Scylla
Stefan Fehres, Radicondolli/Toskana und Bad Kissingen 05 und 08 2006
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Irgendwo in der Einöde im Reich des Feuers Als Valerius erwachte, fühlte er einen dumpfen Kopfschmerz. Er hatte bittere Galle im Mund. Wie jede Nacht seit vielen Jahren, quälten den Centas der Legion furchtbare Alpträume, in denen Menschen bei lebendigem Leibe Nägel in Hände und Füße geschlagen wurden. Dann hatte man die Kreuze aufgestellt. Alle 10 Meter, kilometerlang. Schreie von Frauen und Kindern, die lebendig in ihren Hütten verbrannten. Immer wieder stieg ihm der Geruch von verbranntem Menschenfleisch in die Nase. Das Bett in der lausigen Herberge irgendwo im Reich des Feuers knarrte, als Valerius sich aufrichtete. Wie jeden Tag betäubte er seine Erinnerungen an die Vergangenheit mit Unmengen von Alkohol, doch an diesem Morgen dröhnte sein Kopf, als würden alle Hörner der Legion in ihm geblasen. Valerius unterdrückte einen Brechreiz und spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. “Das muß ein Ende haben!”, dachte Valerius verzweifelt und sah auf seine zitternden Hände. Er wußte, daß sich seine Hände nur beruhigen würden, wenn er seinem geschunden Körper sofort Schnaps zuführte. Obwohl er sich nicht bewegte, knarrte das Bett munter weiter. “Müssen wohl die Wanzen und Flöhe sein”, dachte Valerius. Er erschrak, als unter der dreckigen Decke ein weiblicher Fuß zum Vorschein kam, der dem krustigen Schmutz der Decke, unter der er in dieser Nacht geschlafen hatte, nur um weniges nachstand. Die Erinnerung an den letzten Abend kam nur langsam. Die Handelsstation, der kleine dicke Wirt mit seiner speckigen Schürze, der seinen Wein als bester Tropfen im Reich des Feuers angepriesen hatte, der dann aber wie Pferdepisse geschmeckt hatte. Ein Teller mit vergammeltem Hammelfleisch, zerlumpte und abgerissene Gestalten im völlig heruntergekommenen Schankraum. Was sich jetzt grinsend aus dem Bett schälte, schien der Unterwelt entsprungen zu sein. Das Alter der Frau war schwer zu schätzen. In ihrem Haarschienen tausende von Läusen zu hausen, die gerade zum Angriff auf Valerius bliesen. Die Frau öffnete ihren zahnlosen Mund und kicherte obszön. Ihrem Rachen entströmte ein Geruch, der an eine Latrine der Legion im Feld erinnerte. Valerius wendete eilig sein Gesicht ab und dankte den Göttern für die Erfindung des Alkohols. Er konnte sich nicht erinnern, ob oder was auch immer in dieser Bettstatt stattgefunden hatte. Immer noch leicht schwankend stand er auf, suchte seinen Waffengürtel, in dem seine Barschaft versteckt war. Er entnahm ein ansehnliches Geldstück und warf es der Alten hin. Ihre Augen wurden groß, als sie behende nach dem Geldstück schnappte und kichernd aus dem Raum lief. “Wahrscheinlich werden die Dienste dieser Dirne nur selten so großzügig entlohnt”, überlegte Valerius, “hoffentlich habe mir damit keine unangenehmen Folgen eingehandelt”. Auf einem wackeligen Tisch stand ein Krug Wasser, mit dem sich der Centas die vergangene Nacht eilig abwusch. Das Zittern seiner Hände nahm unterdessen erschreckende Ausmaße an, und ein brennender Schmerz fuhr ihm durch die Eingeweide. Eilig suchte Valerius nach seiner Feldflasche und setzte sie sofort an die Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 19 Lippen. Mühsam gelang es ihm zu trinken, und während der Schnaps wie flüssiges Feuer in seiner Kehle und seinem Magen brannte, setzte die Wirkung fast augenblicklich ein. Nach mehreren Schlucken hatte das Zittern fast vollständig aufgehört, und das Brennen war einer wohligen Wärme im Bauch und im Kopf gewichen. Langsam und bedächtig kleidete sich der Centas an. Erst das wattierte Wams über seine Unterkleider, die nach der langen Reise auch nicht mehr besonders gut rochen, dann die Lederhosen, die schweren Reitstiefel mit den klirrenden Sporen, das alte Kettenhemd über das wattierte Wams, über das Kettenhemd einen langen grauen Waffenrock und schließlich noch den schwarzen Umhang mit der Kapuze. Den Waffengürtel mit dem Langschwert und dem langen Dolch, ein anderer kürzerer Dolch in einen der Stiefel und schließlich die unvermeidliche Feldflasche. Jetzt die Handschuhe aus feinem braunen Leder und die Augenklappe über die leere Augenhöhle, wo einst sein linkes Auge gewesen war. Den Mann, der ihm einst das Auge im Kampf ausgeschlagen hatte, würde er heute treffen! Er strich sich zufrieden mit der rechten Hand über den Kopf. Er nahm seine Satteltaschen mit seinen restlichen wenigen Habseligkeiten und verließ das ungastliche Zimmer. Im Flur befanden sich die Überreste eines Spiegels, der schon lange matt und beschlagen war. Valerius blieb stehen und betrachtete sich. Ein großer Mann mittleren Alters mit unrasiertem, schmalen, hohlwangigen Gesicht, einer Augenklappe über dem linken Auge und eine lange Narbe von der Stirn bis zum Kinn, wo ihn einst das Schwert des Marcus Tiberius Scylla getroffen und gezeichnet hatte. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen, seine Gesichtsfarbe wirkte grau. “Ich sehe beschissen aus”, dachte der Centas, während die Erinnerung an die Schrecken seiner nächtlichen Alpträume zurückkam. Mühsam unterdrückte er den Impuls, noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Flasche zu nehmen. \ Als Valerius die Schankstube betrat, stand der Wirt hinter dem Tresen und täuschte Betriebsamkeit vor, indem er mit einem vor Schmutz starrenden Lappen Tonkrüge und Teller abwischte. Im Gastraum befanden sich zwei weitere in Lumpen gekleidete Gestalten, die über ihren Tischen zu schlafen schienen. Valerius erkannte die Anzeichen einer Falle augenblicklich. Die Sauberkeit seines Geschirrs würde den Wirt bei dem Zustand, in dem sich diese Herberge befand, am wenigsten interessieren. Der Centas blieb stehen und musterte den Mann. Der Wirt war von kleiner, dicker Statur und auf seinem dicken Hals saß ein runder Kopf, der wie eine Murmel wirkte. Das Gesicht war feist. Er hatte fettige Haare und einen öligen schwarzen Oberlippenbart unter einer riesigen Nase, die von riesigen eiternden Furunkeln bedeckt war. Listige braune Augen zuckten unruhig hin und her, während er dem Gast ein fröhliches “Guten Morgen!”, zurief. Die Zähne des Wirtes bestanden nur noch aus schwarzen Stummeln. Er trug eine Art Hemd, das einmal weiß gewesen sein mochte, inzwischen jedoch in allen Brauntönen schillerte. Unter den Achseln hatte das Hemd eine stark gelbliche Färbung angenommen. Über den Wanst hatte sich der Wirt eine speckige Schürze gebunden. Da Valerius keine Antwort auf die Begrüßung des Wirtes gab, fing dieser an, sich nervös an seiner eitrigen Nase zu kratzen. Die Ergebnisse wischte er sodann an seiner Schürze ab. “Hat Lucrezia alle eure Wünsche erfüllen können, werter Gast?”, flötete der Wirt, als der Centas, ohne auf die KomöHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 20 die einzugehen, die ihm hier offensichtlich gespielt wurde, an den Tresen trat. Zum zweiten Mal an diesem Morgen wurde Valerius in eine Wolke üblen Gestankes getaucht, als ihn der Brodem erreichte, der aus dem Mund des Wirtes kam. “Knoblauch, Zwiebeln und Verwesung”, dachte Valerius, “immer wieder das gleiche, ein Fremder auf Reisen in einem abgelegenen Gebiet, ein kleiner gut geplanter Überfall, man nimmt ihm sein Gold und seine Kleidung ab, wenn man Glück hat und er vermögend ist, verlangt man ein ansehnliches Lösegeld, wenn nicht, läßt man den Armen verschwinden und wirft seine Leiche den Geiern zum Fraß vor. Niemand fragt, niemand wird ihn finden. Was für eine miese Gegend. Der Wirt ließ einen mächtigen Wind fahren. “Verzeiht, werter Gast, die Bohnen!”, sagte er zu Valerius. “Das ist also das Zeichen”, dachte Valerius, während die zwei Männer aus dem Schankraum plötzlich putzmunter auf ihn losstürmten, “immerhin eine nicht übliche Variante.” Valerius war seit seiner Jugendzeit in der Legion. Er hatte sich bis zum Centas hochgearbeitet. Er konnte nicht zählen, wie oft er Schlägereien in Tavernen und Überfälle dieser Art erlebt und hinter sich gebracht hatte. “Ich fühle mich so müde”, dachte Valerius, während er dem ersten Angreifer die Faust mit voller Wucht in das Gesicht schlug. Ein trockenes Knacken ertönte, als dem Mann die Nase brach und er schreiend den Tresen herunter rutschte. Blut quoll ihm zwischen den Fingern hervor. Dem zweiten Mann erging es nicht besser. Das Knie des Centas traf ihn zwischen den Beinen. Erst ertönte ein Quiecken, dann lief das Gesicht blau an, er stürzte auf den mit Stroh ausgelegten schmutzigen Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Valerius wandte sich dem Wirt zu, dessen rechtes Auge zwischenzeitlich angefangen hatte, hektisch zu zucken. Es war natürlich nur ein Teil der Falle. Die zwei Trottel hatten lediglich die Aufgabe, das ausersehene Opfer in Panik zu versetzen, so daß es nach draußen lief, dort würden dann die eigentlichen Jäger nach ihrer Beute schnappen. “Faszinierend!”, sagte Valerius an den Wirt gewandt, “dann wollen wir die Falle zuschnappen lassen, ich bin sehr gespannt, ob ihr mich gleich in die Unterwelt schicken wolltet oder ob ihr an Lösegeld gedacht habt. Das Zucken des rechten Auges wurde schlagartig schlimmer, doch der Wirt wagte sich nicht zu rühren. Valerius schnappte sich den Esel mit der gebrochenen Nase, nahm ihn mit dem linken Arm in den Würgegriff und zog mit der rechten Hand seinen Dolch aus dem Stiefel. “Du wirst jetzt durch diese Tür gehen!”, zischte der Centas dem Mann in sein Ohr. “Nein, Nein”, keuchte dieser, “sie werden mich töten!” “Besser dich als mich”, erwiderte Valerius, und mit einer kurzen Handbewegung schnitt er dem Mann ein Ohr ab, “als nächstes schneide ich dir etwas Edleres ab”. “Nein, Nein”, keuchte der Mann, “ich gehe schon”. Während er sich mit der einen Hand das blutende Ohr und mit der anderen die gebrochene Nase hielt, ging er zögernd zur Tür der Herberge. Valerius hielt ihm seinen langen Dolch vor die Nase. “Ich bin kein sehr geduldiger Mann”, zischte der Centas und tat so, als wolle er sich den Mann noch einmal schnappen. Das war zuviel für den Wegelagerer. “Nicht schießen, ich bin es!”, schrie der Mann und stürmte durch die Tür. So schnell, wie er durch die Tür gerannt war, Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 21 flog er auch wieder in den Schankraum hinein. Der Körper des Mannes krachte zu Boden. Er zuckte noch ein wenig mit den Beinen, blutiger Schaum gurgelte aus seiner Kehle, dann zitterte er noch ein wenig, straffte sich und kam zur Ruhe. Valerius zählte fünf Bolzen in der Brust des Mannes. “Gute Schützen”, dachte Valerius, “auf ein laufendes Ziel und fast gleichzeitig, beachtlich”. “Ihr habt gerade einen meiner besten Knechte umgebracht”, sagte der Wirt, doch Valerius war schon bei ihm, nahm widerwillig dessen fettigen Haarschopf in die Hand und schlug ihm mit dem Kopf heftig auf den Tresen. Der Wirt stöhnte, hielt sich die Stirn und spuckte ein paar blutige Zahnstummel aus. “War das jetzt nötig!”, nuschelte er, während er sich die Hand vor den Mund hielt. “Ich habe morgens immer sehr schlechte Laune, was haltet ihr von einer kleinen Kreuzigung, wißt ihr, was es euch kostet, einen Centas der Legion anzugreifen”, sagte Valerius, während er eine kleine flache Scheibe aus Metall aus seinem Gürtel zog. Die Augen des Mannes wurden groß, als er die Scheibe und ihre Bedeutung erkannte. “Nun ja, ein kleines Mißverständnis, eine Verwechslung”, wand sich der Wirt, der das Siegel des Imperators auf der Metallscheibe erkannt hatte, “ich dachte….!” Die Metallscheibe bezeugte, daß der Besitzer im direkten Auftrag des MAGHAN unterwegs war. Ihm war uneingeschränkte Unterstützung zu gewähren, von allen Untertanen, die im Reich des Feuers lebten. Die Metallscheiben waren so behandelt, daß das Siegel nur zu sehen war, wenn der rechtmäßige Besitzer es in der Hand hielt. Somit konnten Fälschungen ausgeschlossen werden. Hinzu kam der Glaube der Untertanen des Imperators an dessen Allmacht, überall im Reich einzugreifen, um Unrecht wieder gutzumachen. “Ihr solltet das Denken den Pferden überlassen, die haben größere Köpfe!” unterbrach Valerius den Wirt rüde. Die Metallscheibe gewährte ihrem Träger auch richterliche Gewalt, was dem Wirt durchaus bewußt war. Vielleicht hatte dieser Centas irgendwo in der Nähe eine kleine feine Einheit der Legion, die ihn und seine Kumpane mit Freuden an der Handelsstraße als Festschmuck an ein Kreuz hängen würden. “Leute wie ihr hängen mir richtig zum Hals heraus”, schrie Valerius, während er den Wirt an seinem klebrigen Ohr zog, “Wißt ihr, wie oft man versucht hat, mich zu überfallen. Es scheint überall in dieser Welt ein guter Nebenverdienst zu sein, jeden der reist oder eine Herberge betritt, auszurauben oder zu betrügen, ich sollte dich vielleicht doch...!” “Haltet ein!”, keuchte der Wirt und seine Gesichtsfarbe war nun merklich weißer geworden, “wie wäre es mit einem guten Schluck, und dann können wir zum Geschäft kommen”. Valerius konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sein Zorn war merklich gedämpfter und er mußte zugeben, daß der Wirt trotz seiner widerlichen Erscheinung großen Mut besaß. “Nun gut, es kann ja nicht schaden, erwiderte Valerius, “aber nicht von der Pferdepisse, die ihr euren Gästen verkauft.” Der Wirt grunzte nur, als er einen Tonkrug unter seinem Tresen hervorzauberte, zwei Tonbecher hinstellte und bis zum Rand mit einer klaren Flüssigkeit füllte. Es war ein hervorragender Tresterbrand, und Valerius spürte den Alkohol warm in seinem Magen. “Nennt mir einen guten Grund, warum Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 22 der Imperator euch diese Handelsstation weiterhin führen lassen sollte!”, sagte der Centas provozierend. “Nun, weil ich euch sympathisch bin vielleicht?”, grinste der Wirt. “Ihr werdet doch nicht aufgrund dieses völlig unbedeutenden Vorkommnisses falsche Schlüsse ziehen.” Valerius war für einen Moment sprachlos und trank, um seine Unsicherheit zu verbergen, einen weiteren Becher des Schnapses zügig aus. “Gut, hört mir gut zu und seht es als eure letzte Chance an, euren widerlichen Kadaver nicht an einem Holzkreuz wiederzufinden”, sprach der Centas sodann, “Ich werde sofort zu den Minen von Folocia aufbrechen, um dort eine hochgestellte Persönlichkeit abzuholen. Der Mann wird sich sehr wahrscheinlich in einem schlechten körperlichen und geistigen Zustand befinden und bedarf der Pflege. Ihr werdet aus dieser Herberge bis Sonnenuntergang den saubersten und angenehmsten Ort im Imperium machen und einen fähigen Heiler besorgen. Dieser Mann ist für die Zukunft des Imperiums von größter Wichtigkeit. Sollte meine Mission scheitern, werden andere folgen, und ich versichere euch: diese werden mit euch weniger geduldig verfahren als ich. Ihr werdet mir eure Armbrustschützen als Leibwache zur Verfügung stellen und einen Teil der Herberge absperren. Sagt den Gästen oder Neugierigen, ihr hättet dort einen Gast, der an einer ansteckenden Krankheit leidet. Es ist von größter Wichtigkeit, daß niemand erfährt, wer diese Persönlichkeit ist oder daß sie sich hier befindet. Solltet ihr alles zu meiner Zufriedenheit erledigen und unsere Vereinbarung einhalten, verspreche ich euch mehr Gold als ihr in einem Jahr mit dieser Spelunke verdienen könnt.” Bei dem Wort Gold blitzten die Augen des Wirtes auf. “Dürfte ich erfahren, wen ihr da aus den verdammten Minen holen wollt?”, fragte der Wirt mit einem Blick der Unschuld. “Immerhin sind die Minen ein Ort an dem das Imperium Feinde und Verbrecher verwahrt.” “Nein, ihr dürft nicht!”, erwiderte der Centas barsch, “aber da ihr den Mann ohnehin sehen und erkennen werdet, wenn er hier eintrifft, sage ich euch den Namen. Es handelt sich um den Feldherren der Legion, Marcus Tiberius Scylla!”. Dem Wirt fiel sein Tonbecher aus der Hand und zerschellte am Boden. “Die Geisel von Huanaca, der Schlächter der Tacyrer 3 ”, keuchte der Wirt, “das ist die schlimmste Nachricht, die diese Herberge zu meinen Lebzeiten erreicht hat. Ich dachte, dieses Schwein wäre in Huanaca gestorben. Hieß es nicht, er wäre von einem gewissen Centas Valerius in seinem Heerlager in Huanaca für seine Taten im Auftrag des Imperators hingerichtet worden?” Es dauerte einen Moment, und Valerius sah, wie im Kopf des Wirtes ein Zahnrad nach dem anderen in die richtige Stellung einrastete. “Ihr seid dieser Valerius!”, sagte er sodann mit schwacher Stimme. “Vielleicht habe ich mich mit den Pferden und ihren Köpfen in eurem Fall doch geirrt”, erwiderte der Centas ungerührt. “Seht es als Prüfung für eure Zuneigung zum Imperator, daß ihr die Ehre habt, den Feldherren zu bewirten, oder als eure Strafe, ganz wie ihr wollt. Jetzt bringt mir diese Armbrustschützen her.” \ – 2 – Die Armbrustschützen waren durchaus 3Qun-Krieg 27 n.d.F Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 23 annehmbare Gefährten. Sie verloren wenige Worte, als ihnen der Wirt ihren Auftag erläuterte. Ihre Kleidung war zwar verschlissen, aber zweckmäßig, und den Bedingungen an das Leben in dieser Einöde bestens angepaßt. Ihre Waffen waren sorgfältig gepflegt und im besten Zustand. Nach einem kurzen und, wie Valerius feststellen konnte, guten Frühstück brach er mit seinen Begleitern zu den Minen auf. Da seine Begleiter über eine ausgezeichnete Ortskenntnis verfügten, erreichten sie die Minen früher als gedacht. Valerius hieß seine Begleiter zu warten und ritt allein zu den Toren der Minen. Die Minen waren in eine riesige braune Staubwolke gehüllt, und obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel stand und unbarmherzig brannte, schien sie den Staub nicht durchdringen zu können. Die Minen bestanden aus mehreren Hügeln, die von unzähligen Höhlen und Löchern im Fels überzogen waren. “Es sieht aus wie ein Ameisenstaat!,” dachte Valerius, als er seinen Blick über die Minen schweifen ließ. Überall waren mit Staub bedeckte Menschen damit beschäftigt, Steine aus den Höhlen herauszuschaffen, die sodann von Kolonnen anderer Häftlinge mit Tragen zu riesigen Steinmühlen geschafft wurden. Dort bedienten andere Häftlinge mit Hilfe ihrer Muskelkraft die riesigen Maschinen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ein Kreischen und Krachen erfüllte die Luft, wenn die Steine zwischen den riesigen runden Steinplatten aus Granit zermahlen wurden. Es war die größte Diamantenmine des Imperiums und die Größe und Qualität der hier gewonnenen Steine waren in ganz Hondanan berühmt. Trotzdem war es ein trostloser Ort, und wer hier seine Strafe oder sein Dasein fristete, mußte jede Hoffnung fahren lassen. \ Valerius erreichte den Eingang der Mine. Es gab keine Palisaden oder Mauern, die eine Flucht verhindert hätten. Aber wohin hätten die Gefangenen bei einer Flucht sich wenden sollen, im Umkreis von mehreren Tagesritten gab es keine Ansiedlung außer der kleinen Handelsstation, und der Wirt würde mit Sicherheit keinem Häftling zur Flucht verhelfen. Zudem waren die Gefangenen an den Füßen mit schweren Ketten gebunden. Soweit Valerius erkennen konnte, befanden sich die meisten in einem schlechten körperlichen Zustand, waren vollständig abgemagert, und viele schienen die schweren Lasten nur noch unter Mühen tragen zu können. Die Wachen am Eingang ließen nicht erkennen, daß sie von der Plakette des Imperators sonderlich beeindruckt waren, und wiesen Valerius mit wenigen Worten die Richtung zur Kommandantur. Das Gebäude lag in einer Mulde und schien wie alles in der Mine von Tonnen von Staub bedeckt zu sein. Als Valerius die Kommandantur erreicht hatte, eilten zwei Sklaven herbei, um ihm sein Pferd abzunehmen. Ein anderer Sklave erschien und führte den Besucher in die Kommandantur. Im Inneren war alles peinlich sauber, wie Valerius überrascht feststellte, als ihn der Sklave in einen großen Raum führte. Auf einem Gestell ruhte die Rüstung und der Helm eines Offiziers der Seestreitkräfte des Imperiums. Ein riesiges Feldbett und ein riesiger Tisch mitten im Raum waren die einzige Einrichtung. Ein schmales Fenster erhellte den Raum. Der große Tisch bog sich unter der schweren Last, die auf ihm aufgehäuft war. Unzählige Schüsseln, Platten, Töpfe und Teller waren auf ihm abgestellt. Das Geschirr war mit allen Leckereien gefüllt, die im Imperium verfügbar waren. Gebratener Kapaun, Wachteln, Täubchen, eine riesige Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 24 Hammelkeule, Wildbret und Obst. Schüsseln mit Bohnen, Reis, Linsen und, was Valerius am meisten erstaunte, Fisch und Hummer und ein großer Topf mit Muscheln und anderem Meeresgetier. Es mußte ein Vermögen kosten, sich in diese Gegend frischen Fisch liefern zu lassen, bevor er verdarb, das Meer war mehrere Tagesritte entfernt, und die Ware mußte mit Schnee aus den Bergen gekühlt werden, damit sie nicht verdarb. Hinter dem Tisch auf einem verstärkten Schemel saß der dickste Mensch, den Valerius je gesehen hatte. Der Mann mußte soviel wiegen wie zwei Pferde. Die Augen, die in diesem feisten Gesicht kaum zu erkennen waren, musterten den ungebetenen Gast unfreundlich. Arme und Beine des Mannes hatten immense Ausmaße. Fett und Bratensaft liefen ihm in Strömen über sein vierfaches Kinn auf ein riesiges Bauchtuch. Valerius schien es so groß wie ein Bettlaken zu sein, der Mann hatte sich das Tuch unter die Fettwülste seines enormen Kinnes gebunden. Ohne auf den ungebetenen Gast weiter einzugehen, spreizte der Kommandant der Mine von Folocia affektiert seinen kleinen Finger in der Größe eines riesigen Würstchens ab und riß dem Kapaun brutal einen Schenkel ab. Er öffnete bedächtig seinen riesigen Mund und biß ein großes Stück aus dem fetttriefenden Schenkel. Valerius musterte derweil verstohlen die Rüstung und kam zu dem Schluß, daß der Mann, als er diese Rüstung noch tragen konnte, eine stattliche Figur besessen haben musste. Warum ein Offizier der Seetruppen in diesen Minen seinen Dienst versah, blieb vorerst unerklärlich. Vielleicht hatte ihm sein Reichtum oder seine einflußreiche Familie die Hinrichtung oder das Arbeiten in den Minen erspart. Als der Schenkel des Kapauns im Schlund des Kommandanten verschwunden war, warf er den Knochen einfach auf den Boden und wandte sich seufzend seinem Besucher zu. “Was wollt ihr?”, knurrte er mit unfreundlicher Stimme. Ohne zu antworten zog Valerius eine Pergamentrolle mit dem Siegel des MAGHAN aus seinem Gürtel und reichte sie dem Kommandanten über den riesigen Tisch. Dieser nahm die Pergamentrolle in seine riesigen fettigen Finger, wobei er beim Öffnen der Rolle wiederum affektiert seinen kleinen Finger von sich streckte. Der Kommandant ließ keine Regung über die Bedeutung des Inhaltes der Pergamentrolle erkennen und zauberte ein winziges silbernes Glöckchen aus seiner gigantischen Tunika hervor, das er - wiederum unter Abspreizen des Würstchens - läutete. Kaum war der Ton des Glöckchens verklungen, erschien sofort einer der Sklaven, als hätte er hinter der Tür gewartet. “Bringt mir sofort die Akte Scylla, einen Schreiber und den Oberaufseher Braxas,” befahl der Kommandant, wobei in seinem Gesicht keine Überraschung über die Freilassung der Geisel von Huanaca festzustellen war. Mehrere Sekunden verstrichen, in denen sich die beiden Männer offen und feindselig ansahen. Schließlich war es der Kommandant, der das unangenehme Schweigen brach. “Ich kenne dich”, zischte der Kommandant plötzlich mit haßerfüllter Stimme, “du bist...!” “Ich dachte es mir schon, als ich eure kostbare Rüstung dort erblickte. Ihr wart einer der Henkersknechte im Zelt des Feldherren, als ich ihn im Auftrag des MAGHAN verhaftete”, unterbrach Valerius den Kommandanten grob. “Ihr wart damals ein junger, gut aussehender Offizier, schlank, wenn ich mich richtig erinnere!” Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 25 “Spart euch euren Zynismus für die Feinde des Imperiums auf, Centas Valerius,” sagte der Kommandant ungerührt, “ich fresse mich zu Tode und ihr trinkt euch zu Tode. Wo ist da der Unterschied? Ich kann sehr wohl den Schnaps riechen, den ihr ausdünstet. Wir wissen beide, was und wer dafür verantwortlich ist, daß wir nur noch als Schatten auf dieser jämmerlichen Welt verweilen”. Wieder schwiegen die beiden Männer lange, und wieder war es der Kommandant, der die unangenehme Stille brach. Der Kommandant seufzte lange und tief, wobei dieser Berg eines Menschen in wallende Bewegung geriet. “Ich war erster Offizier auf dem Flaggschiff der damaligen Invasionsflotte. Auf der “Stolz des MAGHAN”, begann der Kommandant schließlich seine Erzählung. “Nach dieser Mission sollte ich ein eigenes Kommando erhalten. Ich war ein junger, viel versprechender Adliger mit einer glänzenden Karriere in der Flotte, wie mein Vater, mein Großvater... Aber schweifen wir nicht ab! Wie es üblich ist, reiste der Feldherr der Invasionstruppen auf dem Flaggschiff. Wir hatten die große Ehre, den Feldherren Marcus Tiberius Scylla mitsamt seinem Stab zu Schlachten und zu zukünftigem großen Ruhm zu bringen. Wie es Sitte ist, lud mein Kapitän den großen Feldherrn jeden Abend zu einem ausgedehnten Essen in seine Kajüte. Die Gespräche in diesem Kreis waren anstrengend, und ein Offizier aus dem Stab des D’Ascas machte sich jeden Abend über die schwachen Truppen der Flotte lustig. Der Mann war nicht zu ertragen. Eines Abends kam es zu einem Wortwechsel zwischen mir und dem Offizier. Er stellte die kühne Behauptung auf, die Menschen aus dem Reich des Feuers seien dazu bestimmt, über alle Völker Magiras zu herrschen und seien allen anderen als Rasse weit überlegen. Ich widersprach ihm. Letztlich spielt es keine Rolle, was den Streit auslöste. Ich forderte ihn und tötete ihn in einem fairen Zweikampf am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang. Weder mein Kapitän noch der Feldherr machten eine Bemerkung, als der Offizier am nächsten Abend nicht am Tisch erschien. Nur ein Aufblitzen in den Augen des Feldherrn, hätte mir Warnung sein müssen, daß für mich die Angelegenheit damit noch nicht beendet war. Die Tage vergingen ereignislos bis wir Huanaca erreichten. Auffällig war jedoch, das mein Kapitän ständig versuchte, mit dem Feldherrn ein anregendes Gespräch zu führen, während dieser sich auf ein vernehmliches Räuspern und “könnten sie mir das Salz reichen, bitte!”, beschränkte. Der Mann schien verschlossen wie eine Auster. Als wir begannen, die Landtruppen auszuschiffen, rief mich der Kapitän zu sich. Er teilte mir mit, daß der Feldherr wünsche, daß ich den Platz des toten Offiziers einnähme. Natürlich war dies keine Bitte, sondern ein Befehl, und so packte ich meine Sachen und unterstelle mich dem Befehl des großen Feldherrn. Das war die Rache des Marcus Tiberius Scylla für den Tod seines Offiziers. Der Feldzug in Huanaca 4 begann wie alle Feldzüge. Krieger der Legion starben, viele wurden verwundet, es kam zu Belagerungen. Der Feldherr hatte mir keine Aufgaben übertragen, und ich langweilte mich. Ständig musste ich mich in der Nähe des Feldherrn aufhalten, wie eine Trophäe. Hinter meinem Rücken tuschelten die anderen Offiziere, ich sei das Schoßhündchen des Feldherrn. Doch wurde ich weiter ignoriert, und jede Eingabe, jede Bitte, an den Kämpfen teilnehmen zu dürfen, um Ruhm und Ehre zu erlagen, wurde von ihm nicht erhört. 4 Jahr 28 n.d.F (Erster Vulkankrieg) Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 26 Doch kam der Tag, der alles veränderte. \ Es war ein Angriff der einheimischen Bevölkerung, die an Hunger litt, auf einen Nachschubtross. Ein paar Pfeile wurden abgeschossen, die Legionäre, die zur Bewachung des Trosses eingeteilt waren, schlugen den Angriff ohne große Mühe ab, zurück blieben ein paar tote Bauern, wenige verwundete Legionäre und zwei verschwundene Maultiere mit Getreide. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welche schrecklichen Ereignisse folgen sollten, als man dem Feldherr diesen bedeutungslosen Zwischenfall meldete. Dieser geriet sofort völlig außer sich. Ihm traten die Augen vor, während seine Gesichtsfarbe abwechselnd von blaß zu rot wechselte. Scylla brüllte, als sei ihm der Reiter der Finsternis persönlich erschienen. Ab diesem Tag geriet im Heerlager des Marcus Tiberius Scylla alles aus den Fugen. Die Truppen unter seinem Befehl verwandelten sich in reißende Bestien, und es verging nicht ein Tag, an dem nicht fettiger, öliger schwarzer Rauch darauf hindeutete, daß Dörfer und die darin lebenden Menschen soeben ihren Untergang und Tod erlebten. Es gab keine Moral und Disziplin. Jeder nahm sich, was er wollte. Es wurde geplündert, geschändet, gemordet. Scylla ließ an der Nachschubstraße seiner Truppen die Straße der Kreuze errichten. Alle 10 Meter ein Kreuz mit einem Mann oder einer Frau, ein kleiner Fluß aus Blut bahnte sich neben den Kreuzen einen Weg zum Meer. Säuglinge entriß man ihren Müttern und warf sie in Brunnen oder in die Herdfeuer. Hatten die Legionäre kein Holz oder Nägel, vergruben sie ihre Opfer bei lebendigem Leib. Die Legionäre verrohten. Es schien als wären ihnen alle Errungenschaften der menschlichen Zivilisation wie Mitleid über Nacht abhanden gekommen. Man konnte meinen, die Finsternis hätte sich des Feldherrn und seinen Legionären bemächtigt. Es kam zu Perversionen. Manche Legionäre begannen, ihren Opfern die Ohren als Trophäe abzuschneiden und fertigten sich daraus Ketten, die sie dann um den Hals trugen, andere brachen ihren Opfern die Zähne aus dem Kiefer. Es kam zu Folterungen und Mißhandlungen, die jede Vorstellungskraft sprengen. Eines Tages sagte der Feldherr zu mir, er sei stolz darauf, so viele Menschen gekreuzigt zu haben, wie man brauche, um trockenen Fußes von Ageniron nach Huanaca zu gelangen!” \ Valerius hatte genug. Bisher hatte er den Ausführungen des Kommandanten zugehört, ohne sich zu rühren oder eine Miene zu verziehen. Er hatte die Unhöflichkeit des Kommandanten, ihm weder einen Schemel noch einen kühlen Trunk anzubieten, hingenommen. Valerius kannte diese Ereignisse aus eigener Anschauung. Nachdem die Nachrichten von den grausamen Massakern den MAGHAN erreicht hatten, war er ausgesandt worden, die Vorfälle zu untersuchen und das Morden zu beenden, sofern die Gerüchte wahr seien. Niemand im Reich des Feuers vermochte sich solche Grausamkeiten vorzustellen. Er hatte die Straße der Gekreuzigten gesehen, den Fluß aus getrocknetem Blut. Der Landstrich, durch den die Legion des Feldherrn Marcus Tiberius Scylla gezogen war, glich einem verwüsteten und geschändeten Land. Niemand glaubte, daß dieses Land je wieder genesen könnte. Hunde und Aasvögel waren in diesen Tagen so fett, daß ihre Bäuche auf dem Boden schleiften, und die widerlichen Vögel sich nicht in den Himmel erheben konnten. Überall waren schwarze Wolken von Fliegen und anderem ekligen Getier, und der süßliche Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 27 Geruch der Verwesung, hing wie eine riesige Dunstwolke über dem Landstrich. \ “Haltet euren Mund!”, unterbrach Valerius den Kommandanten mit schneidender Stimme, “was habt ihr schon getan, das Morden aufzuhalten. Warum habt ihr den Feldherrn nicht getötet, seid nicht geflohen oder habt versucht, der Bevölkerung zu helfen. Es gab Krieger, die selbst in dieser Hölle anständig geblieben sind oder es versucht haben. Der Mann, den ihr angeblich so haßt, der für euer Unglück verantwortlich sein soll, lebt nur wenige Meter von hier in einer Einzelzelle in dieser Mine. Warum habt ihr nie versucht, ihn zu töten, euch für euer Unglück an ihm zu rächen? Wie hat er euer Schweigen und eure Tatenlosigkeit erkauft, was hat er euch gegeben, welches Laster durftet ihr befriedigen? War es das Gold wie bei Gracchus, die Edelsteine bei Flavius oder einfach die Lust am Töten und der Gewalt? Gab er euch Fleisch, junges Fleisch, junge hübsche Mädchen, unschuldige Jungfrauen?” Der Kommandant erbleichte. “Das war es also”, fuhr Valerius unbarmherzig fort, “ihr durftet euch junge Mädchen nehmen, soviel ihr wolltet, und sobald ihr ihrer überdrüssig wart, durften sich eure Legionäre an ihnen vergehen. Wie viele von ihnen starben an den Martern, wie viele töteten sich selbst? Hier sitzt ihr nun und beklagt euer schlimmes Schicksal, daß euch der Imperator in diese hintere Ecke verbannt hat. Ihr schlagt euch euren fetten Wanst voll, zerfließt vor Selbstmitleid und bereut keine eurer Taten, während in den Minen, die eurer Verantwortung unterstellt sind, die Gefangenen vor Hunger und Entbehrung sterben. Ich glaube nicht, daß der MAGHAN diese Behandlung seiner Gefangenen und Sklaven wünscht. Ihr seid nicht Richter und nicht Henker, ihr seid lediglich Gefängnisaufseher. Ihr habt von der Weisheit des MAGHAN und seiner Vision des Reichs nichts verstanden.” \ “Scylla hätte euch töten sollen in dieser Nacht in Huanaca!”, knurrte der Kommandant mit vor Hass erstickender Stimme. “Ja, vielleicht!”, erwiderte Valerius ungerührt und zog seinen langen Dolch, “doch einer der wenigen aufrechten Offiziere im Dienste des Feldherrn Marcus Tiberius Scylla hat dies verhindert, wie ihr euch sicher erinnert. Maximus, den man nach Xanathoria Inferior verbannt hat: Er warf sich zwischen mich und euch, nachdem mich Scylla mit dem Hieb seines Gladius schwer am Kopf verletzt hatte, was mich mein linkes Auge gekostet hat. Maximus rettete nicht nur mein Leben an diesem Abend. Er hatte auch vorher schon unzähligen Menschen zur Flucht verholfen, Massaker verhindert und getan, was in seiner Macht stand, dem Morden ein Ende zu bereiten. Vor allem hat er geheime Botschaften in das Imperium gesandt. Bevor das strafende Feuer im Zelt des Feldherrn erschien und allem ein Ende machte, fügte er euch eine böse Wunde an eurem edelsten Teil zu. “Was war das für ein Feuer?”, fragte der Kommandant. “Ich weiß es nicht!”, erwiderte Valerius und spürte, daß ihn ein unbändiger Durst überkam, aber in diesem Moment Schwäche zu zeigen, war undenkbar für den Centas. “Vielleicht kam der MAGHAN selbst und hat Gerechtigkeit widerfahren lassen. Bis auf euch, den Feldherrn, Maximus und mich wurden alle, die sich im Zelt befanden, getötet”, erklärte Valerius weiter, doch fing der Kommandant plötzlich an zu kichern. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 28 “Vielleicht dachte der Imperator, es sei Strafe genug, daß mir Maximus meine Hoden abgeschnitten hatte, sagte der Kommandant und griff mit einer affektierten Bewegung nach einem Würstchen, um es mit einem Bissen in seinem mächtigen Schlund verschwinden zu lassen. Ob es die Aufregung über den ungebetenen Gast oder die Erinnerungen an die Massaker war, blieb Valerius verborgen. Noch während der Kommandant schmatzend kaute, schienen seine Augen aus dem Kopf zu quellen, sein Gesicht verfärbte sich blau, er keuchte auf und schlug schließlich sein mächtiges Haupt in den Teller vor sich. Der mächtige Körper erzitterte noch ein wenig und erschlaffte schließlich. Valerius stand regungslos. Er spürte, wie sich die Plakette des Imperators in seiner Tasche erwärmte, heiß wurde und plötzlich wieder erkaltete. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, als berühre ihn jemand an der Schulter, und er wurde von einer Welle der Zuneigung für den MAGHAN erfüllt, wie er es noch nie in seinem Leben empfunden hatte. Valerius fiel auf die Knie und beugte sein Haupt. Der Moment verging, nur ein leichter Geruch nach verbranntem Holz überlagerte plötzlich die Essensdünste im Raum. Valerius schob seinen Dolch zurück in die Scheide und verließ den Raum. Er brauchte jetzt dringend etwas zu trinken. \ – 3 – Der Palast des Statthalters Lucius Scaevola Argens in Xanathoria Inferior lag wie ein weißer Diamant in der Morgensonne von Dithorno. An diesem Morgen hätte ein unbeteiligter Beobachter hektische Betriebsamkeit im Palast feststellen können, die für diesen Ort und diese Uhrzeit mehr als ungewöhnlich waren. Kommandos wurden gebrüllt, und ein mehr als unglücklicher Haufen der im Palast des Statthalters ihren Dienst verrichtenden Legionäre wurde von ihren Lagern gerissen, um im Hof des Palasts Aufstellung zu nehmen. Wie die verdutzten Diener und Höflinge feststellen mußten, war ihr Schutzbefohlener, der Statthalter, nicht auffindbar und konnte deshalb von dem energisch dahin schreitenden neuen Statthalter nicht verhaftet und zum Prozeß in das Reich des Feuers überstellt werden. Marcus Tiberius Scylla hatte deshalb den wartenden Feuerdämon entlassen. Als er die Reihen der angetretenen Legionäre abschritt, bildete sich auf seiner Stirn eine steile Zornesfalte, die der Centas Valerius in den vergangenen Wochen, die er mit dem Feldherrn verbracht hatte, schon mehrmals hatte bewundern dürfen. Die Legionäre und ihre Ausrüstung befanden sich in einem jämmerlichen Zustand. Viele der Männer waren ungewaschen, unrasiert und, soweit Valerius mißbilligend feststellen konnte, rochen nach Schnaps. Die Metallteile der Rüstungen und Waffen waren matt und zum Teil verrostet. Mißbilligend schnalzte er deshalb mit der Zunge und schlug einem Legionär, der sein Schild besonders lässig baumeln ließ, kräftig mit seinem schweren Stock auf den Arm. Der wohlwollende Blick des Feldherrn der ihn sodann traf, ließ ihn das Blut in den Kopf fahren und seine Gestalt straffte sich noch weiter vor Stolz. Nichts erinnerte Valerius an den Mann, der ihm vor so langer Zeit in Huanaca das linke Auge ausgeschlagen hatte, und an das Wesen, mehr ein Tier, das er in der Zelle in den Minen von Follocia vorgefunden hatte. Lebendig begraben auf Befehl des MAGHAN. Während Valerius langsam die Reihen der Legionäre abschritt, gingen seine Gedanken zurück zu dem Moment, als der Oberaufseher die Tür des Verlieses aufgesperrt hatte, hinter der sich der Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 29 Feldherr befinden sollte. Wortlos hatte der Aufseher mit einer Laterne in die Zelle geleuchtet, aus der ein Geruch strömte, der alle Grenzen des Erträglichen zu überschreiten schien. Die Gestalt in dieser Zelle glich einem Tier und schien alle menschlichen Züge verloren zu haben. Sie hatte sich gerade eine fette Ratte gefangen und kaute gerade schmatzend auf ihrem Kopf herum, während der Schwanz des Tieres noch nach allen Seiten ausschlug. Der Schreiber der Mine, der sie in den Kerker begleitet hatte, erbrach sich. Das Wesen, die Bestie von Huanaca, war bis auf die Knochen abgemagert. Weißes, strähniges Haar reichte ihm bis zu den Hüften. Sein zotteliger langer Bart war mit Schmutz und Unrat verklebt, seine Kleidung bestand nur aus stinkenden Lumpen. Da die Haut des Mannes seit vielen Jahren nicht mehr von der Sonne berührt worden war, war sie schneeweiß geworden und mit eitrigen Geschwüren und Pusteln über-zogen. Als der Mann von dem wenigen Licht der rußenden Laterne erreicht wurde, schrie er gequält auf und bedeckte seine empfindlichen Augen, die so lange Jahre kein Sonnenlicht erblickt hatten. Über welche Willenskraft mußte dieser Mensch verfügen, ein solches Martyrium zu überleben. Auf einem zweirädrigen Karren, bedeckt vor der sengenden Sonne, ließ Valerius den Feldherrn oder das, was von ihm übrig war, in das Gasthaus an der Handelsstraße bringen. Der Heiler machte Valerius nur wenig Hoffnung, daß der Feldherr die nächsten Tage überleben würde. Doch verfügte dieser über einen eisernen Willen und über eine unbegrenzte Liebe zum Reich des Feuers und dem Imperator, was ihn schnell gesunden ließ. Ständig fragte er Valerius über die Geschehnisse und Ereignisse der letzten Jahre aus. Er war betrübt über Niederlagen und freute sich am prasselnden Kaminfeuer mit Valerius über Siege der Legion. Scylla war ein etwa 60 Winter alter Haudegen, und nachdem man ihn gepflegt und seine Erscheinung wieder hergestellt hatte, eine eindrucksvolle und attraktive Erscheinung. Jeder, der ihm begegnete, war bald von seinem freundlichen Wesen eingenommen und bezaubert. Valerius erschien es immer unwahrscheinlicher, daß dieser Mann für die Massaker in Huanaca verantwortlich sein sollte. Hatte es eine Verwechslung gegeben, wer hatte ihm damals in Huanaca ein Auge ausgeschlagen? Scylla war für Valerius und alle anderen, die mit ihm in Berührung kamen, wie ein gütiger Vater, der seine irrenden und fehlgeleiteten Kinder zum richtigen Weg brachte. Nie erhob der Feldherr die Stimme, es genügte ein ungeduldiges Tippen mit einem Finger auf den Tisch oder ein Anheben der Augenbraue des Mannes, und es wurden ihm alle Wünsche erfüllt. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich die Handelsstation in einen Musterbetrieb des Imperiums, und Valerius hörte mit dem Trinken auf, als der Wirt begann, sich täglich zu waschen. To be continued....