Letzte Worte
Stefan Fehres, Dezember 2005
Bericht Aeitus im “Blauen Tukan”
Die Kneipe “Zum Blauen Tukan” am Hafen in Nga-Nova ist kein Ort für schwache Nerven. Hier trifft sich die Unterwelt und alle, die sich dazu zählen oder dafür halten. Diebe, Räuber, Betrüger, Mörder, Dirnen, Schläger, aber auch Abenteurer, wie ich es einer bin. Mein Name ist Aeitus und ich bin Krokodiljäger. Aber ich gehe diesem Gewerbe schon lange nicht mehr nach, vielmehr habe ich mich auf das einträgliche Geschäft der Schatzsuche verlegt, und ich kann ihnen versichern, die Branche hat zur Zeit in Xiduria Konjunktur. Ich habe mich auf die Schätze und Pretiosen der Toquateken spezialisiert. Das Reich des Feuers ist versessen auf alles, was mit den Toquateken zu tun hat, vor allem auf Kunst- und Kultgegenstände. Vor wenigen Tagen ist mir ein Geschäft gelungen, das mich zu einem reichen Mann machen wird, wenn der Plan gelingt. Ich habe beim Würfelspiel eine alte Karte gewonnen, die den Standort einer alten Tempelanlage der Toquateken in den Mangrovensümpfen verrät, und dort soll es unglaubliche Schätze geben. Doch ist ein geschäftlicher Ausflug dorthin nicht ungefährlich. Riesige Krokodile, Otzelotl, giftige Schlangen, Fieber und Piranha sind nur die geringsten Gefahren, die einem dort begegnen können, denn es gibt dort eben auch die Toquateken, und leider haben diese überhaupt kein Verständnis dafür, wenn man ihre Tempel ausraubt. Auch sollte man den Toquateken nicht unbedingt in die Hände fallen, denn sie haben die unangeHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 13 nehme Angewohnheit, Gefangene ihren Göttern zu opfern. Sie nennen das prosaisch “Blumentod”. Sie legen die Gefangenen auf einen Altar, schneiden mit einem Obsidianmesser den Brustkorb auf, reissen das Herz heraus und stopfen das noch schlagende Herz ihrem grausamen Gott Baba Croqa oder einem anderen ihrer zahlreichen Götter in den Schlund. Dieser Opfertod soll noch einer der angenehmsten sein, den die Toquateken ihren Gefangenen zu bieten haben. Ich habe davon gehört, das sie für manche Götter ihren Gefangenen bei lebendigen Leib die Haut abziehen und sie, nachdem sie gebraten wurden, verspeisen. Aber sicher ist das nur eine Legende. Selbstverständlich verbieten es meine geschäftlichen Verpflichtungen, mich in dieser Weise den Toquateken zu Verfügung zu stellen. Doch ich schweife ab. Ich bin heute hier in den “Blauen Tukan” gekommen, um Gefährten zu finden, die mich auf meiner Geschäftsreise begleiten wollen. Meine Suche war von großem Erfolg gekrönt. Es ist mir gelungen, zwei ausgezeichnete Diebe mit gutem Ruf zu gewinnen, und auch die militärische Abteilung erscheint mir mit fünf Kriegern mehr als ausreichend. Zudem haben sich eine Magierin und ein Heiler der Expedition angeschlossen. Mit bisher zehn Mitgliedern einschließlich meiner Person scheint die Gruppe schlagkräftig genug, den Gefahren der Sümpfe zu trotzen. In den letzten Monaten habe ich hier im “Blauen Tukan” die Bekanntschaft von zwei interessanten Persönlichkeiten gemacht, und ich hoffe, sie noch als Mitstreiter für meine Expedition gewinnen zu können. Wie immer verschmäht mein guter Freund Caligula den bereitstehenden Pulque und hält sich an Wasser, während sich Rhonda, die Amazone, nicht zu schade ist einen guten Schluck zu nehmen. Caligula, lassen sie sich von seinem Namen nicht täuschen, verfügt über ausgezeichnete Fertigkeiten und Kenntnisse und wäre ein ausgesprochener Gewinn für mein geschäftliches Vorhaben. Er gibt seine beruflichen Qualifikationen mit Sachverständiger für Edelsteine an, aber alle Gerüchte über ihn in Nga Nova deuten darauf hin, daß er seine Geschäfte im Bereich der Entsorgung von Zeitgenossen tätigt, und über seine Geschäftserfolge spricht inzwischen die ganze Unterwelt. Als er hier im “Blauen Tukan” auftauchte, dauerte es nicht lange, bis ein paar Mitbürger der Abteilung “Muskel und wenig Hirn” von Caligula auf eindringliche und drastische Weise auf den Weg der Wiedergeburt geschickt wurden. Es war eine beeindruckende Vorstellung und für seine Geschäfte eine einträgliche Werbung. Rhonda, die schöne und zudem noch ausgesprochen kluge Amazone, gab hier eine ähnlich eindrucksvolle Vorstellung. Sie arbeitet als Leibwächterin, und ich hoffe, daß beide nie in die Verlegenheit kommen werden, daß sich ihre Geschäftsinteressen überschneiden. Es ist offensichtlich, daß sich die beiden verliebt haben, wenn auch beide sich immer wie Hund und Katze verhalten, wenn wir uns hier zu abendlichen Plaudereien treffen. Wie immer brauchte ich ein paar Minuten um mich an die Augen und den Gesichtsausdruck meines Freundes zu gewöhnen. Es sind ausgesprochen blaue Augen, was in diesem Landstrich schon ungewöhnlich genug ist, doch scheint die Augenfarbe ständig zu wechseln, und eine ungewöhnliche Kälte scheint von diesen auszugehen. Wie immer trägt Caligula seine schwarze Robe und Kapuze, was ihn wie einen harmlosen Mönch oder Priester erscheinen läßt, doch ist dieser große und breitschultrige Mann alles andere als harmlos. Rhonda trägt heute einen enganliegenden Lederharnisch, der sich eng Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 14 für den Moment. Schließlich gelang es mir, die beiden Turteltauben aus ihrem Spiel zu reißen und mein Vorhaben zu erläutern. Während Rhonda sofort begeistert zustimmte und mir wortreich ihre Mitarbeit zusicherte, schien Caligula wieder in seine Starre zu verfallen. Seine Augen waren wieder kalte blaue Murmeln in seinem Gesicht, und in meiner Freude über die begeisterte Zustimmung der Amazone bemerkte ich die spürbare Ablehnung des Assassinen nicht. “Nein”, sagte Caligula leise. Die Amazone und ich sahen fassungslos zu, als Caligula aufstand und seine Schritte Richtung Ausgang lenkte. “Nein, ist das alles!”, fragte die Amazone. “Das ist alles”, erwiderte Caligula, “ihr werdet dort nichts finden außer dem Tod!” Caligula schien zu zögern, und ein schmerzlicher Ausdruck gewann für einen Moment die Oberhand in seinem Gesicht, dann ging er hinaus in die Nacht. Wir haben ihn seit diesem Abend nicht mehr gesehen. Er schien Nga-Nova verlassen zu haben. \ Bericht Aeitus “Die Reise” Hier saßen wir nun auf einer Sandbank, und nicht nur unser Abenteuer, sondern auch unser Leben scheint sich seinem Ende zuzuneigen. Seit dem Abend im “Blauen Tukan” waren ereignisreiche Tage vergangen. Doch will ich von Beginn an berichten. Wir brauchten noch ein paar Tage für die Vorbereitungen, und das Abenteuer konnte beginnen. Wir hatten uns Kanus besorgt, Proviant für mehrere Wochen gehortet, die Waffen geschärft, die Rüstungen geputzt und getan was vor dem Beginn einer Geschäftsreise zu erledigen war, und an einem schönen sonnigen an anderen Körperteilen ganz zu schweigen. Malentus, der Heiler, hatte deshalb alle Hände voll zu tun. Nachdem Maximus kahl geschoren war und seine Glatze mit den Brandblasen glänzte, wollte er Fausta zeigen, was ein Krieger so alles kann, er knurrte nur, “ich werde diese Frau jetzt schlagen!”, und es kostete mich und Rhonda alle Mühe, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Das erste Todesopfer ließ dann auch nicht lange auf sich warten. \ Malentus, ein kleiner Mann, der vor dem Feuerball einen ausgesprochen schönen langen Bart sein eigen genannt hatte, war von der Flora und Fauna der Sümpfe begeistert. Wie ein junges Huhn sprang er hin- und her und klatschte jedesmal freudig in die Hände, wenn er wieder eine ihm bisher unbekannte Pflanze gerupft oder einen wunderschönen Schmetterling gefangen hatte. Mehrmals warnte ich ihn vor den Gefahren, vor den Sumpflöchern, vor giftigen Schlangen, Pilzen und Spinnen. Doch er war in seiner Begeisterung nicht zu bremsen, und so mußten wir uns ständig wissenschaftliche Abhandlungen über Brechwurz und die antiseptische Wirkung dieses oder jenen Krautes anhören. Malentus war offensichtlich mehr an der Botanik dieser Sümpfe als an Schätzen der Toquateken interessiert. Als wir eine verdiente Rast auf einer der zahlreichen Sandbänke einlegten, um ein karges Mahl einzunehmen, war wieder das freu-dige Händeklatschen zu hören. “Was für eine wunderschöne Orchidee der Gattung.....!”, waren die letzten Worte des Heilers Malentus. Die schwarze Sumpfklapperschlange gehört leider zu den giftigsten Schlangenarten in Xiduria, und dieses Exemplar war keine Ausnahme. Zwar hatte die Schlange vor noch nicht allzu langer Zeit eine respektable Kröte gefressen und döste in der Hitze Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 15 vor sich hin, doch das Händeklatschen des Heilers erschreckten die Schlange außerordentlich. Immerhin klatschte Malentus praktisch an ihren Ohren, so daß die arme Schlange noch tagelang später nur ein Dröhnen und Rauschen vernahm. Dieser Frevel mußte umgehend geahndet werden und wurde mit einem Biß in die Hand des Heilers bestraft. Eine Stunde später war Malentus von uns gegangen. Weder Aussaugen noch Ausbrennen der Wunde konnte dem armen Heiler helfen. “Berühmte letzte Worte”, sagte Rhonda trocken, “gestorben für eine Blume und die Wissenschaft”. \ Balbus, einer der von mir angeheuerten Krieger, sollte uns noch am selben Abend verlassen. Nachdem wir uns eine geschützte Lagerstatt gesucht hatten, richteten wir uns für die Nacht ein. Wie immer ging ich ein wenig auf die Jagd, um unseren kärglichen Speiseplan mit frischem Fleisch oder Fisch zu ergänzen. Balbus war zwar groß und ausgesprochen stark, hatte aber das Gemüt eines Kindes. Sein leichtes Schielen verstärkte den Eindruck, daß man es mit ihm mit einem leicht schwachsinnigen Zeitgenossen zu tun hatte, ungemein. Maximus, ein fahnenflüchtiger Centas der Legion, hatte es zwar übernommen, sich um seine Schützlinge zu kümmern, doch an diesem Abend war auch er erschöpft und achtete deshalb weniger auf den Krieger als in den vergangenen Tagen. Inzwischen waren wir so tief in die Sümpfe eingedrungen, daß das anfangs salzige Wasser des Meeres von Süßwasser abgelöst worden war. Ich hatte die Gemeinschaft eindringlich davor gewarnt, sich in das brakkige Wasser zu begeben, denn nicht nur die gefürchteten Krokodile lauerten dort, sondern auch giftige Wasserschlangen und Piranha. Aus einem unbekannten Grund war Balbus ein bevorzugtes Ziel der Moskitos. Überall auf seinem mächtigen Körper hatten sich eiternde und nässende Beulen gebildet, und da er sich ständig kratzte, juckten und quälten ihn diese Beulen ungemein. Bisher hatte sich der Heiler um die Stiche des armen Balbus gekümmert, doch mußte er heute ohne die beruhigende Salbe des armen Malentus auskommen. So kam es wohl, daß sich Balbus dachte, ein kühles Bad, denn es war ausgesprochen heiß und feucht in dieser Gegend, würden seiner geschundenen Haut guttun. Keiner der Gruppe achtete auf den Krieger, und so zog er sich aus und stieg gerade in einer kleinen Bucht in das brackige Wasser als ich von meinem kleinen Jagdausflug zurückkehrte. “Ah, das tut gut.....”, sagte der große Mann, als ich auch schon ein silbernes Aufblitzen an der Wasseroberfläche sah. “Komm sofort aus dem Wasser”, schrie ich noch, doch es war zu spät. Plötzlich schien das Wasser um den Hünen aufzukochen, blutiger Schaum sprudelte auf, und ich sah den ungläubigen Gesichtsausdruck des armen Balbus, als seine riesige Gestalt innerhalb weniger Sekunden unter der braunen Wasseroberfläche verschwand. Wir fanden keine Überreste von ihm. “Ich sage nur berühmte letzte Worte”, murmelte Rhonda und warf mir wiederum einen verächtlichen Blick zu. \ Die nächsten Tage verliefen ereignislos, wenn man von der unglaublichen Hitze, der Feuchtigkeit, dem übelriechenden, brackigen Wasser und der unglaublichen Menge von Moskitos, die sich in riesigen Schwärmen auf unsere kleine Gruppe stürzte, absah. Maximus sorge für die notwendige Disziplin, und so zierte alsbald ein ausnehmend schönes Veilchen das Auge des zweiten Diebes RicarHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 16 do. Meine Bemerkung, daß die beiden Diebe inzwischen ausgesprochen gut das Fahren in einem Kanu beherrschten, brachten mir seitens der beiden Diebe Blicke voller Haß und eine lange unerquickliche Diskussion über die Aufteilung der bisher noch nicht gewonnen Beute ein. Immerhin, so argumentierten die Diebe, wäre bei Abschluß des Vertrages nicht davon die Rede gewesen, daß beide paddeln und sich auch um andere Dinge der Reise, wie nächtliche Wachen und die Verpflegung, zu kümmern hätten. Wiederum war es Maximus, der nachdrücklich und mit der gebotenen Konsequenz und Härte die Harmonie in der Gruppe wieder herstellte. \ Bericht Rhonda die Amazone, “Die Schatzsuche” Nein, führen ist seine Sache nicht. Wieso sollte ein Waldläufer auch über die Fähigkeiten eines Sohnes von Königen verfügen. Doch hatte ich vor dieser bemerkenswerten Reise ernsthaft darüber nachgedacht, mit dem Waldläufer eine Beziehung einzugehen, nachdem Caligula sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne ein Wort des Abschiedes. Wahrscheinlich sehe ich ihn niemals wieder. Der Tod schwimmt um unsere Sandbank und ohne Vorräte, nur mit dem wenigen, was wir am Körper tragen, sitzen wir hier fest, und wieder kommt die Nacht. Doch vorher will ich berichten, was sich im Tempel der “Kotfresserin” zugetragen hat. \ Nachdem wir den armen Balbus gebührend betrauert hatten ein Grab konnten wir ihm nicht schaufeln, da von ihm nicht das geringste übrig war fuhren wir die nächsten Tage weiter, um schließlich unser geheimnisvolles Ziel, die Tempelanlage der “Kotfresserin” zu erreichen. Wie uns Aeitus erklärte, handelt es sich bei dieser Gottheit um die Urmutter aller toquatekischen Götter. Als sie mit ihren vielen Kindern schwanger war, wollte sie diese nicht gebären. So kam es, daß sich ihre Kinder selbst einen Weg aus der Mutter beißen mußten, und deshalb wird sie auf Bildnissen immer mit heraushängenden Gedärmen dargestellt. Die Urmutter ist es, der alle Toquateken ihre Sünden auf dem Totenbett beichten, und diese Tempelanlage mitten in diesen riesigen Sümpfen schien so alt wie die Urmutter selbst zu sein. Einen halben Tag beobachteten wir vorsichtig die Anlage, konnten jedoch keine Bewegung von Menschen oder Schlimmerem erkennen. Selbst die normalerweise ständig brennenden Opferschalen auf der Pyramide der Göttin schienen erloschen zu sein. Offensichtlich war die Anlage verlassen. Mit größter Vorsicht bahnten wir uns einen Weg durch den Dschungel und betraten die Anlage. Es war nicht die größte Pyramide der Toquateken, doch die Flechten und das Moos, mit dem die Pyramide und die angrenzenden Häuser der Priester, Wachen und Diener überzogen war, bezeugte ihr hohes Alter. Mehrere große und kleine Kanus und Flöße lagen sorgfältig vertäut an der kleinen Mole der Anlage, doch war niemand zu sehen. Ein durchdringender süßer Gestank stieg mir in die Nase. Der süßliche, durchdringende Geruch des Todes. Sie lagen überall, Krieger, Priester, Frauen und Kinder, Alte und Junge, selbst die Tiere waren dem Gemetzel nicht entgangen. Unsere Magierin schien nicht über ausreichende Erfahrung auf Schlachtfeldern zu verfügen und erbrach sich würgend. Maximus, der in dieser Hinsicht weniger empfindlich war, untersuchte die Toten in der Umgebung vorsichtig mit seinem Schwert in der Hand, während sich der Rest der Gruppe um Aeitus scharte. Selbst die Diebe waren sprachlos. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 17 \ “Ich würde sagen, daß diese Körper sich seit mehreren Wochen in diesem traurigen Zustand befinden”, erläuterte Maximus der Gemeinschaft, “die Verwesung ist weit fortgeschritten und manche Leichen sind bereits skeletiert. Offensichtlich haben die Aastiere hier ganze Arbeit geleistet, es sind keine Wunden oder andere Gewaltanwendung zu erkennen. Zumindest nicht an diesen Toten hier”. “Sie scheinen plötzlich gestorben zu sein, und zwar alle zur gleichen Zeit”, erwiderte ich, “ die Frau dort war gerade dabei, ihren Säugling zu stillen, und dieser hier hat gerade ein Kanu entladen, als ihn der Tod ereilte, er hat seinen Korb noch in den Händen”. “Was immer diese Menschen getötet hat, wir sollten uns schleunigst unseren Schatz holen und von hier verschwinden”, sagte Pablo der Dieb, wobei sich seit dem Verlust seiner Schneidezähne immer ein Pfeifen an das Ende eines Satzes anschloß. Schnell ging er auf die Treppenstufen der Pyramide zu und begann hinaufzusteigen. “Ich werde euch jetzt einmal zeigen, wie ein echter Profi an so eine Aufgabe herangeht!”, sagte er noch und das waren seine letzten Worte. Bei der vierten Stufe ertönte ein lautes Klicken und aus einer der zahlreichen Steinköpfe, die überall kunstvoll an der Pyramide angebracht waren, und die wohl die Urmutter in allen Situationen ihres Götterlebens darstellen sollten, flog zischend ein Bolzen, um seine kurze aber, effiziente Bahn im Brustkorb des Diebes zu beenden. Pablo blieb für wenige Augenblicke regungslos stehen und stürzte dann polternd die vier Stufen wieder hinab. Ich wollte gerade den Satz, den ich in den letzten Tagen beim Ableben des Heilers und des armen Balbus bereits zum Besten gegeben hatte, aussprechen, als ich die grimmigen Blicke von Aeitus und Maximus sah, und so schluckte ich meine bissige Bemerkung hinunter. Maximus trat an den Dieb heran, untersuchte ihn und schüttelte den Kopf. “Mausetot, vermutlich ein vergifteter Bolzen”, murmelte er, “laßt euch das endlich eine Warnung sein, und benehmt euch endlich wie Profis!” “Was soll denn das heißen!”, fing Fausta die Magierin an zu keifen, “ich habe schon...!” “Ja, ja, schon gut”, sagte Aeitus, und ich war froh, daß er die Magierin in ihre Schranken verwies. Allabendlich hatten wir uns auf der Reise die Abenteuer von Fausta, der großen Magierin aus dem Reich des Feuers, anhören dürfen von Abenteuern in Ranabar, Clanthon und sonstwo. Äußerst ermüdend. \ Wir brauchten Stunden, um die Spitze der Pyramide zu erreichen. Mehrmals entschärfte Ricardo, der seinen Fähigkeiten alle Ehre machte, gefährliche Fallen und das erste Mal hatte ich das Gefühl, daß wir die Sache zu einem guten Ende bringen würden. Inzwischen war es später Nachmittag, und Aeitus sagte plötzlich: “Hört ihr nichts?” Alle blieben wie vom Blitz getroffen stehen. Nein, wir hörten nichts. Absolut nichts. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen schien die Flora und Fauna der Sümpfe um uns herum eine Pause eingelegt zu haben. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten, und trotz der drückenden Hitze und Feuchtigkeit wurde mir plötzlich kalt. “Wißt ihr, was merkwürdig ist?”, sagte Maximus, “die Priester und Sklaven, die sich bis vor kurzem noch um diesen Tempel gekümmert haben, müssen doch auch diese Treppen benutzt haben. Selbst wenn sie wußten, Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 18 wo sich alle Fallen befinden, glaube ich nicht, daß jeder, der hier lebte, in die Geheimnisse der Pyramide eingeweiht war”. “Du meinst also, jemand war hier, nachdem diese bedauernswerten Menschen zu Tode gekommen sind, und hat die Fallen in der Pyramide scharf gemacht, und du meinst damit auch, derjenige könnte noch hier sein”, erwiderte der Waldläufer. Maximus knurrte nur zustimmend, als wir wieder das nun bekannte Würgen der großen Magierin aus dem Reich des Feuers vernahmen. Auf der Spitze der Pyramide war, wie es bei den Toquateken Sitte ist, ein großer Opferaltar vor einem Standbild der “Kotfresserin” aufgebaut, deren Steinmund weit geöffnet war. Der Altar war vollkommen mit einer braunen Masse bedeckt, die sich bei näherer Betrachtung eindeutig als vertrocknetes Blut identifizieren ließ. Das weit offenstehende Maul war bis obenhin gefüllt mit bräunlichen Klumpen. "Das sind Herzen”, keuchte Fausta. “Selbstverständlich sind das Herzen”, klärte ich die Magierin auf, “die Toquateken opfern ihren Göttern Menschen - und mit größter Vorliebe Magierinnen aus dem Reich des Feuers!” “Na ja, was das Opfern angeht, steht ihr Amazonen den Toquateken wohl nur wenig nach”, geiferte Fausta zurück, “und außerdem....!” “Könnt ihr das mal lassen”, schrie Maximus, und sein kantiges Gesicht lief dabei rot an, “wir haben nun wirklich Wichtigeres zu tun.” “Touché”, sagte ich leise. Immerhin hatte die Magierin damit recht, auch wenn wir Amazonen nur Männer opfern, aber das ist etwas anderes, finde ich. Der Einstieg in die Pyramide befand sich hinter dem Altar und vorsichtig gingen wir hinter dem verbliebenen Dieb die engen, feuchten Stufen hinunter, die ebenfalls mit der bräunlichen Substanz bedeckt waren. Als ich das Würgen von Fausta hinter mir hörte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Doch der Gestank bereitete auch mir langsam Übelkeit, und ich war froh, daß ich auf ein üppiges Frühstück verzichtet hatte. \ Schließlich endete die Treppe, und wir erreichten einen großen Raum. Wir mussten uns in der Mitte der Pyramide befinden. Ratten huschten davon, denn seit dem Einstieg in die Pyramide benutzten wir unsere Laternen, und das Licht erschreckte die widerlichen Nager. Wir hatten unseren Schatz gefunden. Es war der Kultraum der Pyramide, und auch hier befand sich, wie auf der Spitze der Pyramide, in der Mitte des Raumes ein großer Opferaltar. Auf einem kleinen Podest davor stand eine etwa armlange Statue der Göttin, und so, wie sie blitzte und funkelte, bestand sie aus purem Gold. In ihren Augen steckten große Diamanten, und ihre Zähne schienen aus Jade gefertigt zu sein. Auch sonst war der Raum üppig ausgestattet. Selbstverständlich hatte keiner der Anwesenden Zeit, die prächtigen Wandmalereien zu bewundern. Überall lagen kunstvolle Gegenstände aus Gold. Kleine Statuen, prächtige, mit bunten Federn gewirkte Gewänder der Priester, Zeremonienmesser aus Obsidian oder Jade. Doch dann begann das Chaos, und die Todesrate der Gruppe stieg steil an. Bevor Maximus, Aeitus oder ich eingreifen konnten, griff das Goldfieber um sich, und das erste Todesopfer war Flavius, einer der Krieger, der sich bisher als äußerst zuverlässiger und ruhiger Zeitgenosse hervorgetan hatte. Seine Augen blitzten auf vor Gier, und er begann, Gegenstände, die herumlagen, in seinen Beutel zu raffen. Er starb ohne letzte Worte, nur ein grauenhafter Schrei, der Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 19 durch die ganze Pyramide hallte, bezeugten seinen unfreiwilligen Sturz in die Grube, in die scharfe Spitzen aus Holz eingelassen waren. Doch bedecken wir den unerfreulichen Anblick des Kriegers, aufgespießt auf mehrere Holzstäbe, mit dem Mantel des Schweigens. “Ich werde zu diesen Leuten hier überhaupt keine Stellung mehr beziehen,” sagte Maximus, während er zu dem armen Flavius hinunter sah, “es hört sowieso keiner auf mich.” Inzwischen hatte sich Fausta, von uns unbemerkt, einem anderen Teil des Raumes zugewandt, und wir hörten in der Stille, die nur vom Rascheln der Ratten gestört wurde, ihre leisen letzten Worte: “Was ist das für ein kleiner wunderlicher goldener Hebel?” “Nein, nicht!”, schrien Aeitus, Maximus, Pablo und ich gleichzeitig, doch es war zu spät. Man könnte, was dann geschah, als eine verspätete Rache für die verbrannten Haare und die Brandblasen bezeichnen, die wir durch den unfreiwilligen Feuerball der Magierin vor Tagen erlitten hatten. Ein Feuerball leuchtete hell auf und nachdem die Hitze vergangen war, fanden wir von Fausta, der großen Abenteurerin aus dem Reich des Feuers, nur noch ihre angesengten Stiefel, in denen ihre Füße steckten. Mehr war von ihr nicht übriggeblieben. Ein wenig Asche. Ich spürte einen Kloß im Hals. Niemand sagte etwas. Vorsichtig untersuchten wir den Raum und fanden auch hier mehrere Tote. Sie waren alle prächtig gekleidet in Gewänder aus bunten Federn und lagen in einem Kreis um den Stein herum. Neben dem Opferstein lag ein Mann, der einen Umhang aus Kolibrifedern trug. Wie viele Hände mußten notwendig gewesen sein, um diesen prächtigen Umhang zu erschaffen. Er schillerte in allen Spektren der Farbenwelt. Ich beschloß, dieses Kunstwerk mitzunehmen. Als ich dem Toten den Umhang abnehmen wollte, stellte ich fest, das er im Gegensatz zu den Toten im Außenbereich der Tempelanlage wie eine Mumie wirkte. Auch die anderen Leichen sahen aus, als hätte man ihnen alle Flüssigkeit entzogen. Doch erschreckte mich der Gesichtsausdruck des Mannes. Er mußte zu seinen Lebzeiten eine beeindruckende Gestalt gewesen sein. Wie bei vielen toquatekischen Priestern waren seine Zähne spitz zugefeilt und er hatte sich goldene Pflöcke durch die Nase, Unterlippe und Ohrläppchen getrieben. Sein ganzer Körper war von prächtigen Tätowierungen bedeckt. Seine vertrockneten Augen und sein Mund waren weit aufgerissen, und selbst jetzt konnte man das Grauen erkennen, das dieser Mann in der letzten Minute seines Lebens erblickt haben mußte. Mich schauderte. Neben der Leiche lag ein prächtiges Zeremonienmesser aus Jade mit einem Griff aus purem Gold, das gleich in meinen Beutel wanderte. Beide Hände des Priesters waren verkohlt, als hätte er für längere Zeit seine Hände in eines der zahlreichen Kohlebecken gehalten. Mehrere beschriebene Blätter aus einem merkwürdigen Material lagen um den Toten verstreut. Ich hatte nicht bemerkt, das Aeitus inzwischen neben mich getreten war und ebenfalls interessiert die Überreste des Priesters und die Blätter betrachtete, und so fuhr ich erschrokken zusammen. Vorsichtig hob er eines der Blätter auf und untersuchte die fremdartigen Schriftzeichen. “Das ist eindeutig Menschenhaut!” sagte er, während er die Schriftzeichen mit den Fingern nachfuhr, “leider kann ich die Schriftzeichen nicht entziffern, die Schrift der Toquateken ist sehr kompliziert”. Ich erwiderte nichts und fing an, die herumliegenden Blätter aufzuheben, als Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 20 ich einen schwachen Windhauch auf meiner Wange spürte. Alle erstarrten in ihrer Bewegung. Ich kniete direkt vor dem toten Priester und sah in sein Gesicht und mir schien es, als ob er mich ansah. Ein grünes Glühen erschien in seinen erloschenen Augen, und ich stürzte in einen Strudel aus Empfindungen. Farbige Bilder erschienen vor meinem inneren Auge und plötzlich war ich am gleichen Ort nur zu einer anderen Zeit. Der Raum war jetzt hell erleuchtet. Überall brannten Fackeln, und die Opferschalen und Kohlebecken strömten Wohlgeruch aus. Männer in prächtiger Gewandung standen um den Opferstein und schienen in Trance verfallen. Sie hatten alle die Augen geschlossen und murmelten eine Beschwörung. Das einzige Wort, das ich verstand, war Turonk. Endlos schien die Zeit zu verstreichen, als ein Mann mit einem nackten Jüngling den Raum betrat. Der Jüngling war offensichtlich kein Toquateke. Er hatte sehr weiße Haut, blonde, schulterlange Haare und blaue Augen, die allerdings ein wenig verschleiert wirkten. Offensichtlich stand er unter Drogen, da er leicht hin- und her schwankte. Doch er war wunderschön. Alle Proportionen im Gesicht des Jünglings waren perfekt, und er hatten einen Körper wie ein Gott. Nun ja, das Geschlecht fand ich ein wenig klein, für meinen Geschmack, wenn man mir die Bemerkung erlaubt. Der Priester, den ich als unseren Toten erkannte, denn er trug den prächtigen Umhang aus Kolibrifedern, führte den Jüngling zum Opferstein und half ihm, sich auf den mit Blut verkrusteten Stein zu legen. Sodann fing der Oberpriester an, eine langwierige und langweilige Litanei von den Blättern aus Menschenhaut, die er in der Hand hielt, vorzulesen. Plötzlich ging alles ganz schnell. Der Priester zog unter seinem Gewand das prächtige Opfermesser aus Jade heraus, das jetzt in meinem Beutel war, und mit einer blitzschnellen Bewegung stieß er die Klinge in die Brust des jungen Mannes. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die jahrelange Erfahrung mit solchen Dingen bekundete, öffnete er den Brustkorb. Ein Knirschen und Schaben war zu hören und ein leises Keuchen des Jünglings. Blut spritzte auf, und plötzlich griff der Priester in den Brustkorb. Mit wenigen Schnitten hatte er das Herz aus dem Brustkorb getrennt und nun hielt er das noch schlagende Herz in der Hand. Hinter dem Priester bildete sich ein schwarzer Nebel, in dem man undeutlich die Umrisse eines Menschen erkennen konnte. Der Nebel schien sich nicht entscheiden zu können, was er sein wollte, denn ab und an wechselte die Gestalt und wurde zu einem mächtigen Krokodil. Schließlich fuhr ein Blitz aus dem Nebel direkt in das Herz in der Hand des Priesters. Mit einem Aufschrei ließ der Priester das Herz fallen und es fiel wieder in den Brustkorb des Jünglings zurück. Die Brust schloß sich augenblicklich, und nichts ließ erkennen, daß man diesen Brustkorb gerade brutal geöffnet hatte. Während der Priester vor Schmerzen laut brüllte, denn nun war das Rätsel der verkohlten Hände aufgeklärt, öffnete der Jüngling seine Augen und richtete sich auf. Seine Augen waren jetzt nicht mehr blau, sondern gelb und wirkten wie die Augen eines Krokodils. “Turonk”, keuchten die Priester und fielen auf den Boden, um dem Angekommenen ihre Ehrerbietung zu demonstrieren. Der Priester war inzwischen neben dem Altar zu Boden gesunken und wimmerte nur noch leise vor sich hin. Dann öffnete der Jüngling den Mund. Ein Schrei brach sich Bahn, wie ich es noch nie in meinem Leben vernommen hatte. Es war ein Schrei der Qual, des Leidens und doch voller Zorn und Wut. Es war Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 21 ein Schrei aus einer anderen Welt, die Sterbliche nicht vor der Zeit ihres Todes betreten sollten. Etwas kroch aus dem weit geöffneten Mund des Jünglings, ein grüner Brodem, der sich schnell im Raum ausbreitete und auch die Treppe hinaufkroch. Die Anwesenden keuchten auf und starben innerhalb weniger Augenblicke. Damit war auch dieses Rätsel gelöst. Dann erloschen die Bilder und ich stand schwankend wieder neben Aeitus. “Hast du das auch gesehen”, murmelte dieser mit stockender Stimme. “Ja”, antwortete ich, während mir noch immer die Beine schlotterten. Der Tote vor mir zerfiel zu Staub. Ein starker Wind blies plötzlich durch den Raum und wehte den Staub davon. So konnte ich den kostbaren Umhang mit weniger Aufwand als gedacht an mich nehmen und in meinem Beutel verschwinden lassen. \ Wie sich herausstellte, hatten alle noch Lebenden der Gruppe die gleiche Vision gehabt, und es beschleunigte unsere Bemühungen, von hier wegzukommen, ungemein. Wir rafften alles zusammen, was uns kostbar und wertvoll erschien, und beluden unsere Kanus. Von den ursprünglich zehn Mitgliedern unserer Reisegruppe waren mittlerweile fünf von uns gegangen und so beluden wir nur drei Kanus, wobei wir eines als Lastkanu benutzten. Am schwierigsten war es, die Statue der Göttin zu bergen, die ungemein schwer war. Alle Toten in - und außerhalb der Tempelanlage waren zu Staub verfallen, und nichts erinnerte an die Tragödie, dich sich hier abgespielt haben mußte. Zumindest wußten wir jetzt, wer die Fallen aktiviert hatte, und offensichtlich war der Jüngling oder das Ding, wie er von den anderen genannt wurde, nicht mehr hier. Wir legten ab und wollten auf dem kürzesten Weg nach Nga-Nova, um unsere Schätze in klingende Münze umzuwandeln. Aeitus grinste breit über das ganze Gesicht und ich muß zugeben, daß er in meiner Gunst wieder erheblich gestiegen war, als völlig überraschend der Angriff kam. Wir waren bereits mehrere Tage unterwegs und erreichten einen Bereich, wo sich mehrere flache Sandbänke befanden. Ideales Gebiet für die gefürchteten Krokodile. Unbekümmert paddelten wir in die Falle und keiner, auch der Waldläufer nicht, bemerkten die verräterischen Anzeichen, daß wir uns mitten in einer Ansammlung dieser riesigen urzeitlichen Tiere befanden. Da und dort kräuselte sich ein wenig die Wasseroberfläche, mehr war nicht zu erkennen. Plötzlich wurde das erste Kanu mit den verbliebenen zwei Söldnern ausser Maximus und dem Dieb hoch in die Luft geschleudert. Was nützt es, wenn ich berichte, daß die drei keine Chance hatten. Sie stürzten in das sumpfige Wasser und riesige Schatten schossen durch das brackige Wasser und fielen über sie her. Bald war das Wasser blutrot, als etwas hart gegen unser Kanu stieß. Es war unser Glück, daß die Krokodile zuerst über das Transportkanu herfielen. Aeitus reagierte als erster und zerschnitt das Seil, das unser Kanu mit dem Transportkanu verband. “Schnell!”, schrie er voller Panik, “dort zu dieser Sandbank”. Wir paddelten um unser Leben. Die Zeit erschien mir endlos, als endlich der Kiel über Sand knirschte. Hastig sprangen wir aus dem Kanu, als ein riesiger Kiefer mit unglaublich großen Zähnen ein großes Stück aus dem Kanu riß und verspeiste. Tatenlos mußten wir zusehen, wie mehrere der Krokodile sich über unser Kanu hermachten und es mit ihren riesigen Mäulern und gepanzerten Schwänzen völlig zertrümmerten. Wir hatten nur noch das, was wir auf dem Leib trugen. Der Rest war im brackigen Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 22 Wasser untergegangen. Nicht ganz, ich hatte noch das Zeremoniemesser aus Jade, den Umhang aus Kolibrifedern und die Blätter aus Menschenhaut in meinem Beutel. Das war alles, was uns blieb. Nur essen und trinken konnten wir das alles nicht, und schon nach wenigen Stunden hatten wir drei quälenden Durst in dieser feuchten Hitze. So verging die Zeit, während wir von den Krokodilen belagert wurden. Immer wieder tauchte eines der gepanzerten Tiere auf und zeigte uns, daß sie noch da waren. Die Zeit arbeitete für die Tiere und schon bald würden sie auf die Sandbank kommen und auch uns zu einem wenig heroischen Tod verhelfen. \ Maximus war inzwischen bewußtlos. Voller Mitleid befeuchtete ich ein Tuch und legte es dem tapferen Centas auf die Stirn. Drei Tage waren vergangen, und wir hatten uns mehrmals unserer Haut erwehren müssen. Mehrere Kadaver bezeugten unseren Erfolg, doch hatte Maximus das mit einer schweren Verwundung bezahlen müssen. Eines der Krokodile hatte seine mächtigen Zähne in das linke Bein des Kriegers geschlagen und die Wunde war in dieser Hitze brandig geworden. Wir hatten uns mühsam vom rohen Fleisch der Tiere ernährt, was zu heftigen Durchfällen und Fieber geführt hatte. “Wie lange werden wir noch durchhalten”, frage ich den Waldläufer, der mit dem Langbogen in der Hand erschöpft neben mir saß. Er hatte fast seine ganzen Pfeile verschossen und dann blieb ihm nur noch sein langer Dolch. Ich hatten zwar meine Schwerter noch, aber was nützte das gegen diese schwer gepanzerten Urtiere. Aeitus zuckte nur erschöpft mit den Schultern. Dann wurde es wieder Nacht. \ Einen Angriff konnten Aeitus und ich noch abwehren. Es kostete ihn seine letzten Pfeile und mich eines meiner Schwerter was ich einem der Krokodile in das vorwitzige Maul gestoßen hatte. Leider war das Tier mit meinem Schwert untergegangen. Ich litt sehr unter diesem Verlust. Dieses Schwert hatte mir die Sheyala einst geschenkt. Ich hatte die letzte Wache vor dem Morgengrauen. Mir fielen ständig die Augen zu, und mit meiner rauhen Hand strich ich dem armen Maximus über die glühende Stirn. Manchmal schrie der alte Legionär in seinen Fieberträumen laut auf, brüllte Befehle und erzählte etwas von einer Straße der Kreuzigung. Wahrscheinlich wird er heute sterben. Wir werden alle das Ende dieses Tages nicht mehr erleben, und ich denke an meine Heimat und an Caligula. Wie dumm ich gewesen bin, er hatte uns gewarnt. Caligula ich liebe dich. Dann hörte ich ein leises Platschen wie von einem Paddel. Narrten mich meine Sinne? \ Der Morgen graute, und es hatte sich ein grünlicher Nebel auf dem Wasser gebildet, der langsam nach oben stieg. Etwas schälte sich aus dem Nebel und kam auf unsere kleine Insel der Verlorenen zu. Ein Kanu, in dem eine Gestalt saß. Vielleicht ein Krokodiljäger, dachte ich voller Hoffnung. Schwankend stand ich auf. Meine Kehle war inzwischen so vertrocknet, das ich nur ein mühsames Krächzen hervorbrachte. Ich sah, wie die Krokodile auf das Kanu zu glitten. Paß auf, wollte ich dem Fremden zurufen, doch brachte meine Kehle keinen Ton heraus. Doch geschah etwas Merkwürdiges. Die Tiere schienen das Kanu nicht anzugreifen, sondern zu begleiten. Die Tiere rissen ihre riesigen Mäuler auf, während der Fremde leicht ihre Schnauzen berührte und in einer merkwürdigen Sprache mit ihnen sprach. Diese Tiere drehten dem Fremden bereitwillig ihre verwundbaren Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 23 Bäuche zu. Schließlich war der Fremde so nahe an unsere Sandbank gekommen, daß seine Gestalt deutlich zu erkennen war. Der Mann trug einen schwarzen gesteppten Wams, wie er bei den Toquateken üblich ist. Der Wams war mit schwarzen Federn und Fellstücken bedeckt. Sein Gesicht war unter einer schrecklichen Maske verborgen und nicht zu erkennen. Die Maske erinnerte an den Schädel des gefürchtetsten Raubtieres der Sümpfe, des Otzelotl. Es war eine kunstvolle Arbeit, die ich selbst in meinem Zustand noch als äußerst kostbar erkannte. Ich bewegte mich nicht, und Aeitus, der inzwischen erwacht war, stand regungslos neben mir. Schließlich erreichte das Kanu unsere kleine Sandbank, und der Mann sprang behende wie eine Katze aus dem Kanu. Ich erkannte das große Schwert, fast ein Beidhänder, auf dem Rücken des Mannes. Ich hatte es schon viele Male im “Blauen Tukan” gesehen. Der Mann kam auf mich zu und stand schließlich vor uns. Wortlos streckte er seine Hände aus und ich taumelte auf ihn zu. “Caligula, ich liebe dich!”, keuchte ich, “warum hast du dir so viel Zeit gelassen!” Dann wurde mir schwarz vor Augen. \ Aeitus erzählte mir später, das mich Caligula aufgefangen und zärtlich in die Arme genommen hatte. “Ich liebe dich auch”, hatte er gesagt, und dann hatte er die Maske abgenommen und Aeitus lange die Hände gedrückt. “Ich habe euch vermißt”, hatte Caligula gesagt und dann Aeitus geholfen, Maximus und mich in das Kanu zu legen. Dann schien er mit den Krokodilen stumme Zwiesprache zu halten, und plötzlich brachte ein riesiges Tier zwischen seinen riesigen Kiefern die verloren gegangene Statue der “Urmutter” an die Sandbank und auch mein Schwert, das mir die Sheyala einst geschenkt hatte.