Tausend Schiffe
Lucius Scaevola argens, 2005
Tausend Schiffe Lucius Scaevola argens, 2005 Prolog Flackernde Fackeln warfen bizzarre Schatten auf die Wände des Gewölbes. Ein gutes Dutzend in einfache Kutten gehüllte Gestalten saß um einen grob gezimmerten Tisch. Ihre Gesichter waren durch Seidentücher verhüllt, die Schlitze für die Augen besaßen, den Rest des Gesichtes jedoch verdeckten. „Brüder und Schwestern! Es wird immer schlimmer“, begann einer zu sprechen. Seine Stimme, ein dunkler Baß, hallte durch das Gemäuer: „Hört, was der fremde Suquay1 sich für neue Grausamkeiten ausgedacht hat!“ Zustimmendes Gemurmel schwoll an. „Zuerst hat er die Steuern erhöht! Dann die Truppen, die für unseren Schutz sorgten, abgezogen! Und nun…“, seine Stimme schwoll an: „Nun preßt er unser Volk für seine Truppen, und wenn er keine Männer mehr findet, dann STECKT ER KINDER IN DIE RÜSTUNG!“ Das Chaos war perfekt. Keiner der Anwesenden hielt mit seiner Meinung über den Protector Lucius Scaevola argens hinter dem Berg. Jeder wünschte ihm einen qualvollen und langsamen Tod, ihm, dem Sklaven, der sie und ihr Volk immer mehr und mehr der Freiheit beraubte. Ein lauter Schlag, ausgeführt durch einen faustgroßen Stein, der auf eine kleine Holzplatform gehämmert wurde, ließ den Tumult verstummen. Einer anderer [1] Vermummter erhob sich: „Gefährten! Das Reich ist ein großes Ungeheuer, das alles verschlingt, was ihm schmackhaft erscheint! Wir sind nur Flöhe, unfähig, das Ungeheuer zu zerstören. ABER…“, er hob beschwichtigend seine Hände, „aber, meine Freunde, viele Flöhe können das grösste Untier solange peinigen, bis es freiwillig abzieht. Laßt uns Flöhe sein! Laßt uns mit kleine Bissen den großen Koloß nerven. Raubt ihm die Steuern. Laßt seine Patrouillen verschwinden. Zündet seine Speicher an. Vollbringt kleine Taten!“ Er machte eine kleine Pause und ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten: „Kleine Taten, die im Ganzen etwas Großes ergeben. Doch...“, er hob warnend den Finger, „...seid auf der Hut! Krümmt dem Protector kein Haar. Diesen Suquay wissen wir einzuschätzen. Tötet ihn, und keiner von uns wird wissen, wer ihn ersetzt und ob sein Nachfolger nicht noch schlimmer sein wird!“
Lucius Scaevola argens betrat sein Arbeitszimmer von einen Geheimgang aus. Es gab viele dieser Gänge hier, und er kannte sie alle, schließlich hatten er und Asceo an den Plänen mitgearbeitet, damals, als dieser Palast neu errichtet wurde. Das barg nicht zu unterschätzende Vorteile, wenn man ungesehen hierhin oder dahin wollte. Er trat vor seinen Schreibtisch, musterte ein paar Dokumente, die hier während seiner Abwesenheit abgelegt worden waren. Sein Blick blieb an einer Wachstafel hängen. Er nahm sie auf und begann, sie deutlicher zu studieren. „Wie ist die Stimmung in der Stadt, ki’Ansi?“ fragte er den Magier, der hinter seinem Rücken den Raum betreten hatte, ohne aufzublicken. „Am Brodeln. Seit der Anweisung auch Kinder zu pressen, ist die Stimmung auf dem Siedepunkt. Es war gut, daß Du reichstreuen Geldsäcken gestattet hast, ihre Sprößlinge freizukaufen“, grinste der Magier “ Die Gerüchte rasen mit einer Geschwindigkeiten durch die Straßen, die schon ein wenig magisch anmutet.“ Scaevola drehte sich zu ihm um und hielt die Tafeln hoch, in denen er gerade gelesen hatte: „Trotzdem haben wir mehrere hundert minderjähriger ‚Freiwilliger’, die kurz davor stehen, in die Alte Welt verschifft zu werden. Pressen ist eine Sache, aber die Kinder wirklich in die Schlacht zu schicken, eine andere." „Wie willst Du das verhindern?“ Der Magier wirkte ratlos. „Offen gesagt, ich weiß es nicht. Die Kinder werden wohl auf die Reise gehen müssen. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu retten, ohne uns selbst ans Messer zu liefern.“ „Kann man sie nicht freikaufen? Ich meine, Gold braucht das Imperium doch immer“, versuchte der Magier zu helfen. „Gold ist eine trügerische Ware. Sie weckt die Gier nach mehr. Biete dem Imperium Reichtümer an und es wird beides nehmen, das Gold und die Kinder“, sinnierte der Protector “Nein, wir müssen es anders angehen. Aber wie? Was braucht das Reich, oder…“, mittlerweile dachte Scaevola laut, “Besser noch: Was braucht es nicht? Das ist es, ki’Ansi! Das ist es!“ Wie ein aufgeregtes Füllen, das zum ersten Mal auf die Weide darf, tanzte der Protector um den Magier, der gerade gar nichts verstand. Metaphysik und komplizierte Beschwörungen waren sein Metier, aber keine wahnsinnigen Politiker. „Gib Acht: Was kann das Reich auf gar keinen Fall gebrauchen?“ begann Lucius und fuhr, ohne auf ki’Ansis Antwort zu warten, fort: „ Mehr Feinde. Neue Gegner in der alten Welt, Gegner, die niemand kennt und die niemand einzuschätzen vermag. Verstehst Du? Eine Armee, die im Kriegsgebiet auftaucht und das Reich im Austausch gegen die Kinder NICHT angreift.“ „Und wie…“, hob der Magier an. „Söldner werden wir anwerben. Hier auf der Yddia sollten genug zu finden sein“, der Protector schien kaum zu bremsen. „Und wie…“, begann der Magier erneut. Weiter kam er auch diesmal nicht. „Wir stecken sie in Uniformen, die keiner je gesehen hat. Ich weiß: Wir nehmen unser ‚Baby’ als Banner. Wir streiten unter dem Zeichen der Hydra.“ „Und wie, zum Donner, willst Du dieses Heer in die Alte Welt bringen? Wir haben keine Schiffe!“ Verärgert unterbrach der Magier seinen Freund und Vorgesetzten. Mehrere Sekunden vergingen, und aus Sekunden wurden Minuten. Der Protector war ratlos. Noch eben war der Plan perfekt gewesen und nun ärgerte er sich selbst darüber, daß ihm solch ein wichtiges Detail entgangen war. ki’Ansi hatte ins Schwarze getroffen. Sie verfügten über keine Schiffe, die die Söldner befördern würden. Die Bäume der Sümpfe eigneten sich nicht besonders für Schiffe, die den endlosen Ozean befuhren. Und selbst, wenn man eine solche Menge an Bauholz beschaffen konnte, ohne Verdacht zu erregen, war es unmöglich, sie schnell zu bauen. Zeit war alles, was zählte, sonst waren die Kinder verloren.
Das Lagerhaus war zugig und dunkel. Es entsprach auf keine Weise einer Truppenunterkunft, wie sie durch die Dienstvorschriften vorgeschrieben war, aber die Menge an ‚Freiwilligen‘, die ihren Dienst für das Reich mit einer Reise in die Alten Welt beginnen würden, war immens und hatte alles gesprengt, was der Zahlmeister erwartet hatte. Dicht an dicht warteten wenige kampffähige Männer und unzählige Kinder, die kaum der Mutterbrust entwachsen schienen, auf den nächsten Morgen und eine ungewisse Zukunft. Die Wachen waren verschärft worden. Befürchtete man eine Revolte in der Stadt oder die Flucht der ‚Freiwilligen‘? Keiner der Posten vermochte es zu sagen, aber alle hätten jetzt lieber am Rande eines Schlachtfeldes auf den Kampf gewartet, als noch länger aus dem Lagerhaus das Schluchzen der Kinder ertragen zu müssen. Im Lager kroch ein 10-jähriger auf ein Häufchen Elend zu und legte ihm beruhigend den Arm um die Schultern: „Ich bin Yana.“ Mit zitternder Stimme erwiderte der Jüngere: „Mein Name ist Phuru. Ich habe Angst, ich will zu meiner Mama.“ „Du brauchst keine Angst zu haben“, die Stimme Yanas spendete Trost „Ich bin bei Dir und werde Dich beschützen.“ Etwas beruhigt weinte sich Phuru in Yanas Armen in den Schlaf. Auch Yana hätte jemanden gebraucht, der ihn in den Arm nahm, um ihm Trost zu spenden, denn er hatte genauso große Angst, wie die anderen Kinder. Aber er durfte diese Angst nicht zeigen. Durch die Herkunft seiner Geburt war er dafür verantwortlich den Schwachen und Ängstlichen Schutz zu gewähren. Schließlich war sein Vater Chaniyuq Khilran, Toquateke, Held vieler Schlachten, Besitzer riesiger Ländereien und …Senator von Dithorno.
Scaevola konnte nicht schlafen. Er war zu aufgewühlt, denn unlösbare Probleme wie das der fehlenden Schiffe machten ihn rasend. Er hatte ki’Ansi entlassen mit den Worten: „Wirb Du schon mal die Söldner an, je mehr, desto besser. Keiner ist besser dafür geeignet. Du wirst nicht in dem Maße beobachtet, wie ich und wenn ich für Tage oder Wochen gar verschwinde, gerät hier alles aus dem Lot. Das Gleiche gilt für Asceo, und Fedora wird immer noch gesucht. Nein, wenn der ‚unfähige‘“, dabei hatte er ki’Ansi zugezwinkert, “Hofmagier eine seiner Reisen unternimmt, schöpft niemand Verdacht. Bis Du wieder da bist, habe ich Schiffe organisiert, und wenn ich das Land selbst darum bitten muß!“ Amazonen, das Wasservolk oder Gybal Sham, alles Verbündete, auf die man sich verlassen konnte, nur hatte keines der Völker eine Flotte, die es so mir nichts, dir nichts abtreten konnte, egal, was man dafür bezahlte. Außerdem waren die Schiffstypen dieser Völker bekannt, und mit etwas Mühe konnte man so die Spur zu ihm zurückverfolgen. Woher nur sollte er eine Flotte nehmen, wenn nicht stehlen? Nicht daß das Stehlen dabei ein Problem für ihn gewesen wäre. Er ging zu einem Schränkchen auf dem mehrere Karaffen und Krüge standen und goß sich ein großes Glas thuatischen Uisge ein. Vielleicht kam ihm über Nacht eine Eingebung.
Der nächste Tag begann wie immer und schien keine Überraschungen zu bringen. Scaevola saß im großen Saal des Occulat und hielt Gericht. Als Protector war er für Fälle zuständig, die das Verivocat nicht entscheiden konnte. In der letzten Zeit nahmen diese zu, aber so etwas war in unter diesen Umständen zu erwarten gewesen. Gegen Mittag begannen die Audienzen, eine Pflicht, auf die Lucius heute gerne verzichtet hätte, da er immer noch keine Lösung für sein Problem gefunden hatte. Die Aufwartungen von Botschaftern und Honoratioren der Provinzen zogen sich wie Teer, doch dann schien der Tag etwas interessanter zu werden. Eine kleine Prozession Eingeborener näherte sich dem Protector. Alle trugen Körbe mit Obst und Kunstgegenständen, die eher ideellen als materiellen Wert besaßen. Angeführt wurde die Prozession von einer jungen Frau, die nicht älter zu sein schien als 20 Sommer. Sie war ganz in bunte Federn gehüllt, lange, schwarze Haare flossen ihre Schultern hinab. Gestalt und Antlitz waren von einer schon überirdischen Schönheit, die Barden zum Schwärmen und Bildhauer zum träumen bringen konnte. Sie trat vor den Richterstuhl und kniete sich in lasziver Demut hin. Ihre dunklen, mandelförmige Augen blickten den obersten Herrn der Provinzen an und ihr Blick verhieß alles, von dem ein Mann nur zu träumen wagte. Sie wartete, bis der Protector ihr gestattete zu sprechen und ihre Stimme hatte ein dunkles, exotisches Timbre: „Herr der Welt. Wir sind die Abordnung Llucals, eines kleinen Fischerdorfes. Herr, Eure Güte wird allenorts gepriesen und darum sind wir hier, um Euch untertänigst zu bitten, uns die Steuern zu stunden. Llucal ist ein armes Dorf, der Fischfang war im letzten Jahr dürftig und die Flotte der tönernen Krieger hat lange verhindert, daß unsere Fischer überhaupt auf das Meer fuhren. Wir bitten Euch, hoher Herr, nehmt unsere Geschenke an. Sie sind das Wertvollste, was unser Dorf anbieten kann.“ Bei diesen Worten legten die anderen die Körbe auf dem Boden ab und traten zurück. Nur das Mädchen verharrte weiterhin inmitten der Geschenke. Scaevola atmete tief durch. Ihm war klar, was als Nächstes kommen mußte. Die Schönheit begann erneut: „Ich biete Euch Früchte der Felder und des Meeres und Gegenstände, die unsere Fischer geschaffen haben. Ich bin Jiana, Tochter des Muxqa, Häuptling von Llucal. Und... ich bin Eure ergebene Sklavin.“
Warum versuchte nur alle Welt ihm, dem Sklaven, Frauen zu schenken. Erst bot ihm der Träger, dessen Leben er gerettet hatte, seine Tochter an, und nun dies. Wenn die Situation normal gewesen wäre, hätte er das Mädchen nach Hause geschickt, dem Dorf die Steuern erlassen und sich anschließend selbst verflucht, weil er diese Situation nicht ausnutzen konnte. Er, der Jeden ohne die Spur von Skrupel über den Tisch zog, der, wenn es notwendig war, tötete, ohne zu zögern, war Gemütsmensch, sobald es um Frauen ging. Aber derzeit mußte er zumindest den Schein wahren. Es hatte gedauert, bis er den Ruf des eiskalten imperialen Kettenhundes inne hatte, aber es hatte sein müssen. Scaevola setzte ein Grinsen auf, das anzüglicher nicht sein konnte: „Mein Herr, Imperator MAGHAN, dankt dem Dorf Llucal für seine Geschenke. Wir werden sie ihm mit dem nächsten Schiff in die Alte Welt schicken, auf daß der Herr des Feuers sich an ihnen erfreuen kann. Bis dahin schafft alles zur Begutachtung in meine Gemächer.“ Jianas Augen leuchteten ängstlich auf, als er die Alte Welt erwähnte. Sie hatte wohl geglaubt, eine Weile im Palast leben zu können, um dann zu fliehen, aber nun... Scaevola grinste innerlich: Wenn man ein Spiel beginnt, Kleines, sollte man darauf achten, daß sein Gegenüber das Spiel nicht länger und besser spielt, als man selbst, dachte er bei sich, während das Geschenk mit hocherhobenem Kopf aus dem Saal geführt wurde.
Erst am Abend fand Scaevola ein wenig Ruhe, um die leblosen Gaben des Fischerdorfes näher zu begutachten. Obst und Fische waren längst in die Küche gewandert, es lagen nur noch die Kunstgegenstände der Fischer und ihrer Frauen auf dem Tisch. Schmuck aus Perlmutt und Schildpatt, aus Holz geschnitzte Statuen und Masken, ein kunstvoll geknüpfter Mantel, hergestellt aus den Federn der buntesten Vögel, die zu finden waren. Die Gegenstände waren in der Tat das Wertvollste, was die Fischer zu bieten hatten, aber auch sie wußten, daß diese Gaben nie die Steuern aufwiegen konnten. Lucius grinste. Er war sicher, daß das andere „Geschenk“ etwas im Schilde führte, er wußte nur noch nicht, was es war. Sie würde bei nächster Gelegenheit sicher versuchen, ihn zu becircen, um ihn dann dazu zu bringen, sie nicht in die Alte Welt zu schicken. Eigentlich mochte er solche Spielchen. Er ließ seinen Blick weiter über die Gaben wandern. Ein kleines Schiff erregte seine Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick war es nichts Besonderes, nur ein Spielzeug, nicht mehr. Erst der zweite Blick offenbarte die Kunstfertigkeit, die ihresgleichen suchte. Es war nicht besonders groß, nicht mehr als eine Handspanne lang und ganz aus einem grünlichen Stein geschnitzt. Jedes noch so winzige Detail des Schiffes war zu erkennen. Der Protector war immer noch dabei, dieses Kleinod zu bewundern, da begann es zu leuchten. Scaevola, einen Anschlag vermutend, wollte das Schiff schon aus dem Fenster schleudern, da bemerkte er, daß auch sein Amulett Licht auszustrahlte. Verwundert begab er sich durch einen der geheimen Wege in die Thermen des Palastes. Dort hielten sie ihren „Zögling“ versteckt. Das fünfköpfige Echsenwesen, das an ein Hydra erinnerte, blickte auf, als er eintrat. Er lächelte: „Nun mein Freunde: das Licht dieses Schiffes ist das Gleiche, das schien , als ihr geboren wurdet. Was haltet ihr davon?“ Dabei warf er den Köpfen kleine Leckereien hin. “Geh!‘ “Suche!” “Geh!” “Bald” “Hilfe“ „Danke, meine Freunde“, er zwinkerte dem Wesen zu und verließ die Thermen.
Die Tür wurde aufgerissen. Jiana zog scheinbar ängstlich die Decke höher. Sie hatte den ganzen Tag darauf gewartet, daß der Protector, über den sie soviel Übles gehört hatte, sie heimsuchte. Aber er hatte sie warten lassen und sie haßte ihn dafür. Kein Mann wagte es, sie warten zu lassen. Sie war schließlich Jiana! Doch nun war er da, ganz unvermutet, und erneut tat er nicht das, was sie erwartet hatte. Er warf sich nicht auf sie, um sich zu nehmen, was ihm zustand, gleich ob sie es wollte oder nicht, sondern hielt ihr ein Spielzeug unter die Nase: „Woher habt ihr dieses Schiff?“ Jiana verstand die Welt nicht mehr. Ungläubig antwortete sie: „Das hat Llaixul geschnitzt, einer der Fischer meines Dorfes.“ „Danke!“ Damit war der Protector auch schon wieder dabei, sich umzudrehen. ‚So nicht‘, dachte sie, seine Ignoranz machte sie wütend. Sie schnellte aus dem Bett hoch: „Mißfalle ich meinem Herrn?“ Ihre Stimme war honigsüß und verheißungsvoll. Scaevola drehte sich wieder zu ihr um: „Nicht daß ich wüßte.“ Jiana löste die Bänder ihrer seidenen Robe und ließ sie zu Boden gleiten. Befriedigt stellte sie fest, daß sein Atem schwerer wurde. „Warum zeigt mein Herr mir dies nicht?“ Sie triumphierte, als sie seine Blicke über ihren makellosen, nackten Körper wandern sah, das Verlangen nach ihr war nicht zu verleugnen. Nun gehörte er ihr. Kein Mann hatte ihr je widerstehen können, hatte nicht danach unter ihrer Knute gestanden. Sie war schließlich Jiana! „Ein anderes Mal“, grinste der Protector bloß, dann hauchte er ihr einen Kuß zu und verließ den Raum. Etwas klirrte gegen die Tür. Das mußte eine Vase gewesen sein. Sein Grinsen änderte sich in ein schallendes Lachen als er ging. Die Antwort, einen fauchenden Schrei der Wut, hörte er schon nicht mehr.
Es war nicht außergewöhnlich, daß die Diener morgens in das Schlafzimmer kamen und anstelle des Protectors nur Asche auf dem Boden fanden. Dann wußten sie, daß er erneut zum Rapport in die Alte Welt gerufen worden war und einige Tage unauffindbar war. Auch an diesem Morgen kehrten sie die Asche auf und sagten die Termine des Protectors ab. Daß Lucius selbst die Asche gestreut hatte, fanden sie niemals heraus.
Dunkle Kaschemmen wie diese gab es viele in Nga Nova, weit mehr als ehrbare Gasthäuser, aber hier in Dithorno waren sie eher selten. Zwielichtige Gestalten saßen in ihnen, tranken, spielten und so manches Geschäft wurde hier abgeschlossen, das besser nicht an die Öffentlichkeit kam. Kapuzen, tief ins Gesicht gezogen, gehörten zur bevorzugten Kleidung. Zwei Menschen saßen in einer der zahlreichen Nischen, Becher mit dünnem, sauren Wein vor sich. Der eine war zweifellos ein Söldner. Groß und muskulös gebaut und voller Narben war er und in seinen Augen spiegelte sich die Kälte eines professionellen gedungenen Mörders wieder. Sein Gegenüber war schlank, aber nicht zierlich, und aus der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze strahlten zwei Augen wie das Licht der Sterne. „Ich wiederhole noch einmal“, setzte der Söldner seine Konversation fort, „Ich liefere ein Heer von 40.000 Mann, das Kriegsgerät und die Fourage. Alles für einen Betrag von 10 Goldwols pro Mann, 50 pro Unterführer, 250 pro Offizier und 5000 Wols für mich. Ihr kümmert euch um den Transport und bestimmt das Angriffsziel direkt vor Ort. Der Zeitraum ist auf nicht mehr als zwei Jahre begrenzt, wobei die ausgemachte Summe pro angefangenem Jahr fällig ist.“ „Das ist korrekt. Bis die Aktion startet vermeidet ihr die Kolonien und geht in einer Bucht bei Tupuran an Bord“, fuhr der andere fort. „Wir erhalten den zwanzigsten Teil jetzt und den Rest, nachdem wir wieder zurück sind, wobei der Anteil der Gefallenen an die Hinterbliebenen geht.“ „Eine kleine Frage hätte ich noch, Tarakan: Was würde es kosten, einen kleinen Trupp von, sagen wir, 150 Mann extra zu erhalten, der für einen gänzlich anderen Zweck bestimmt ist und dessen Kosten dem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden, ohne daß er von diesem kleinen Trupp erfahren müßte?“ „Sagen wir, mein Anteil hat sich gerade auf 7000 Wols erhöht. Den Rest sehe ich als Provision für Eure Vermittlung an. Es ist immer wieder ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte abzuwickeln, Sternengesicht.“
Ein System aus Stationen, an denen Boten ihre Pferde wechseln konnten, hatte Vorteile. Scaevola war noch keine zwei Tage unterwegs und hatte doch die recht große Strecke bis zur Küste bewältigt. Dieses Boot hatte ihm keine Ruhe gelassen, er mußte wissen, warum es leuchtete und warum es gerade jetzt aufgetaucht war. Der Ritt hatte seine Spuren hinterlassen: Scaevola war erschöpft. Seit fast drei Tagen hatte er nicht mehr geschlafen, doch die Neugier trieb ihn weiter. Er hielt sein Pferd an und blickte von einer Anhöhe auf ein malerisches, kleines Fischerdorf. Netze hingen zum Trocknen, kleine Boote trieben in einem eher winzigen Hafen und selbst hier oben war der leichte Geruch von Fisch und Geräuchertem noch wahrzunehmen. Die Häuser standen auf Pfählen und waren mit Schilf gedeckt. Die Einwohner, die Scaevola sah, waren einfach gekleidet, aber die Stoffe leuchteten in allen Farben. Er trieb sein Pferd an und ritt den Hügel hinab. Misstrauische Augenpaare folgten ihm, als er in das Dorf ritt. Es geschah nicht oft, daß man hier einen der fremden Eroberer sah, dazu war das Dorf zu unbedeutend. Wenn Fremde hier auftauchten, waren es Händler, Soldaten oder der Steuereintreiber, der wiederum Soldaten mitbrachte. Keines traf auf den Fremden zu. Er war alleine, hatte keine Truppen bei sich, schien weder besonders bewaffnet, noch gerüstet. Kein Suquay, der klar bei Verstand war, traute sich ohne Rükkendeckung in diesen Tagen in ein Dorf der Eingeborenen. Also mußte dieser hier wahnsinnig sein, oder seine Truppen warteten hinter den Hügeln im Hinterhalt nur darauf, daß man versuchte ihm ein Leid anzutun. Die dritte Möglichkeit war die erschreckenste: Der Weiße war ein mächtiger Sumi. Also galt es abzuwarten. Die Bewohner Llucals waren sowieso eher friedfertig, daher fiel ihnen Warten nicht schwer. Der Fremde hielt vor der Hütte des Häuptlings an, stieg von seinem Pferd und wartete. Muxqa, der Häuptling, hatte in aller Eile seine Insignien der Macht angelegt, er wollte den Fremden beeindrukken, dann traten er und seine zwei Berater nach draußen. Muxqa selbst war nicht besonders groß, um die 40 Sommer alt und sein Umfang zeigte, daß er Bier und gutes Essen zu schätzen wußte. Der Hüne zu seiner Rechten war ein Prachtexemplar eines Chinche, der Körper muskulös und das Gesicht scharfgeschnitten. Sein Arme konnten sicherlich einen Mann in zwei Hälften reißen. Auf der anderen Seite ging ein verhutzeltes, steinaltes Männlein, behängt mit vielerlei Fetischen und Talismanen. Die Drei blieben auf der Plattform ihrer Hütte stehen. Der Fremde wartete, was die Drei voller Zufriedenheit bemerkten. Zumindest war der Suquay höflich. „Mich Muxqa. Häuptling von Llucal. Dir Gruß“,radebrechte der Häuptling in der Sprache der Fremden. Zu seiner Überraschung antwortete der Fremde in Toqua: „Sei gegrüßt, Häuptling. Dein Ruf als gerechter Führer ist über die endlosen Meere bekannt, und der Herr des Feuers übersendet Dir durch mich, seinen Diener, Grüße und Wohlwollen. Er bedankt sich für die Gaben, die Du ihm gesandt hast…“ - dabei tat der Krieger einen tiefen Atemzug und die Augen blitzten vor Eifersucht und Haß . „…und bittet Dich, deinerseits seine Geschenke wohlwollend anzunehmen.“ Mit diesen Worten nahm er ein Bündel von seinem Pferd und öffnete es. Es enthielt viele Dinge, die für arme Fischer wertvoll waren: Spiegel, Messerklingen, Besatzperlen und exquisiter T’chubak. Der Weiße wartete bis der Häuptling die Geschenke begutachtete hatte, dann fuhr er fort: „Zudem sendet er dieses Pergament, auf dem zu lesen ist, daß das Dorf Llucal für zwei Jahre von der Steuer befreit ist.“ Ungläubiges Schweigen breitete sich aus. Der Häuptling sah sich um und stellte nun die Frage, auf deren Antwort alle zu warten schienen:“ Wir danken dem Herrn des Feuers und seinem Boten. Der Bote mag uns seinen Namen nennen, auf daß wir ihn in unseren Liedern preisen können.“ „Ich bin der Prot…“, weiter kam Lucius nicht, denn in diesem Moment stürzte sich der Hüne mit einem Schrei auf ihn.
Dregan Ragalla jr. war der Stolz seines Vaters. Noch nicht ganze zehn Sommer alt, gab es keinen Wunsch, der ihm bisher nicht erfüllt worden war. Um so mehr verstand er die Welt gerade nicht mehr. Sein Vater hatte ihn einfach mit einer Amme in eine geschlossene Kutsche gesetzt und sie waren davongeschossen, obwohl er seinen Lieblingsnachtisch nicht hatte aufessen können. Kurz davor war ein Mann in der Rüstung der Soldaten gekommen und hatte lange mit seinem Vater, Dregan Ragalla sen., einem verdienten und geschätzten Beamten und Verfechter der Reichspolitik, gesprochen. Als beide das Zimmer verließen, übergab der Senator dem Soldaten einen großen, prall gefüllten Beutel. Dann ritt der Soldat fort und sein Vater verfiel in Hektik. Mittlerweile saß Ragalla jr. in einem kleinen Sommerhaus irgendwo an der Küste, im entlegensten Winkel des Landes. Hatte er etwas angestellt, fragte er sich? Hatte ihn sein Vater nicht mehr lieb? Seine Amme hatte ihm darauf geantwortet, gerade weil sein Vater ihn lieb habe, müsse er hier warten, bis er ihn holen würde. Und er müsse besonders brav sein, sonst würden Soldaten kommen und ihn mitnehmen. Weit, weit weg würden sie ihn bringen, und er würde seinen Vater sehr lange nicht wiedersehen. Dregan Ragalla jr. war brav und weinte nicht. Er war schließlich der Stolz seines Vaters.
ki’Ansi saß in einer der Stuben der Kaserne. Nach und nach traten Anführer der Werber-Trupps ein und erstatteten Bericht. Die Werber waren voller Eifer. Für einen tauglichen Rekruten bekamen sie einen Dana. Es war egal, ob der Rekrut männlich oder weiblich war, nur zu alt durfte er nicht sein, und nicht kränklich. Und wo man die Quote nicht erfüllen konnte, durfte man auch Kinder pressen. Rekrut war schließlich Rekrut. Reichen, dem Imperium treu ergeben Bürgern gab man die Gelegenheit, ihr Scherflein für die Kriegskasse beizusteuern. Wenn sie genug zahlten, ging der Dienst für das Vaterland an ihnen und den ihren vorbei. Dafür mußte eben ein anderer die Quote auffüllen, egal wer. So ein reicher Geldsack zahlte gerne eintausend Wols oder mehr dafür, daß ein Ersatzmann das Privileg hatte, für ihn und das Reich fallen zu dürfen und die Werber bekamen immerhin den einhundertsten Teil dieser Prämie. ki’Ansi führte Listen, zahlte die Werberprämien aus und strich die Bestechungsgelder ein, die das Reich niemals sehen würde.
„Dieser Mistkerl!“ Seit seinem Auftritt vor zwei Nächten hatte sich der Protector nicht mehr sehen lassen. Jiana war gewohnt, daß Männer alles taten, um ihre Gunst zu gewinnen und noch mehr, um sie zu behalten. Zuhause hatte sie alle jungen Männer einfach um den kleinen Finger gewickelt, die älteren sowieso, aber dieser Fremde ließ sie einfach abblitzen, ließ sie spüren, daß sie für ihn nicht mehr war, als Eine unter Vielen. Und verlassen durfte sie ihr Quartier auch nicht. Die Wachen vor der Tür waren strikt und grimmig. Ihresgleichen schnitten Betrunkenen in dunklen Gassen die Kehle durch. Jiana wußte, daß diese Kerle sie mit ihren Augen auszogen, wann immer sie sie zu sehen bekamen, aber keiner wagte, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Diese Mörder hatten keine Angst vor der Hölle, aber vor dem Protector, das stand für Jiana fest. Zweimal am Tag kam eine alte Dienerin und brachte ihr Wasser und Nahrung. Jiana hatte versucht, sich bei ihr auszujammern, nannte den Protector sogar eine Bestie. Dafür hatte die Alte ihr eine Ohrfeige versetzt und während Jianna sich von dem Schock erholte, hatte die Dienerin sie ausgeschimpft. Jiana verstand nichts mehr. Wie konnte der am meisten gehaßte Mann in den Augen einer einfachen Dienerin ein vom Land Erwählter sein?
Der Angriff kam völlig überraschend. Kaum hatte Scaevola begonnen, seinen Namen zu nennen, da war der Krieger auf ihn gestürzt. Viel Zeit für eine Gegenmaßnahme blieb nicht, doch der Protector floß einen Schritt zur Seite, faßte den Angreifer am Arm und benuzte diesen und die Angriffs-Energie dazu, den Chinche um seine eigene Achse zu wirbeln. Der Angreifer kam laut krachend und ziemlich unsanft am Boden auf. Scaevola dankte insgeheim seinem Freund Tozan Toragashi, der ihm den einen oder anderen Trick gezeigt hatte, damals, als sie die Wirtshäuser Ahnarabs heimsuchten. Während der Koloß noch nach Luft schnappte, kniete der Protector über ihm. Ein Schlag mit der silbernen Hand, und der Angreifer träumte von besseren Zeiten. Scaevola sah sich um, bereit sein Leben teuer zu verkaufen, doch kein anderer der Dörfler machte Anstalten, ihn anzugreifen. Sie sahen ängstlich aus, als ob sie erwarten würden, daß sich die Erde öffnete, um das Dorf und alle Einwohner zu verschlingen. Der Häuptling gab sich vergeblich große Mühe seine Angst zu verbergen: „Strafe uns nicht, Mächtiger. Athahualpo war nicht Herr seiner Sinne, zu groß war sein Schmerz über den Verlust meiner Tochter, die ihm versprochen war.“ Erleichterung machte sich in dem Protector breit. Der eifersüchtige Verlobte seines Geschenkes hatte die Beherrschung verloren. Scaevola begann zu lächeln: „Vergeben wir der Jugend ihr heißes Blut. Kein Leid ist geschehen, und so soll es bleiben.“ „Wir danken dem Mächtigen für seine Großmut. Wir werden heute ein Fest geben, um seinen Besuch gebührend zu würdigen.“ „Gerne würde ich bleiben, Häuptling Muxqa, doch ich muß das Land führen für den Herrn des Feuers. Doch bevor ich euch, meine Freunde, verlasse, muß ich noch mit einem der Euren sprechen.“ Scaevola holte aus seinem Gepäck das Boot. “ Ich möchte mit Llaixul sprechen, dem großen Künstler.“ Aus einer abgelegenen Ecke des Platzes begann jemand, lautstark zu lachen.
„Großer Künstler! Du sagst, ich wäre ein großer Künstler. Mann, das ist lustig“, ein Fischer bog sich vor Vergnügen und schlug sich auf die Schenkel. Er atmete tief ein: „Komm mit, Jüngelchen. Ich bin Dein ‚großer Künstler‘“ Damit ging er einfach und es war ihm egal, ob der Protector folgte oder nicht. Scaevola beeilte sich, Schritt zu halten. Die erneuten, ziemlich besorgten Blicke der Dörfler, ignorierte er einfach. Die Beiden gingen wortlos ein Stück die Küste entlang, bis das Dorf hinter einem Hügel verschwunden war. Llaixul, dessen Alter nicht zu schätzen war, blieb abrupt stehen: „Warum suchst Du mich?“ „Dieses Schiff“, antwortete Lucius „ist Dein Werk, oder?“ „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ist das wichtig?“ feixte der Fischer. „Für mich schon. Ein Freund hat mir geraten, Dich zu suchen.“ Der Fischer begann um ihn herum zu tanzen„Sag mir, Silberhand: Warum ist es wichtig und wer ist der Freund? Sag’s mir! Komm, sag’s mir!“ Scaevola versuchte ruhig zu bleiben. Am liebsten hätter er den Alten so lange geschüttelt, bis er alles erzählt hatte: „Kinder werden sterben, wenn Du mir nicht hilfst.“ „Kinder sterben immer, das ist der Lauf der Dinge. Die einen früher, die anderen später. Ob Du ihnen hilfst, oder nicht, ist egal…So egal.“ „Wenn Du mir nichts sagen willst, vertue ich nur meine Zeit.“ Der Protector war verärgert. Er wollte sich umdrehen und gehen, doch der Alte sprang vor ihn: „Ich werde Dir helfen, wenn Du mir sagst, warum Du hier bist. Kinder sind lieb.“ Er sprang auf die andere Seite: „Kinder sind nett, aber Kinder sind die Ursache, nicht der Grund.“ “Erzähl!‘ “Erzähl!” “Erzähl!” “Erzähl” “Erzähl” Lucius fuhr zurück. Die Stimmen waren einfach in seinem Kopf erschienen, es war unmöglich sie zu ignorieren „Dein Schiff hat geleuchtet. Zusammen mit meinem Amulett. Deswegen bin ich hier.“ Scaevola zog das Amulett aus dem Hemd und hielt es in Richtung des Fischers. Der grinst nur und nickte dem Protector zu „Komm mit, Silberhand“ Dann drehte er sich ohne ein weiters Wort um und ging davon. Es schienen Stunden zu vergehen, in denen Scaevola dem Alten schweigend nachging, immer dem Verlauf der Küste folgend. Es war nicht mehr lange, bis die Sonne im Meer verschwinden würde, dann hielt der Fischer an. Sie standen am Strand, und vor ihnen erhob sich eine Steilwand aus grünlichem Stein in den Himmel. „Was siehst Du, Jüngelchen?“ fragte der Greis. “Wasser, Sand, eine Möwe. Und Stein“, entgegnete der Protector „Der Stein ist der selbe, wie der, aus dem von Dir das Schiff geschnitzt wurde.“ „Ein scharfes Auge für einen Städter hast Du. Doch noch siehst Du, ohne wahrzunehmen.“ „Ich verstehe nicht…“ „Laß das Land Dich führen“, die Stimme des Alten hatte jeden Hohn und jede Verrücktheit verloren „vertrau der Hoffnung und ergib Dich Deinem Schicksal.“ Scaevola begann zu grinsen. Zu oft hatte ihm ein Artefakt den Eingang zu einem magisch verborgenen Ort gewiesen. Und wenn der Alte schon auf diese Art anfing… Er holte erneut sein Amulett hervor und drehte sich langsam um die eigene Achse. Als er mit der Front zu der Steilwand stand, begann das Amulett erneut, zu leuchten. Je näher Scaevola ihr kam, desto mehr wurde der Fels zu Nebel und gab den Eingang zu einer Höhle preis. Der Protector trat ein und was er dort sah, ließ ihm den Atem anhalten und seine Augen leuchteten. Er stand am Rande einer gigantischen Grotte, die kein Ende zu nehmen schien. Dort, in einem nicht minder endlos scheinenden Hafenbecken, lagen unzählige Kriegsschiffe vertäut, die sich nur in der Größe von dem Modell unterschieden. „Was?…Wer?…Wie?“ konnte er nur stammeln. Der Alte verfiel wieder in seine Rolle. Er meckerte wie ein Ziege und begann vor Vergnügen hin und herzuhüpfen: „Der große Held! Der mächtige Mann! Steht hier wie ein Yopok und weiß nicht, ob er träumt oder wacht. Man muß ihn wecken!… Ja, daß muß man.“ Bei diesen Worten versetzte er dem Protector einen Stoß und dieser fiel mit einem lauten Platschen ins Becken. Das eisige Wasser ließ ihn schnell wieder Herr seiner Sinne werden. Prustend kletterte er aus dem Becken: „Du alter Ziegenbock, ich haben keine Lust mehr auf Spielchen!“ „Dann hör damit auf, Jüngelchen. Ich bin Llaixul, der Wächter dieser Flotte“, bei diesen Worten schien er zu wachsen. „Das Land erzählte mir von Deinen Sorgen und ich bin hier um Dir zu helfen. Diese Schiffe sind Dein, wenn Du es wünschst.“ „Aber“, begann der Protector, „diese Schiffe sind aus Stein. Sie werden sinken, sobald sie auf dem Meer sind.“ „Hast Du nicht in Deinem Leben schon viele Wunder gesehen?“ fragte der Fischer, und als Scaevola nickte fuhr er fort: „Warum zweifelst Du dann? Meine Schiffe werden schwimmen. Holz oder Stein, das Material ist einerlei. Meine Schätzchen sind so schnell und wendig wie jedes andere Schiff auch. Also, was ist? Willst Du sie?“ „Natürlich will ich sie. Nenn Deinen Preis, Alter.“ „Du bist vom Land erwählt, wie kann ich Dir da etwas abverlangen? Die Schiffe wachsen hier aus dem Stein der Berge, dem grünen Karant. Ich lasse sie wachsen, weil ich das Meer liebe, und das Land gewährt mir diese Gabe, weil ich es genauso liebe. Und das Land liebt Dich, daher werde ich Dir helfen.“ Der Alte hatte wohl zu lange alleine gelebt oder zuviel Seewasser getrunken. ‚Natürlich‘, dachte sich Scaevola, ‚er läßt die Schiffe wachsen. Egal, er hat die Schiffe, die ich brauche, dann darf er glauben, was er will.‘ „Nimm soviele Schiffe, wie Du brauchst und wann Du sie brauchst. Es werden immer genug hier sein, und dein Amulett und seine Brüder sind der Schlüssel zu diesem Ort.“ „Ich weiß nicht wie ich Dir danken soll.“ Scaevola wartete immer noch auf einen Pferdefuß. „Aber jetzt wo ich die Schiffe habe, bleibt nur noch ein Problem übrig: Der Transport wird das Land demnächst verlassen. Bis ich die Expedition ausgerüstet habe, sind die Kinder bereits auf dem Schlachtfeld abgeschlachtet worden.“ Er hatte eigentlich nur laut gedacht, aber Llaixul nahm den Faden auf: „Eine Möglichkeit gäbe es. Ich kenne Wege in die Alte Welt, die sonst kaum einer zu befahren wagt. Deine Männer werden schneller an ihrem Bestimmungsort sein als jeder andere jemals zuvor. Ich bin alt geworden, doch wenn Du es sagst, werde ich Deine Flotte lotsen “ „Wer bist Du?“ fragte Scaevola: „Du läßt Schiffe wachsen, kennst die Amulette und weißt Wege, die keiner sonst kennt. Bist Du ein Gott?“ „Nur ein Fischer, Silberhand“, erwiederte der Alte: „Nur ein Fischer.“ Dann schwieg er wenige Augenblick. „Llaixul ein Gott?“ prustete er auf einmal heraus und sein gemeckertes Gelächter füllte die endlose Grotte.
Das Schlagen der Trommeln war rhythmisch und dunkel, und die Ruder der Schiffe tauchten im Takt dieser Schläge ins Wasser. Nicht mehr lange, dann würden sie offenes Wasser erreicht haben und das Segel würde die Hauptarbeit übernehmen. Es würde Wochen, ja Monate dauern, bis die kleine Flotte das Reich des Feuers erreicht haben würde. Nun, da man weit vom Ufer entfernt war und eine Flucht unmöglich schien, ließ man die ‚Freiwilligen‘ an Deck. Yana stand an Deck, den Arm tröstend um den zitternden Phuru gelegt, und sein Blick war auf die immer kleiner werdende Silhouette seiner Heimat gerichtet, bis diese am Horizont verschwunden war.
Lucius Scaevola argens stand erneut in seinem Arbeitszimmer und unterhielt sich mit ki’Ansi: „Gut, wir haben die Söldner und wir haben die Schiffe. Das Ausrüsten der Expedition geht zügig voran und im Reich hat niemand einen Verdacht. Besser kann es nicht laufen.“ Er schenkte etwas Uisge in zwei Becher und reichte einen davon dem Magier. Beide grinsten sich an: „Auf den nächsten erfolgreichen Zug in diesem Spiel.“
- ↑ toqatekisch: Teufel, Dämon, Bewohner der Unterwelt