendete. Nun, sie konnten es sich aber auch leisten, da sie eine der mächtigsten und größten Tuchfärberfamilien in dieser Stadt war. Grün, in jeder Schattierung, das war ihre Farbe, und sie färbten und fertigten alles daraus an, was man aus Stoff machen konnte. Nachdem Corvin sich durch das dichte Gedränge gezwängt hatte, eilte er mit großen Schritten die Stufen des Palazzos der Banderini hinauf, welches mit dem Wappen der Familie, einem Färbertrog, aus dem grüne Flüssigkeit schwappte, geschmückt war, als ihn ein maskierter Bursche anrempelte, welcher die Stufen herunter gestürmt kam. ”Verzeiht meine Ungeschicktheit.” Der Bursche blickte Corvin flüchtig an. Dann schien er den Sitz seiner Maske zu überprüfen und zog seinen Hut etwas tiefer ins Gesicht. ”Schon gut, Kerl!” schnaufte Corvin ungehalten. Er war eh schon zu spät dran und wollte sich nicht noch länger aufhalten lassen. Der Bursche verbeugte sich noch einmal unterwürfig, bevor er die restlichen Stufen hinunter eilte und im Trubel der Menschenmassen verschwand. Am massiven Eingangstor angekommen stutzte der D’ascas. Langsam drehte er sich um und schaute suchend auf die unter ihm flanierende Menge. Seltsam! Er war sich sicher, die Augen des Mannes schon einmal gesehen zu haben. Corvin irrte sich in solchen Dingen nie. Nur - wo und wann, das wollte ihm einfach nicht einfallen. ”Mein lieber Conius. Ich bin entzückt, daß Ihr meiner Einladung gefolgt seid.” Eine Frau war hinter seinem Rücken wie aus dem Nichts aufgetaucht und reichte dem D’ascas, der sich zu ihr herumgedreht hatte, in einer eleganten Bewegung ihre Hand. ”Verehrte Blanca. Ich bin es, der entzückt sein darf, heute abend Eure Gesellschaft genießen zu können.” Er ergriff die ihm dargebotene Hand und deutete einen Kuß an. Nichts ließ mehr erahnen, daß sein Gesicht soeben noch vor lauter Sorgen gezeichnet war. ”Mein Herz freut sich um so mehr, als daß ich die Ehre habe, auch noch von der reizenden Hausherrin persönlich empfangen zu werden.” ”Ihr seid ein Charmeur, mein Guter.” Blanca wedelte sich kokett mit ihrem Fächer etwas Luft zu. ”Wollt Ihr mir nun bitte folgen?” Die Qaom’de 3
schenkte
dem Legionär ihr bezauberndstes Lächeln und rauschte, eingehüllt in einen Traum aus grünem Samt und Brokat, in das Innere ihres Palazzos.
Ohne auf die singenden und feiernden Menschen zu achten, bahnte sich die Gestalt ihren Weg durch den dichten Trubel. Wie ungeschickt, ausgerechnet dem D’ascas in die Arme zu rennen, aber es war ja noch einmal gut gegangen. Rasch bog die Gestalt in eine Gasse, auf der nicht so viel Gedränge herrschte und bog nach wenigen Metern erneut ab. Mit jedem Schritt, den sich die Gestalt von der feiernden Menge entfernte, drangen die Geräusche gedämpfter heran. In den kleinen Gassen war es menschenleer, da bald die große Parade anfangen würde. Nun drängelte sich natürlich alles auf den Wegen, die diese nehmen würde. Den Maskierten interessierten diese Banalitäten nicht. Schnellen Schrittes setzte er seinen Weg fort. Als er allerdings etwas zu hastig um eine Ecke bog, prallte er mit einer Gruppe betrunkener Jünglinge zusammen. ”Verzeihung,” murmelte die Gestalt mit tiefer, verstellter Stimme, wobei er den Blicken der Halbstarken auszuweichen 3 Qaom’de: Patron/in versuchte. Eilig wollte er seinen Weg fortsetzten, als sie ihm diesen versperrten ”Nicht so schnell.” Ein breitschultriger Rothaariger baute sich in seiner ganzen Größe genau vor dem Maskierten auf und musterte ihn angriffslustig von Kopf bis Fuß. ”Mir gefällt deine Nase nicht.” Seine Kumpane lachten. ”Mir gefällt eigentlich gar nichts an dir. Vor allem die Farben..”, dabei tippte er mit seinem Finger auf die Jacke seines Gegenübers, ” ... die du trägst.” Erneut grölten seine Gefährten los, so, als hätte ihr Anführer einen besonders guten Witz gemacht. ”Dafür möchte ich mich entschuldigen. Jetzt muß ich aber weiter.” ”Nicht so hastig, ... mein Freund ...”, nun hatte er dem Maskierten seine flache Hand auf die Brust gelegt und machte eine flüchtige Bewegung mit dem Kopf, woraufhin zwei seiner Gefährten vortraten und ihr Opfer an beiden Armen packten, ” ... wir sind noch nicht fertig mit Dir!” Ein gefährliches und bedrohliches Glitzern spiegelte sich in den Augen des Rothaarigen wider. ”Sagt, was soll ich mit diesem Burschen nur anstellen, meine lieben Freunde?” Der Rothaarige hatte sich umgewandt und seine Arme theatralisch von sich gestreckt. ”Wollen wir ihm zeigen, was wir von ihm halten?” Ohne eine Antwort abzuwarten, wirbelte er herum und rammte seine Faust in den Magen des Maskierten. Vor Schmerzen krümmte sich die Gestalt zusammen, wurde aber schnell hochgezogen. ”Bist du nicht auch der Meinung, daß du in der falschen Gegend unterwegs bist, Tuchfärber?” Der Rothaarige grinste verächtlich und zog dabei einen Mundwinkel nach oben, was ihm zwar einen brutalen, aber nicht besonders intelligenten Gesichtsausdruck verlieh, bevor er erneut zuschlug. Abermals versagten die Füße seines Opfers, und wie ein nasses Tuch hing er zwischen den Kameraden seines Angreifers. ”Tuchfärber?” keuchte der Maskierte atemlos. Er konnte nicht begreifen, was hier eigentlich los war. ”Oh! Möchte er nicht kapieren, oder will er uns etwa für dumm verkaufen, he? Ich werde wohl deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen müssen.” meinte er zornig. Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug der Rothaarige ein drittes Mal zu. Stöhnend rang der Maskierte um Luft, als er in die Knie ging. Alles war so schnell gegangen, daß er überhaupt keine Gelegenheit hatte, sich zu wehren. Maldito, dies ist nicht mein Tag. Der Rothaarige beugte sich zu ihm hinunter, faßte grob mit seiner Hand an dessen Kinn und hob es ein Stück in die Höhe. ”Das ist unser Bezirk, Tuchfärber ...” ”Was geht da vor?” hörte man von weitem. Am Anfang der Gasse tauchte eine Wache auf. Hastig tauschte der Rothaarige mit seinen Kumpanen Blicke aus. Sie nickten alle kurz. Da blitzte ein langer schmaler Gegenstand auf. ”Dich werden wir hier nicht mehr wiedersehen”, meinte der Anführer verächtlich und stach zu. Der Maskierte sackte noch mehr in sich zusammen, doch plötzlich, als würde eine unsichtbare Macht ihm neue Kraft und Mut einflößen, richtete er sich halb auf. ”Rotschopf!” Der Angesprochene, welcher gerade im Begriff war, sich zu entfernen, hielt inne und sah zu seinem Opfer hinunter. Ungläubigkeit lag in seinem Blick. Der Maskierte hob langsam seine Augen, welche sich unnatürlich verfinstert hatten, und blickte seinem Gegenüber bis auf den Grund seiner Seele. Angst schnürte dem Rotschopf die Kehle zu, und nun war es an ihm, laut nach Luft zu schnappen, als ein breiter Strahl Blut aus seiner Nase schoß. Ein Kamerad packte ihm am Arm und wollte ihn mit sich ziehen. ”Was ist mit dir?” fragte er ängstlich, als er in das blutende Gesicht seines Freundes sah. Der Dolch fiel ihm aus den Händen und mit zittrigen Fingern zeigte der Rothaarige nach unten. ”Dùjvel!” stammelte er. ”Dùjvel!” Seine Augen waren vor Schreck geweitet, und er röchelte immer noch nach Luft. Er wollte sich von dem tödlichen Blick des Maskierten losreißen, doch es gelang ihm nicht. Kälte stieg in ihm auf, und seine Beine waren dabei, ihren Dienst zu versagen. ”Komm schon, wir müssen weg!” Erneut, aber diesmal kräftiger, zog der Kamerad am Arm des Rotschopfs. \ Der Maskierte grinste trotz seiner Schmerzen, preßte seine Hände auf den Bauch und erhob sich langsam. Von hinten hörte er das nicht gerade schnelle Herannahen der Wache. ”Was war hier los?” bellte einer der Legionäre. ”Nichts.” ”So, so. Das sah aber anders aus.” meinte der ältere der beiden lasch. ”Ich bin mir sicher, daß das, was immer Sie auch zu sehen geglaubt haben, nichts war.” ”??” Die beiden Wachsoldaten tauschten schnell einen Blick miteinander aus. ”Können sie sich ausweisen?” fragte der jüngere Legionär. ”Aber natürlich.” Der Maskierte öffnete eine kleine Tasche, zog ein Schriftstück hervor und überreichte es dem jüngeren. Dieser studierte es sorgfältig, dann rollte er es wieder zusammen und reichte es zurück. ”Danke. Wir wollen sie nicht länger aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.” ”Ich Danke Ihnen.” Seelenruhig setzte der Maskierte seinen Weg fort, um hinter der nächsten Ecke zu verschwinden. Auch dort ging er normal weiter und rannte erst nach einem erneuten Richtungswechsel los. Es sollte zumindest ein Rennen sein, obwohl der Körper förmlich danach schrie, sich auszuruhen. Als er sicher war, nicht erneut irgend eine Grenze verletzt zu haben, hielt er an und lehnte sich keuchend gegen eine Mauer. Die beiden Wachen schauten dem Burschen noch eine Weile hinterher. ”Sie werden uns die ganze Arbeit abnehmen und sich gegenseitig die Kehle durchschneiden.” meinte der ältere und hatte dabei den blutigen Dolch aufgehoben. ”Sag, wer war dieser Kerl überhaupt?” ”Wer?” ”Der Maskierte.” ”Antonio Banderini.” meinte der jüngere Legionär nachdenklich. ”Na, dann ist ja alles klar. Komm, gleich fängt die Parade an.” Er zog seinem Kameraden am Arm. ”Ist noch was?” Der Angesprochene schüttelte seinen Kopf. ”Mmmmh, nein.” \ Maldito! Maldito! Es war aber auch zu ärgerlich. Dabei war bisher alles so gut verlaufen. Trotz der Warnungen, welche sie von Lucius erhalten hatte, war Fedora vor einigen Wochen nach Tizio zurückgekehrt, nachdem sie zuerst bei dem Protector Unterschlupf gefunden hatte. Was aber auch das mindeste war, was er für sie tun konnte, nachdem er sie ja schließlich in diese ganze Sache mit hinein gezogen hatte. Freundlicherweise hatte ihr Lucius alles zur Verfügung gestellt, was sie in ihrer momentanen Lage brauchen konnte. Trotzdem war sie ihm und den anderen immer noch Böse darüber, daß es keiner gewagt hatte, ihr zu erzählen, wer sie wirklich war. Lautstark hatte sie ihrer Verbitterung Luft gemacht, jedes Schimpfwort verwendet, daß ihr in den Sinn kam und noch dutzende Neue erfunden. Daraufhin war Lucius immerhin so gnädig gewesen, ihr zu erklären, daß das Sanctum, das er vergeblich zu erreichen versucht hatte, der Ort war, an dem sich die Mitglieder des Cron’Ma versammelten, um unter der Oberherrschaft des MAGHAN die Geschicke des Imperiums zu lenken. Dieser Ort, so erzählte er, sei nur mit Hilfe eines Feuerdämons zu erreichen, und nur der MAGHAN selbst wußte, wo er sich befand. Diese Märchen hatten sie nur wenig besänftigt, aber zumindest erklärten sie die Reisen mit dem Feuerdämon. Zumindest einige. Fedora griff sich an das Amulett, welches um ihrem Hals baumelte und eine angenehme Wärme ausstrahlte. Ihr war schon öfters aufgefallen, daß es in brenzligen Situationen hilfreich sein konnte, dieses Schmuckstück bei sich zu haben. Nachdem Fedora die Provinz erreichte, hatte sie mit einigen Campesinos ein Abkommen treffen können. Die Bauern würden ihr bei dem Widerstandskampf helfen. Als Gegenleistung hatte sie dafür gesorgt, daß ihnen durch Kore finanzielle Unterstützung zukam. So hatte ihre Freundin es beispielsweise übernommen, die völlig überhöhten Steuerabgaben, welche einige der ärmsten Campesinos abtreten sollten, zu begleichen. An Gold fehlte es dem Orden nun wirklich nicht. Außerdem verteilten die Schwestern Kleidung und Nahrung. Aber der wichtigste Überzeugungspunkt, den Fedora angewandt hatte, war das Versprechen, dafür zu sorgen, daß die verschleppten Kinder unbeschadet nach Hause zurückkehrten. Nun hoffte sie nur inständig, das Lucius sich darum auch zu ihrer Zufriedenheit kümmern würde. Die Kontakte, welche Fedora vor, wie es ihr nun schien, so unendlich langer Zeit in Sumano geknüpft hatte, konnte sie zu ihren Gunsten nutzen. Sie hatte ein gutes Auge bei der Auswahl dieser Leute bewiesen, denn alle unterstützten sie bei den Anstrengungen, den Legionen des MAGHANS so viel Steine wie möglich in den Weg zu legen. Oh, Lucius! Auch dies hast du von langer Hand geplant. Es würde zwar noch einige Anstrengungen kosten, damit sich die Beteiligten des Widerstandes bis zum Ende dieses Kampfes einig blieben, aber es würde schon alles gut gehen - hoffte Fedora zumindest, denn Diplomatie war nicht einer ihrer Stärken. Gaetano hatte sie von Tizio fortgeschickt. Er sollte sich im Namen der Schwestern um deren Ländereien kümmern, Kontakte zu den darauf ansässigen Campesinos vertiefen, ihnen beistehen und, sobald die Zeit dafür Reif war, diese zum offenen Widerstand aufrufen. So weit der Plan, der bisher auch aufgegangen war. Fedora preßte sich eine Hand gegen ihren Unterleib. Mjerda! Vorsichtig hob sie Weste und Hemd in die Höhe, betastete ihre Wunde und fühlte, wie das Blut an ihren Fingern kleben blieb. Sie mußte so schnell wie möglich zu ihrem Versteck gelangen. ”Tuchfärber. Maldito!” Sie wurde ein wenig nachlässig. Wie konnte sie sich auch bloß in den Farben des Hauses Banderini kleiden? Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Stimmengewirr und Fußgetrappel ließen sie hoch schrecken. Sie trat einen Schritt zurück und wurde dadurch vollständig vom Schatten eines Torbogens verschluckt. \ ”Ich bitte Euch, laßt uns von diesem Ort verschwinden, Herrin.” Die Stimme der Magd klang ängstlich. ”Halt den Mund Ra’ura.” antwortete ihre Herrin verärgert. ”Aber Herrin! Glaubt Ihr denn wirklich, daß er heute hier ist?” ”Um genau dies zu erfahren sind wir hergekommen, nicht wahr? Und nun sei endlich still, und komm hier herüber.” Die beiden Frauen wollten sich gerade in den Schutz der Mauer zurückziehen, als eine von ihnen einen spitzen Schrei ausstieß. ”Herrin! Was ist mit Euch?” Ra’ura war dabei, fast vollständig die Nerven zu verlieren. ”Ich ... aaah ...” Die junge Frau krallte sich in die Arme ihrer Magd. ”Bitte, laßt uns endlich umkehren!” Blanke Panik lag in der Stimme. ”Dafür ist es .... glaube ich zu spät!” Erneut schrie die junge Frau auf, als eine feuchte Wärme ihre Beine hinunter lief. Das kann man sich ja nicht länger mit ansehen. Fedora stopfte hastig ihr Hemd zurück in die Hose, wischte sich ihre Finger ab und verließ den Schutz der Dunkelheit. Um ihre Wunde konnte sie sich immer noch kümmern. Wenigstens bekam sie wieder Luft. So schnell es ging, trat sie auf die beiden Frauen zu. ”Kann ich Ihnen behilflich sein?” fragte sie freundlich. Die Magd schrie kurz auf. ”Ich denke nicht.” meinte sie, als sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Ein Blick aus der Nähe genügte und Fedora wußte, um was es ging. ”Ich denke aber doch.” Sie reichte der Frau, welche offensichtlich gerade dabei war, ein Kind zu bekommen, ihren Arm. ”Kommt. Wir müssen einen Ort finden, an dem Ihr Euch schnellstens hinlegen könnt.” Als sie sich bewegten rutschte der Schleier, welcher das Gesicht der jungen Frau verhüllt hatte, herunter. Fedora sog kaum hörbar die Luft ein. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Als ob der Tag nicht schon schlimm genug für sie gewesen war. Die Götter selbst schrieben wirklich die besten Komödien. ”Ihr solltet in Eurem Zustand eigentlich zu Hause sein, oder irre ich mich?” meinte Fedora, ohne sich etwas anmerken zu lassen. ”Gewiß ...” Erneut zogen Krämpfe durch den Körper der jungen Frau, und sie klammerte sich fester an die ihr unbekannte Person. Fedora sah sich auf der Suche nach einem geeignetem Ort für eine Entbindung um, ihr Blick blieb an einer Pforte haften. Sie lächelte. Warum eigentlich nicht? Aus ihrem Lächeln wurde ein breites Grinsen. ”Hilf mir, deine Herrin dort rüber zu schaffen.” befahl sie der Magd. ”Aber ... aber ... Das geht nicht. Es kann unmöglich Euer ernst sein, meine Herrin in solch ein Haus zu schleppen.” ”Stammle nicht rum, sondern pack mit an, du einfältiges Ding. Oder möchtest du deinem Herrn erklären, warum sein Kind auf den Straßen Tizios das Licht der Welt erblickte?” Fedora wurde langsam ärgerlich. Bei der Erwähnung ihres Herrn wurde die Magd noch blasser. Sie schüttelte als Antwort nur ihren Kopf. Nein, das wollte sie ihm bestimmt nicht erklären. Gemeinsam schafften sie es bis vor den Eingang, und Fedora klopfte ununterbrochen an die schwere Holztür. Endlich waren von drinnen Schritte zu vernehmen. Langsam öffnete sich die Tür, und im Schein des Lichtes, welches auf die Gasse fiel, wurde eine nicht gerade unattraktive Frau sichtbar. ”Aber, aber, mein Hübscher.” meinte diese gurrend zu Fedora. ”Du mußt dir deine eigenen Frauen nicht mitbringen. Wir haben hier für jeden Geschmack die Richtige.” Fedora sah auf und etwas in ihrem Blick ließ die Frau sofort verstummen. ”Wir brauchen Hilfe. Und ein Bett für diese Dame wäre von Nöten.” Bevor die Frau in der Tür antworten konnte näherte sich eine weitere Frau. ”Meine Liebe Lili. Gibt es irgend welche Schwierigkeiten?” Sie lächelte ihre Bedienstete an und betrachtete dann intensiver die Fremden, dabei brauchte sie keine langen Erklärungen um zu verstehen. ”Bei allen Heiligen.” ”Meinetwegen auch bei denen.” erwiderte Fedora ungehaltener, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Die Frau, die sich inzwischen wie eine Ertrinkende an sie gekrallt hatte, wurde ihr zu schwer. ”Ein Bett! Bitte?” flehte Fedora hilflos. ”Aber natürlich. Hier könnt Ihr aber nicht herein.” Dabei trat sie vor die Tür und zog diese ein wenig zu. ”Die Gäste, Ihr versteht das doch sicher? Lili, führe die Herrschaften an das hintere Tor. Ich werde Euch von drinnen öffnen.” flüsterte die Frau ihnen zu. ”Eines noch.” sagte Fedora schnell. ”Verzeiht die Unverschämtheit meiner Indiskreten Frage, aber sie ist sehr wichtig. Ihr könntet mir nicht zufällig verraten, ob sich der Ehemann dieser Dame bei Euch befindet?” Ein winziges Lächeln kehrte in Fedoras Gesicht zurück. ”In der Tat. Diese Frage ist Unverschämt und Indiskret. Ihr werdet verstehen, daß ich ...” etwas ließ sie innehalten. Sie betrachtete den Maskierten nun doch eingehender und griff sich plötzlich an den Hals. ” ... Nun, verratet Ihr mir auch seinen Namen?” ”Medaz.” Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille. ”Nein. Der ist nicht hier. Tut mir leid. Ich werde Euch nun die andere Tür öffnen.” Danach entfernte sie sich. Fedora drehte sich zu der Magd um. ”Hör mir gut zu, Ra’ura. Du wirst nun loslaufen und deinen Herren suchen. Und du wirst nicht eher ruhen, bis du ihn gefunden hast. Verstanden? Sag ihm, wo sich seine Frau befindet!” Die Magd nickte eingeschüchtert. ”Dann los! Auf was wartest du noch?” So schnell, als wäre das Böse selbst hinter ihr her, rannte sie los, mehr als froh, diesen Ort verlassen zu dürfen. Lili faßte nun mit an, und zu zweit schleppten sie die junge Frau zum Hintereingang. Als ihnen dieser geöffnet wurde, gelang es den drei Frauen, die Schwangere in ein geheimes Zimmer des Hauses zu schaffen. Nachdem sie Marzella auf ein Bett gelegt hatten, wurde Fedora eine Hand entgegengestreckt. ”Ich bin Madame Celia.” Stellte sich die Frau von der Vordertür vor. ”Mir gehört dieses bescheidene Etablissement.” ”Und ich ...” ”Ist schon gut,” unterbrach sie Celia. ”Ihr müßt mir nichts erklären.” meinte sie wissend. ”Ich werde Euch nun herbringen, was Ihr benötigt. Lili, geh wie der hinauf. Falls Parz auftaucht, kümmere dich um ihn.” ”Natürlich, Madame.” ”Hier unten seid Ihr ungestört. Bitte entschuldigt mich nun für einen Augenblick.” Celia ging und schloß hinter sich die Geheimtür. Fedora legte ihren Hut und ihre Jacke ab. Danach zog sie sich die Maske vom Gesicht. ”Ihr?” hauchte Marzella erschrocken. ”Nun ja ... Ich. Kommt, wir wollen Euch von diesen lästigen Kleidern befreien.” Fedora half der Schwangeren aus ihrer Kleidung und machte es ihr im Bett so bequem, wie möglich. Sie setzte sich auf die Bettkante und strich mit einer Hand über das nasse Gesicht Marzellas. Aus vor Panik geweiteten Augen starrte diese Fedora an. ”Wie ... ich verstehe nicht ...?” ”Das müßt Ihr doch auch gar nicht, meine Liebe. Ich bin hier, und ich helfe Euch.” Die Worte schienen keine allzu beruhigende Wirkung auf Marzella auszuüben. ”Alles wird gut. Verlaßt Euch darauf.” Sie lächelte der junge Frau aufmunternd zu. ”Darf ich?” Ohne auf eine Zustimmung zu warten, tastete sie mit geübten Handgriffen den Bauch ab. Erneut lächelte sie Marzella beruhigend zu. Celia brachte frisches Wasser, Tücher und alles, von dem sie dachte, daß es benötigt würde. ”Wie sieht es aus?” wollte sie wissen. Fedora erhob sich und beide Frauen gingen ein Stück zur Seite. ”Nicht sehr gut.” Fedora schloß für einen Moment ihre Augen. Das hatte ihr wirklich noch gefehlt. Das Leben von Medaz Frau und das seines Kindes lagen in ihren Händen. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was er mit ihr machte, wenn es einer von beiden nicht schaffte. Warum hatte Marzella nicht, wie alle Schwangeren, die sich kurz vor der Niederkunft befanden, zu Hause bleiben können? ”Ich will ehrlich sein,” setzte Fedora an. ”Ich kann froh sein, wenn ich einen von beiden retten kann.” ”Ist es so schlimm?” fragte Celia ernst. ”Glaubt Ihr an eine bestimmte Gottheit?” Celia nickte stumm. ”Dann solltet Ihr zu ihr beten.” ”Kann ich Euch irgend wie helfen?” ”Nein. – Doch. Haltet mir Medaz, so lang es geht, vom Hals, falls er hier eintreffen sollte.” Bevor Celia sie alleine ließ, meinte sie noch: ”Bitte laß Euch oben nicht sehen. Dort wimmelt es nur so von Legionären. Auch die wollen heute Nacht ihren Spaß haben.” ”Natürlich. Ich habe verstanden. Danke.” Als Fedora alleine war, blickte sie zu Marzella hinüber und erkannte erleichtert, daß diese in einen leichten Schlaf gefallen war. Dies verschaffte ihr die nötige Zeit, sich nun doch einmal um sich selber zu kümmern. Rasch zog sie ihre Weste aus. Ihr ehemals weißes Hemd hatte sich dunkelrot verfärbt. Fedora wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, ergriff eines der Handtücher und betupfte sich die Wunde. Dankbar darüber, daß Celia an wirklich alles gedacht hatte, ergriff sie ein Stück Verband und riß von einem der riesigen Tücher ein kleineres Stück ab. Sie faltete das Stück sorgsam zusammen und preßte es sich auf die Wunde. Dann wickelte sie sich den Verband so fest es ging darum. Ihr Hemd stopfte sie in die Hose zurück und zog die Weste darüber. Das mußte reichen. Marzellas Stöhnen kam keinen Moment zu früh. Langsam ging Fedora zu der Frau hinüber, nahm erneut Platz und wischte ihr immer wieder mit einem feuchten Tuch über das erhitzte Gesicht. Warum verging nur die Zeit so langsam? Im Stillen betete sie zum Licht. Seit langem hatte sie dies nicht mehr getan. \ ”Mein Süßer. Ich bitte dich, bleibe hier und dreh nicht durch.” Celia ließ sich auf einem Bein von Medaz nieder. ”Du würdest nur stören, glaub mir.” Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und knabberte zärtlich an seinem Ohr. Sie versuchte, vollkommen entspannt zu klingen. Hoffentlich wußte diese Priesterin, was sie da tat. Ohne darüber nachzudenken umschlang er ihre Taille. Ich werde sie umbringen. Wie kann Marzella es nur wagen, in ihrem Zustand durch die halbe Stadt zu laufen? Medaz knurrte ungehalten. Zum Glück war ihm die tölpelhafte Magd seiner Frau über den Weg gelaufen, noch bevor er daheim angekommen war. Aus lauter Wut hatte er diesem armen Ding eine schallende Ohrfeige verpaßt. Celia strich sanft über sein Gesicht. ”Du siehst müde aus, mein Guter. Welche Sorgen quälen dich?” Er ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuß darauf. Es gab genügend Dinge, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten. Nach Marcellus Tod war er nun das neue Oberhaupt, der Qaom’de der Familie Medaz - Marinus. Dazu gehörte unter anderem auch, daß er den Sitz von Marcellus in der Curie mitgeerbt hatte. Parz kam es im Moment gar nicht ungelegen, daß diese immer noch geschlossen war. Außerdem hatte er den Rest des Lumen Vita untersucht, und sein Verdacht wurde bestätigt. Jemand hatte Marcellus getötet, indem er ihm ein falsches Serum verabreichte. Ezzo wurde eines Morgens brutal zugerichtet vor dem Haupteingang des Palazzos gefunden. Bis heute gab es keine Spur von dessen Mörder. Medaz war sich sicher, diesen auch nie zu finden. Und Sebastian? Dieser machte noch nicht einmal den Versuch, im Geheimen gegen ihn zu arbeiten. Nur die Tatsache, daß sich dieser junge Mann in einigen Dingen als recht nützlich erwies, bewahrte ihn vor Schlimmerem. Jeder Tag war ein Kampf um die Vorherrschaft des Oberhauptes in dieser Familie. Parz hatte es wenigstens geschafft, von den Soldaten der Legion in Ruhe gelassen zu werden. Immerhin versorgte er sie mit Waffen, und oft saß er mit ihnen bei einem Spiel zusammen, oder brachte sie zu Celia. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrükken, doch dann sah er nervös zur Tür. Warum dauert es nur so lange? ”Ich muß zu ihr.” Er hob Celia von seinem Knie und erhob sich. ”Bleib hier, du störst da unten nur ...” Sein Blick ließ sie Augenblicklich verstummen. ”Du kennst ja den Weg.” rief sie ihm noch hinterher. \ Endlich! Es war geschafft. Erschöpft strich sich Fedora über die Stirn. In ihren Händen hielt sie ein kleines Bündel Mensch, gewaschen und gut duftend. Sie reichte das Kind zu Marzella hinunter. Diese lag zwar bleich, aber dennoch wohlauf in dem Bett und schloß ihr Kind glücklich in ihre Arme. ”Ich sagte Euch doch, daß alles gut wird.” Im Stillen dankte Fedora für die Erhörung ihrer Gebete. Sie mochte gar nicht mehr daran denken, wie dünn der Faden gewesen war, der beide vom Tod getrennt hatte. ”Ich weiß nicht, wie ich Euch jemals für Eure Hilfe danken kann.” Marzellas Stimme war kaum zu hören. Die junge Mutter ergriff Fedoras Hand und drückte diese fest. ”Ich stehe tief in Eurer Schuld. Seid versichert, daß niemand von mir erfahren wird, was heute hier geschehen ist.” ”Schon gut. Und nun schlaft. Ihr braucht noch sehr viel Ruhe. Seht – Euer Kind macht es Euch vor.” Marzella nickte stumm, hielt ihr Kind ganz fest an sich gedrückt und schloß die Augen. Fedora nahm ihre Sachen und verließ leise den Raum. Sie tastete ihren Leib ab und zuckte vor Schmerz zusammen. Als sie ihr Hemd hob, erkannte sie, daß der Verband mittlerweile von Blut durchtränkt war. Plötzlich tauchte Medaz vor ihr auf und hastig strich sie das Hemd herunter. ”Wie geht es ihr?” Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Fedora mußte zugeben, daß er schon besser ausge-sehen hatte. Sie liß sich müde auf einen Stapel Kisten nieder. ”Gut. Mutter und Tochter sind wohlauf. Es war für beide zwar ziemlich anstrengend, aber ... es geht ihnen gut. Ihr solltet trotzdem dafür Sorgen, daß sie sich noch einige Wochen Ruhe gönnt. Wenn Ihr leise seid, könnt Ihr zu ihnen gehen. Sie versuchen gerade, ein wenig zu schlafen.” Medaz war zu der Geheimtür geeilt, doch bevor er an dem Hebel zog, mit dem sie sich öffnen ließ, drehte er sich noch einmal um. ”Ich ... Eine Tochter?” Er schaute Fedora fragend an. ”Wenn ich sie verloren ... ich meine, ... Celia erwähnte ... Ich weiß nicht was ich getan hätte .... wie gut, das Ihr in der Nähe wart. Ich danke Euch.” ”Geht hinein. Eure Familie wartet auf Euch.” Fedora lächelte sanft. In diesem Augenblick unterschied sich dieser Mann nicht im geringsten von einem anderen Mann, der gerade Vater geworden war. Minutenlang starrte Fedora gedankenverloren vor sich hin. So, nun aber nichts wie weg von hier, ermahnte sie sich selber. Sie preßte eine Hand fest gegen ihre Wunde und erhob sich, woraufhin ihr sofort schwarz vor Augen wurde, dabei stolperte sie unkontrolliert nach vorne. Sie riß einige kleinere Kisten um, stolperte erneut und prallte gegen eine Wand. Ein spitzer Schmerzensschrei löste sich von ihren Lippen, danach folgte ein deftiger Fluch. Stell dich nicht so an, meinte sie zu sich selber, der kleine Kratzer bringt dich schon nicht um. Fedora fühlte, wie jemand sie stützte und ihr auf die wackeligen Beine half. ”Was ist mit euch?” Medaz stand hinter ihr. ”Es ist .... nichts. Warum seid Ihr nicht bei Eurer Frau? ... Ich muß nun gehen .... laßt mich los ...” faselte sie. ”Habt Ihr Fieber? Er packte sie an den Armen und drehte sie fast unsanft zu sich herum. Entsetzt stöhnte er auf, als er ihr blutiges Hemd bemerkte, welches halb aus ihrer Hose heraus hing. Langsam hob er es in die Höhe und starrte auf den völlig durchtränken Verband. ”Ihr habt aber auch ein Talent, Euch in Schwierigkeiten zu bringen. Was ist geschehen?” Die Ironie, welche bei dieser Frage mit schwang, war nicht zu überhören. ”Nichts Besonderes ... ein kleines Mißgeschick mit ... einem Dolch ...” Ihr Atem ging schneller. ”Ihr wollt wohl den Umstand, Euch an diesem Tag in ein Messer zu stürzen, zur Tradition werden lassen, wie?” Sie sah zu ihm auf und beide dachten an die Ereignisse zurück, die erst ein Jahr zurücklagen. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. ”Das ist ... nichts. Es geht schon. Bitte ... ich muß los ...” drängte Fedora. ”Was glaubt Ihr, wie weit Ihr damit kommen werdet?” Medaz schüttelte seinen Kopf über so viel Dummheit. ”Ihr bleibt hier.” Er setzte sie auf ein paar Kisten und sie lehnte sich dankbar gegen die Wand. ”Rührt Euch ja nicht vom Fleck.” Danach verschwand er nach oben. ”Ach was. Als ob ich hier warte.” dachte Fedora nach einem Moment und erhob sich, strich sich wütend einige Schweißtropfen ab und ging. Als Medaz zusammen mit Celia in den Raum zurückkehrte, fanden sie in leer vor. ”Dieses verrückte Weib.” Wütend trat Medaz gegen eine Kiste. Celia faßte zärtlich nach seinem Arm. ”Vielleicht ist es besser so, meinst du nicht auch?” ”Was?” Verwirrt blickte er Celia an. ” ... Ja, mit Sicherheit hast du recht.” ”Kannst du mir eines beantworten? Wen liebst du eigentlich mehr? Das arme junge Ding, welches heute dein Kind zur Welt gebracht hat, oder dieses arme Wesen, was irgend wo dort draußen herum irrt?” Celias Stimme war schneidend vor Kälte. In diesem Moment kam Lili herein. ”Mir wurde soeben berichtet, daß in unserem Bezirk verstärkt Wachen unterwegs sind.” Hilflos sah Medaz zu Celia hinüber. \ Fedora stolperte durch die Straßen. Sie hätte sich bei Celia versorgen lassen sollen, aber sie konnte nicht mehr klar denken. Ihr einziges Ziel war es, zu Kore zu gelangen. Die Umgebung verschwamm vor ihren Augen. Jetzt nur nicht einen weiteren Fehler begehen, dachte sie. Fast hatte sie es geschafft, der Tempelberg war nicht mehr weit. Sie bog um eine Ekke und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihr standen mehrere Wachen. Zum Glück wandten sie ihr alle den Rücken zu. Langsam und leise, Schritt für Schritt, ging sie rückwärts in die Straße zurück, aus der sie gekommen war. Fedora lehnte sich gegen eine Häuserwand und atmete tief durch. Was würde sie darum geben, wenn dieser Tag endlich vorüber war. In diesem Zustand konnte sie nicht länger herumlaufen. ”Verzeiht. Aber Ihr scheint mir dringend Hilfe zu benötigen?” Erschrocken zuckte die Frau zusammen. Sie hatte den Mann gar nicht kommen gehört. Nun stand er ihr direkt gegenüber und musterte sie ganz genau. ”Ich weiß überhaupt nicht, was Ihr meint, mein Herr.” ”Ich bitte Euch. Ihr seht aus, wie eine umherirrende Leiche. Außerdem, meint Ihr, es wäre günstig, so umher zu laufen?” Er deutete auf ihr Gesicht. Natürlich hatte sie vergessen, sich ihre Maske über zu ziehen. ”Ich möchte den sehen, der sich das nette Sümmchen entgehen läßt, welches auf Euren hübschen Kopf ausgesetzt wurde.” ”Ich kann Euch ... nicht ganz folgen ...” verwirrt studierte sie sein Gesicht. ”Haltet mich bitte nicht für dumm. Wir wissen beide, was ich meine, nicht wahr, Agia?” ”Was wollt Ihr? Euch das nette Sümmchen verdienen? Nur zu, gleich hier um die Ecke stehen einige Soldaten ...” Das Gespräch ermüdete Fedora langsam. ”Aber nein. Wenn ich das wollte, hätte ich Euch dann meine Hilfe angeboten...?” erwiderte der Mann hastig. Fedoras Geduld und ihre Kräfte waren am Ende. Langsam rutschte sie an der Mauer hinunter. Alles um sie herum drehte sich. Sofort fing der Mann sie auf. ”Kommt, ich weiß einen sicheren Ort für Euch.” \ Als Fedora ihre Augen aufschlug, bemerkte sie, daß sie in einem weichen Bett lag. Eine angenehme Wärme durchzog ihren Körper. Was mit Sicherheit daran lag, daß in dem Zimmer, in dem sie sich befand, ein prasselndes Feuer im Kamin die Umgebung erhizte. Fedora schlug die Decke zurück und sah auf ihre sauber verbundene Wunde. Als sie ihren Blick hob, erkannte sie den Mann, der sie auf der Straße angesprochen hatte, und der nun langsam ans Bett kam. Fedora hatte nicht gehört, wie er den Raum betreten hatte. ”Ihr seid wach, das ist nett.” Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. ”Habt Ihr Hunger, oder seid Ihr durstig?” fragte er freundlich. Fedora schüttelte ihren Kopf. Hastig zog sie die Decke bis an ihr Kinn. ”Wer seid Ihr?” wollte sie wissen. ”Oh, habe ich mich Euch noch nicht vorgestellt?” Seine Augen zwinkerten lustig. ”Wir dürfen nie die Etikette vergessen, nicht wahr.” Er verbeugte sich tief, und als er sich wieder aufrichtete, meinte er galant, ”Mattia. Arnoldo Mattia, zu Euren Diensten.” ”Was wollte Ihr von mir ...?” Verunsicherung klang in Fedoras Stimme mit. ”Von Euch wollen?” Mattia zuckte mit den Schultern. ”Nichts.” meinte er fast ein Spur zu gleichgültig. ”Hört auf mit dem Theater. Ich bitte Euch. Nun haltet Ihr mich für dumm.” Arnoldo zog sich einen Sessel an das Bett und ließ sich hinein fallen, hob seine Füße und legte sie dreist auf das Bett. Seinen linken Arm stützte er auf die Lehne seines Sitzmöbels und bettete seinen Kopf, scheinbar lässig, auf die Hand, wobei er seinen Gast interessiert beobachtete. ”Wollt i ....” begann sie. Arnoldo legte einen Zeigefinger auf seine Lippen. ”Schttt ....” Dann betrachtete er sie stumm. Fedora spürte, wie eine Hitzewelle in ihr empor kroch. Was wollte dieser Mann von ihr, was hatte er vor? ”Nun.” meinte er. ”ich soll Euch von einem gemeinsamen Freund grüßen.” ”Ein Freund?” Fedora überlegte fieberhaft, wenn er damit wohl meinte. ”Es tut mir leid, aber ...” Sie zuckte hilflos mit den Schultern. ”Ich habe keine Ahnung, von wem Ihr redet.” ”Dieser Freund gab mir einen Auftrag.” Fedora kniff ihre Augen ein wenig zusammen. Was meinte er? ”Ich soll auf Euch aufpassen, wenn Ihr in der Stadt unterwegs seit. Bisher ist mir das immer recht gut gelungen, aber heute ...” Er hob in einer hilflosen Geste seine Hände. ”Ich muß gestehen, leider habe ich Euch für einen Moment in dem Gedränge aus den Augen verloren. Sonst wäre das da nicht passiert, das kann ich Euch versichern.” Er deutete auf ihre Wunde. ”Wer gab Euch den Auftrag dazu?” flüsterte sie drohend. ”Ihr dürft es ihm nicht verdenken. Er hängt an Euch, und möchte Euch in Sicherheit wissen ...” ”Wer?” ” ... er macht sich ... große Sorgen um Euch ...” stammelte er verlegen. ”WER?” Fedoras Augen funkelten gefährlich. ”Maldito, redet endlich, oder ...” ”Gaetano.” Wenn er nur wüßte, wo er hinschauen sollte, der Blick dieser Frau schien ihn ja förmlich zu verbrennen. Fedora indes verschlug es die Sprache. Ihr Leibwächter, ihr Freund, hatte jemand anderen damit beauftragt, sie zu beschatten und auf sie aufzupassen. War er denn komplett durchgeknallt? Mattia konnte an ihrem Gesicht ablesen, was sie dachte. ”Geht nicht zu hart mit ihm ins Gericht. Er tat es nur aus Sorge um Euer Wohlergehen.” Er mußte für seinen Freund einfach ein gutes Wort einlegen. ”Welches ja auch nicht ganz unbegründet schien.” Nun wußte Arnoldo, was Gaetano mit den Worten ‘Sie ist nicht einfach‘ zum Ausdruck bringen wollte. ”Er ist Euer Freund?” fragte Fedora ein wenig versöhnlicher. ”Mmmmh, ...ja.” ”Mehr werdet Ihr mir nicht verraten?” ”Mmmmh, ... richtig erkannt.” antwortete er mit einem leichten Zögern. ”Geht es ihm gut?” Eigentlich wollte sie ihre Stimme nicht so besorgt klingen lassen. ”Ich denke schon.” ”Sagt, ... wie konntet Ihr mir folgen? Ihr wußtet nicht, wann ich wo unterwegs sein würde ... Bin ich etwa zu unvorsichtig ..?” ”Seid versichert, dies seid Ihr nicht. Aber das kleine Geheimnis meines Erfolges werde ich Euch mit Sicherheit nicht verraten.” Er lachte plötzlich erleichtert auf. ”So kann ich nur froh sein, daß Ihr auf meiner Seite steht.” erwiderte Fedora. Sie schloß müde ihre Augen und dachte nach. In dem Moment wurde die Tür geöffnet und zwei Frauen kamen herein. Die ältere von ihnen fuhr den Mann sofort an. ”ARNOLDO! Was fällt dir ein? Hast du kein Benehmen von mir gelernt?” Fedora öffnete ihre Augen und sah, wie der Angesprochene nervös zusammen zuckte. ”Nimmst du gefälligst deine Füße da runter!” Als die alte Frau dicht vor ihm stand, verpaßte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Sofort sprang er auf und rieb sich die schmerzende Stelle. Fedora konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. ”Darf ich Euch meine Mutter vorstellen?” meinte Arnoldo, nachdem er sich von diesem Vorfall erholt hatte. ”Gioconda Mattia. Und dies ...” Er wirbelte herum und zog die junge Frau näher zu sich heran, die Mühe hatte, die Sachen auf dem Tablett zu halten, welches sie trug, ” ... ist meine liebe Frau Estrelle.” Fedora nickte höflich zu beiden hinüber. ”Also wirklich, Arnoldo. Du bist unmöglich.” Gioconda nahm ihrer Schwiegertochter das Tablett aus den Händen und stellte es auf einem kleinem Tisch neben dem Bett ab. Fedora nahm den angenehmen Geruch von frisch gestampften Obst und Selbstgebackenem wahr, welcher die Alte umgab. Aufmunternd lächelte Gioconda Fedora an. ”Na, na Kindchen. Was macht Ihr den für Sachen? Aber nun wird alles gut. Ich werde mich weiter um Euch kümmern. Mögen die Götter wissen, was mit Euch geschehen wäre, wenn Ihr in die falschen Hände geraten wäret. Eure Wunde sah ganz schön böse aus, und Ihr habt eine ordentliche Portion Blut verloren, das kann ich Euch aber sagen. Da muß jemand aber mächtig seine schützende Hand über Euch gehalten haben, anders kann ich mir nicht erklären, daß ihr nicht .... , nun, jetzt ist ja alles wieder in bester Ordnung, und ich lasse Euch erst aus diesem Bett heraus, wenn Ihr Euch anständig erholt habt, ich hoffe Ihr habt mich verstanden ...?” Fedora neigte ihren Kopf zur Seite, um besser an dieser resoluten Frau vorbeischauen zu können, deren Redefluß kein Ende zu nehmen schien und beobachtete Arnoldo, der sich ein Lachen nun wirklich nicht mehr verkneifen konnte. ” ... Also wirklich, Kindchen. Ihr seid ja ganz abgemagert. Oder wart Ihr immer so dünn? Das ist bestimmt nicht gesund für Euch. Estrelle will ja auch nicht auf mich hören.” Sie schüttelte ihr weißes Haupt. ”Aber so sind nun mal die jungen Dinger. Meine Küche wird schon dafür sorgen, das Ihr anständig Speck auf die Rippen bekommt ...” Fedora setzte einen gequälten und entsetzten Gesichtsausdruck auf. Nun warf Arnoldo seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. Fedora konnte nicht anders, sie mußte einfach mitlachen, und schon nach kurzer Zeit standen ihr Tränen in den Augen. Gioconda schaute verständnislos von einem zum anderen. ”Oh, Mutter. Du bist herrlich. Mir willst du etwas von Benehmen erzählen und du selber bist keinen Deut besser.” ”Was willst du damit sagen, mein Kleiner?” erwiderte sie in gespielten Zorn. ”Nun, du weißt schon, daß du hier mit der Agia redest, oder? Ich denke, das Letzte was sie möchte, ist anständig Speck auf die Rippen kriegen. Außerdem redest du wieder einmal, ohne Luft zu holen. Unserem Gast wird ja noch ganz schwindlig. Und bitte, nenn mich nicht immer ‘Kleiner‘!” Gioconda zuckte mit den Schultern. ”Na und?” ”Mutter!” mischte sich nun Estrelle ein. ”Was? Dies ist mein Heim und ich rede hier mit den Leuten, wie es mir paßt. Daran hat sich bis jetzt noch jeder gewöhnt.” Die Fröhlichkeit, welche dabei in ihrer Stimme steckte, machte deutlich, das sie es nicht böse meinte. ”Ich bin Fedora.” Sie streckte der Alten ihre Hand entgegen. ”Ich möchte mich für Eure Hilfe bedanken.” Ein spitzbübisches Grinsen erschien auf Giocondas Gesicht, welches sie noch sympathischer machte. ”Natürlich werde ich mich unterstehen, Eure Anweisungen in Frage zu stellen. Also abgemacht, ich bleibe hier und werde Euch aufs Wort gehorchen ... Aber nur, solange es mir noch nicht besser geht.” Gioconda nickte. ”Na prima, das wäre ja nun geklärt.” rief Arnoldo munter, froh darüber, daß nicht Schlimmeres passiert war und er Gaetano dies nicht erklären mußte. ”Ach, noch eines.” Gioconda streichelte ihrem Sohn nun liebevoll übers Gesicht. ”Ich werde so lange ‘Mein Kleiner‘ zu dir sagen, solange du dich auch wie ein kleines Kind benimmst.” Erneut füllte sich das Zimmer mit fröhlichem Gelächter. Fedora ahnte nun, warum Gaetanos Wahl ausgerechnet auf Arnoldo und seine Familie gefallen war. Er mußte einfach gewußt haben, das sie früher oder später Gioconda begegnete ... und wie die Alte versuchen würde mit ihr umzuspringen .... Du verdammter Halunke. Aber das zahl ich dir Heim.