‘Ja, das war es.‘: Unterschied zwischen den Versionen

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Mareikje Groß, März 2005 – November 2006 ”Wo wollt Ihr hin, Sebastian?” Bei dieser Frage zuckte der Mann zusammen. Er war so in seine Gedanken vertieft, das er gar nicht mitbekommen hatte, wie Marzella hinter ihm aufgetaucht war. Sebastian hielt inne und drehte sich zu seiner Herrin um. Diese kam die wenigen Stufen der Treppe zu ihm hinauf, welche von der Eingangshalle in die oberhalb gelegenen Arbeits- und Privatgemächer führte. ”Ich habe eine Botschaft für den Qaom’de entgegengenommen und bringe sie nun zu ihm, verehrte Marzella.” meinte er freundlich und verneigte sich dabei leicht. ”Von wem ist sie?” Der Ton in Marzellas Stimme war eiskalt und schneidend. Sebastian zuckte mit den Schultern. ”Das weiß ich nicht, ein Bote brachte sie, ohne etwas dazu zu sagen, Herrin.” Kleine Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. Marzella streckte ihre Hand aus. ”Nun gut, gib sie mir.” ”Aber ...” Mit seinem Blick, der auf einmal sehr unsicher wirkte, schien der junge Mann die Frau zu verzehren. ”Du weißt, das Parz es nicht wünscht, von euch um diese Zeit belästigt zu werden.” Sie zuckte unruhig mit den Fingern. Eine Geste, welche Sebastian eindeutig zeigte, daß er ihr die Nachricht überreichen sollte. Er blickte abwechselnd auf das Pergament und auf Marzella. ‘Mist!‘ Warum war sie aufgetaucht? Bis hierher hatte sein Plan wunderbar funktioniert. Was war es doch für ein glücklicher Tag gewesen, an dem er entdeckte, daß Parz mit der Lilie in Kontakt stand. Nun befand er sich nur noch einen Schritt von der Erfüllung all seiner Wünsche entfernt. Unerkannt hatte er diesem Mamercus von der Legion einen Tipp gegeben, daß ihnen heute Nacht die Lilie ins Netz gehen könnte, und als Zugabe würde es einen Mitverschwörer geben, eine Person von hohem Rang, die in Tizio sehr geachtet war. Die Leute des Imperiums schienen ihm bei der Unterstützung seiner Träume weitaus behilflicher zu sein, als der Torreòn. Wenn Parz erst einmal aus dem Weg geräumt war, würde er sich liebevoll um Marzella kümmern. Er würde schon dafür sorgen, das sie ihren Mann sehr schnell vergaß. ”Was ist mit dir? Ich bringe sie Parz”, unterbrach Marzella herrisch seine Gedanken. ”Aber natürlich.” Sebastian gab der Frau, was sie verlangte, verbeugte sich nochmals leicht und verschwand. Marzella setzte ihren Weg fort, welcher sie nicht in die Gemächer ihres Mannes, sondern in ihre eigenen führte. Leise schloß sie die Tür, ging ans Fenster und betrachtete im Schein einer Kerze immer wieder die Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 3 Zeilen, welche auf dem Pergament zu lesen waren. Wir müssen uns dringend sehen. Kommt heute Nacht zum Brunnen am Marktplatz. Zur Stunde der ‘Nicht schlafenden.‘ L. Sie wußte, von wem die Botschaft vorgab zu sein, aber dies war eindeutig nicht Fedoras Handschrift. Marzella konnte die Gefahr körperlich spüren. Nun fing es also an. Sie betrachtete eine Weile ihr verzerrtes Spiegelbild, welches sich in der Scheibe gebildet hatte, dann sah sie aus dem Fenster hinaus. ‘Oh, Sebastian, wie konntest du nur?‘ Marzella versuchte, ihre zitternden Finger unter Kontrolle zu bekommen. Es gab für sie keinen Zweifel, daß er dahinter steckte. Sebastian hatte den Plan, sie für sich zu gewinnen, noch nicht aufgegeben. Langsam wurde es Zeit, sich intensiv um ihn zu kümmern. Aber im Augenblick gab es erst einmal Wichtigeres zu erledigen. Parz durfte nicht zu diesem Treffen gehen. Sie würde nicht zulassen, das ihr Mann sich dieser Bedrohung aussetzte. Außerdem mußte sie versuchen, Fedora noch rechtzeitig zu warnen, bis Mitternacht war nicht mehr viel Zeit. Die junge Sarinkay schritt auf den Kamin zu und warf das zusammengeknüllte Stück Pergament in die Flammen. Als sie sich umwandte, fuhr sie erschrokken zusammen. Vor ihr stand die alte Schamanin Naim, welche völlig lautlos in ihrem Zim-mer erschienen war. ”Junge Sarinkay”, tadelte Naim ihr Gegenüber, ”du bist noch nicht soweit, um derart in die Geschehnisse eingreifen zu dürfen. Reicht es nicht, daß du dich der Widerstandsbewegung angeschlossen hast, ohne mich vorher um Rat zu Fraugen?" Die Alte schüttelte ihr Haupt. ”Aber Naim, ich kann doch nicht zulassen ...” rief Marzella verzweifelt. ”Doch, das kannst, das mußt du! – Nun, der Brief ist vernichtet. Dein Mann damit gerettet, aber weiter werde ich dich nicht gehen lassen.” Marzella blickte betroffen auf den Boden, so wie ein kleines Kind, welches bei einer Dummheit ertappt wurde. Naim war näher an die junge Sarinkay herangetreten und streichelte ihr sanft über die Wange. ”Mein liebes, törichtes Kind. Du ahnst ja gar nicht, was für Folgen aus deinem Handeln entstehen werden.” Die alte Schamanin schloß ihre Augen, ihre Hand ruhte immer noch auf Marzellas Wange. ”Ich hoffe, du bist dafür bereit.” flüsterte Naim geheimnisvoll. \ Fedora lehnte ungeduldig an einem Torbogen, welcher ihr genügend Schutz bot, um nicht sofort entdeckt zu werden. ‘Nun mach schon, Medaz. Du verspätest dich doch sonst nie.‘ Was konnte nur so wichtig sein, daß er sie so plötzlich hierher bestellte? Fedora spähte vorsichtig in die Dunkelheit. Der Marktplatz lag menschenleer vor ihr, kein großes Wunder zu dieser Zeit, dennoch für Tizios Verhältnisse etwas zu außergewöhnlich. Noch nicht einmal eine Spur der Yop’yoqus, welche sich sonst hier herumtrieben, war zu erkennen. Wieder stieg dieses unangenehme Gefühl in ihr hoch. Als sie zum wiederholten Male in die Dunkelheit späte, sah sie etwas kurz aufblitzen. Es dauerte ein wenig, bis der Frau dämmerte, was hier vor sich ging. ‘Eine Falle! Maldito! Das hätte ich ahnen können.‘ Sie tastete hinter ihrem Rücken nach Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 4 dem Riegel des Tores, aber es war verschlossen. Da blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie löste sich aus dem Schatten und rannte so schnell sie konnte ein Stück über den Markplatz. Voller Schwung sprang sie zuerst auf den Rand des Brunnens, stieß sich ab und zog sich an der dahinter liegenden Mauer hoch. Dort ging der Fluchtweg für sie nicht weiter. Hinter sich vernahm sie einen lauten Pfiff, gleich darauf traten Gestalten aus dem Schutz der Häuser und eilten geschäftig auf sie zu. Befehle ertönten über den Platz. Bogenschützen tauchten auf den Dächern auf, es wimmelte plötzlich nur so von Legionären. ”Bleibt stehen! Ihr habt keine Chance, zu entkommen!” rief ihr der D’ascas zu. Fedora grinste, und ohne zu zögern, lief sie leicht geduckt über die Mauer. Pfeile flogen an ihr vorbei. ”Hinterher! Vorauf wartet Ihr noch!” So schnell sie konnte, hastete Fedora auf den Steinen entlang, bis vor ihr eine Häuserfront auftauchte. Ohne Mühe gelang es ihr, sich auf eines der Dächer hochzuziehen. Sie sah sich um, konnte hier aber keine Olan entdecken. Nun lief sie flink über die Dachziegel, wobei sie den Erbauern dieser Stadt dankte, das sie sich für so flache Dächer entschieden hatten. Dies vereinfachte einiges. Unter sich konnte Fedora wild umherlaufende Legionäre entdecken, hinter ihr ertönte ein Keuchen. Sie blickte sich kurz um und erkannte mehrere Verfolger. Immer weiter ging die Jagd, wobei sie einige Dächer überquerte, bis sie plötzlich stehen blieb, weil diese Häuserfront zu Ende war. Die Verfolger kamen näher. Fedora drehte sich langsam um, gleichzeitig zog sie ihre Waffe. Der erste Olan ging nach ihrer Attacke sofort in die Knie. Fedora versetzte ihm noch einen Tritt, woraufhin er vom Dach rollte. Der zweite war etwas hartnäckiger, jedoch kein grosses Problem. Er war schon tot, bevor er auf der Straße aufschlug. Mit dem nächsten kämpfte sie gefährlich nahe am Rand des Daches, was Fedora zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Wenig später befand sich auch dieser Mann auf dem Weg nach unten. ”Verdammt, schert Euch aufs Dach. Und ich will ihn lebend!” tönte es ärgerlich von unten. Fedora sah sich schnell um. Über den Abgrund würde sie es nicht schaffen. Also zur anderen Seite. Erneut hatte sie Glück. Unter ihr leuchteten, vom Strahl der Monde erhellt, die Ziegel rot und verführerisch hinauf. Darauf angekommen, verharrte sie einen Moment in ihrer gebückten Haltung und erkundete hastig mit ihren Augen den weiteren Weg. Es blieb nur die Flucht über eine weitere Häuserschlucht. Die Rufe ihrer Verfolger wurden lauter und kündeten so deren Herannahen an. Fedora nahm Anlauf und segelte durch die Luft. Erneut flogen Pfeile an ihr vorbei. Sie landete ohne Schwierigkeiten, krallte sich jedoch an den Dachziegeln fest, um nicht nach hinten zu fallen und lief, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, weiter. Bald hatte sie es geschafft, denn in der Nähe befand sich ein Geheimgang. Diesen mußte sie nur noch unbeschadet erreichen. Fedora sprang erneut auf ein unter ihr liegendes Dach. In dem Moment, als sie sich aufrichtete, quoll Nebel herauf, und gleich darauf war sie von einem Schwarm Raben umringt, welche wild durch die Luft flatterten. Fedora hob schützend ihre Arme und erkannte für einen Augenblick nicht, wohin sie stolperte. Das Gekrächze der Vögel begleitete die Frau und klang in ihren Ohren wie ein schadenHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 5 frohes Lachen. Mit einem Schrei verschwand sie in der Tiefe. Ein Stoffbaldachin fing ihren Sturz ab. Sie rollte bis zu dessen Rand und fiel erneut. Krachend zersplitterte ein Holzkarren unter ihrem Gewicht. Ein ziehen in ihrer Brust ließ sie die Augen öffnen und sie bemerkte, das etwas feuchtes von ihrer Stirn herunter tropfte. Fedora richtete sich trotz der Schmerzen auf und wankte weiter. Die Schritte der Legionäre kamen näher. Das immer noch anhaltende Gemekker der Vögel zog deren Aufmerksamkeit in die Gasse. Sie bogen um die Ecke und entdeckten den Flüchtigen. Der D’ascas erkannte, das dies eine Sackgasse war und gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin sich die Legionäre fächerartig verteilten und langsam näher rückten. Fedora zog ihr Schwert, ganz kampflos würden sie diese Mistkerle nicht bekommen. Sofort blieben die Bogenschützen stehen und zielten. ”Gebt auf. Ihr könnt nicht entkommen!” rief Corvin. Damit schien er leider recht zu haben, aber vielleicht schaffte sie es, einige von diesen Mistkerlen mitzunehmen. ”Was soll‘s!” Sie zuckte mit den Schultern. Fedora schätzte die Distanz auf etwa zwanzig Meter. Als sie nach vorne stürmte, bohrte sich ein Pfeil in ihre Schulter. Die Frau drehte sich einmal um sich selber und zögerte kurz, dann lief sie weiter. Ein zweiter Pfeil traf sie in den rechten Oberschenkel. Sie stolperte und überschlug sich. Dabei brach der Schaft des Pfeiles, welcher in ihrer Schulter steckte, ab und bohrte sich noch tiefer in die Wunde. Fedora schrie daraufhin kurz auf. ”HALT!” brüllte Corvin. ”Nehmt die Bögen runter, ich will ihn lebend!” Die Frau erhob sich mühevoll auf ihr nicht verwundetes Knie und blickte zu dem D’ascas hinüber. Ihr Atem ging schwer, Schweiß rann an ihrem Körper herunter, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt. Corvin kam langsam näher. ”Gebt endlich auf.” meinte er ruhig. ”Es ist vorbei.” Die Frau hob ihren Blick noch ein Stück und starrte Corvin lange an. Sie ächzte schwer, als sie sich zwar langsam, aber vollständig aufrichtete. Der D’ascas gab seinen Männer ein Zeichen, nichts zu unternehmen, da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Diese Augen hatte er schon einmal gesehen. Der Haß und die Wut welche aus ihnen sprach, war wirklich einzigartig. Plötzlich mußte er an die Person denken, welche ihm beim letzten Frühlingsfest in die Arme gerannt war 1 und - an eine ganz bestimmte Priesterin. Er ging immer näher an die ‘Lilie‘ heran und war nun nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt. Um Fedora verschwamm alles, der Boden schien unter ihren Füßen zu tanzen, die Häuser kreisten in einer wilden Hatz um sie herum. ”Verfluchte Noctuna und ihre krähende Brut”, schimpfte die Frau, bevor ihr Schwert polternd auf den Steinen der Straße aufschlug. ‘Wenn ich den Verräter in die Finger bekomme ...‘ dachte sie noch, dann wankte sie stark und brach in den Armen des D’ascas zusammen. Noch bevor er das Tuch herunter zog, welches ihr Gesicht verhüllte, wußte er, wen er festhielt. Mamercus sah nach oben und erkannte gerade noch, wie sich ein ihm bekannter Nebel mitsamt den Raben zurück zog. ‘Nun tue das deine, Kajus.‘ vernahm er leise und starrte Wortlos auf die Agia, welche bewußtlos in den Armen des D’as1 Follow 390, Gesprengte Ketten 3, Geschichte ‘Auf Messers Schneide‘ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 6 cas hing. \ Corvin betrachtete lange seine Gefangene, welche man ins Krankenlager der Kaserne geschafft hatte. In seinen Händen hielt er eine violette Lilie, welche in ihren Sachen versteckt gewesen war. Endlich! Endlich hatte er einen großen Erfolg zu verzeichnen. Corvin blickte besorgt zu Porcius Nerva, dem Medicus, hinüber, der sich geschäftig um seine Patientin kümmerte. Der Raum war angefüllt von den Düften der Kräuter und Tinkturen, welche der alte Mann benutzt hatte. Sein junger Gehilfe Claudius räumte geschäftig die Blutverschmierten Tücher beiseite. Der Mann zog sein linkes Bein hinterher, welches er sich bei einem Unfall so stark gequetscht hatte, das er froh sein konnte, es nicht verloren zu haben. ”Bitte leere auch die Schüsseln aus, Claudius”, erinnerte ihn Porcius Nerva. ”Aber natürlich, ich erledige es sofort.” Er bedachte den Medicus mit einem verständnisvollen Blick. ‘Er wird alt‘, dachte er bei sich. Claudius hatte dem Medicus einiges zu verdanken. Keiner gab nach dem schrekklichen Unfall noch etwas auf sein Leben, nur Porcius kümmerte sich väterlich um ihn. Da er wegen seiner Behinderung für niemanden von nutzen war, ging er bei dem alten Mann in die Lehre. Er wurde seine rechte Hand, kannte sich ausgezeichnet mit den verschiedensten Kräutern und Krankheiten aus. So lahm auch sein Bein sein mochte, das glich er mit der Geschicklichkeit seiner Hände und seinem wachen Verstand um Längen aus. Auch bei der Gefangenen, welche heute versorgt wurde, durfte er die Wunden behandeln. Er wußte, das nicht mehr als ein paar kleine, fast nicht auffallende Narben zurückbleiben würden, wenn sie lang genug am leben blieb. ”Ich kann Euch sagen, daß ein paar Rippen gebrochen sind. Mit dem Kopf ist sie hart aufgeschlagen, was aber nicht weiter bedrohlich ist, wenn sie ruhen kann. Und sollten sich die Wunden, welche die Pfeile verursacht haben, nicht entzünden, wird es ihr in ein paar Wochen wohl besser gehen.” unterbrach die Stimme des Medicus die Stille des Raumes. ”Hoffe ich.” ”In ein paar Wochen?” rief Corvin überrascht. ”Ja, in einigen Wochen wird sie für eine Vernehmung bereit sein. Nicht früher.” ‘Ein paar Wochen. Die ganze Welt kann sich in dieser Zeit ändern, und ich komme kein Stück vorwärts.‘ ”Und ein Transport nach Dithorno?” Porcius Nerva schüttelte energisch seinen Kopf. ”Ich werde dies auf gar keinem Fall gestatten. Im Moment ist sie meine Patientin, und ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, damit sie am leben bleibt. Was nach ihrer Genesung geschieht, ist dann nicht mehr mein Problem.” Corvin wollte etwas erwidern, der Medicus jedoch ahnte wohl, was sein Vorgesetzter von ihm verlangen würde und schüttelte seinen Kopf. Corvin schnaufte und nickte zum Zeichen, das er verstanden hatte. Noch einmal betrachtete er seine Gefangene, welche sich unruhig auf dem Lager bewegte. Ihr leises Stöhnen ließ erahnen, welche Schmerzen sie hatte. Wie sehr hatte sie sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Ihr Gesicht war gebräunt und schien dem Wetter fast immer schutzlos ausgeliefert worden zu sein. Selbst die unnatürliche Blässe, welche sich über sie gelegt hatte, konnte diese Tatsache nicht verdrängen. Ihre Hände waren rauh und schwielig, wie die eines Bauern und nicht wie die einer PrieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 7 sterin. Fast hätte er Mitleid mit ihr haben können. Aber - sie war der Mensch, welcher unter anderem für die Vernichtung einer ganzen Hastatt verantwortlich war. Sie hatte seine Waffenlieferungen und Goldtransporte überfallen. Sie war die Person, die öffentlich dazu aufforderte, gegen das Reich zu kämpfen und dessen Anhänger in die alte Heimat zu treiben. Nach ihr suchten seine Leute seit Monaten, ohne auch nur eine Spur zu entdecken. Er betrachtete sie noch einmal eingehend ... sie war wirklich die letzte, bei der er vermutet hatte, das sie hinter der Tarnung der ‘violetten Lilie‘ stecken würde. Jetzt mußte seine Gefangene nur noch schnell genesen, damit er sie unbeschadet nach Dithorno bringen konnte. Es war nicht an ihm, über sie Recht zu sprechen, dies übernahmen andere. Bevor er den Raum verließ, erteilte er den Anwesenden Olan den Befehl, besonders wachsam zu sein. \ Als Corvin seine Gemächern erreichte, wartete bereits Mamercus auf ihn. Trotz des Erfolges sah dieser recht mürrisch aus. Der D‘ascas konnte nicht ahnen, daß der Hoendis sich ärgerte, den Komplizen der ‘Lilie‘ nicht gefaßt zu haben. Diese kleine, unbedeutende Mitteilung hatte er an Corvin nicht weiter geleitet. ”Ich gratuliere, Damiano. Ihr habt mich nicht enttäuscht?” Er schmiß die Lilie auf seinen Tisch. ”Ich danke Euch. Habt Ihr noch mehr bei ihr gefunden? Irgend etwas, was uns weiterhelfen könnte?” fragte Mamercus neugierig. Der D’ascas schüttelte seinen Kopf. ”Leider nicht.” ”Hier ...”, der Hoendis hielt dem D‘ascas eine Pergamentrolle entgegen. ”Soeben wurde eine Nachricht für Euch abgegeben.” ”Um diese Zeit?” Aber diese Tatsache wunderte den Mann nicht wirklich. Er war vom Militärdienst einiges gewohnt. Corvin rollte das Pergament auseinander, und seine Augen flogen flink über die Zeilen. ”Verdammt”, entfuhr es ihm. ”Verdammt!” Mamercus hob verwundert eine Augenbraue und sah neugierig zu Corvin hinüber. ”Schlechte Neuigkeiten?” ”Das kann man wohl sagen. Ich soll mich sofort in Dithorno melden. Auf Anweisung unseres neuen Vorgesetzten.” Seine Stimme ließ erahnen, das er für diesen Menschen nicht viel übrig hatte, welcher vor einigen Wochen in das Land gekommen war. Warum ausgerechnet jetzt? Ihm behagte es nicht, die Stadt zu verlassen, wo er doch gerade erst die ‘Lilie‘ gefaßt hatte. Und welche er nicht gleich mitnehmen konnte. Corvin hob ein weiteres Pergament in die Höhe. ”Hier ist eine Liste mit den Namen derer, die mich begleiten sollen. Welch ein Glück Ihr habt, Damiano. Ihr dürft hierbleiben.” \ Nachdem Corvin am nächsten Morgen, begleitet von seiner Leibgarde und den Olan, welche ebenfalls nach Dithorno beordert worden waren, Tizio verlassen hatte, begab sich Mamercus in Begleitung einiger seiner ihm treu ergebenen Olan auf direktem Weg zum Krankenlager. ‘Gut gemacht‘, lobte sich der Mann selbst. Mittlerweile konnte er im Schlaf gefälschte Nachrichten und Befehle schreiben. Wenn alles gut ging, würde man ihm den D’ascas auch bald vom Hals schaffen, dafür hatte er schon gesorgt. Inzwischen verfolgte Mamercus ganz eigene, ehrgeizige Ziele. Der Hoendis hatte keine Zeit zu verlieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 8 ren. So schnell wie möglich wollte er seinen Auftrag ausgeführt wissen. Dann erst war die Stunde der Rache gekommen. Er stieß eine Tür auf und blickte sich suchend um. Nachdem er die Frau entdeckt hatte, trat er zu ihr heran. Aus seiner ersten Wut heraus hob er seine Hand und wollte zuschlagen, wurde jedoch daran gehindert. ”Ich muß Euch bitten, diesen Raum zu verlassen.” meinte Porcius Nerva ruhig. ”Sagt wer?” Drohend drehte sich der Hoendis zu dem Mann um. Mamercus Arm schnellte nach vorne und packte den alten Medicus an der Kehle. Deutlich sichtbar spannten sich die Muskeln an seinem Arm und er drückte zu. ”Ihr werdet dafür sorgen, das dieses Weib so schnell wie möglich aufwacht. Euch stehen genug Möglichkeiten zur Verfügung. Also begebt Euch an die Arbeit.” Die Worte wurden leise gesprochen, aber mit ihrem Klang hätte man Wände zum Einsturz bringen können. Damiano schleuderte den Medicus gegen ein Regal. Einige kleine Amphoren fielen zu Boden und zerbrachen. ”Das könnt Ihr von mir nicht verlangen. Ich werde den D’ascas über Euer Ansinnen unterrichten. Nur er alleine befiehlt, was mit der Frau geschehen soll.” ”Der D’ascas ist nicht hier und wird so bald auch nicht wiederkommen. Also macht besser, was ich Euch sage, oder ...!” Die Olan hatten sich zur rechten und zur linken neben Mamercus postiert und spielten nun mit ihren Klingen. ”Ihr könnt mir so viel drohen, wie Ihr wollt. Dennoch werde ich Eurem Wunsch nicht entsprechen.” In diesem Augenblick erschien Claudius im Raum und erkannte sofort, was hier vor sich ging. Er humpelte näher und wollte seinem Mentor beistehen, doch einer der Olan drängte ihn gegen die Wand und hielt ihm seine Waffe an die Kehle. ”Nun. So wie es aussieht, werde ich für eine ziemlich lange Zeit die Befehle hier erteilen. Es ist nur zu Eurem Wohl, sich mir zu fügen. Und nun macht, um was ich Euch gebeten habe, oder ich lasse Claudius töten.” Porcius schien kurz nachzudenken, nickte dann dem Hoendis zu, drehte sich um und ergriff einige Tiegel und Amphoren aus dem Regal. ”Gut.” erwiderte Mamercus. Aus seinen dunklen, schmalen Augen sah er den Medicus verächtlich an. ”Und braut mir etwas schön Starkes zusammen.” \ Wenig später war das Serum fertig und wurde Fedora eingeflößt. ”Wie lange wird es dauern ...!” ”Vielleicht eine halbe Stunde, dann müßte die Wirkung einsetzen und sie erwacht.” ”Sehr schön. Ihr bringt sie in eine Zelle.” Er wandte sich an zwei der Olan. ”Ihr wißt, was ihr zu tun habt! Und vergeßt ihre Sachen nicht.” Er deutete auf einen Hocker, auf dem sich einige Kleidungsstücke stapelten. ”Natürlich.” meinten beide sofort. Sie packten Fedora, zerrten sie aus dem Bett und schafften sie weg. ”Das könnt ihr nicht machen”, rief Porcius, ”das wird sie umbringen ...” ”Na und ...?” Mamercus Stimme war eisig. ”Ihr haltet Euch immer bereit, um mir zur Verfügung zu stehen.” Der alte Mann wußte, das Mamercus nur höflich ausgedrückt hatte, daß sie von nun an unter Arrest standen. \ Fedoras Körper fühlte sich an, als wäre eine Herde Armadillos über sie hinweg getrampelt. Stöhnend öffnete sie ihre Augen und nahm verschwommen war, daß Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 9 sie sich in einem Kerkerraum befand. Ihre Hände steckten in schweren Eisenringen, welche an Ketten befestigt von der Decke hingen. Fedora atmete tief durch, um so die Übelkeit zu vertreiben, welche sie überkommen hatte, aber sie wurde noch schlimmer. Die dicke Kerkertür wurde aufgestoßen und drei Gestalten traten ein. Dicht vor ihr blieb eine davon stehen. ”Ich möchte nicht viel von Euch. Die Namen Eurer Mitverschwörer und ...” Der Mann trat dicht an sie heran und riß ihr Hemd auf. Beim Blick auf die blanke Haut ihres Halses färbte sich sein Gesicht rot und eine Ader an seiner Schläfe begann gefährlich zu pulsieren. ” ... den Aufenthaltsort Eures bezaubernden Amulettes!” ”Welches Amulett?” Ihre Stimme war leise und klang geschwächt. Als Antwort schlug Mamercus der Frau ins Gesicht. Ein feiner Blutstrahl schoß aus ihrer Nase. ”Denkt nicht, Ihr habt einen zweiten Corvin vor Euch. Also gebt mir, was ich verlange”, sagte Mamercus bedrohlich. ”Wo ist dieses verfluchte Ding?” ”Da kommt Ihr aber um einiges zu spät.” Mamercus drehte sich, scheinbar gelangweilt, um und betrachtete für eine Weile die feuchten Wände. ”Durchsucht ihre Sachen”, befahl er den Olan. ”Wir können nichts entdecken, Hoendis”, meinten sie nach einer Weile. Mamercus zog seine Peitsche hervor, drehte sich wieder zu Fedora um und rammte ihr mit voller Wucht den Griff in die Seite. Sie konnte sich gerade noch beherrschen und schrie nicht los. ”Fangen wir mit etwas einfachem an ... Namen ... Ich höre.” ”Ich kenne viele Namen ...” ”Falsche Antwort!” Erneut stieß er ihr den Griff in die Seite. ”Also ...?” ”Fahrt zum In’Ret!” Als Reaktion darauf spürte Fedora einen dumpfen Hieb gegen ihre gebrochenen Rippen und rang nach Atem. Der Hoendis wandte sich an seine beiden Begleiter. ”Laßt mich mit ihr allein. Ich möchte in den nächsten Stunden nicht gestört werden.” Die Olan nickten und verschwanden. Mamercus schnallte sich seine Rüstung ab und ließ diese achtlos zu Boden fallen. Sein Blick hatte sich um einiges verfinstert, als er erneut an die Gefangene herantrat. ”So sieht man sich wieder.” 2 Seine Wut auf das, was mit seiner Familie geschehen war, und welche er in all den langen Jahren tief in seinem Inneren vergraben hatte, brach hervor. Mamercus wußte, er sollte sich zuerst um das Amulett kümmern, aber er konnte nicht. Der Hoendis hatte deutlich vor Augen, wie dieses Weib seinen Vater tötete und wie sein Heim abbrannte. Er sah noch einmal seine Verlobte, welche sich von ihm abwandte, als er um Beistand flehte und wie Savlinas Vater ihn von seinem Besitz jagte. Wie er über ihn lachte und sich über sein unmögliches Anliegen lustig gemacht hatte. Wie er im ganzen Land umher gewanderte war, bis Arinius und er schließlich auf einem Schiff anheuerten und die Insel verließen, welche seine Heimat gewesen war. Welch furchtbare Jahre hatte er durchlebt, er, der nichts vernünftiges gelernt hatte und so wohlbehütet aufgewachsen war. In den Jahren, welche er auf dem Schiff verbrachte, hatte er einiges an Schikanen ertragen müssen. Und als er schließlich 2 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 10 wieder an Land ging um kurz danach beim Militär einzutreten, war es nicht viel besser. Aus ihm war das geworden, was er am meisten verabscheute. Hatte er sich nicht geschworen, nie eine Waffe zu führen und sich lieber den schönen Künsten hinzugeben? Aber die Wirklichkeit hatte ihn schnell eingeholt. Von irgend etwas mußte man ja leben. Und er hatte schnell gelernt, wie man kämpfte. Mamercus durchlebte noch einmal, welche Gefühle in ihm aufgekommen waren, als er nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt war und nirgends eine Spur von seiner Mutter oder von seinen Schwestern entdecken konnte. Kein Lebenszeichen, niemand wußte, wo sie sich befanden ... Niemand schien sich überhaupt an sie zu erinnern ... Ohne ein weitere Wort zu verlieren, schlug er zu. Immer wieder. \ Sie war allein. Dunkelheit umschmeichelte ihren Körper, welche sich wie eine wärmende und schützende Hülle um sie gelegt hatte. Inzwischen war das Blut ihrer Wunden getrocknet. Aber sie wußte, sie würden wieder aufplatzen, wenn der Hoendis mit seinem Werk fortfahren würde. Warum er ihr aber mit solch einem Haß begegnete, konnte sie sich nicht erklären. Halb wach und halb im Dämmerzustand versunken, flogen die Ereignisse der vergangenen Wochen an ihr vorbei. Sie erinnerte sich, und sie würde alles darum geben, wenn sie auch dies vergessen könnte. So wie ihre Vergangenheit, woher sie kam, wer sie war ... Fedora lachte auf. Sie kämpfte nicht nur für sich ... sie kämpfte für dieses verdammte Land und deren Bewohner ...für die Kinder ... für eine Freiheit, die es wohl nie geben würde ... Das hysterische Lachen von Fedora schallte von den Mauern ihres Gefängnisses zurück und klang in ihren Ohren wie Hohngelächter und Spott. Närrin! hörte sie. Närrin! Närrin! ... Du hast einen persönlichen Kampf daraus gemacht ... Närrin!!! Die anderen Stimmen schalteten sich mit ein und Fedora schrie gequält auf. ”Geht doch endlich weg!” rief sie unter Tränen. ”Laßt mich allein.” \ ”Kajus. Ich will das Amulett! Also zügle deine Rache und bringe mir erst, was ich verlange.” Im Schlaf vernahm Mamercus die verärgerte Stimme von Noctuna. \ Nach einem ausgedehnten Frühmahl begab sich der Hoendis erneut in den Kerker. Seine Gefangene hing wie leblos in der Mitte des Raumes. Brutal flößte er ihr abermals ein noch stärkeres Serum ein. Kurz danach öffnete Fedora ihre geschwollenen Augen. ”Ihr gebt immer noch nicht auf, sucjos pu‘erco? Hijo al‘gùno còbarde perra.” begrüßte sie Mamercus spöttisch. Sie war schwer angeschlagen, doch ihre Beleidigungen sprudelten wie eine nie versie-- gende Quelle aus ihr heraus. ‘Maldito. Was für ein Zeug gebt ihr mir?‘ ”Wo haben wir gestern aufgehört?” Er tat, als hätte er dieses Schimpfwort überhört. ”Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.” Er schlug einen Stock gegen Fedoras gebrochene Rippen. Heftig sog sie die Luft ein. Glaubte dieser Kerl wirklich, sie würde ihm etwas über den Widerstand preisgeben? Lieber würde sie sterben, als ihre Kampfgefährten zu verraten. ”Ihr gebt Euch der Selbstüberschätzung hin. So, wie es die Legionäre immer Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 11 mache.,” rief sie heiser. ”Dies wird eines Tages Euer Verderben sein. Ihr könnt mich umbringen, aber nach mir werden andere kommen, und nach denen wieder andere. Die Liste der Wartenden ist lang.” Sie lachte auf. ”Ihr könnt nicht gewinnen!” ”Ich glaube, da irrt Ihr Euch, meine Liebe. Ich habe schon gewonnen. Wenn ich erst einmal das Amulett von Euch erhalten habe, hält mich nichts mehr davon ab, Euch qualvoll sterben zu lassen.” ”Dann rate ich Euch, bringen wir es hinter uns. Ich besitze diese Ding nicht mehr. Was immer ihr damit vor hattet, es ist verloren, und ich kann es auch nicht wieder beschaffen.” ”Ihr lügt!” ”So, tue ich das?” Fedora lachte abermals, erst leise, dann immer lauter. Das konnte nicht sein. Mamercus sah die Frau ungläubig an, dann krallte sich seine Hand in ihre Haare und er bog ihren Kopf nach hinten. ”Ich glaube Euch kein Wort!” ”Es tut mir leid, aber es ist die Wahrheit”, erwiderte die Frau erschöpft. Mamercus schrie und ließ sie abrupt los. Er schritt nachdenklich um sie herum. ”Nun gut. Dann soll es so sein”, meinte er, nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte. ”Ihr beide schafft sie nach oben. Wir wollen Tizio zeigen, welch erlauchte Persönlichkeit sich in unserer Gesellschaft befindet. Ich komme gleich nach.” \ Langsam bewegten sich die Legionäre durch die Gassen der Stadt. Fedora stolperte mehr hinter dem Hoendis her, als das sie ging. Ihr Bein und ihre Schulter schmerzten unablässig. Ihre Hände hatte man mit Eisenringen hinter ihrem Rükken zusammengebunden, ihre Füße stekkten auch in Eisenringen, welche ihr durch die kurze Kette nur wenig Bewegungsspielraum ließen. Eine Eisenkette war um ihren Bauch geschlungen, dessen anderes Ende Mamercus in seiner Hand hielt, welcher stolz und aufrecht auf seinem Pferd saß und auf den Markplatz zuritt. \ ”Qaom’de!” Aufgeregt stürmte ein Diener in die Gemächer seines Herren. ”Die Stadt ist in Aufruhr. Es wird berichtet, das ein Gefangener aus dem Widerstand auf den Marktplatz geführt wird.” Parz reichte das Kind, mit welchem er bis eben noch gespielt hatte, an die Amme zurück. Er ergriff den Arm seiner Frau und verschwand, ohne ein Wort gesagt zu haben, aus dem Zimmer. Laut dröhnte die Stimme von Mamercus über den inzwischen voll gefüllten Marktplatz. ”Bürger Tizios! Dem Imperium ist ein schwerer Schlag gegen den Widerstand gelungen. Uns ist nicht nur die per Steckbrief gesuchte Agia in die Hände gefallen ...!” Bei diesen Worten zog er an der Kette und Fedora stolperte ein Stück in seine Richtung. ” ... Gleichzeitig ist es uns gelungen, diesen Verbrecher, der sich die ‘violette Lilie‘ schimpft, ebenfalls zu ergreifen! Jene ‘Lilie‘, welche auf besonders bestialische Art und Weise reichstreue Bürger und Angehörige des Militärs hingeschlachtet hat!” Mamercus machte eine kurze Pause und sah in die erstaunten Gesichter der Leute. ”Die Rebellin, welche uns unter dem Namen der Agia bekannt ist und die ‘Lilie‘ sind ein und dieselbe Person. In Kürze schon wird ihre Hinrichtung stattfinHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 12 den, auf daß endlich wieder Frieden einkehrt. In diesem Zusammenhang gebe ich eine Proklamation bekannt!” Mamercus zog ein Pergament unter seiner Kleidung hervor. Stimmengewirr schwoll nach dieser Nachricht an. Rufe wurden laut, die unter Zustimmung eine baldige Hinrichtung forderten. Vereinzelt hörte man Kinderweinen. Mamercus hob gebieterisch seine Rechte Hand und jedes Geräusch erstarb. ”In Anbetracht der Situation, in der sich die Priesterschaften durch das üble Beispiel der Agia befinden und da es nicht ausgeschlossen ist, das einige sich berufen sehen, diesem schändlichem Irrbild zu folgen, ist mit sofortiger Wirkung die Anbetung jeglicher Gottheit in Tizio und in der Provinz Tizio verboten und strengstens untersagt! Es dürfen ab sofort keine religiösen Tätigkeiten, egal welcher Natur, mehr ausgeübt werden. Die Tempel werden erneut, bis auf weiteres, geschlossen. Zuwiderhandlungen werden mit dem sofortigen Tod bestraft. Diese Anordnung gilt so lange, bis der Protector über den Fortbestand der hiesigen Priesterschaften geurteilt hat! Desweiteren wird bis zur Hinrichtung der ‘Lilie‘ eine erneute nächtliche Ausgangssperre verhängt, welche von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang gilt! Personen, welche sich während dieser Zeit auf den Straßen Tizios aufhalten, werden sofort in Gewahrsam genommen und müssen mit einem Prozeß rechnen! Ebenso sind die Feierlichkeiten der nun kommenden Festtage außer Kraft gesetzt. Die Curie wird weiter geschlossen bleiben! Jegliche Belange der Stadt liegen weiterhin in den Händen des Militärs! Diese Anordnung gilt solange, bis sich die Lage in Tizio beruhigt hat und alle Mitverschwörer und Rebellen gefaßt und verurteilt wurden!” ‘Mach es nicht‘, hörte sie. ”Dies ist eine Lüge!” schrie Fedora. ”Ihr schweigt!” Mamercus Peitsche knallte auf Fedoras Körper. Heiß brannte sich der Hieb in ihr Fleisch. Haßerfüllt sah sie ihn an. ”Hier.” Er überreichte das Schriftstück einem Olan. ”Hängt es an die nächste Wand.” Die Bewohner der Stadt waren wie gelähmt, kein Ton kam über ihre Lippen. ”Damit schürt Ihr noch größeren Unfrieden”, knurrte Fedora durch ihre zusammengebissenen Zähne. ‘Halt den Mund‘, warnte die Stimme leise. ”Wer sollte sich schon dafür interessieren, was ein Feind des Staates zu sagen hat? Und nun schweigt endlich!!!” Er ritt näher an die Frau heran und versetzte ihr einen kräftigen Tritt in den Rücken. Dieser brachte Fedora aus dem Gleichgewicht und sie fiel auf den staubigen Boden. Ihr Atem ging schwer, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt, immer wieder tanzen weiße Funken vor ihren Augen. ”Ihr seid ein kleiner Bastard!” schrie sie. ‘Nein! Nein!‘ ”Denkt Ihr wirklich, Ihr könnt die Freiheit dieses Landes mit Füssen treten? Glaubt Ihr, daß sich aus dem Staub niemand erheben wird, um Euch aufzuhalten?” Fedoras Stimme war weithin zu hören. ‘Zu spät‘, meinte die Stimme resigniert. Mamercus gab einem der Olan ein Zeichen. Mit einem breiten Grinsen ging dieser langsam auf die am Boden hockende Person zu und versetzte ihr einen Fußtritt in den Magen. Fedora krümmte sich stöhnend zusammen. ”Ist dies alles was Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 13 Ihr könnt?” zischte sie, wobei Speichel und Blut aus ihrem Mund tropfte. ”Eure Macht liegt allein in Eurer Brutalität! Aber die kann Euch auch nicht retten!” Die Menge schwieg. Kein zustimmendes Gegröle auf die Reaktion des Olan oder auf die bissigen Worte der Frau waren zu vernehmen. Abermals nickte Mamercus dem Olan zu und ein erneuter Tritt beförderte Fedora ein Stück über den Marktplatz. ”Hurensohn”, zischte die Frau. Langsam ging der Olan auf sie zu, hob sie hoch und schlug ihr ins Gesicht. Ihre Lippe sprang erneut auf und Blut floß an ihrem Kinn herunter. Außerdem war ihre Schulterwunde aufgeplatzt und durchnäßte das Hemd an dieser Stelle wieder dunkelrot. Taumelnd stolperte Fedora nach hinten, wurde jedoch von dem Olan am umfallen gehindert. Wie eine Puppe hing sie an seinem Arm. \ Marzella stöhnte leise auf. Ihre Augen tasteten sich durch die Menge und blieben an der Schamanin Naim haften. Diese schüttelte kaum merklich, dennoch eindringlich ihren Kopf. ”Ihr werdet Eure Herrin sofort nach Hause bringen”, flüsterte Medaz seinen Begleitern zu. Seine Stimme war ruhig, in seinem Inneren sah es allerdings anders aus. Sein Magen verkrampfte sich bei jedem Schlag, der Fedora zugefügt wurde. Sie sah furchtbar aus, und ihn wunderte es, das der D’ascas seine Zustimmung zu diesem grauenhaften Schauspiel gegeben hatte. ”Parz.” Marzella rückte dichter an ihren Mann heran. ”Ich muß dir etwas sagen ...” ”Später, meine Liebe. Bitte geh nach Hause.” ”Aber ...” sagte sie. ”Bitte tue was ich dir sage.” Er küßte sie flüchtig auf den Mund und lächelte ihr dann zu. ”Geh. Ich komme bald nach. Mach dir keine Sorgen.” Seine Augen waren voller Liebe, als er zu ihr hinunter blickte. \ Arnoldos Hand verkrampfte sich. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Zum Glück hatte er mit Hilfe Gaetanos die Priesterinnen aus der Stadt schleusen können. Estrelle spürte, was in ihm vorging, und betrachtete in flehend. Aus ihrem Blick sprachen Bände. Ohne, daß ein Ton ihre Lippen verließ, erkannte Arnoldo, was sie ihm sagen wollte. ‘Tue nichts unüberlegtes. Dies ist genau das, wovor Fedora immer Angst hatte.‘ Liebevoll umschlang seine Hand die ihre. \ ”Quint, was macht Ihr?” Der Angesprochene wurde am Arm zurückgehalten. ”Seid Ihr wahnsinnig? Wenn Ihr nun dort runter geht, ist alles verloren.” Quint blieb stehen. Er hätte der Agia vertrauen sollen, dann wäre es mit Sicherheit nie soweit gekommen. Die Nachricht, daß sie sowohl im Widerstand war, als auch die ‘Lilie‘ erschütterte den alten Mann mehr, als andere sehen konnten. Warum hatte er der Frau nicht einfach vertraut? Vielleicht wäre unter ihrer Führung der Widerstand der Priester viel einfacher gewesen? Statt dessen hatten sie aneinander vorbei gearbeitet. Er hätte sie lenken können, ihr so Beistand gegeben. Aber er hatte sich von ihr abgewandt. Hilflos stand er da. Wenn sie starb, war es seine Schuld. \ Carlos Vottorio Salvatore il Rabbacca di Tulgari, der Flinke, Vetter von Hector Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 14 Vincenzo Manuel il Rabbacca di Tulgari, dem Jüngeren 3 , zog sich unerkannt aus der dichtgedrängten Menschenmasse zurück. Er mußte sofort zu seinem Kommandante um ihm von den neusten und sehr beunruhigenden Ereignissen, welche sich in Tizio zugetragen hatten, zu berichten. \ Der Torreòn schäumte vor Wut. Nun war es den Truppen des Imperiums doch vor ihm gelungen, die Agia zu ergreifen. Und er war auch noch ein Bündnis mit diesem Kerl eingegangen. Nun gut, darin sah er weiterhin einen großen Vorteil für sich. Er blickte sich in der Menschenmenge um. Wo ,verflucht noch mal, stekkte Iovanna? Von ihr hatte er seit Tagen weder etwas gehört, geschweige denn, sie gesehen. Der Verlauf der Ereignisse besorgte ihn ein wenig. Aber er wäre nicht schon seit so vielen Jahren der Torreòn, wenn ihm nicht doch noch eine Lösung zu seinem Problem einfallen würde. \ ”Laßt das Messer stecken und folgt mir.” flüsterte Medaz dem Mann ins Ohr. ”Ist es nicht ganz schön gewagt hier aufzutauchen?” Medaz zog den Mann unerkannt aus der Menge heraus, und gemeinsam versteckten sie sich in einem Torbogen. ”Ihr habt mir gar nichts zu sagen.” zischte Gaetano. ”Nun gut, wenn Ihr so denkt.” Er hob seine Hände. ”Bitte, stürzt Euch auf die Legionäre, wenn Ihr glaubt Fedora so helfen zu können.” Sarkasmus war nach wie vor eine von Medaz Stärken. ”Vielleicht wäre es aber auch besser gewesen, Ihr wäret nie von ihrer Seite gewichen, oder?” ”Was wollt Ihr damit andeuten?” 3 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘ Gaetano sah Medaz giftig an. ”Nun, Euer Fortgang hat Fedora den Boden unter den Füßen weggezogen. Meint Ihr nicht, ein Gespräch in Ruhe hätte einiges klären können? Ohne Euren Halt ist sie ja förmlich durchgedreht. Seht an, wo es sie hingebracht hat.” ”Sie hat sich Euch anvertraut?” fragte Gaetano erstaunt. ”Natürlich.” meinte Medaz knapp. ”Versucht nicht, mir die Schuld für das, was geschehen ist, zuzuschieben. Was habt Ihr denn bis jetzt für sie getan? Wart Ihr es nicht, welcher ihr andauernd Steine in den Weg gelegt hat?” Trotz dieser Worte sah Gaetano beschämt auf den Boden. Ein Schrei ließ die Köpfe der Männer hochfahren. Sie sahen gerade noch, wie Fedora auf den Boden stürzte, über ihr stand Wutschnaubend dieser Mamercus. Gaetano griff sich instinktiv an sein Messer. ”Ich werde ihn ...” ”Ihr werdet gar nichts. Auf jeden Fall nicht im Moment. Wir müssen genau überlegen, wie wir nun handeln wollen, uns einen Plan zurechtlegen und dann zuschlagen.” \ Kleine Blitze tanzten vor Fedora auf und ab. Schweiß rann ihr in die Augen und behinderte so ihre Sicht. Hätte sie doch den Mund gehalten, aber es war geradezu befreiend, diesen Legionär öffentlich in Rage zu versetzen. Der Hoendis hatte Fedora den Rücken zugedreht und sah in die betroffenen Gesichter der gaffenden Menge. ”So wird es jedem ergehen, der sich den Wünschen des MAGHANS und den Anordnungen des Militärs widersetzt! Schaut genau hin und überlegt, auf welcher Seite ihr stehen wollt! Schafft diesen Abschaum zurück zur Kaserne!” befahl Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 15 Mamercus seinen Männern. Zwei von ihnen hoben die inzwischen bewußtlose Frau auf und schleiften sie über die Straße. Der Rest bestieg seine Reittiere und setzte sich in Bewegung. Langsam löste sich die versammelte Menge auf. An allen Ecken wurde über die neuste Entwicklung in dieser Stadt gesprochen. ”Ich möchte, das die Gefangene im Innenhof angebunden wird!” brüllte Mamercus, als sie durch das Kasernentor ritten. ”Und jemand soll Porcius holen. Er wird benötigt!” \ Als sich Marzella auf dem Heimweg befand, lief ihr Sebastian über den Weg, welcher sich nur mühsam sein siegessicheres Grinsen verkneifen konnte. Zwar war Medaz immer noch auf freiem Fuß, aber dies würde sich sehr schnell ändern. ”Sebastian!” rief Marzella. ”Ich habe mit dir zu reden. Laßt uns allein”, meinte sie gebieterisch zu ihren Begleitern. Ohne den Mann zu Wort kommen zu lassen, sprach sie mit ruhigem, aber energischen Ton zu ihm. ”Ich warne dich Sebastian. Hüte dich davor, mein Glück zu zerstören.” ”Aber ...” ” ... was? Denkst du, ich wüßte nichts von deinen Absichten? Glaubst du wirklich, ich wäre so blind? Höre mir gut zu. Ich liebe dich nicht. Und werde dies auch nie. Meine Liebe gehört einzig und allein meinem Mann und meiner Tochter. Sollte ihnen etwas zustoßen, werde ich dich mit meinen eigenen Händen umbringen! Du kannst froh sein, das ich dir nicht den Schutz unseres Hauses und unsere Farben entziehe!” wütend sah sie Sebastian an. Wie konnte sie nur ahnen, daß er für die Ergreifung dieser Frau verantwortlich war? Was hatte ihn verraten? Als die Worte Marzellas sich vorarbeiteten und er endlich begriff, was sie meinte, brach für ihn eine Welt zusammen. Er hatte gedacht, Marzella wäre froh darüber, wenn ihre Widersacherin aus dem Weg geräumt würde. Sebastian wollte etwas sagen, aber Marzella ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. ”Achte von nun an darauf, an nichts anderes zu denken, als wie du deine Familie ehren kannst. Und nun geh mir aus den Augen, damit ich deine schändliche Tat vergesse.” \ ”Bei den Göttern! Laßt die Frau sofort in den Krankenraum bringen.” Porcius Nerva war entsetzt über das Bild, welches sich ihm bot. ”Das habt Ihr nicht zu Befehlen. Sorgt dafür, daß das Weib wach und vorerst noch bei Kräften bleibt, alles andere soll nicht Eure Sorge sein.” ”Ihr werdet sie umbringen ...” ”Ihr wiederholt Euch. Führt Eure Befehle aus, ansonsten .... Ich kann gut auf Euch verzichten. Wie Euch bekannt sein dürfte, gibt es noch mehr Heiler in dieser Stadt.” Mamercus reagierte wie immer eiskalt und berechnend. Der Medicus öffnete nach einigem zögern seinen Lederbeutel und mischte verschiedene Flüssigkeiten zusammen. Das Ergebnis hielt er dem Hoendis entgegen. ”Ihr seht, es geht doch.” Mamercus ließ es sich nicht nehmen, auch diesmal Fedora das Mittel eigenhändig einzuflößen. Gewaltsam bog er ihren Kopf nach hinten und zwängte ihr die Öffnung der Ampulle zwischen die Lippen. Achtlos ließ er das leere Gefäß fallen und wendete sich zum gehen. ”Laßt mich rufen, wenn sie erwacht!” Danach verschwand er im Gebäude. \ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 16 Die Luft in dem Raum war schneidend. Niemand wagte es, als erster das Wort zu ergreifen. Geschäftig plazierte Gioconda einige Tassen und Gläser auf den Tisch. Gaetano und Medaz blickten bedrückt zu Boden. ”Aber ...” meinte Marzella, ”wir müssen doch etwas unternehmen ...” Medaz legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm. ”Das werden wir auch ...”, beschwichtigte er sie. ”Ich .... ich habe hier einen Brief von Fedora.” Alle blickten auf Arnoldo. Langsam zog er das Pergament aus seiner Jackentasche. ”Sie gab ihn mir einige Tage, bevor sie gefaßt wurde.” Er geriet ins Stocken. ”‘Für alle Fälle‘ hatte sie gemeint ... Als hätte sie geahnt, was mit ihr passieren wird.” Die Anwesenden sahen sich betroffen an. ”Nun, was steht darin?” wollte Gioconda wissen. Umständlich öffnete Arnoldo den Brief, wobei die Anderen den Eindruck gewannen, daß er gar nicht wissen wollte, was darin geschrieben stand. Arnoldo atmete noch einmal tief durch und las dann laut vor. Meine lieben Freunde, für den Fall, daß mich das Imperium ergreifen sollte, gebe ich Euch folgenden Befehl: Unternehmt nichts, um mich zu befreien. Die Interessen des Landes und seiner Bewohner stehen an erster Stelle. Auf einzelne Personen kann und muß im Zweifelsfalle verzichtet werden. Ich bitte Euch inständig, so weiter zu machen, wie bisher. Und verliert Euch nicht in unnötigen Befreiungsversuchen. Ich hoffe, Ihr werdet nur dieses eine Mal auf mich hören, und Euch nicht über meine Wünsche hinwegsetzen. Arnoldo, dir bürde ich die Last auf, von nun an als Lilie aufzutreten. Wir werden uns unter keinen Umständen unterkriegen lassen. Kämpft unter der Flagge der ‘Lilie‘ und dem der ‘Hydra‘ für ein befreites und geeinigtes Xiduria. Zeigt den Legionären, aus welchem Holz Ihr geschnitzt seid. Euch stehen starke Verbündete zur Seite, die sich Euch zu erkennen geben, wenn die Zeit dazu bereit ist. Ich werde immer an Euch und an die Sache denken. Alle meine guten Wünsche und Hoffnungen werden Euch stets begleiten. Handelt klug und weise, so wie Ihr es bisher immer getan habt, und laßt Euch nicht dazu verleiten, blind und überstürzt zu reagieren. Möge Euch das Licht auf all Euren Wegen und bei all Euren Taten hilfreich zur Seite stehen. Fedora ”Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann”, unterbrach Medaz die wiederkehrende, bedrückende Stille. ”Aber ... wie?” ”Ganz einfach. Ich werde Morgen in die Kaserne gehen.” \ ”Hoendis, der Qaom’de Medaz wünscht Euch zu sprechen.” ”Führe ihn herein.” antwortete MamerHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 17 cus geistesabwesend. Der Olan trat einen Schritt zur Seite und ließ den Besucher eintreten. ”Seid gegrüßt, Mamercus.” Medaz ging auf den Hoendis zu und reichte ihm seine Hand. ”Was führt Euch zu mir, mein lieber Medaz?” ”Sollten nicht alle reichstreuen Bürger hier Schlange stehen, um sich bei den tapferen Olan des Imperiums zu bedanken, das es ihnen gelungen ist, den Rebell zu ergreifen, welcher seit Monaten das Land in Atem hielt und seine Bewohner in Angst und Schrecken versetzte?” Medaz zeigte sein schönstes Lächeln und verbeugte sich leicht vor dem Hoendis. ”Ich denke doch, daß in kürze mit dem Ende des Widerstandes zu rechnen ist und alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt. In diesen unruhigen Zeiten ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher.” ”Dies hofft das Reich auch, mein lieber Medaz.” Gemeinsam gingen sie an ein Fenster. ”Seht,” Mamercus zeigte nach draußen. ”Wir unternehmen alles, um an Informationen zu gelangen, damit wir den Widerstand ergreifen und zertreten können.” Mamercus Augen hatten sich auf einen Schlag verdunkelt, seine Stimme klang eisig. Medaz Innerstes verkrampfte sich bei dem Anblick, welcher sich ihm bot. Diese Schweine hatten Fedora in die pralle Sonne gebunden. Sie sah noch fürchterlicher aus, als auf dem Marktplatz. Ihr Hemd hing in Fetzen von ihrem Körper, welcher über und über von Wunden gezeichnet war. Ihre Beine hatten wohl schon vor längerem ihren Dienst versagt, und wie leblos hing sie an den Ketten. Neben ihr konnte er eine Feuerschale erkennen, in der Eisenstangen vor sich hin glühten. ”Ist sie ...?” ”Nein. Ich sorge schon dafür, das sie mir erst noch ein paar Dinge verrät, bevor der Tod ihre Erlösung sein darf.” sagte Mamercus. Medaz hob seine Augen und erkundete den Rest der Kaserne. Überall konnte er lauernde Olan erkennen. Zwar machte es nach außen nicht den Anschein, aber hier wartete man augenscheinlich nur darauf, das jemand versuchen würde, die ‘Lilie‘ zu befreien. Damit hatte er gerechnet, aber nicht mit solch einer Übermacht. ‘Fedora, das hast du gewußt‘, dachte Medaz. Es klopfte an der Tür, und beide Männer wandten sich um. ”Herein!” rief Mamercus. Ein Olan erschien und überreichte dem Hoendis eine kleine Amphore. ”Hier ist das Serum, Hoendis.” Er salutierte kurz und verließ den Raum. ”Leider erwarten mich nun dringende Pflichten. Kommt und begleitet mich nach draußen”, meinte Mamercus. Auf dem Innenhof angekommen, sah sich Medaz noch einmal unauffällig um. Auch was er von hier unten bemerkte, gefiel ihm keineswegs. ”Ich denke, wir sehen uns bei der Hinrichtung dieses Weibes wieder.” Mamercus reichte Medaz zum Abschied seine Hand. ”Ja, das werden wir.” Noch immer hielt der Hoendis die Hand fest. ”Sagt, wie geht es Eurer Schulter?” fragte er völlig unvermittelt. ”Danke, gut. Wir haben hervorragende Heiler in Tizio.” ”Ja,” grinste Mamercus. ”die haben wir hier, in der Tat.” ”Ihr seid von Euren Wunden ja auch wieder vollkommen genesen, wie ich zu behaupten wage.” ”Allem Anschein nach hatten die Rebellen nicht vor, uns zu töten, nicht wahr? Welch glücklicher Umstand für Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 18 uns beide.” Mamercus ließ Medaz los und spielte geistesabwesend mit der Amphore. ”Nun müßt ihr mich aber entschuldigen, ich habe noch einiges zu erledigen. Ich danke Euch für Eure Glückwünsche zur Ergreifung dieses Weibes. In diesen schweren Zeiten ist es schön, zu wissen, wer zu einem steht.” Langsam ging Medaz auf das Tor zu, blieb noch einmal zögernd stehen und blickte sich kurz um. Mamercus stand mittlerweile bei Fedora und verabreichte ihr den Inhalt der Amphore. Kurz darauf schlug ihr der Hoendis ins Gesicht. Medaz ballte seine Hände zu Fäusten. ‘Du wirst für alles bezahlen, was du ihr angetan hast‘, schwor er sich. \ Leise schlichen zwei Maskierte Männer auf das Zelt des D’ascas zu. Im Lager der Legionäre war alles friedlich, die Wachen hatten sie nicht entdeckt. Conius wachte auf, als man ihm die Spitze eines Schwertes gegen die Kehle drückte. ”Keinen Laut, verstanden.” zischte ihm eine maskierte Gestalt zu. ”Hört einfach nur gut zu. Wir wollen doch unnötiges Blutvergießen vermeiden.” Der D’ascas nickte, zum Zeichen, das er verstanden hatte. ”Gut. Ich wußte, Ihr würdet vernünftig sein.” Der Mann hielt kurz inne, dann fuhr er leise fort. ”Gestatten,” er deutet eine Verbeugung an. ” wir sind eine Abordnung der ‘Lilie‘.” Dabei zeigte er auf einen zweiten Mann, welcher am Eingang des Zeltes Posten bezogen hatte. ”Aber ...?” ”... Ihr dachtet, mit der Gefangennahme der ‘Lilie‘ würde es uns nicht mehr geben? Ihr enttäuscht mich. Aber wir haben keine Zeit zum Philosophieren. Ihr rennt direkt in eine Falle des Torreòn und Eures geliebten Hoendis Mamercus. Die Nachricht, sofort in Dithorno zu erscheinen ist eine Fälschung.” ”Ihr lügt ...” ”Ich habe Dir gesagt, das er zu stur ist, um die Wahrheit zu begreifen.” meinte der Mann, an seinen Gefährten gerichtet. Dieser zuckte nur mit der Schulter. ”Hier habe ich eine Nachricht, welche Mamercus an diese Torreòn schicken wollte. Erkennt Ihr die Schrift?” Er hielt sie näher an eine Kerze heran. ”Eine gelungene Fälschung ...” ”Ja Sicher. Verdammt, wenn Ihr nicht auf uns hört, wird es Euer verderben sein. Gegen einen Hinterhalt habt Ihr doch überhaupt keine Chance ...” ”Warum sollte Mamercus sich mit dem Torreòn verbünden?” ”Weil er Euren Posten haben möchte, das ist doch wirklich nicht so ...” Er hob resigniert seine freie Hand. ”Sind eigentlich alle Legionäre so schwer von Begriff?” ”Warum warnt Ihr mich? Sollte es nicht in Eurem eigenen Interesse liegen, daß ich beseitigt werde?” ”Nun, dies ist in der Tat eine reizvolle Vorstellung, und Euer Einwand ist nicht von der Hand zu weisen ...” Ein ungeduldiges Schnaufen unterbrach seinen Redeschwall. Sein Gefährte sah mehr als ärgerlich zu ihm hinüber. ”Ja, ist schon gut. Also. Unsere Gründe haben Euch nicht zu interessieren. Hört auf die Warnung, oder laßt es bleiben. Ganz wie es Euch beliebt. Aber ... unter allen Umständen solltet Ihr zuerst so schnell wie möglich nach Tizio zurückkehren. Ach ja.” Er deutete auf den Boden. ”Hier haben wir ein kleines Paket für Euch. Den Boten. Vielleicht Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 19 schenkt Ihr dem ja mehr Glauben. Und nun, meine Empfehlung.” Der Mann machte Anstalten, den D’ascas ins Land der Träume zu befördern. ”Wartet. Warum warnt Ihr mich nur, wo Ihr mich doch anscheinend ohne große Schwierigkeiten als Geisel nehmen könnt? Schließlich befindet sich die ‘Lilie‘ in meiner Gewalt.” ”Falsch. Sie ist in den Händen von Mamercus. Und glaubt Ihr wirklich, er würde sie gegen Euch austauschen? Wo er doch gerade dabei ist, sich Euch vom Hals zu schaffen und die ‘Lilie‘ zu Tode foltert.” \ ”Zum letzten Mal. Gebt mir was ich verlange, oder ...!” ”Oder was?” seufzte Fedora. ”Es gibt nichts, was ihr mir noch antun könntet ...” Erschöpft von den langen Folterungen des Hoendis hing Fedora zwischen den beiden Pfählen. ”Wirklich nicht?” Der Mund des Mannes verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. ”Das Beste hebe ich mir immer für den Schluß auf.” Er ging auf einen Olan zu und erteilte diesem einige Befehle, dann kam er zurück und wartete. Ängstlich erschienen die Priesterinnen auf dem Hof und sahen sich irritiert um, bis sie schließlich die Agia erkannten und auf die Frau zustürzen wollten, jedoch wurden sie von den Olan daran gehindert. ”Nein,” flehte Fedora. ”Laßt sie in Ruhe, sie haben nie jemandem etwas angetan ...” ”Das hängt von Euch ab. Wo ist das Amulett?” Mamercus griff sich eine der Frauen, und zusammen gingen sie näher an die Gefangene heran. ”Bitte, Agia. Was immer man von Euch verlangt ... gebt es ihnen”, bettelte Iovanna. Der griff an ihrem Arm verstärkte sich, als sie Anstalten machte, sich loszureißen. ”Ihr solltet auf diese junge Dame hören.” ”Nehmt Eure dreckigen Hände von ihr!” schrie Fedora. Sie riß an den Fesseln, als könne sie sich damit daraus befreien. Mamercus war mehr als belustigt. ”Wußtet Ihr eigentlich, das einige Eurer Priesterinnen keine Jungfrauen waren?” Er lachte laut los, als er in das betroffenen Gesicht Fedoras blickte. ”Also, ich warte!” ”Ich habe es nicht,” meinte die Frau leise und schüttelte ihren Kopf. ”Ich habe es .....” Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als sie sah, wie sich eine Schwertspitze durch Iovannas Brust schob und das weiße Kleid dunkelrot verfärbte. ”Nein!!!” schrie Fedora. ”Das waren acht Wörter. Also bringt noch sieben von ihnen um,” befahl Mamercus seinen Männern. ”Hört auf!” brüllte Fedora. ”Ich bitte Euch ...” ”Noch weitere fünf.” ertönte die Stimme des Hoendis. Fedoras Magen verkrampfte sich, als sie die toten Frauen vor sich sah und sie begann zu weinen. ‘Komm,‘ meinte eine Stimme. ‘Nur ein kleiner Feuerball, was ist schon dabei?‘ ‘Laß mich.‘ Fedora kämpfte mit sich. ‘Aber dann ist Ruhe. Sie haben es nicht besser verdient ...‘ ‘Ich habe es geschworen. Nie wieder.‘ ‘Nie?‘ ‘Nie!‘ Mamercus stand mittlerweile dicht vor seiner Gefangenen. ”Eure Kore war aber noch eine Jungfrau.” flüsterte er, ”Bei ihr Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 20 hat es besonders viel Spaß gemacht.” dann lachte er lauthals los. ”Nein!” schrie Fedora und zerrte erneut an ihren Fesseln. ‘Nicht Kore‘ Sie schien innerlich zusammenzubrechen. Fedora sah auf die grinsende Fratze des Hoendis, sah die Leichen der Priesterinnen und die noch lebenden, welche sich ängstlich in die Arme genommen hatten, und beobachtete das selbstgefällige Gehabe der übrigen Olan. Ihr Atem ging schwer und sie schloß für einen Augenblick ihre Augen. ‘Das habe ich nie gewollt.‘ ”Ich werde Euch zu ihm bringen.” meinte Fedora unvermittelt. ”Bitte?” fragte Mamercus. Die Frau öffnete ihre müden Augen. ”Ich werde Euch zu der Stelle bringen, an dem sich das Amulett befindet.” Der Hoendis grinste siegessicher. Endlich hatte er einen Weg gefunden, in das Innere dieses Weibes vorzudringen. Ja, sie litt. Ihr Herz mußte wirklich sehr an den Frauen hängen. Aber dies war nur ein Teil dessen, was er ihr zurückgeben wollte. Er war noch lange nicht mit ihr fertig. ”Wir müssen aus der Stadt heraus. Hier befindet es sich nicht.” meinte Fedora leise. ”Es ist ... in der Nähe von Colpeque.” In weniger als einer Stunde könnten sie dort sein. ”Bindet sie los und macht die Pferde bereit!” befahl Mamercus. ”Jetzt?” fragte ihn einer der Olan. ”Es wird bald dunkel ...” ”Habt ihr etwas an meinem Befehl nicht verstanden?” brüllte ihn Mamercus an. Niemand achtete für einen Augenblick auf die Gefangene. Fedora brach sofort zusammen, nachdem sie nichts mehr in die Höhe zog. Sie holte ein paar mal tief Luft, bevor sie sich langsam an die Leichen der Frauen heranzog. Behutsam nahm sie das Gesicht von Iovanna in ihre Hände und streichelte sanft darüber, bevor sie sich den Kopf der Frau an die Brust drückte und langsam mit ihrem Oberkörper hin und her schaukelte. Tränen liefen ihr dabei über das Gesicht. ”Holt sie da weg!” rief Mamercus. Ein Olan kam näher und wollte Fedora fortziehen. Sie schlug nach seinen Händen. Er beugte sich zu ihr hinunter und sie griff instinktiv nach seinem Messer. Der Olan sank sofort zusammen als sie ihm die Klinge durch den Hals bohrte. Ein anderer eilte ihm zu Hilfe und schlug mit einer Fackel nach dem Gesicht der Frau. ”Hört auf!” Der Hoendis eilte verärgert näher. ”Halt!” tönte es donnernd über den Hof. Ohne, daß Mamercus oder seine Männer im Hof etwas davon mitbekommen hatten, war der D’ascas in die Stadt zurückgekehrt. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, die Wut war deutlich von ihm abzulesen. Conius verschaffte sich einen schnellen Überblick der Lage. In der Mitte des Hofes lagen die getöteten Priesterinnen. Davor hockte eine jammernde Gestalt, einige Olan standen um sie herum. Der D‘ascas ritt näher an Mamercus heran und stieg vom Pferd. Der Hoendis versuchte seine Überraschung zu verbergen. Was war hier schief gelaufen? Sollte dieser Kerl nicht tot sein? ”Ihr seid schon zurück? Welch freudige Überraschung.” Ohne zu Antworten, schlug ihm Conius ins Gesicht. Mamercus drehte sich durch die Wucht des Schlages um seine eigene Achse und fiel in den Staub. Conius pakkte ihn unsanft am Kragen, zerrte ihn hoch und verpaßte ihm einen erneuten Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 21 Schlag. Ehe Mamercus wieder stürzte, setzte der D’ascas einen Faustschlag hinterher. Keuchend kippte Mamercus um und mit geballten Fäusten stand der D‘ascas über ihm. ”Führt diesen Verräter ab. Und seine Handlanger ebenfalls.” brüllte er seinen Leuten zu. ”Ich möchte, daß dieser Abschaum aus meinen Augen verschwindet. SOFORT!!!” Er drehte sich um. ”Conius, wartet ...” stammelte Mamercus, dabei hob er seinen Oberkörper und streckte flehend seine Hand aus. ”Für Euch immer noch D’ascas Corvin!” Conius wirbelte herum und verpaßte dem Hoendis einen letzten Schlag. ”Schafft ihn endlich fort!” Mit schnellen Schritten hatte der D’ascas Fedora erreicht und blieb wie angewurzelt stehen. ”Bei den Göttern!” rief er entsetzt. Fedoras Körper, welcher von Blutergüssen und Hieben übersät war, zuckte immer wieder zusammen. Er kniete sich neben die auf dem Boden liegende Frau und führte seinen Arm unter ihren Kopf hindurch, um diesen leicht anzuheben, wobei sie wieder anfing zu schreien. ”Holt den Medicus. Beeilung!” ‘Was hat sich Mamercus bloß dabei gedacht?‘ Corvin schüttelte seinen Kopf. \ Fedora fühlte sich so leicht. Alle Ängste und jeden Schmerz hatte sie hinter sich gelassen. ‘Meine kleine süße Fiona. Zu gerne hätte ich dich noch einmal in meinen Armen gehalten, aber ich denke, dieser Wunsch wird mir nicht mehr erfüllt. Verzeih mir bitte mein Versagen. Ich liebe dich.‘ Bald hatte sie es geschafft. Für einen kurzen Augenblick eröffnete sich für Fedora die ganze verworrene Welt dessen, welches man Leben nennt. Alle Fragen schienen sich von selbst zu beantworten. Endlich drangen die wissenden Stimmen zu ihr durch, doch leider zu spät. Fedora hatte sie seit Monaten erfolgreich ignoriert und betäubt. War es wirklich so einfach gewesen? ‘Ja, das war es!‘ Das Licht, welches Fedora sah, war sehr verlockend. Freudig ging sie darauf zu und zärtlich umschloß es sie bei jedem weiteren Schritt mehr und mehr. Wie ein schützender Mantel hatte es sich um sie gelegt und führte sie weg von diesem schrecklichen Ort. Leichtfüßig folgte sie ihm. Es war, als wurde sie von dem Licht getragen, alle Last war von ihr gefallen. Sie spürte nur noch die einladende Wärme und eine herzzersprengende Geborgenheit. ‘Komm‘ rief eine Stimme einladend. ‘Komm‘ Ja, sie ging. Weiter und weiter, leichtfüßig, ohne zu zögern. Sie würde alles hinter sich lassen. Keine Zweifel mehr, kein Kämpfen, nie wieder um Freunde bangen. Keine Stimmen, die einen um den Verstand brachten. Die Verlockung auf einen Aufenthalt in der Umgebung dieses Lichtes war einfach zu stark. ‘Hab keine Angst‘ Nein, die hatte sie nicht. In ihrem Leben war sie noch sie so froh gewesen, wie in diesem Augenblick. Dies hier war nicht mehr ihr Kampf. Mochten ihn andere zu Ende führen, sie würde es jedenfalls nicht. \ Noch einmal atmete Fedora aus, ihre Hand erschlaffte, dann fiel ihr Kopf zur Seite. ”Neeein!!!” rief Conius. Porcius Nerva hatte ihm gerade zu verstehen gegeben, daß die Frau, daß die Agia .... daß Fedora gestorben war.
Mareikje Groß, März 2005 – November 2006 ”Wo wollt Ihr hin, Sebastian?” Bei dieser Frage zuckte der Mann zusammen. Er war so in seine Gedanken vertieft, das er gar nicht mitbekommen hatte, wie Marzella hinter ihm aufgetaucht war. Sebastian hielt inne und drehte sich zu seiner Herrin um. Diese kam die wenigen Stufen der Treppe zu ihm hinauf, welche von der Eingangshalle in die oberhalb gelegenen Arbeits- und Privatgemächer führte. ”Ich habe eine Botschaft für den Qaom’de entgegengenommen und bringe sie nun zu ihm, verehrte Marzella.” meinte er freundlich und verneigte sich dabei leicht. ”Von wem ist sie?” Der Ton in Marzellas Stimme war eiskalt und schneidend. Sebastian zuckte mit den Schultern. ”Das weiß ich nicht, ein Bote brachte sie, ohne etwas dazu zu sagen, Herrin.” Kleine Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. Marzella streckte ihre Hand aus. ”Nun gut, gib sie mir.” ”Aber ...” Mit seinem Blick, der auf einmal sehr unsicher wirkte, schien der junge Mann die Frau zu verzehren. ”Du weißt, das Parz es nicht wünscht, von euch um diese Zeit belästigt zu werden.” Sie zuckte unruhig mit den Fingern. Eine Geste, welche Sebastian eindeutig zeigte, daß er ihr die Nachricht überreichen sollte. Er blickte abwechselnd auf das Pergament und auf Marzella. ‘Mist!‘ Warum war sie aufgetaucht? Bis hierher hatte sein Plan wunderbar funktioniert. Was war es doch für ein glücklicher Tag gewesen, an dem er entdeckte, daß Parz mit der Lilie in Kontakt stand. Nun befand er sich nur noch einen Schritt von der Erfüllung all seiner Wünsche entfernt. Unerkannt hatte er diesem Mamercus von der Legion einen Tipp gegeben, daß ihnen heute Nacht die Lilie ins Netz gehen könnte, und als Zugabe würde es einen Mitverschwörer geben, eine Person von hohem Rang, die in Tizio sehr geachtet war. Die Leute des Imperiums schienen ihm bei der Unterstützung seiner Träume weitaus behilflicher zu sein, als der Torreòn. Wenn Parz erst einmal aus dem Weg geräumt war, würde er sich liebevoll um Marzella kümmern. Er würde schon dafür sorgen, das sie ihren Mann sehr schnell vergaß. ”Was ist mit dir? Ich bringe sie Parz”, unterbrach Marzella herrisch seine Gedanken. ”Aber natürlich.” Sebastian gab der Frau, was sie verlangte, verbeugte sich nochmals leicht und verschwand. Marzella setzte ihren Weg fort, welcher sie nicht in die Gemächer ihres Mannes, sondern in ihre eigenen führte. Leise schloß sie die Tür, ging ans Fenster und betrachtete im Schein einer Kerze immer wieder die Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 3 Zeilen, welche auf dem Pergament zu lesen waren. Wir müssen uns dringend sehen. Kommt heute Nacht zum Brunnen am Marktplatz. Zur Stunde der ‘Nicht schlafenden.‘ L. Sie wußte, von wem die Botschaft vorgab zu sein, aber dies war eindeutig nicht Fedoras Handschrift. Marzella konnte die Gefahr körperlich spüren. Nun fing es also an. Sie betrachtete eine Weile ihr verzerrtes Spiegelbild, welches sich in der Scheibe gebildet hatte, dann sah sie aus dem Fenster hinaus. ‘Oh, Sebastian, wie konntest du nur?‘ Marzella versuchte, ihre zitternden Finger unter Kontrolle zu bekommen. Es gab für sie keinen Zweifel, daß er dahinter steckte. Sebastian hatte den Plan, sie für sich zu gewinnen, noch nicht aufgegeben. Langsam wurde es Zeit, sich intensiv um ihn zu kümmern. Aber im Augenblick gab es erst einmal Wichtigeres zu erledigen. Parz durfte nicht zu diesem Treffen gehen. Sie würde nicht zulassen, das ihr Mann sich dieser Bedrohung aussetzte. Außerdem mußte sie versuchen, Fedora noch rechtzeitig zu warnen, bis Mitternacht war nicht mehr viel Zeit. Die junge Sarinkay schritt auf den Kamin zu und warf das zusammengeknüllte Stück Pergament in die Flammen. Als sie sich umwandte, fuhr sie erschrokken zusammen. Vor ihr stand die alte Schamanin Naim, welche völlig lautlos in ihrem Zim-mer erschienen war. ”Junge Sarinkay”, tadelte Naim ihr Gegenüber, ”du bist noch nicht soweit, um derart in die Geschehnisse eingreifen zu dürfen. Reicht es nicht, daß du dich der Widerstandsbewegung angeschlossen hast, ohne mich vorher um Rat zu Fraugen?" Die Alte schüttelte ihr Haupt. ”Aber Naim, ich kann doch nicht zulassen ...” rief Marzella verzweifelt. ”Doch, das kannst, das mußt du! – Nun, der Brief ist vernichtet. Dein Mann damit gerettet, aber weiter werde ich dich nicht gehen lassen.” Marzella blickte betroffen auf den Boden, so wie ein kleines Kind, welches bei einer Dummheit ertappt wurde. Naim war näher an die junge Sarinkay herangetreten und streichelte ihr sanft über die Wange. ”Mein liebes, törichtes Kind. Du ahnst ja gar nicht, was für Folgen aus deinem Handeln entstehen werden.” Die alte Schamanin schloß ihre Augen, ihre Hand ruhte immer noch auf Marzellas Wange. ”Ich hoffe, du bist dafür bereit.” flüsterte Naim geheimnisvoll. \ Fedora lehnte ungeduldig an einem Torbogen, welcher ihr genügend Schutz bot, um nicht sofort entdeckt zu werden. ‘Nun mach schon, Medaz. Du verspätest dich doch sonst nie.‘ Was konnte nur so wichtig sein, daß er sie so plötzlich hierher bestellte? Fedora spähte vorsichtig in die Dunkelheit. Der Marktplatz lag menschenleer vor ihr, kein großes Wunder zu dieser Zeit, dennoch für Tizios Verhältnisse etwas zu außergewöhnlich. Noch nicht einmal eine Spur der Yop’yoqus, welche sich sonst hier herumtrieben, war zu erkennen. Wieder stieg dieses unangenehme Gefühl in ihr hoch. Als sie zum wiederholten Male in die Dunkelheit späte, sah sie etwas kurz aufblitzen. Es dauerte ein wenig, bis der Frau dämmerte, was hier vor sich ging. ‘Eine Falle! Maldito! Das hätte ich ahnen können.‘ Sie tastete hinter ihrem Rücken nach Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 4 dem Riegel des Tores, aber es war verschlossen. Da blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie löste sich aus dem Schatten und rannte so schnell sie konnte ein Stück über den Markplatz. Voller Schwung sprang sie zuerst auf den Rand des Brunnens, stieß sich ab und zog sich an der dahinter liegenden Mauer hoch. Dort ging der Fluchtweg für sie nicht weiter. Hinter sich vernahm sie einen lauten Pfiff, gleich darauf traten Gestalten aus dem Schutz der Häuser und eilten geschäftig auf sie zu. Befehle ertönten über den Platz. Bogenschützen tauchten auf den Dächern auf, es wimmelte plötzlich nur so von Legionären. ”Bleibt stehen! Ihr habt keine Chance, zu entkommen!” rief ihr der D’ascas zu. Fedora grinste, und ohne zu zögern, lief sie leicht geduckt über die Mauer. Pfeile flogen an ihr vorbei. ”Hinterher! Vorauf wartet Ihr noch!” So schnell sie konnte, hastete Fedora auf den Steinen entlang, bis vor ihr eine Häuserfront auftauchte. Ohne Mühe gelang es ihr, sich auf eines der Dächer hochzuziehen. Sie sah sich um, konnte hier aber keine Olan entdecken. Nun lief sie flink über die Dachziegel, wobei sie den Erbauern dieser Stadt dankte, das sie sich für so flache Dächer entschieden hatten. Dies vereinfachte einiges. Unter sich konnte Fedora wild umherlaufende Legionäre entdecken, hinter ihr ertönte ein Keuchen. Sie blickte sich kurz um und erkannte mehrere Verfolger. Immer weiter ging die Jagd, wobei sie einige Dächer überquerte, bis sie plötzlich stehen blieb, weil diese Häuserfront zu Ende war. Die Verfolger kamen näher. Fedora drehte sich langsam um, gleichzeitig zog sie ihre Waffe. Der erste Olan ging nach ihrer Attacke sofort in die Knie. Fedora versetzte ihm noch einen Tritt, woraufhin er vom Dach rollte. Der zweite war etwas hartnäckiger, jedoch kein grosses Problem. Er war schon tot, bevor er auf der Straße aufschlug. Mit dem nächsten kämpfte sie gefährlich nahe am Rand des Daches, was Fedora zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Wenig später befand sich auch dieser Mann auf dem Weg nach unten. ”Verdammt, schert Euch aufs Dach. Und ich will ihn lebend!” tönte es ärgerlich von unten. Fedora sah sich schnell um. Über den Abgrund würde sie es nicht schaffen. Also zur anderen Seite. Erneut hatte sie Glück. Unter ihr leuchteten, vom Strahl der Monde erhellt, die Ziegel rot und verführerisch hinauf. Darauf angekommen, verharrte sie einen Moment in ihrer gebückten Haltung und erkundete hastig mit ihren Augen den weiteren Weg. Es blieb nur die Flucht über eine weitere Häuserschlucht. Die Rufe ihrer Verfolger wurden lauter und kündeten so deren Herannahen an. Fedora nahm Anlauf und segelte durch die Luft. Erneut flogen Pfeile an ihr vorbei. Sie landete ohne Schwierigkeiten, krallte sich jedoch an den Dachziegeln fest, um nicht nach hinten zu fallen und lief, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, weiter. Bald hatte sie es geschafft, denn in der Nähe befand sich ein Geheimgang. Diesen mußte sie nur noch unbeschadet erreichen. Fedora sprang erneut auf ein unter ihr liegendes Dach. In dem Moment, als sie sich aufrichtete, quoll Nebel herauf, und gleich darauf war sie von einem Schwarm Raben umringt, welche wild durch die Luft flatterten. Fedora hob schützend ihre Arme und erkannte für einen Augenblick nicht, wohin sie stolperte. Das Gekrächze der Vögel begleitete die Frau und klang in ihren Ohren wie ein schadenHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 5 frohes Lachen. Mit einem Schrei verschwand sie in der Tiefe. Ein Stoffbaldachin fing ihren Sturz ab. Sie rollte bis zu dessen Rand und fiel erneut. Krachend zersplitterte ein Holzkarren unter ihrem Gewicht. Ein ziehen in ihrer Brust ließ sie die Augen öffnen und sie bemerkte, das etwas feuchtes von ihrer Stirn herunter tropfte. Fedora richtete sich trotz der Schmerzen auf und wankte weiter. Die Schritte der Legionäre kamen näher. Das immer noch anhaltende Gemekker der Vögel zog deren Aufmerksamkeit in die Gasse. Sie bogen um die Ecke und entdeckten den Flüchtigen. Der D’ascas erkannte, das dies eine Sackgasse war und gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin sich die Legionäre fächerartig verteilten und langsam näher rückten. Fedora zog ihr Schwert, ganz kampflos würden sie diese Mistkerle nicht bekommen. Sofort blieben die Bogenschützen stehen und zielten. ”Gebt auf. Ihr könnt nicht entkommen!” rief Corvin. Damit schien er leider recht zu haben, aber vielleicht schaffte sie es, einige von diesen Mistkerlen mitzunehmen. ”Was soll‘s!” Sie zuckte mit den Schultern. Fedora schätzte die Distanz auf etwa zwanzig Meter. Als sie nach vorne stürmte, bohrte sich ein Pfeil in ihre Schulter. Die Frau drehte sich einmal um sich selber und zögerte kurz, dann lief sie weiter. Ein zweiter Pfeil traf sie in den rechten Oberschenkel. Sie stolperte und überschlug sich. Dabei brach der Schaft des Pfeiles, welcher in ihrer Schulter steckte, ab und bohrte sich noch tiefer in die Wunde. Fedora schrie daraufhin kurz auf. ”HALT!” brüllte Corvin. ”Nehmt die Bögen runter, ich will ihn lebend!” Die Frau erhob sich mühevoll auf ihr nicht verwundetes Knie und blickte zu dem D’ascas hinüber. Ihr Atem ging schwer, Schweiß rann an ihrem Körper herunter, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt. Corvin kam langsam näher. ”Gebt endlich auf.” meinte er ruhig. ”Es ist vorbei.” Die Frau hob ihren Blick noch ein Stück und starrte Corvin lange an. Sie ächzte schwer, als sie sich zwar langsam, aber vollständig aufrichtete. Der D’ascas gab seinen Männer ein Zeichen, nichts zu unternehmen, da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Diese Augen hatte er schon einmal gesehen. Der Haß und die Wut welche aus ihnen sprach, war wirklich einzigartig. Plötzlich mußte er an die Person denken, welche ihm beim letzten Frühlingsfest in die Arme gerannt war 1 und - an eine ganz bestimmte Priesterin. Er ging immer näher an die ‘Lilie‘ heran und war nun nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt. Um Fedora verschwamm alles, der Boden schien unter ihren Füßen zu tanzen, die Häuser kreisten in einer wilden Hatz um sie herum. ”Verfluchte Noctuna und ihre krähende Brut”, schimpfte die Frau, bevor ihr Schwert polternd auf den Steinen der Straße aufschlug. ‘Wenn ich den Verräter in die Finger bekomme ...‘ dachte sie noch, dann wankte sie stark und brach in den Armen des D’ascas zusammen. Noch bevor er das Tuch herunter zog, welches ihr Gesicht verhüllte, wußte er, wen er festhielt. Mamercus sah nach oben und erkannte gerade noch, wie sich ein ihm bekannter Nebel mitsamt den Raben zurück zog. ‘Nun tue das deine, Kajus.‘ vernahm er leise und starrte Wortlos auf die Agia, welche bewußtlos in den Armen des D’as1 Follow 390, Gesprengte Ketten 3, Geschichte ‘Auf Messers Schneide‘ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 6 cas hing. \ Corvin betrachtete lange seine Gefangene, welche man ins Krankenlager der Kaserne geschafft hatte. In seinen Händen hielt er eine violette Lilie, welche in ihren Sachen versteckt gewesen war. Endlich! Endlich hatte er einen großen Erfolg zu verzeichnen. Corvin blickte besorgt zu Porcius Nerva, dem Medicus, hinüber, der sich geschäftig um seine Patientin kümmerte. Der Raum war angefüllt von den Düften der Kräuter und Tinkturen, welche der alte Mann benutzt hatte. Sein junger Gehilfe Claudius räumte geschäftig die Blutverschmierten Tücher beiseite. Der Mann zog sein linkes Bein hinterher, welches er sich bei einem Unfall so stark gequetscht hatte, das er froh sein konnte, es nicht verloren zu haben. ”Bitte leere auch die Schüsseln aus, Claudius”, erinnerte ihn Porcius Nerva. ”Aber natürlich, ich erledige es sofort.” Er bedachte den Medicus mit einem verständnisvollen Blick. ‘Er wird alt‘, dachte er bei sich. Claudius hatte dem Medicus einiges zu verdanken. Keiner gab nach dem schrekklichen Unfall noch etwas auf sein Leben, nur Porcius kümmerte sich väterlich um ihn. Da er wegen seiner Behinderung für niemanden von nutzen war, ging er bei dem alten Mann in die Lehre. Er wurde seine rechte Hand, kannte sich ausgezeichnet mit den verschiedensten Kräutern und Krankheiten aus. So lahm auch sein Bein sein mochte, das glich er mit der Geschicklichkeit seiner Hände und seinem wachen Verstand um Längen aus. Auch bei der Gefangenen, welche heute versorgt wurde, durfte er die Wunden behandeln. Er wußte, das nicht mehr als ein paar kleine, fast nicht auffallende Narben zurückbleiben würden, wenn sie lang genug am leben blieb. ”Ich kann Euch sagen, daß ein paar Rippen gebrochen sind. Mit dem Kopf ist sie hart aufgeschlagen, was aber nicht weiter bedrohlich ist, wenn sie ruhen kann. Und sollten sich die Wunden, welche die Pfeile verursacht haben, nicht entzünden, wird es ihr in ein paar Wochen wohl besser gehen.” unterbrach die Stimme des Medicus die Stille des Raumes. ”Hoffe ich.” ”In ein paar Wochen?” rief Corvin überrascht. ”Ja, in einigen Wochen wird sie für eine Vernehmung bereit sein. Nicht früher.” ‘Ein paar Wochen. Die ganze Welt kann sich in dieser Zeit ändern, und ich komme kein Stück vorwärts.‘ ”Und ein Transport nach Dithorno?” Porcius Nerva schüttelte energisch seinen Kopf. ”Ich werde dies auf gar keinem Fall gestatten. Im Moment ist sie meine Patientin, und ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, damit sie am leben bleibt. Was nach ihrer Genesung geschieht, ist dann nicht mehr mein Problem.” Corvin wollte etwas erwidern, der Medicus jedoch ahnte wohl, was sein Vorgesetzter von ihm verlangen würde und schüttelte seinen Kopf. Corvin schnaufte und nickte zum Zeichen, das er verstanden hatte. Noch einmal betrachtete er seine Gefangene, welche sich unruhig auf dem Lager bewegte. Ihr leises Stöhnen ließ erahnen, welche Schmerzen sie hatte. Wie sehr hatte sie sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Ihr Gesicht war gebräunt und schien dem Wetter fast immer schutzlos ausgeliefert worden zu sein. Selbst die unnatürliche Blässe, welche sich über sie gelegt hatte, konnte diese Tatsache nicht verdrängen. Ihre Hände waren rauh und schwielig, wie die eines Bauern und nicht wie die einer PrieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 7 sterin. Fast hätte er Mitleid mit ihr haben können. Aber - sie war der Mensch, welcher unter anderem für die Vernichtung einer ganzen Hastatt verantwortlich war. Sie hatte seine Waffenlieferungen und Goldtransporte überfallen. Sie war die Person, die öffentlich dazu aufforderte, gegen das Reich zu kämpfen und dessen Anhänger in die alte Heimat zu treiben. Nach ihr suchten seine Leute seit Monaten, ohne auch nur eine Spur zu entdecken. Er betrachtete sie noch einmal eingehend ... sie war wirklich die letzte, bei der er vermutet hatte, das sie hinter der Tarnung der ‘violetten Lilie‘ stecken würde. Jetzt mußte seine Gefangene nur noch schnell genesen, damit er sie unbeschadet nach Dithorno bringen konnte. Es war nicht an ihm, über sie Recht zu sprechen, dies übernahmen andere. Bevor er den Raum verließ, erteilte er den Anwesenden Olan den Befehl, besonders wachsam zu sein. \ Als Corvin seine Gemächern erreichte, wartete bereits Mamercus auf ihn. Trotz des Erfolges sah dieser recht mürrisch aus. Der D‘ascas konnte nicht ahnen, daß der Hoendis sich ärgerte, den Komplizen der ‘Lilie‘ nicht gefaßt zu haben. Diese kleine, unbedeutende Mitteilung hatte er an Corvin nicht weiter geleitet. ”Ich gratuliere, Damiano. Ihr habt mich nicht enttäuscht?” Er schmiß die Lilie auf seinen Tisch. ”Ich danke Euch. Habt Ihr noch mehr bei ihr gefunden? Irgend etwas, was uns weiterhelfen könnte?” fragte Mamercus neugierig. Der D’ascas schüttelte seinen Kopf. ”Leider nicht.” ”Hier ...”, der Hoendis hielt dem D‘ascas eine Pergamentrolle entgegen. ”Soeben wurde eine Nachricht für Euch abgegeben.” ”Um diese Zeit?” Aber diese Tatsache wunderte den Mann nicht wirklich. Er war vom Militärdienst einiges gewohnt. Corvin rollte das Pergament auseinander, und seine Augen flogen flink über die Zeilen. ”Verdammt”, entfuhr es ihm. ”Verdammt!” Mamercus hob verwundert eine Augenbraue und sah neugierig zu Corvin hinüber. ”Schlechte Neuigkeiten?” ”Das kann man wohl sagen. Ich soll mich sofort in Dithorno melden. Auf Anweisung unseres neuen Vorgesetzten.” Seine Stimme ließ erahnen, das er für diesen Menschen nicht viel übrig hatte, welcher vor einigen Wochen in das Land gekommen war. Warum ausgerechnet jetzt? Ihm behagte es nicht, die Stadt zu verlassen, wo er doch gerade erst die ‘Lilie‘ gefaßt hatte. Und welche er nicht gleich mitnehmen konnte. Corvin hob ein weiteres Pergament in die Höhe. ”Hier ist eine Liste mit den Namen derer, die mich begleiten sollen. Welch ein Glück Ihr habt, Damiano. Ihr dürft hierbleiben.” \ Nachdem Corvin am nächsten Morgen, begleitet von seiner Leibgarde und den Olan, welche ebenfalls nach Dithorno beordert worden waren, Tizio verlassen hatte, begab sich Mamercus in Begleitung einiger seiner ihm treu ergebenen Olan auf direktem Weg zum Krankenlager. ‘Gut gemacht‘, lobte sich der Mann selbst. Mittlerweile konnte er im Schlaf gefälschte Nachrichten und Befehle schreiben. Wenn alles gut ging, würde man ihm den D’ascas auch bald vom Hals schaffen, dafür hatte er schon gesorgt. Inzwischen verfolgte Mamercus ganz eigene, ehrgeizige Ziele. Der Hoendis hatte keine Zeit zu verlieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 8 ren. So schnell wie möglich wollte er seinen Auftrag ausgeführt wissen. Dann erst war die Stunde der Rache gekommen. Er stieß eine Tür auf und blickte sich suchend um. Nachdem er die Frau entdeckt hatte, trat er zu ihr heran. Aus seiner ersten Wut heraus hob er seine Hand und wollte zuschlagen, wurde jedoch daran gehindert. ”Ich muß Euch bitten, diesen Raum zu verlassen.” meinte Porcius Nerva ruhig. ”Sagt wer?” Drohend drehte sich der Hoendis zu dem Mann um. Mamercus Arm schnellte nach vorne und packte den alten Medicus an der Kehle. Deutlich sichtbar spannten sich die Muskeln an seinem Arm und er drückte zu. ”Ihr werdet dafür sorgen, das dieses Weib so schnell wie möglich aufwacht. Euch stehen genug Möglichkeiten zur Verfügung. Also begebt Euch an die Arbeit.” Die Worte wurden leise gesprochen, aber mit ihrem Klang hätte man Wände zum Einsturz bringen können. Damiano schleuderte den Medicus gegen ein Regal. Einige kleine Amphoren fielen zu Boden und zerbrachen. ”Das könnt Ihr von mir nicht verlangen. Ich werde den D’ascas über Euer Ansinnen unterrichten. Nur er alleine befiehlt, was mit der Frau geschehen soll.” ”Der D’ascas ist nicht hier und wird so bald auch nicht wiederkommen. Also macht besser, was ich Euch sage, oder ...!” Die Olan hatten sich zur rechten und zur linken neben Mamercus postiert und spielten nun mit ihren Klingen. ”Ihr könnt mir so viel drohen, wie Ihr wollt. Dennoch werde ich Eurem Wunsch nicht entsprechen.” In diesem Augenblick erschien Claudius im Raum und erkannte sofort, was hier vor sich ging. Er humpelte näher und wollte seinem Mentor beistehen, doch einer der Olan drängte ihn gegen die Wand und hielt ihm seine Waffe an die Kehle. ”Nun. So wie es aussieht, werde ich für eine ziemlich lange Zeit die Befehle hier erteilen. Es ist nur zu Eurem Wohl, sich mir zu fügen. Und nun macht, um was ich Euch gebeten habe, oder ich lasse Claudius töten.” Porcius schien kurz nachzudenken, nickte dann dem Hoendis zu, drehte sich um und ergriff einige Tiegel und Amphoren aus dem Regal. ”Gut.” erwiderte Mamercus. Aus seinen dunklen, schmalen Augen sah er den Medicus verächtlich an. ”Und braut mir etwas schön Starkes zusammen.” \ Wenig später war das Serum fertig und wurde Fedora eingeflößt. ”Wie lange wird es dauern ...!” ”Vielleicht eine halbe Stunde, dann müßte die Wirkung einsetzen und sie erwacht.” ”Sehr schön. Ihr bringt sie in eine Zelle.” Er wandte sich an zwei der Olan. ”Ihr wißt, was ihr zu tun habt! Und vergeßt ihre Sachen nicht.” Er deutete auf einen Hocker, auf dem sich einige Kleidungsstücke stapelten. ”Natürlich.” meinten beide sofort. Sie packten Fedora, zerrten sie aus dem Bett und schafften sie weg. ”Das könnt ihr nicht machen”, rief Porcius, ”das wird sie umbringen ...” ”Na und ...?” Mamercus Stimme war eisig. ”Ihr haltet Euch immer bereit, um mir zur Verfügung zu stehen.” Der alte Mann wußte, das Mamercus nur höflich ausgedrückt hatte, daß sie von nun an unter Arrest standen. \ Fedoras Körper fühlte sich an, als wäre eine Herde Armadillos über sie hinweg getrampelt. Stöhnend öffnete sie ihre Augen und nahm verschwommen war, daß Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 9 sie sich in einem Kerkerraum befand. Ihre Hände steckten in schweren Eisenringen, welche an Ketten befestigt von der Decke hingen. Fedora atmete tief durch, um so die Übelkeit zu vertreiben, welche sie überkommen hatte, aber sie wurde noch schlimmer. Die dicke Kerkertür wurde aufgestoßen und drei Gestalten traten ein. Dicht vor ihr blieb eine davon stehen. ”Ich möchte nicht viel von Euch. Die Namen Eurer Mitverschwörer und ...” Der Mann trat dicht an sie heran und riß ihr Hemd auf. Beim Blick auf die blanke Haut ihres Halses färbte sich sein Gesicht rot und eine Ader an seiner Schläfe begann gefährlich zu pulsieren. ” ... den Aufenthaltsort Eures bezaubernden Amulettes!” ”Welches Amulett?” Ihre Stimme war leise und klang geschwächt. Als Antwort schlug Mamercus der Frau ins Gesicht. Ein feiner Blutstrahl schoß aus ihrer Nase. ”Denkt nicht, Ihr habt einen zweiten Corvin vor Euch. Also gebt mir, was ich verlange”, sagte Mamercus bedrohlich. ”Wo ist dieses verfluchte Ding?” ”Da kommt Ihr aber um einiges zu spät.” Mamercus drehte sich, scheinbar gelangweilt, um und betrachtete für eine Weile die feuchten Wände. ”Durchsucht ihre Sachen”, befahl er den Olan. ”Wir können nichts entdecken, Hoendis”, meinten sie nach einer Weile. Mamercus zog seine Peitsche hervor, drehte sich wieder zu Fedora um und rammte ihr mit voller Wucht den Griff in die Seite. Sie konnte sich gerade noch beherrschen und schrie nicht los. ”Fangen wir mit etwas einfachem an ... Namen ... Ich höre.” ”Ich kenne viele Namen ...” ”Falsche Antwort!” Erneut stieß er ihr den Griff in die Seite. ”Also ...?” ”Fahrt zum In’Ret!” Als Reaktion darauf spürte Fedora einen dumpfen Hieb gegen ihre gebrochenen Rippen und rang nach Atem. Der Hoendis wandte sich an seine beiden Begleiter. ”Laßt mich mit ihr allein. Ich möchte in den nächsten Stunden nicht gestört werden.” Die Olan nickten und verschwanden. Mamercus schnallte sich seine Rüstung ab und ließ diese achtlos zu Boden fallen. Sein Blick hatte sich um einiges verfinstert, als er erneut an die Gefangene herantrat. ”So sieht man sich wieder.” 2 Seine Wut auf das, was mit seiner Familie geschehen war, und welche er in all den langen Jahren tief in seinem Inneren vergraben hatte, brach hervor. Mamercus wußte, er sollte sich zuerst um das Amulett kümmern, aber er konnte nicht. Der Hoendis hatte deutlich vor Augen, wie dieses Weib seinen Vater tötete und wie sein Heim abbrannte. Er sah noch einmal seine Verlobte, welche sich von ihm abwandte, als er um Beistand flehte und wie Savlinas Vater ihn von seinem Besitz jagte. Wie er über ihn lachte und sich über sein unmögliches Anliegen lustig gemacht hatte. Wie er im ganzen Land umher gewanderte war, bis Arinius und er schließlich auf einem Schiff anheuerten und die Insel verließen, welche seine Heimat gewesen war. Welch furchtbare Jahre hatte er durchlebt, er, der nichts vernünftiges gelernt hatte und so wohlbehütet aufgewachsen war. In den Jahren, welche er auf dem Schiff verbrachte, hatte er einiges an Schikanen ertragen müssen. Und als er schließlich 2 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 10 wieder an Land ging um kurz danach beim Militär einzutreten, war es nicht viel besser. Aus ihm war das geworden, was er am meisten verabscheute. Hatte er sich nicht geschworen, nie eine Waffe zu führen und sich lieber den schönen Künsten hinzugeben? Aber die Wirklichkeit hatte ihn schnell eingeholt. Von irgend etwas mußte man ja leben. Und er hatte schnell gelernt, wie man kämpfte. Mamercus durchlebte noch einmal, welche Gefühle in ihm aufgekommen waren, als er nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt war und nirgends eine Spur von seiner Mutter oder von seinen Schwestern entdecken konnte. Kein Lebenszeichen, niemand wußte, wo sie sich befanden ... Niemand schien sich überhaupt an sie zu erinnern ... Ohne ein weitere Wort zu verlieren, schlug er zu. Immer wieder. \ Sie war allein. Dunkelheit umschmeichelte ihren Körper, welche sich wie eine wärmende und schützende Hülle um sie gelegt hatte. Inzwischen war das Blut ihrer Wunden getrocknet. Aber sie wußte, sie würden wieder aufplatzen, wenn der Hoendis mit seinem Werk fortfahren würde. Warum er ihr aber mit solch einem Haß begegnete, konnte sie sich nicht erklären. Halb wach und halb im Dämmerzustand versunken, flogen die Ereignisse der vergangenen Wochen an ihr vorbei. Sie erinnerte sich, und sie würde alles darum geben, wenn sie auch dies vergessen könnte. So wie ihre Vergangenheit, woher sie kam, wer sie war ... Fedora lachte auf. Sie kämpfte nicht nur für sich ... sie kämpfte für dieses verdammte Land und deren Bewohner ...für die Kinder ... für eine Freiheit, die es wohl nie geben würde ... Das hysterische Lachen von Fedora schallte von den Mauern ihres Gefängnisses zurück und klang in ihren Ohren wie Hohngelächter und Spott. Närrin! hörte sie. Närrin! Närrin! ... Du hast einen persönlichen Kampf daraus gemacht ... Närrin!!! Die anderen Stimmen schalteten sich mit ein und Fedora schrie gequält auf. ”Geht doch endlich weg!” rief sie unter Tränen. ”Laßt mich allein.” \ ”Kajus. Ich will das Amulett! Also zügle deine Rache und bringe mir erst, was ich verlange.” Im Schlaf vernahm Mamercus die verärgerte Stimme von Noctuna. \ Nach einem ausgedehnten Frühmahl begab sich der Hoendis erneut in den Kerker. Seine Gefangene hing wie leblos in der Mitte des Raumes. Brutal flößte er ihr abermals ein noch stärkeres Serum ein. Kurz danach öffnete Fedora ihre geschwollenen Augen. ”Ihr gebt immer noch nicht auf, sucjos pu‘erco? Hijo al‘gùno còbarde perra.” begrüßte sie Mamercus spöttisch. Sie war schwer angeschlagen, doch ihre Beleidigungen sprudelten wie eine nie versie-- gende Quelle aus ihr heraus. ‘Maldito. Was für ein Zeug gebt ihr mir?‘ ”Wo haben wir gestern aufgehört?” Er tat, als hätte er dieses Schimpfwort überhört. ”Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.” Er schlug einen Stock gegen Fedoras gebrochene Rippen. Heftig sog sie die Luft ein. Glaubte dieser Kerl wirklich, sie würde ihm etwas über den Widerstand preisgeben? Lieber würde sie sterben, als ihre Kampfgefährten zu verraten. ”Ihr gebt Euch der Selbstüberschätzung hin. So, wie es die Legionäre immer Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 11 mache.,” rief sie heiser. ”Dies wird eines Tages Euer Verderben sein. Ihr könnt mich umbringen, aber nach mir werden andere kommen, und nach denen wieder andere. Die Liste der Wartenden ist lang.” Sie lachte auf. ”Ihr könnt nicht gewinnen!” ”Ich glaube, da irrt Ihr Euch, meine Liebe. Ich habe schon gewonnen. Wenn ich erst einmal das Amulett von Euch erhalten habe, hält mich nichts mehr davon ab, Euch qualvoll sterben zu lassen.” ”Dann rate ich Euch, bringen wir es hinter uns. Ich besitze diese Ding nicht mehr. Was immer ihr damit vor hattet, es ist verloren, und ich kann es auch nicht wieder beschaffen.” ”Ihr lügt!” ”So, tue ich das?” Fedora lachte abermals, erst leise, dann immer lauter. Das konnte nicht sein. Mamercus sah die Frau ungläubig an, dann krallte sich seine Hand in ihre Haare und er bog ihren Kopf nach hinten. ”Ich glaube Euch kein Wort!” ”Es tut mir leid, aber es ist die Wahrheit”, erwiderte die Frau erschöpft. Mamercus schrie und ließ sie abrupt los. Er schritt nachdenklich um sie herum. ”Nun gut. Dann soll es so sein”, meinte er, nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte. ”Ihr beide schafft sie nach oben. Wir wollen Tizio zeigen, welch erlauchte Persönlichkeit sich in unserer Gesellschaft befindet. Ich komme gleich nach.” \ Langsam bewegten sich die Legionäre durch die Gassen der Stadt. Fedora stolperte mehr hinter dem Hoendis her, als das sie ging. Ihr Bein und ihre Schulter schmerzten unablässig. Ihre Hände hatte man mit Eisenringen hinter ihrem Rükken zusammengebunden, ihre Füße stekkten auch in Eisenringen, welche ihr durch die kurze Kette nur wenig Bewegungsspielraum ließen. Eine Eisenkette war um ihren Bauch geschlungen, dessen anderes Ende Mamercus in seiner Hand hielt, welcher stolz und aufrecht auf seinem Pferd saß und auf den Markplatz zuritt. \ ”Qaom’de!” Aufgeregt stürmte ein Diener in die Gemächer seines Herren. ”Die Stadt ist in Aufruhr. Es wird berichtet, das ein Gefangener aus dem Widerstand auf den Marktplatz geführt wird.” Parz reichte das Kind, mit welchem er bis eben noch gespielt hatte, an die Amme zurück. Er ergriff den Arm seiner Frau und verschwand, ohne ein Wort gesagt zu haben, aus dem Zimmer. Laut dröhnte die Stimme von Mamercus über den inzwischen voll gefüllten Marktplatz. ”Bürger Tizios! Dem Imperium ist ein schwerer Schlag gegen den Widerstand gelungen. Uns ist nicht nur die per Steckbrief gesuchte Agia in die Hände gefallen ...!” Bei diesen Worten zog er an der Kette und Fedora stolperte ein Stück in seine Richtung. ” ... Gleichzeitig ist es uns gelungen, diesen Verbrecher, der sich die ‘violette Lilie‘ schimpft, ebenfalls zu ergreifen! Jene ‘Lilie‘, welche auf besonders bestialische Art und Weise reichstreue Bürger und Angehörige des Militärs hingeschlachtet hat!” Mamercus machte eine kurze Pause und sah in die erstaunten Gesichter der Leute. ”Die Rebellin, welche uns unter dem Namen der Agia bekannt ist und die ‘Lilie‘ sind ein und dieselbe Person. In Kürze schon wird ihre Hinrichtung stattfinHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 12 den, auf daß endlich wieder Frieden einkehrt. In diesem Zusammenhang gebe ich eine Proklamation bekannt!” Mamercus zog ein Pergament unter seiner Kleidung hervor. Stimmengewirr schwoll nach dieser Nachricht an. Rufe wurden laut, die unter Zustimmung eine baldige Hinrichtung forderten. Vereinzelt hörte man Kinderweinen. Mamercus hob gebieterisch seine Rechte Hand und jedes Geräusch erstarb. ”In Anbetracht der Situation, in der sich die Priesterschaften durch das üble Beispiel der Agia befinden und da es nicht ausgeschlossen ist, das einige sich berufen sehen, diesem schändlichem Irrbild zu folgen, ist mit sofortiger Wirkung die Anbetung jeglicher Gottheit in Tizio und in der Provinz Tizio verboten und strengstens untersagt! Es dürfen ab sofort keine religiösen Tätigkeiten, egal welcher Natur, mehr ausgeübt werden. Die Tempel werden erneut, bis auf weiteres, geschlossen. Zuwiderhandlungen werden mit dem sofortigen Tod bestraft. Diese Anordnung gilt so lange, bis der Protector über den Fortbestand der hiesigen Priesterschaften geurteilt hat! Desweiteren wird bis zur Hinrichtung der ‘Lilie‘ eine erneute nächtliche Ausgangssperre verhängt, welche von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang gilt! Personen, welche sich während dieser Zeit auf den Straßen Tizios aufhalten, werden sofort in Gewahrsam genommen und müssen mit einem Prozeß rechnen! Ebenso sind die Feierlichkeiten der nun kommenden Festtage außer Kraft gesetzt. Die Curie wird weiter geschlossen bleiben! Jegliche Belange der Stadt liegen weiterhin in den Händen des Militärs! Diese Anordnung gilt solange, bis sich die Lage in Tizio beruhigt hat und alle Mitverschwörer und Rebellen gefaßt und verurteilt wurden!” ‘Mach es nicht‘, hörte sie. ”Dies ist eine Lüge!” schrie Fedora. ”Ihr schweigt!” Mamercus Peitsche knallte auf Fedoras Körper. Heiß brannte sich der Hieb in ihr Fleisch. Haßerfüllt sah sie ihn an. ”Hier.” Er überreichte das Schriftstück einem Olan. ”Hängt es an die nächste Wand.” Die Bewohner der Stadt waren wie gelähmt, kein Ton kam über ihre Lippen. ”Damit schürt Ihr noch größeren Unfrieden”, knurrte Fedora durch ihre zusammengebissenen Zähne. ‘Halt den Mund‘, warnte die Stimme leise. ”Wer sollte sich schon dafür interessieren, was ein Feind des Staates zu sagen hat? Und nun schweigt endlich!!!” Er ritt näher an die Frau heran und versetzte ihr einen kräftigen Tritt in den Rücken. Dieser brachte Fedora aus dem Gleichgewicht und sie fiel auf den staubigen Boden. Ihr Atem ging schwer, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt, immer wieder tanzen weiße Funken vor ihren Augen. ”Ihr seid ein kleiner Bastard!” schrie sie. ‘Nein! Nein!‘ ”Denkt Ihr wirklich, Ihr könnt die Freiheit dieses Landes mit Füssen treten? Glaubt Ihr, daß sich aus dem Staub niemand erheben wird, um Euch aufzuhalten?” Fedoras Stimme war weithin zu hören. ‘Zu spät‘, meinte die Stimme resigniert. Mamercus gab einem der Olan ein Zeichen. Mit einem breiten Grinsen ging dieser langsam auf die am Boden hockende Person zu und versetzte ihr einen Fußtritt in den Magen. Fedora krümmte sich stöhnend zusammen. ”Ist dies alles was Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 13 Ihr könnt?” zischte sie, wobei Speichel und Blut aus ihrem Mund tropfte. ”Eure Macht liegt allein in Eurer Brutalität! Aber die kann Euch auch nicht retten!” Die Menge schwieg. Kein zustimmendes Gegröle auf die Reaktion des Olan oder auf die bissigen Worte der Frau waren zu vernehmen. Abermals nickte Mamercus dem Olan zu und ein erneuter Tritt beförderte Fedora ein Stück über den Marktplatz. ”Hurensohn”, zischte die Frau. Langsam ging der Olan auf sie zu, hob sie hoch und schlug ihr ins Gesicht. Ihre Lippe sprang erneut auf und Blut floß an ihrem Kinn herunter. Außerdem war ihre Schulterwunde aufgeplatzt und durchnäßte das Hemd an dieser Stelle wieder dunkelrot. Taumelnd stolperte Fedora nach hinten, wurde jedoch von dem Olan am umfallen gehindert. Wie eine Puppe hing sie an seinem Arm. \ Marzella stöhnte leise auf. Ihre Augen tasteten sich durch die Menge und blieben an der Schamanin Naim haften. Diese schüttelte kaum merklich, dennoch eindringlich ihren Kopf. ”Ihr werdet Eure Herrin sofort nach Hause bringen”, flüsterte Medaz seinen Begleitern zu. Seine Stimme war ruhig, in seinem Inneren sah es allerdings anders aus. Sein Magen verkrampfte sich bei jedem Schlag, der Fedora zugefügt wurde. Sie sah furchtbar aus, und ihn wunderte es, das der D’ascas seine Zustimmung zu diesem grauenhaften Schauspiel gegeben hatte. ”Parz.” Marzella rückte dichter an ihren Mann heran. ”Ich muß dir etwas sagen ...” ”Später, meine Liebe. Bitte geh nach Hause.” ”Aber ...” sagte sie. ”Bitte tue was ich dir sage.” Er küßte sie flüchtig auf den Mund und lächelte ihr dann zu. ”Geh. Ich komme bald nach. Mach dir keine Sorgen.” Seine Augen waren voller Liebe, als er zu ihr hinunter blickte. \ Arnoldos Hand verkrampfte sich. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Zum Glück hatte er mit Hilfe Gaetanos die Priesterinnen aus der Stadt schleusen können. Estrelle spürte, was in ihm vorging, und betrachtete in flehend. Aus ihrem Blick sprachen Bände. Ohne, daß ein Ton ihre Lippen verließ, erkannte Arnoldo, was sie ihm sagen wollte. ‘Tue nichts unüberlegtes. Dies ist genau das, wovor Fedora immer Angst hatte.‘ Liebevoll umschlang seine Hand die ihre. \ ”Quint, was macht Ihr?” Der Angesprochene wurde am Arm zurückgehalten. ”Seid Ihr wahnsinnig? Wenn Ihr nun dort runter geht, ist alles verloren.” Quint blieb stehen. Er hätte der Agia vertrauen sollen, dann wäre es mit Sicherheit nie soweit gekommen. Die Nachricht, daß sie sowohl im Widerstand war, als auch die ‘Lilie‘ erschütterte den alten Mann mehr, als andere sehen konnten. Warum hatte er der Frau nicht einfach vertraut? Vielleicht wäre unter ihrer Führung der Widerstand der Priester viel einfacher gewesen? Statt dessen hatten sie aneinander vorbei gearbeitet. Er hätte sie lenken können, ihr so Beistand gegeben. Aber er hatte sich von ihr abgewandt. Hilflos stand er da. Wenn sie starb, war es seine Schuld. \ Carlos Vottorio Salvatore il Rabbacca di Tulgari, der Flinke, Vetter von Hector Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 14 Vincenzo Manuel il Rabbacca di Tulgari, dem Jüngeren 3 , zog sich unerkannt aus der dichtgedrängten Menschenmasse zurück. Er mußte sofort zu seinem Kommandante um ihm von den neusten und sehr beunruhigenden Ereignissen, welche sich in Tizio zugetragen hatten, zu berichten. \ Der Torreòn schäumte vor Wut. Nun war es den Truppen des Imperiums doch vor ihm gelungen, die Agia zu ergreifen. Und er war auch noch ein Bündnis mit diesem Kerl eingegangen. Nun gut, darin sah er weiterhin einen großen Vorteil für sich. Er blickte sich in der Menschenmenge um. Wo ,verflucht noch mal, stekkte Iovanna? Von ihr hatte er seit Tagen weder etwas gehört, geschweige denn, sie gesehen. Der Verlauf der Ereignisse besorgte ihn ein wenig. Aber er wäre nicht schon seit so vielen Jahren der Torreòn, wenn ihm nicht doch noch eine Lösung zu seinem Problem einfallen würde. \ ”Laßt das Messer stecken und folgt mir.” flüsterte Medaz dem Mann ins Ohr. ”Ist es nicht ganz schön gewagt hier aufzutauchen?” Medaz zog den Mann unerkannt aus der Menge heraus, und gemeinsam versteckten sie sich in einem Torbogen. ”Ihr habt mir gar nichts zu sagen.” zischte Gaetano. ”Nun gut, wenn Ihr so denkt.” Er hob seine Hände. ”Bitte, stürzt Euch auf die Legionäre, wenn Ihr glaubt Fedora so helfen zu können.” Sarkasmus war nach wie vor eine von Medaz Stärken. ”Vielleicht wäre es aber auch besser gewesen, Ihr wäret nie von ihrer Seite gewichen, oder?” ”Was wollt Ihr damit andeuten?” 3 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘ Gaetano sah Medaz giftig an. ”Nun, Euer Fortgang hat Fedora den Boden unter den Füßen weggezogen. Meint Ihr nicht, ein Gespräch in Ruhe hätte einiges klären können? Ohne Euren Halt ist sie ja förmlich durchgedreht. Seht an, wo es sie hingebracht hat.” ”Sie hat sich Euch anvertraut?” fragte Gaetano erstaunt. ”Natürlich.” meinte Medaz knapp. ”Versucht nicht, mir die Schuld für das, was geschehen ist, zuzuschieben. Was habt Ihr denn bis jetzt für sie getan? Wart Ihr es nicht, welcher ihr andauernd Steine in den Weg gelegt hat?” Trotz dieser Worte sah Gaetano beschämt auf den Boden. Ein Schrei ließ die Köpfe der Männer hochfahren. Sie sahen gerade noch, wie Fedora auf den Boden stürzte, über ihr stand Wutschnaubend dieser Mamercus. Gaetano griff sich instinktiv an sein Messer. ”Ich werde ihn ...” ”Ihr werdet gar nichts. Auf jeden Fall nicht im Moment. Wir müssen genau überlegen, wie wir nun handeln wollen, uns einen Plan zurechtlegen und dann zuschlagen.” \ Kleine Blitze tanzten vor Fedora auf und ab. Schweiß rann ihr in die Augen und behinderte so ihre Sicht. Hätte sie doch den Mund gehalten, aber es war geradezu befreiend, diesen Legionär öffentlich in Rage zu versetzen. Der Hoendis hatte Fedora den Rücken zugedreht und sah in die betroffenen Gesichter der gaffenden Menge. ”So wird es jedem ergehen, der sich den Wünschen des MAGHANS und den Anordnungen des Militärs widersetzt! Schaut genau hin und überlegt, auf welcher Seite ihr stehen wollt! Schafft diesen Abschaum zurück zur Kaserne!” befahl Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 15 Mamercus seinen Männern. Zwei von ihnen hoben die inzwischen bewußtlose Frau auf und schleiften sie über die Straße. Der Rest bestieg seine Reittiere und setzte sich in Bewegung. Langsam löste sich die versammelte Menge auf. An allen Ecken wurde über die neuste Entwicklung in dieser Stadt gesprochen. ”Ich möchte, das die Gefangene im Innenhof angebunden wird!” brüllte Mamercus, als sie durch das Kasernentor ritten. ”Und jemand soll Porcius holen. Er wird benötigt!” \ Als sich Marzella auf dem Heimweg befand, lief ihr Sebastian über den Weg, welcher sich nur mühsam sein siegessicheres Grinsen verkneifen konnte. Zwar war Medaz immer noch auf freiem Fuß, aber dies würde sich sehr schnell ändern. ”Sebastian!” rief Marzella. ”Ich habe mit dir zu reden. Laßt uns allein”, meinte sie gebieterisch zu ihren Begleitern. Ohne den Mann zu Wort kommen zu lassen, sprach sie mit ruhigem, aber energischen Ton zu ihm. ”Ich warne dich Sebastian. Hüte dich davor, mein Glück zu zerstören.” ”Aber ...” ” ... was? Denkst du, ich wüßte nichts von deinen Absichten? Glaubst du wirklich, ich wäre so blind? Höre mir gut zu. Ich liebe dich nicht. Und werde dies auch nie. Meine Liebe gehört einzig und allein meinem Mann und meiner Tochter. Sollte ihnen etwas zustoßen, werde ich dich mit meinen eigenen Händen umbringen! Du kannst froh sein, das ich dir nicht den Schutz unseres Hauses und unsere Farben entziehe!” wütend sah sie Sebastian an. Wie konnte sie nur ahnen, daß er für die Ergreifung dieser Frau verantwortlich war? Was hatte ihn verraten? Als die Worte Marzellas sich vorarbeiteten und er endlich begriff, was sie meinte, brach für ihn eine Welt zusammen. Er hatte gedacht, Marzella wäre froh darüber, wenn ihre Widersacherin aus dem Weg geräumt würde. Sebastian wollte etwas sagen, aber Marzella ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. ”Achte von nun an darauf, an nichts anderes zu denken, als wie du deine Familie ehren kannst. Und nun geh mir aus den Augen, damit ich deine schändliche Tat vergesse.” \ ”Bei den Göttern! Laßt die Frau sofort in den Krankenraum bringen.” Porcius Nerva war entsetzt über das Bild, welches sich ihm bot. ”Das habt Ihr nicht zu Befehlen. Sorgt dafür, daß das Weib wach und vorerst noch bei Kräften bleibt, alles andere soll nicht Eure Sorge sein.” ”Ihr werdet sie umbringen ...” ”Ihr wiederholt Euch. Führt Eure Befehle aus, ansonsten .... Ich kann gut auf Euch verzichten. Wie Euch bekannt sein dürfte, gibt es noch mehr Heiler in dieser Stadt.” Mamercus reagierte wie immer eiskalt und berechnend. Der Medicus öffnete nach einigem zögern seinen Lederbeutel und mischte verschiedene Flüssigkeiten zusammen. Das Ergebnis hielt er dem Hoendis entgegen. ”Ihr seht, es geht doch.” Mamercus ließ es sich nicht nehmen, auch diesmal Fedora das Mittel eigenhändig einzuflößen. Gewaltsam bog er ihren Kopf nach hinten und zwängte ihr die Öffnung der Ampulle zwischen die Lippen. Achtlos ließ er das leere Gefäß fallen und wendete sich zum gehen. ”Laßt mich rufen, wenn sie erwacht!” Danach verschwand er im Gebäude. \ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 16 Die Luft in dem Raum war schneidend. Niemand wagte es, als erster das Wort zu ergreifen. Geschäftig plazierte Gioconda einige Tassen und Gläser auf den Tisch. Gaetano und Medaz blickten bedrückt zu Boden. ”Aber ...” meinte Marzella, ”wir müssen doch etwas unternehmen ...” Medaz legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm. ”Das werden wir auch ...”, beschwichtigte er sie. ”Ich .... ich habe hier einen Brief von Fedora.” Alle blickten auf Arnoldo. Langsam zog er das Pergament aus seiner Jackentasche. ”Sie gab ihn mir einige Tage, bevor sie gefaßt wurde.” Er geriet ins Stocken. ”‘Für alle Fälle‘ hatte sie gemeint ... Als hätte sie geahnt, was mit ihr passieren wird.” Die Anwesenden sahen sich betroffen an. ”Nun, was steht darin?” wollte Gioconda wissen. Umständlich öffnete Arnoldo den Brief, wobei die Anderen den Eindruck gewannen, daß er gar nicht wissen wollte, was darin geschrieben stand. Arnoldo atmete noch einmal tief durch und las dann laut vor. Meine lieben Freunde, für den Fall, daß mich das Imperium ergreifen sollte, gebe ich Euch folgenden Befehl: Unternehmt nichts, um mich zu befreien. Die Interessen des Landes und seiner Bewohner stehen an erster Stelle. Auf einzelne Personen kann und muß im Zweifelsfalle verzichtet werden. Ich bitte Euch inständig, so weiter zu machen, wie bisher. Und verliert Euch nicht in unnötigen Befreiungsversuchen. Ich hoffe, Ihr werdet nur dieses eine Mal auf mich hören, und Euch nicht über meine Wünsche hinwegsetzen. Arnoldo, dir bürde ich die Last auf, von nun an als Lilie aufzutreten. Wir werden uns unter keinen Umständen unterkriegen lassen. Kämpft unter der Flagge der ‘Lilie‘ und dem der ‘Hydra‘ für ein befreites und geeinigtes Xiduria. Zeigt den Legionären, aus welchem Holz Ihr geschnitzt seid. Euch stehen starke Verbündete zur Seite, die sich Euch zu erkennen geben, wenn die Zeit dazu bereit ist. Ich werde immer an Euch und an die Sache denken. Alle meine guten Wünsche und Hoffnungen werden Euch stets begleiten. Handelt klug und weise, so wie Ihr es bisher immer getan habt, und laßt Euch nicht dazu verleiten, blind und überstürzt zu reagieren. Möge Euch das Licht auf all Euren Wegen und bei all Euren Taten hilfreich zur Seite stehen. Fedora ”Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann”, unterbrach Medaz die wiederkehrende, bedrückende Stille. ”Aber ... wie?” ”Ganz einfach. Ich werde Morgen in die Kaserne gehen.” \ ”Hoendis, der Qaom’de Medaz wünscht Euch zu sprechen.” ”Führe ihn herein.” antwortete MamerHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 17 cus geistesabwesend. Der Olan trat einen Schritt zur Seite und ließ den Besucher eintreten. ”Seid gegrüßt, Mamercus.” Medaz ging auf den Hoendis zu und reichte ihm seine Hand. ”Was führt Euch zu mir, mein lieber Medaz?” ”Sollten nicht alle reichstreuen Bürger hier Schlange stehen, um sich bei den tapferen Olan des Imperiums zu bedanken, das es ihnen gelungen ist, den Rebell zu ergreifen, welcher seit Monaten das Land in Atem hielt und seine Bewohner in Angst und Schrecken versetzte?” Medaz zeigte sein schönstes Lächeln und verbeugte sich leicht vor dem Hoendis. ”Ich denke doch, daß in kürze mit dem Ende des Widerstandes zu rechnen ist und alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt. In diesen unruhigen Zeiten ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher.” ”Dies hofft das Reich auch, mein lieber Medaz.” Gemeinsam gingen sie an ein Fenster. ”Seht,” Mamercus zeigte nach draußen. ”Wir unternehmen alles, um an Informationen zu gelangen, damit wir den Widerstand ergreifen und zertreten können.” Mamercus Augen hatten sich auf einen Schlag verdunkelt, seine Stimme klang eisig. Medaz Innerstes verkrampfte sich bei dem Anblick, welcher sich ihm bot. Diese Schweine hatten Fedora in die pralle Sonne gebunden. Sie sah noch fürchterlicher aus, als auf dem Marktplatz. Ihr Hemd hing in Fetzen von ihrem Körper, welcher über und über von Wunden gezeichnet war. Ihre Beine hatten wohl schon vor längerem ihren Dienst versagt, und wie leblos hing sie an den Ketten. Neben ihr konnte er eine Feuerschale erkennen, in der Eisenstangen vor sich hin glühten. ”Ist sie ...?” ”Nein. Ich sorge schon dafür, das sie mir erst noch ein paar Dinge verrät, bevor der Tod ihre Erlösung sein darf.” sagte Mamercus. Medaz hob seine Augen und erkundete den Rest der Kaserne. Überall konnte er lauernde Olan erkennen. Zwar machte es nach außen nicht den Anschein, aber hier wartete man augenscheinlich nur darauf, das jemand versuchen würde, die ‘Lilie‘ zu befreien. Damit hatte er gerechnet, aber nicht mit solch einer Übermacht. ‘Fedora, das hast du gewußt‘, dachte Medaz. Es klopfte an der Tür, und beide Männer wandten sich um. ”Herein!” rief Mamercus. Ein Olan erschien und überreichte dem Hoendis eine kleine Amphore. ”Hier ist das Serum, Hoendis.” Er salutierte kurz und verließ den Raum. ”Leider erwarten mich nun dringende Pflichten. Kommt und begleitet mich nach draußen”, meinte Mamercus. Auf dem Innenhof angekommen, sah sich Medaz noch einmal unauffällig um. Auch was er von hier unten bemerkte, gefiel ihm keineswegs. ”Ich denke, wir sehen uns bei der Hinrichtung dieses Weibes wieder.” Mamercus reichte Medaz zum Abschied seine Hand. ”Ja, das werden wir.” Noch immer hielt der Hoendis die Hand fest. ”Sagt, wie geht es Eurer Schulter?” fragte er völlig unvermittelt. ”Danke, gut. Wir haben hervorragende Heiler in Tizio.” ”Ja,” grinste Mamercus. ”die haben wir hier, in der Tat.” ”Ihr seid von Euren Wunden ja auch wieder vollkommen genesen, wie ich zu behaupten wage.” ”Allem Anschein nach hatten die Rebellen nicht vor, uns zu töten, nicht wahr? Welch glücklicher Umstand für Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 18 uns beide.” Mamercus ließ Medaz los und spielte geistesabwesend mit der Amphore. ”Nun müßt ihr mich aber entschuldigen, ich habe noch einiges zu erledigen. Ich danke Euch für Eure Glückwünsche zur Ergreifung dieses Weibes. In diesen schweren Zeiten ist es schön, zu wissen, wer zu einem steht.” Langsam ging Medaz auf das Tor zu, blieb noch einmal zögernd stehen und blickte sich kurz um. Mamercus stand mittlerweile bei Fedora und verabreichte ihr den Inhalt der Amphore. Kurz darauf schlug ihr der Hoendis ins Gesicht. Medaz ballte seine Hände zu Fäusten. ‘Du wirst für alles bezahlen, was du ihr angetan hast‘, schwor er sich. \ Leise schlichen zwei Maskierte Männer auf das Zelt des D’ascas zu. Im Lager der Legionäre war alles friedlich, die Wachen hatten sie nicht entdeckt. Conius wachte auf, als man ihm die Spitze eines Schwertes gegen die Kehle drückte. ”Keinen Laut, verstanden.” zischte ihm eine maskierte Gestalt zu. ”Hört einfach nur gut zu. Wir wollen doch unnötiges Blutvergießen vermeiden.” Der D’ascas nickte, zum Zeichen, das er verstanden hatte. ”Gut. Ich wußte, Ihr würdet vernünftig sein.” Der Mann hielt kurz inne, dann fuhr er leise fort. ”Gestatten,” er deutet eine Verbeugung an. ” wir sind eine Abordnung der ‘Lilie‘.” Dabei zeigte er auf einen zweiten Mann, welcher am Eingang des Zeltes Posten bezogen hatte. ”Aber ...?” ”... Ihr dachtet, mit der Gefangennahme der ‘Lilie‘ würde es uns nicht mehr geben? Ihr enttäuscht mich. Aber wir haben keine Zeit zum Philosophieren. Ihr rennt direkt in eine Falle des Torreòn und Eures geliebten Hoendis Mamercus. Die Nachricht, sofort in Dithorno zu erscheinen ist eine Fälschung.” ”Ihr lügt ...” ”Ich habe Dir gesagt, das er zu stur ist, um die Wahrheit zu begreifen.” meinte der Mann, an seinen Gefährten gerichtet. Dieser zuckte nur mit der Schulter. ”Hier habe ich eine Nachricht, welche Mamercus an diese Torreòn schicken wollte. Erkennt Ihr die Schrift?” Er hielt sie näher an eine Kerze heran. ”Eine gelungene Fälschung ...” ”Ja Sicher. Verdammt, wenn Ihr nicht auf uns hört, wird es Euer verderben sein. Gegen einen Hinterhalt habt Ihr doch überhaupt keine Chance ...” ”Warum sollte Mamercus sich mit dem Torreòn verbünden?” ”Weil er Euren Posten haben möchte, das ist doch wirklich nicht so ...” Er hob resigniert seine freie Hand. ”Sind eigentlich alle Legionäre so schwer von Begriff?” ”Warum warnt Ihr mich? Sollte es nicht in Eurem eigenen Interesse liegen, daß ich beseitigt werde?” ”Nun, dies ist in der Tat eine reizvolle Vorstellung, und Euer Einwand ist nicht von der Hand zu weisen ...” Ein ungeduldiges Schnaufen unterbrach seinen Redeschwall. Sein Gefährte sah mehr als ärgerlich zu ihm hinüber. ”Ja, ist schon gut. Also. Unsere Gründe haben Euch nicht zu interessieren. Hört auf die Warnung, oder laßt es bleiben. Ganz wie es Euch beliebt. Aber ... unter allen Umständen solltet Ihr zuerst so schnell wie möglich nach Tizio zurückkehren. Ach ja.” Er deutete auf den Boden. ”Hier haben wir ein kleines Paket für Euch. Den Boten. Vielleicht Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 19 schenkt Ihr dem ja mehr Glauben. Und nun, meine Empfehlung.” Der Mann machte Anstalten, den D’ascas ins Land der Träume zu befördern. ”Wartet. Warum warnt Ihr mich nur, wo Ihr mich doch anscheinend ohne große Schwierigkeiten als Geisel nehmen könnt? Schließlich befindet sich die ‘Lilie‘ in meiner Gewalt.” ”Falsch. Sie ist in den Händen von Mamercus. Und glaubt Ihr wirklich, er würde sie gegen Euch austauschen? Wo er doch gerade dabei ist, sich Euch vom Hals zu schaffen und die ‘Lilie‘ zu Tode foltert.” \ ”Zum letzten Mal. Gebt mir was ich verlange, oder ...!” ”Oder was?” seufzte Fedora. ”Es gibt nichts, was ihr mir noch antun könntet ...” Erschöpft von den langen Folterungen des Hoendis hing Fedora zwischen den beiden Pfählen. ”Wirklich nicht?” Der Mund des Mannes verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. ”Das Beste hebe ich mir immer für den Schluß auf.” Er ging auf einen Olan zu und erteilte diesem einige Befehle, dann kam er zurück und wartete. Ängstlich erschienen die Priesterinnen auf dem Hof und sahen sich irritiert um, bis sie schließlich die Agia erkannten und auf die Frau zustürzen wollten, jedoch wurden sie von den Olan daran gehindert. ”Nein,” flehte Fedora. ”Laßt sie in Ruhe, sie haben nie jemandem etwas angetan ...” ”Das hängt von Euch ab. Wo ist das Amulett?” Mamercus griff sich eine der Frauen, und zusammen gingen sie näher an die Gefangene heran. ”Bitte, Agia. Was immer man von Euch verlangt ... gebt es ihnen”, bettelte Iovanna. Der griff an ihrem Arm verstärkte sich, als sie Anstalten machte, sich loszureißen. ”Ihr solltet auf diese junge Dame hören.” ”Nehmt Eure dreckigen Hände von ihr!” schrie Fedora. Sie riß an den Fesseln, als könne sie sich damit daraus befreien. Mamercus war mehr als belustigt. ”Wußtet Ihr eigentlich, das einige Eurer Priesterinnen keine Jungfrauen waren?” Er lachte laut los, als er in das betroffenen Gesicht Fedoras blickte. ”Also, ich warte!” ”Ich habe es nicht,” meinte die Frau leise und schüttelte ihren Kopf. ”Ich habe es .....” Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als sie sah, wie sich eine Schwertspitze durch Iovannas Brust schob und das weiße Kleid dunkelrot verfärbte. ”Nein!!!” schrie Fedora. ”Das waren acht Wörter. Also bringt noch sieben von ihnen um,” befahl Mamercus seinen Männern. ”Hört auf!” brüllte Fedora. ”Ich bitte Euch ...” ”Noch weitere fünf.” ertönte die Stimme des Hoendis. Fedoras Magen verkrampfte sich, als sie die toten Frauen vor sich sah und sie begann zu weinen. ‘Komm,‘ meinte eine Stimme. ‘Nur ein kleiner Feuerball, was ist schon dabei?‘ ‘Laß mich.‘ Fedora kämpfte mit sich. ‘Aber dann ist Ruhe. Sie haben es nicht besser verdient ...‘ ‘Ich habe es geschworen. Nie wieder.‘ ‘Nie?‘ ‘Nie!‘ Mamercus stand mittlerweile dicht vor seiner Gefangenen. ”Eure Kore war aber noch eine Jungfrau.” flüsterte er, ”Bei ihr Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 20 hat es besonders viel Spaß gemacht.” dann lachte er lauthals los. ”Nein!” schrie Fedora und zerrte erneut an ihren Fesseln. ‘Nicht Kore‘ Sie schien innerlich zusammenzubrechen. Fedora sah auf die grinsende Fratze des Hoendis, sah die Leichen der Priesterinnen und die noch lebenden, welche sich ängstlich in die Arme genommen hatten, und beobachtete das selbstgefällige Gehabe der übrigen Olan. Ihr Atem ging schwer und sie schloß für einen Augenblick ihre Augen. ‘Das habe ich nie gewollt.‘ ”Ich werde Euch zu ihm bringen.” meinte Fedora unvermittelt. ”Bitte?” fragte Mamercus. Die Frau öffnete ihre müden Augen. ”Ich werde Euch zu der Stelle bringen, an dem sich das Amulett befindet.” Der Hoendis grinste siegessicher. Endlich hatte er einen Weg gefunden, in das Innere dieses Weibes vorzudringen. Ja, sie litt. Ihr Herz mußte wirklich sehr an den Frauen hängen. Aber dies war nur ein Teil dessen, was er ihr zurückgeben wollte. Er war noch lange nicht mit ihr fertig. ”Wir müssen aus der Stadt heraus. Hier befindet es sich nicht.” meinte Fedora leise. ”Es ist ... in der Nähe von Colpeque.” In weniger als einer Stunde könnten sie dort sein. ”Bindet sie los und macht die Pferde bereit!” befahl Mamercus. ”Jetzt?” fragte ihn einer der Olan. ”Es wird bald dunkel ...” ”Habt ihr etwas an meinem Befehl nicht verstanden?” brüllte ihn Mamercus an. Niemand achtete für einen Augenblick auf die Gefangene. Fedora brach sofort zusammen, nachdem sie nichts mehr in die Höhe zog. Sie holte ein paar mal tief Luft, bevor sie sich langsam an die Leichen der Frauen heranzog. Behutsam nahm sie das Gesicht von Iovanna in ihre Hände und streichelte sanft darüber, bevor sie sich den Kopf der Frau an die Brust drückte und langsam mit ihrem Oberkörper hin und her schaukelte. Tränen liefen ihr dabei über das Gesicht. ”Holt sie da weg!” rief Mamercus. Ein Olan kam näher und wollte Fedora fortziehen. Sie schlug nach seinen Händen. Er beugte sich zu ihr hinunter und sie griff instinktiv nach seinem Messer. Der Olan sank sofort zusammen als sie ihm die Klinge durch den Hals bohrte. Ein anderer eilte ihm zu Hilfe und schlug mit einer Fackel nach dem Gesicht der Frau. ”Hört auf!” Der Hoendis eilte verärgert näher. ”Halt!” tönte es donnernd über den Hof. Ohne, daß Mamercus oder seine Männer im Hof etwas davon mitbekommen hatten, war der D’ascas in die Stadt zurückgekehrt. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, die Wut war deutlich von ihm abzulesen. Conius verschaffte sich einen schnellen Überblick der Lage. In der Mitte des Hofes lagen die getöteten Priesterinnen. Davor hockte eine jammernde Gestalt, einige Olan standen um sie herum. Der D‘ascas ritt näher an Mamercus heran und stieg vom Pferd. Der Hoendis versuchte seine Überraschung zu verbergen. Was war hier schief gelaufen? Sollte dieser Kerl nicht tot sein? ”Ihr seid schon zurück? Welch freudige Überraschung.” Ohne zu Antworten, schlug ihm Conius ins Gesicht. Mamercus drehte sich durch die Wucht des Schlages um seine eigene Achse und fiel in den Staub. Conius pakkte ihn unsanft am Kragen, zerrte ihn hoch und verpaßte ihm einen erneuten Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 21 Schlag. Ehe Mamercus wieder stürzte, setzte der D’ascas einen Faustschlag hinterher. Keuchend kippte Mamercus um und mit geballten Fäusten stand der D‘ascas über ihm. ”Führt diesen Verräter ab. Und seine Handlanger ebenfalls.” brüllte er seinen Leuten zu. ”Ich möchte, daß dieser Abschaum aus meinen Augen verschwindet. SOFORT!!!” Er drehte sich um. ”Conius, wartet ...” stammelte Mamercus, dabei hob er seinen Oberkörper und streckte flehend seine Hand aus. ”Für Euch immer noch D’ascas Corvin!” Conius wirbelte herum und verpaßte dem Hoendis einen letzten Schlag. ”Schafft ihn endlich fort!” Mit schnellen Schritten hatte der D’ascas Fedora erreicht und blieb wie angewurzelt stehen. ”Bei den Göttern!” rief er entsetzt. Fedoras Körper, welcher von Blutergüssen und Hieben übersät war, zuckte immer wieder zusammen. Er kniete sich neben die auf dem Boden liegende Frau und führte seinen Arm unter ihren Kopf hindurch, um diesen leicht anzuheben, wobei sie wieder anfing zu schreien. ”Holt den Medicus. Beeilung!” ‘Was hat sich Mamercus bloß dabei gedacht?‘ Corvin schüttelte seinen Kopf. \ Fedora fühlte sich so leicht. Alle Ängste und jeden Schmerz hatte sie hinter sich gelassen. ‘Meine kleine süße Fiona. Zu gerne hätte ich dich noch einmal in meinen Armen gehalten, aber ich denke, dieser Wunsch wird mir nicht mehr erfüllt. Verzeih mir bitte mein Versagen. Ich liebe dich.‘ Bald hatte sie es geschafft. Für einen kurzen Augenblick eröffnete sich für Fedora die ganze verworrene Welt dessen, welches man Leben nennt. Alle Fragen schienen sich von selbst zu beantworten. Endlich drangen die wissenden Stimmen zu ihr durch, doch leider zu spät. Fedora hatte sie seit Monaten erfolgreich ignoriert und betäubt. War es wirklich so einfach gewesen? ‘Ja, das war es!‘ Das Licht, welches Fedora sah, war sehr verlockend. Freudig ging sie darauf zu und zärtlich umschloß es sie bei jedem weiteren Schritt mehr und mehr. Wie ein schützender Mantel hatte es sich um sie gelegt und führte sie weg von diesem schrecklichen Ort. Leichtfüßig folgte sie ihm. Es war, als wurde sie von dem Licht getragen, alle Last war von ihr gefallen. Sie spürte nur noch die einladende Wärme und eine herzzersprengende Geborgenheit. ‘Komm‘ rief eine Stimme einladend. ‘Komm‘ Ja, sie ging. Weiter und weiter, leichtfüßig, ohne zu zögern. Sie würde alles hinter sich lassen. Keine Zweifel mehr, kein Kämpfen, nie wieder um Freunde bangen. Keine Stimmen, die einen um den Verstand brachten. Die Verlockung auf einen Aufenthalt in der Umgebung dieses Lichtes war einfach zu stark. ‘Hab keine Angst‘ Nein, die hatte sie nicht. In ihrem Leben war sie noch sie so froh gewesen, wie in diesem Augenblick. Dies hier war nicht mehr ihr Kampf. Mochten ihn andere zu Ende führen, sie würde es jedenfalls nicht. \ Noch einmal atmete Fedora aus, ihre Hand erschlaffte, dann fiel ihr Kopf zur Seite. ”Neeein!!!” rief Conius. Porcius Nerva hatte ihm gerade zu verstehen gegeben, daß die Frau, daß die Agia .... daß Fedora gestorben war.
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Aktuelle Version vom 3. Dezember 2022, 15:35 Uhr

Mareikje Groß, März 2005 – November 2006 ”Wo wollt Ihr hin, Sebastian?” Bei dieser Frage zuckte der Mann zusammen. Er war so in seine Gedanken vertieft, das er gar nicht mitbekommen hatte, wie Marzella hinter ihm aufgetaucht war. Sebastian hielt inne und drehte sich zu seiner Herrin um. Diese kam die wenigen Stufen der Treppe zu ihm hinauf, welche von der Eingangshalle in die oberhalb gelegenen Arbeits- und Privatgemächer führte. ”Ich habe eine Botschaft für den Qaom’de entgegengenommen und bringe sie nun zu ihm, verehrte Marzella.” meinte er freundlich und verneigte sich dabei leicht. ”Von wem ist sie?” Der Ton in Marzellas Stimme war eiskalt und schneidend. Sebastian zuckte mit den Schultern. ”Das weiß ich nicht, ein Bote brachte sie, ohne etwas dazu zu sagen, Herrin.” Kleine Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. Marzella streckte ihre Hand aus. ”Nun gut, gib sie mir.” ”Aber ...” Mit seinem Blick, der auf einmal sehr unsicher wirkte, schien der junge Mann die Frau zu verzehren. ”Du weißt, das Parz es nicht wünscht, von euch um diese Zeit belästigt zu werden.” Sie zuckte unruhig mit den Fingern. Eine Geste, welche Sebastian eindeutig zeigte, daß er ihr die Nachricht überreichen sollte. Er blickte abwechselnd auf das Pergament und auf Marzella. ‘Mist!‘ Warum war sie aufgetaucht? Bis hierher hatte sein Plan wunderbar funktioniert. Was war es doch für ein glücklicher Tag gewesen, an dem er entdeckte, daß Parz mit der Lilie in Kontakt stand. Nun befand er sich nur noch einen Schritt von der Erfüllung all seiner Wünsche entfernt. Unerkannt hatte er diesem Mamercus von der Legion einen Tipp gegeben, daß ihnen heute Nacht die Lilie ins Netz gehen könnte, und als Zugabe würde es einen Mitverschwörer geben, eine Person von hohem Rang, die in Tizio sehr geachtet war. Die Leute des Imperiums schienen ihm bei der Unterstützung seiner Träume weitaus behilflicher zu sein, als der Torreòn. Wenn Parz erst einmal aus dem Weg geräumt war, würde er sich liebevoll um Marzella kümmern. Er würde schon dafür sorgen, das sie ihren Mann sehr schnell vergaß. ”Was ist mit dir? Ich bringe sie Parz”, unterbrach Marzella herrisch seine Gedanken. ”Aber natürlich.” Sebastian gab der Frau, was sie verlangte, verbeugte sich nochmals leicht und verschwand. Marzella setzte ihren Weg fort, welcher sie nicht in die Gemächer ihres Mannes, sondern in ihre eigenen führte. Leise schloß sie die Tür, ging ans Fenster und betrachtete im Schein einer Kerze immer wieder die Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 3 Zeilen, welche auf dem Pergament zu lesen waren. Wir müssen uns dringend sehen. Kommt heute Nacht zum Brunnen am Marktplatz. Zur Stunde der ‘Nicht schlafenden.‘ L. Sie wußte, von wem die Botschaft vorgab zu sein, aber dies war eindeutig nicht Fedoras Handschrift. Marzella konnte die Gefahr körperlich spüren. Nun fing es also an. Sie betrachtete eine Weile ihr verzerrtes Spiegelbild, welches sich in der Scheibe gebildet hatte, dann sah sie aus dem Fenster hinaus. ‘Oh, Sebastian, wie konntest du nur?‘ Marzella versuchte, ihre zitternden Finger unter Kontrolle zu bekommen. Es gab für sie keinen Zweifel, daß er dahinter steckte. Sebastian hatte den Plan, sie für sich zu gewinnen, noch nicht aufgegeben. Langsam wurde es Zeit, sich intensiv um ihn zu kümmern. Aber im Augenblick gab es erst einmal Wichtigeres zu erledigen. Parz durfte nicht zu diesem Treffen gehen. Sie würde nicht zulassen, das ihr Mann sich dieser Bedrohung aussetzte. Außerdem mußte sie versuchen, Fedora noch rechtzeitig zu warnen, bis Mitternacht war nicht mehr viel Zeit. Die junge Sarinkay schritt auf den Kamin zu und warf das zusammengeknüllte Stück Pergament in die Flammen. Als sie sich umwandte, fuhr sie erschrokken zusammen. Vor ihr stand die alte Schamanin Naim, welche völlig lautlos in ihrem Zim-mer erschienen war. ”Junge Sarinkay”, tadelte Naim ihr Gegenüber, ”du bist noch nicht soweit, um derart in die Geschehnisse eingreifen zu dürfen. Reicht es nicht, daß du dich der Widerstandsbewegung angeschlossen hast, ohne mich vorher um Rat zu Fraugen?" Die Alte schüttelte ihr Haupt. ”Aber Naim, ich kann doch nicht zulassen ...” rief Marzella verzweifelt. ”Doch, das kannst, das mußt du! – Nun, der Brief ist vernichtet. Dein Mann damit gerettet, aber weiter werde ich dich nicht gehen lassen.” Marzella blickte betroffen auf den Boden, so wie ein kleines Kind, welches bei einer Dummheit ertappt wurde. Naim war näher an die junge Sarinkay herangetreten und streichelte ihr sanft über die Wange. ”Mein liebes, törichtes Kind. Du ahnst ja gar nicht, was für Folgen aus deinem Handeln entstehen werden.” Die alte Schamanin schloß ihre Augen, ihre Hand ruhte immer noch auf Marzellas Wange. ”Ich hoffe, du bist dafür bereit.” flüsterte Naim geheimnisvoll. \ Fedora lehnte ungeduldig an einem Torbogen, welcher ihr genügend Schutz bot, um nicht sofort entdeckt zu werden. ‘Nun mach schon, Medaz. Du verspätest dich doch sonst nie.‘ Was konnte nur so wichtig sein, daß er sie so plötzlich hierher bestellte? Fedora spähte vorsichtig in die Dunkelheit. Der Marktplatz lag menschenleer vor ihr, kein großes Wunder zu dieser Zeit, dennoch für Tizios Verhältnisse etwas zu außergewöhnlich. Noch nicht einmal eine Spur der Yop’yoqus, welche sich sonst hier herumtrieben, war zu erkennen. Wieder stieg dieses unangenehme Gefühl in ihr hoch. Als sie zum wiederholten Male in die Dunkelheit späte, sah sie etwas kurz aufblitzen. Es dauerte ein wenig, bis der Frau dämmerte, was hier vor sich ging. ‘Eine Falle! Maldito! Das hätte ich ahnen können.‘ Sie tastete hinter ihrem Rücken nach Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 4 dem Riegel des Tores, aber es war verschlossen. Da blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie löste sich aus dem Schatten und rannte so schnell sie konnte ein Stück über den Markplatz. Voller Schwung sprang sie zuerst auf den Rand des Brunnens, stieß sich ab und zog sich an der dahinter liegenden Mauer hoch. Dort ging der Fluchtweg für sie nicht weiter. Hinter sich vernahm sie einen lauten Pfiff, gleich darauf traten Gestalten aus dem Schutz der Häuser und eilten geschäftig auf sie zu. Befehle ertönten über den Platz. Bogenschützen tauchten auf den Dächern auf, es wimmelte plötzlich nur so von Legionären. ”Bleibt stehen! Ihr habt keine Chance, zu entkommen!” rief ihr der D’ascas zu. Fedora grinste, und ohne zu zögern, lief sie leicht geduckt über die Mauer. Pfeile flogen an ihr vorbei. ”Hinterher! Vorauf wartet Ihr noch!” So schnell sie konnte, hastete Fedora auf den Steinen entlang, bis vor ihr eine Häuserfront auftauchte. Ohne Mühe gelang es ihr, sich auf eines der Dächer hochzuziehen. Sie sah sich um, konnte hier aber keine Olan entdecken. Nun lief sie flink über die Dachziegel, wobei sie den Erbauern dieser Stadt dankte, das sie sich für so flache Dächer entschieden hatten. Dies vereinfachte einiges. Unter sich konnte Fedora wild umherlaufende Legionäre entdecken, hinter ihr ertönte ein Keuchen. Sie blickte sich kurz um und erkannte mehrere Verfolger. Immer weiter ging die Jagd, wobei sie einige Dächer überquerte, bis sie plötzlich stehen blieb, weil diese Häuserfront zu Ende war. Die Verfolger kamen näher. Fedora drehte sich langsam um, gleichzeitig zog sie ihre Waffe. Der erste Olan ging nach ihrer Attacke sofort in die Knie. Fedora versetzte ihm noch einen Tritt, woraufhin er vom Dach rollte. Der zweite war etwas hartnäckiger, jedoch kein grosses Problem. Er war schon tot, bevor er auf der Straße aufschlug. Mit dem nächsten kämpfte sie gefährlich nahe am Rand des Daches, was Fedora zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Wenig später befand sich auch dieser Mann auf dem Weg nach unten. ”Verdammt, schert Euch aufs Dach. Und ich will ihn lebend!” tönte es ärgerlich von unten. Fedora sah sich schnell um. Über den Abgrund würde sie es nicht schaffen. Also zur anderen Seite. Erneut hatte sie Glück. Unter ihr leuchteten, vom Strahl der Monde erhellt, die Ziegel rot und verführerisch hinauf. Darauf angekommen, verharrte sie einen Moment in ihrer gebückten Haltung und erkundete hastig mit ihren Augen den weiteren Weg. Es blieb nur die Flucht über eine weitere Häuserschlucht. Die Rufe ihrer Verfolger wurden lauter und kündeten so deren Herannahen an. Fedora nahm Anlauf und segelte durch die Luft. Erneut flogen Pfeile an ihr vorbei. Sie landete ohne Schwierigkeiten, krallte sich jedoch an den Dachziegeln fest, um nicht nach hinten zu fallen und lief, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, weiter. Bald hatte sie es geschafft, denn in der Nähe befand sich ein Geheimgang. Diesen mußte sie nur noch unbeschadet erreichen. Fedora sprang erneut auf ein unter ihr liegendes Dach. In dem Moment, als sie sich aufrichtete, quoll Nebel herauf, und gleich darauf war sie von einem Schwarm Raben umringt, welche wild durch die Luft flatterten. Fedora hob schützend ihre Arme und erkannte für einen Augenblick nicht, wohin sie stolperte. Das Gekrächze der Vögel begleitete die Frau und klang in ihren Ohren wie ein schadenHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 5 frohes Lachen. Mit einem Schrei verschwand sie in der Tiefe. Ein Stoffbaldachin fing ihren Sturz ab. Sie rollte bis zu dessen Rand und fiel erneut. Krachend zersplitterte ein Holzkarren unter ihrem Gewicht. Ein ziehen in ihrer Brust ließ sie die Augen öffnen und sie bemerkte, das etwas feuchtes von ihrer Stirn herunter tropfte. Fedora richtete sich trotz der Schmerzen auf und wankte weiter. Die Schritte der Legionäre kamen näher. Das immer noch anhaltende Gemekker der Vögel zog deren Aufmerksamkeit in die Gasse. Sie bogen um die Ecke und entdeckten den Flüchtigen. Der D’ascas erkannte, das dies eine Sackgasse war und gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin sich die Legionäre fächerartig verteilten und langsam näher rückten. Fedora zog ihr Schwert, ganz kampflos würden sie diese Mistkerle nicht bekommen. Sofort blieben die Bogenschützen stehen und zielten. ”Gebt auf. Ihr könnt nicht entkommen!” rief Corvin. Damit schien er leider recht zu haben, aber vielleicht schaffte sie es, einige von diesen Mistkerlen mitzunehmen. ”Was soll‘s!” Sie zuckte mit den Schultern. Fedora schätzte die Distanz auf etwa zwanzig Meter. Als sie nach vorne stürmte, bohrte sich ein Pfeil in ihre Schulter. Die Frau drehte sich einmal um sich selber und zögerte kurz, dann lief sie weiter. Ein zweiter Pfeil traf sie in den rechten Oberschenkel. Sie stolperte und überschlug sich. Dabei brach der Schaft des Pfeiles, welcher in ihrer Schulter steckte, ab und bohrte sich noch tiefer in die Wunde. Fedora schrie daraufhin kurz auf. ”HALT!” brüllte Corvin. ”Nehmt die Bögen runter, ich will ihn lebend!” Die Frau erhob sich mühevoll auf ihr nicht verwundetes Knie und blickte zu dem D’ascas hinüber. Ihr Atem ging schwer, Schweiß rann an ihrem Körper herunter, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt. Corvin kam langsam näher. ”Gebt endlich auf.” meinte er ruhig. ”Es ist vorbei.” Die Frau hob ihren Blick noch ein Stück und starrte Corvin lange an. Sie ächzte schwer, als sie sich zwar langsam, aber vollständig aufrichtete. Der D’ascas gab seinen Männer ein Zeichen, nichts zu unternehmen, da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Diese Augen hatte er schon einmal gesehen. Der Haß und die Wut welche aus ihnen sprach, war wirklich einzigartig. Plötzlich mußte er an die Person denken, welche ihm beim letzten Frühlingsfest in die Arme gerannt war 1 und - an eine ganz bestimmte Priesterin. Er ging immer näher an die ‘Lilie‘ heran und war nun nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt. Um Fedora verschwamm alles, der Boden schien unter ihren Füßen zu tanzen, die Häuser kreisten in einer wilden Hatz um sie herum. ”Verfluchte Noctuna und ihre krähende Brut”, schimpfte die Frau, bevor ihr Schwert polternd auf den Steinen der Straße aufschlug. ‘Wenn ich den Verräter in die Finger bekomme ...‘ dachte sie noch, dann wankte sie stark und brach in den Armen des D’ascas zusammen. Noch bevor er das Tuch herunter zog, welches ihr Gesicht verhüllte, wußte er, wen er festhielt. Mamercus sah nach oben und erkannte gerade noch, wie sich ein ihm bekannter Nebel mitsamt den Raben zurück zog. ‘Nun tue das deine, Kajus.‘ vernahm er leise und starrte Wortlos auf die Agia, welche bewußtlos in den Armen des D’as1 Follow 390, Gesprengte Ketten 3, Geschichte ‘Auf Messers Schneide‘ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 6 cas hing. \ Corvin betrachtete lange seine Gefangene, welche man ins Krankenlager der Kaserne geschafft hatte. In seinen Händen hielt er eine violette Lilie, welche in ihren Sachen versteckt gewesen war. Endlich! Endlich hatte er einen großen Erfolg zu verzeichnen. Corvin blickte besorgt zu Porcius Nerva, dem Medicus, hinüber, der sich geschäftig um seine Patientin kümmerte. Der Raum war angefüllt von den Düften der Kräuter und Tinkturen, welche der alte Mann benutzt hatte. Sein junger Gehilfe Claudius räumte geschäftig die Blutverschmierten Tücher beiseite. Der Mann zog sein linkes Bein hinterher, welches er sich bei einem Unfall so stark gequetscht hatte, das er froh sein konnte, es nicht verloren zu haben. ”Bitte leere auch die Schüsseln aus, Claudius”, erinnerte ihn Porcius Nerva. ”Aber natürlich, ich erledige es sofort.” Er bedachte den Medicus mit einem verständnisvollen Blick. ‘Er wird alt‘, dachte er bei sich. Claudius hatte dem Medicus einiges zu verdanken. Keiner gab nach dem schrekklichen Unfall noch etwas auf sein Leben, nur Porcius kümmerte sich väterlich um ihn. Da er wegen seiner Behinderung für niemanden von nutzen war, ging er bei dem alten Mann in die Lehre. Er wurde seine rechte Hand, kannte sich ausgezeichnet mit den verschiedensten Kräutern und Krankheiten aus. So lahm auch sein Bein sein mochte, das glich er mit der Geschicklichkeit seiner Hände und seinem wachen Verstand um Längen aus. Auch bei der Gefangenen, welche heute versorgt wurde, durfte er die Wunden behandeln. Er wußte, das nicht mehr als ein paar kleine, fast nicht auffallende Narben zurückbleiben würden, wenn sie lang genug am leben blieb. ”Ich kann Euch sagen, daß ein paar Rippen gebrochen sind. Mit dem Kopf ist sie hart aufgeschlagen, was aber nicht weiter bedrohlich ist, wenn sie ruhen kann. Und sollten sich die Wunden, welche die Pfeile verursacht haben, nicht entzünden, wird es ihr in ein paar Wochen wohl besser gehen.” unterbrach die Stimme des Medicus die Stille des Raumes. ”Hoffe ich.” ”In ein paar Wochen?” rief Corvin überrascht. ”Ja, in einigen Wochen wird sie für eine Vernehmung bereit sein. Nicht früher.” ‘Ein paar Wochen. Die ganze Welt kann sich in dieser Zeit ändern, und ich komme kein Stück vorwärts.‘ ”Und ein Transport nach Dithorno?” Porcius Nerva schüttelte energisch seinen Kopf. ”Ich werde dies auf gar keinem Fall gestatten. Im Moment ist sie meine Patientin, und ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, damit sie am leben bleibt. Was nach ihrer Genesung geschieht, ist dann nicht mehr mein Problem.” Corvin wollte etwas erwidern, der Medicus jedoch ahnte wohl, was sein Vorgesetzter von ihm verlangen würde und schüttelte seinen Kopf. Corvin schnaufte und nickte zum Zeichen, das er verstanden hatte. Noch einmal betrachtete er seine Gefangene, welche sich unruhig auf dem Lager bewegte. Ihr leises Stöhnen ließ erahnen, welche Schmerzen sie hatte. Wie sehr hatte sie sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Ihr Gesicht war gebräunt und schien dem Wetter fast immer schutzlos ausgeliefert worden zu sein. Selbst die unnatürliche Blässe, welche sich über sie gelegt hatte, konnte diese Tatsache nicht verdrängen. Ihre Hände waren rauh und schwielig, wie die eines Bauern und nicht wie die einer PrieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 7 sterin. Fast hätte er Mitleid mit ihr haben können. Aber - sie war der Mensch, welcher unter anderem für die Vernichtung einer ganzen Hastatt verantwortlich war. Sie hatte seine Waffenlieferungen und Goldtransporte überfallen. Sie war die Person, die öffentlich dazu aufforderte, gegen das Reich zu kämpfen und dessen Anhänger in die alte Heimat zu treiben. Nach ihr suchten seine Leute seit Monaten, ohne auch nur eine Spur zu entdecken. Er betrachtete sie noch einmal eingehend ... sie war wirklich die letzte, bei der er vermutet hatte, das sie hinter der Tarnung der ‘violetten Lilie‘ stecken würde. Jetzt mußte seine Gefangene nur noch schnell genesen, damit er sie unbeschadet nach Dithorno bringen konnte. Es war nicht an ihm, über sie Recht zu sprechen, dies übernahmen andere. Bevor er den Raum verließ, erteilte er den Anwesenden Olan den Befehl, besonders wachsam zu sein. \ Als Corvin seine Gemächern erreichte, wartete bereits Mamercus auf ihn. Trotz des Erfolges sah dieser recht mürrisch aus. Der D‘ascas konnte nicht ahnen, daß der Hoendis sich ärgerte, den Komplizen der ‘Lilie‘ nicht gefaßt zu haben. Diese kleine, unbedeutende Mitteilung hatte er an Corvin nicht weiter geleitet. ”Ich gratuliere, Damiano. Ihr habt mich nicht enttäuscht?” Er schmiß die Lilie auf seinen Tisch. ”Ich danke Euch. Habt Ihr noch mehr bei ihr gefunden? Irgend etwas, was uns weiterhelfen könnte?” fragte Mamercus neugierig. Der D’ascas schüttelte seinen Kopf. ”Leider nicht.” ”Hier ...”, der Hoendis hielt dem D‘ascas eine Pergamentrolle entgegen. ”Soeben wurde eine Nachricht für Euch abgegeben.” ”Um diese Zeit?” Aber diese Tatsache wunderte den Mann nicht wirklich. Er war vom Militärdienst einiges gewohnt. Corvin rollte das Pergament auseinander, und seine Augen flogen flink über die Zeilen. ”Verdammt”, entfuhr es ihm. ”Verdammt!” Mamercus hob verwundert eine Augenbraue und sah neugierig zu Corvin hinüber. ”Schlechte Neuigkeiten?” ”Das kann man wohl sagen. Ich soll mich sofort in Dithorno melden. Auf Anweisung unseres neuen Vorgesetzten.” Seine Stimme ließ erahnen, das er für diesen Menschen nicht viel übrig hatte, welcher vor einigen Wochen in das Land gekommen war. Warum ausgerechnet jetzt? Ihm behagte es nicht, die Stadt zu verlassen, wo er doch gerade erst die ‘Lilie‘ gefaßt hatte. Und welche er nicht gleich mitnehmen konnte. Corvin hob ein weiteres Pergament in die Höhe. ”Hier ist eine Liste mit den Namen derer, die mich begleiten sollen. Welch ein Glück Ihr habt, Damiano. Ihr dürft hierbleiben.” \ Nachdem Corvin am nächsten Morgen, begleitet von seiner Leibgarde und den Olan, welche ebenfalls nach Dithorno beordert worden waren, Tizio verlassen hatte, begab sich Mamercus in Begleitung einiger seiner ihm treu ergebenen Olan auf direktem Weg zum Krankenlager. ‘Gut gemacht‘, lobte sich der Mann selbst. Mittlerweile konnte er im Schlaf gefälschte Nachrichten und Befehle schreiben. Wenn alles gut ging, würde man ihm den D’ascas auch bald vom Hals schaffen, dafür hatte er schon gesorgt. Inzwischen verfolgte Mamercus ganz eigene, ehrgeizige Ziele. Der Hoendis hatte keine Zeit zu verlieHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 8 ren. So schnell wie möglich wollte er seinen Auftrag ausgeführt wissen. Dann erst war die Stunde der Rache gekommen. Er stieß eine Tür auf und blickte sich suchend um. Nachdem er die Frau entdeckt hatte, trat er zu ihr heran. Aus seiner ersten Wut heraus hob er seine Hand und wollte zuschlagen, wurde jedoch daran gehindert. ”Ich muß Euch bitten, diesen Raum zu verlassen.” meinte Porcius Nerva ruhig. ”Sagt wer?” Drohend drehte sich der Hoendis zu dem Mann um. Mamercus Arm schnellte nach vorne und packte den alten Medicus an der Kehle. Deutlich sichtbar spannten sich die Muskeln an seinem Arm und er drückte zu. ”Ihr werdet dafür sorgen, das dieses Weib so schnell wie möglich aufwacht. Euch stehen genug Möglichkeiten zur Verfügung. Also begebt Euch an die Arbeit.” Die Worte wurden leise gesprochen, aber mit ihrem Klang hätte man Wände zum Einsturz bringen können. Damiano schleuderte den Medicus gegen ein Regal. Einige kleine Amphoren fielen zu Boden und zerbrachen. ”Das könnt Ihr von mir nicht verlangen. Ich werde den D’ascas über Euer Ansinnen unterrichten. Nur er alleine befiehlt, was mit der Frau geschehen soll.” ”Der D’ascas ist nicht hier und wird so bald auch nicht wiederkommen. Also macht besser, was ich Euch sage, oder ...!” Die Olan hatten sich zur rechten und zur linken neben Mamercus postiert und spielten nun mit ihren Klingen. ”Ihr könnt mir so viel drohen, wie Ihr wollt. Dennoch werde ich Eurem Wunsch nicht entsprechen.” In diesem Augenblick erschien Claudius im Raum und erkannte sofort, was hier vor sich ging. Er humpelte näher und wollte seinem Mentor beistehen, doch einer der Olan drängte ihn gegen die Wand und hielt ihm seine Waffe an die Kehle. ”Nun. So wie es aussieht, werde ich für eine ziemlich lange Zeit die Befehle hier erteilen. Es ist nur zu Eurem Wohl, sich mir zu fügen. Und nun macht, um was ich Euch gebeten habe, oder ich lasse Claudius töten.” Porcius schien kurz nachzudenken, nickte dann dem Hoendis zu, drehte sich um und ergriff einige Tiegel und Amphoren aus dem Regal. ”Gut.” erwiderte Mamercus. Aus seinen dunklen, schmalen Augen sah er den Medicus verächtlich an. ”Und braut mir etwas schön Starkes zusammen.” \ Wenig später war das Serum fertig und wurde Fedora eingeflößt. ”Wie lange wird es dauern ...!” ”Vielleicht eine halbe Stunde, dann müßte die Wirkung einsetzen und sie erwacht.” ”Sehr schön. Ihr bringt sie in eine Zelle.” Er wandte sich an zwei der Olan. ”Ihr wißt, was ihr zu tun habt! Und vergeßt ihre Sachen nicht.” Er deutete auf einen Hocker, auf dem sich einige Kleidungsstücke stapelten. ”Natürlich.” meinten beide sofort. Sie packten Fedora, zerrten sie aus dem Bett und schafften sie weg. ”Das könnt ihr nicht machen”, rief Porcius, ”das wird sie umbringen ...” ”Na und ...?” Mamercus Stimme war eisig. ”Ihr haltet Euch immer bereit, um mir zur Verfügung zu stehen.” Der alte Mann wußte, das Mamercus nur höflich ausgedrückt hatte, daß sie von nun an unter Arrest standen. \ Fedoras Körper fühlte sich an, als wäre eine Herde Armadillos über sie hinweg getrampelt. Stöhnend öffnete sie ihre Augen und nahm verschwommen war, daß Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 9 sie sich in einem Kerkerraum befand. Ihre Hände steckten in schweren Eisenringen, welche an Ketten befestigt von der Decke hingen. Fedora atmete tief durch, um so die Übelkeit zu vertreiben, welche sie überkommen hatte, aber sie wurde noch schlimmer. Die dicke Kerkertür wurde aufgestoßen und drei Gestalten traten ein. Dicht vor ihr blieb eine davon stehen. ”Ich möchte nicht viel von Euch. Die Namen Eurer Mitverschwörer und ...” Der Mann trat dicht an sie heran und riß ihr Hemd auf. Beim Blick auf die blanke Haut ihres Halses färbte sich sein Gesicht rot und eine Ader an seiner Schläfe begann gefährlich zu pulsieren. ” ... den Aufenthaltsort Eures bezaubernden Amulettes!” ”Welches Amulett?” Ihre Stimme war leise und klang geschwächt. Als Antwort schlug Mamercus der Frau ins Gesicht. Ein feiner Blutstrahl schoß aus ihrer Nase. ”Denkt nicht, Ihr habt einen zweiten Corvin vor Euch. Also gebt mir, was ich verlange”, sagte Mamercus bedrohlich. ”Wo ist dieses verfluchte Ding?” ”Da kommt Ihr aber um einiges zu spät.” Mamercus drehte sich, scheinbar gelangweilt, um und betrachtete für eine Weile die feuchten Wände. ”Durchsucht ihre Sachen”, befahl er den Olan. ”Wir können nichts entdecken, Hoendis”, meinten sie nach einer Weile. Mamercus zog seine Peitsche hervor, drehte sich wieder zu Fedora um und rammte ihr mit voller Wucht den Griff in die Seite. Sie konnte sich gerade noch beherrschen und schrie nicht los. ”Fangen wir mit etwas einfachem an ... Namen ... Ich höre.” ”Ich kenne viele Namen ...” ”Falsche Antwort!” Erneut stieß er ihr den Griff in die Seite. ”Also ...?” ”Fahrt zum In’Ret!” Als Reaktion darauf spürte Fedora einen dumpfen Hieb gegen ihre gebrochenen Rippen und rang nach Atem. Der Hoendis wandte sich an seine beiden Begleiter. ”Laßt mich mit ihr allein. Ich möchte in den nächsten Stunden nicht gestört werden.” Die Olan nickten und verschwanden. Mamercus schnallte sich seine Rüstung ab und ließ diese achtlos zu Boden fallen. Sein Blick hatte sich um einiges verfinstert, als er erneut an die Gefangene herantrat. ”So sieht man sich wieder.” 2 Seine Wut auf das, was mit seiner Familie geschehen war, und welche er in all den langen Jahren tief in seinem Inneren vergraben hatte, brach hervor. Mamercus wußte, er sollte sich zuerst um das Amulett kümmern, aber er konnte nicht. Der Hoendis hatte deutlich vor Augen, wie dieses Weib seinen Vater tötete und wie sein Heim abbrannte. Er sah noch einmal seine Verlobte, welche sich von ihm abwandte, als er um Beistand flehte und wie Savlinas Vater ihn von seinem Besitz jagte. Wie er über ihn lachte und sich über sein unmögliches Anliegen lustig gemacht hatte. Wie er im ganzen Land umher gewanderte war, bis Arinius und er schließlich auf einem Schiff anheuerten und die Insel verließen, welche seine Heimat gewesen war. Welch furchtbare Jahre hatte er durchlebt, er, der nichts vernünftiges gelernt hatte und so wohlbehütet aufgewachsen war. In den Jahren, welche er auf dem Schiff verbrachte, hatte er einiges an Schikanen ertragen müssen. Und als er schließlich 2 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 10 wieder an Land ging um kurz danach beim Militär einzutreten, war es nicht viel besser. Aus ihm war das geworden, was er am meisten verabscheute. Hatte er sich nicht geschworen, nie eine Waffe zu führen und sich lieber den schönen Künsten hinzugeben? Aber die Wirklichkeit hatte ihn schnell eingeholt. Von irgend etwas mußte man ja leben. Und er hatte schnell gelernt, wie man kämpfte. Mamercus durchlebte noch einmal, welche Gefühle in ihm aufgekommen waren, als er nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt war und nirgends eine Spur von seiner Mutter oder von seinen Schwestern entdecken konnte. Kein Lebenszeichen, niemand wußte, wo sie sich befanden ... Niemand schien sich überhaupt an sie zu erinnern ... Ohne ein weitere Wort zu verlieren, schlug er zu. Immer wieder. \ Sie war allein. Dunkelheit umschmeichelte ihren Körper, welche sich wie eine wärmende und schützende Hülle um sie gelegt hatte. Inzwischen war das Blut ihrer Wunden getrocknet. Aber sie wußte, sie würden wieder aufplatzen, wenn der Hoendis mit seinem Werk fortfahren würde. Warum er ihr aber mit solch einem Haß begegnete, konnte sie sich nicht erklären. Halb wach und halb im Dämmerzustand versunken, flogen die Ereignisse der vergangenen Wochen an ihr vorbei. Sie erinnerte sich, und sie würde alles darum geben, wenn sie auch dies vergessen könnte. So wie ihre Vergangenheit, woher sie kam, wer sie war ... Fedora lachte auf. Sie kämpfte nicht nur für sich ... sie kämpfte für dieses verdammte Land und deren Bewohner ...für die Kinder ... für eine Freiheit, die es wohl nie geben würde ... Das hysterische Lachen von Fedora schallte von den Mauern ihres Gefängnisses zurück und klang in ihren Ohren wie Hohngelächter und Spott. Närrin! hörte sie. Närrin! Närrin! ... Du hast einen persönlichen Kampf daraus gemacht ... Närrin!!! Die anderen Stimmen schalteten sich mit ein und Fedora schrie gequält auf. ”Geht doch endlich weg!” rief sie unter Tränen. ”Laßt mich allein.” \ ”Kajus. Ich will das Amulett! Also zügle deine Rache und bringe mir erst, was ich verlange.” Im Schlaf vernahm Mamercus die verärgerte Stimme von Noctuna. \ Nach einem ausgedehnten Frühmahl begab sich der Hoendis erneut in den Kerker. Seine Gefangene hing wie leblos in der Mitte des Raumes. Brutal flößte er ihr abermals ein noch stärkeres Serum ein. Kurz danach öffnete Fedora ihre geschwollenen Augen. ”Ihr gebt immer noch nicht auf, sucjos pu‘erco? Hijo al‘gùno còbarde perra.” begrüßte sie Mamercus spöttisch. Sie war schwer angeschlagen, doch ihre Beleidigungen sprudelten wie eine nie versie-- gende Quelle aus ihr heraus. ‘Maldito. Was für ein Zeug gebt ihr mir?‘ ”Wo haben wir gestern aufgehört?” Er tat, als hätte er dieses Schimpfwort überhört. ”Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.” Er schlug einen Stock gegen Fedoras gebrochene Rippen. Heftig sog sie die Luft ein. Glaubte dieser Kerl wirklich, sie würde ihm etwas über den Widerstand preisgeben? Lieber würde sie sterben, als ihre Kampfgefährten zu verraten. ”Ihr gebt Euch der Selbstüberschätzung hin. So, wie es die Legionäre immer Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 11 mache.,” rief sie heiser. ”Dies wird eines Tages Euer Verderben sein. Ihr könnt mich umbringen, aber nach mir werden andere kommen, und nach denen wieder andere. Die Liste der Wartenden ist lang.” Sie lachte auf. ”Ihr könnt nicht gewinnen!” ”Ich glaube, da irrt Ihr Euch, meine Liebe. Ich habe schon gewonnen. Wenn ich erst einmal das Amulett von Euch erhalten habe, hält mich nichts mehr davon ab, Euch qualvoll sterben zu lassen.” ”Dann rate ich Euch, bringen wir es hinter uns. Ich besitze diese Ding nicht mehr. Was immer ihr damit vor hattet, es ist verloren, und ich kann es auch nicht wieder beschaffen.” ”Ihr lügt!” ”So, tue ich das?” Fedora lachte abermals, erst leise, dann immer lauter. Das konnte nicht sein. Mamercus sah die Frau ungläubig an, dann krallte sich seine Hand in ihre Haare und er bog ihren Kopf nach hinten. ”Ich glaube Euch kein Wort!” ”Es tut mir leid, aber es ist die Wahrheit”, erwiderte die Frau erschöpft. Mamercus schrie und ließ sie abrupt los. Er schritt nachdenklich um sie herum. ”Nun gut. Dann soll es so sein”, meinte er, nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte. ”Ihr beide schafft sie nach oben. Wir wollen Tizio zeigen, welch erlauchte Persönlichkeit sich in unserer Gesellschaft befindet. Ich komme gleich nach.” \ Langsam bewegten sich die Legionäre durch die Gassen der Stadt. Fedora stolperte mehr hinter dem Hoendis her, als das sie ging. Ihr Bein und ihre Schulter schmerzten unablässig. Ihre Hände hatte man mit Eisenringen hinter ihrem Rükken zusammengebunden, ihre Füße stekkten auch in Eisenringen, welche ihr durch die kurze Kette nur wenig Bewegungsspielraum ließen. Eine Eisenkette war um ihren Bauch geschlungen, dessen anderes Ende Mamercus in seiner Hand hielt, welcher stolz und aufrecht auf seinem Pferd saß und auf den Markplatz zuritt. \ ”Qaom’de!” Aufgeregt stürmte ein Diener in die Gemächer seines Herren. ”Die Stadt ist in Aufruhr. Es wird berichtet, das ein Gefangener aus dem Widerstand auf den Marktplatz geführt wird.” Parz reichte das Kind, mit welchem er bis eben noch gespielt hatte, an die Amme zurück. Er ergriff den Arm seiner Frau und verschwand, ohne ein Wort gesagt zu haben, aus dem Zimmer. Laut dröhnte die Stimme von Mamercus über den inzwischen voll gefüllten Marktplatz. ”Bürger Tizios! Dem Imperium ist ein schwerer Schlag gegen den Widerstand gelungen. Uns ist nicht nur die per Steckbrief gesuchte Agia in die Hände gefallen ...!” Bei diesen Worten zog er an der Kette und Fedora stolperte ein Stück in seine Richtung. ” ... Gleichzeitig ist es uns gelungen, diesen Verbrecher, der sich die ‘violette Lilie‘ schimpft, ebenfalls zu ergreifen! Jene ‘Lilie‘, welche auf besonders bestialische Art und Weise reichstreue Bürger und Angehörige des Militärs hingeschlachtet hat!” Mamercus machte eine kurze Pause und sah in die erstaunten Gesichter der Leute. ”Die Rebellin, welche uns unter dem Namen der Agia bekannt ist und die ‘Lilie‘ sind ein und dieselbe Person. In Kürze schon wird ihre Hinrichtung stattfinHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 12 den, auf daß endlich wieder Frieden einkehrt. In diesem Zusammenhang gebe ich eine Proklamation bekannt!” Mamercus zog ein Pergament unter seiner Kleidung hervor. Stimmengewirr schwoll nach dieser Nachricht an. Rufe wurden laut, die unter Zustimmung eine baldige Hinrichtung forderten. Vereinzelt hörte man Kinderweinen. Mamercus hob gebieterisch seine Rechte Hand und jedes Geräusch erstarb. ”In Anbetracht der Situation, in der sich die Priesterschaften durch das üble Beispiel der Agia befinden und da es nicht ausgeschlossen ist, das einige sich berufen sehen, diesem schändlichem Irrbild zu folgen, ist mit sofortiger Wirkung die Anbetung jeglicher Gottheit in Tizio und in der Provinz Tizio verboten und strengstens untersagt! Es dürfen ab sofort keine religiösen Tätigkeiten, egal welcher Natur, mehr ausgeübt werden. Die Tempel werden erneut, bis auf weiteres, geschlossen. Zuwiderhandlungen werden mit dem sofortigen Tod bestraft. Diese Anordnung gilt so lange, bis der Protector über den Fortbestand der hiesigen Priesterschaften geurteilt hat! Desweiteren wird bis zur Hinrichtung der ‘Lilie‘ eine erneute nächtliche Ausgangssperre verhängt, welche von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang gilt! Personen, welche sich während dieser Zeit auf den Straßen Tizios aufhalten, werden sofort in Gewahrsam genommen und müssen mit einem Prozeß rechnen! Ebenso sind die Feierlichkeiten der nun kommenden Festtage außer Kraft gesetzt. Die Curie wird weiter geschlossen bleiben! Jegliche Belange der Stadt liegen weiterhin in den Händen des Militärs! Diese Anordnung gilt solange, bis sich die Lage in Tizio beruhigt hat und alle Mitverschwörer und Rebellen gefaßt und verurteilt wurden!” ‘Mach es nicht‘, hörte sie. ”Dies ist eine Lüge!” schrie Fedora. ”Ihr schweigt!” Mamercus Peitsche knallte auf Fedoras Körper. Heiß brannte sich der Hieb in ihr Fleisch. Haßerfüllt sah sie ihn an. ”Hier.” Er überreichte das Schriftstück einem Olan. ”Hängt es an die nächste Wand.” Die Bewohner der Stadt waren wie gelähmt, kein Ton kam über ihre Lippen. ”Damit schürt Ihr noch größeren Unfrieden”, knurrte Fedora durch ihre zusammengebissenen Zähne. ‘Halt den Mund‘, warnte die Stimme leise. ”Wer sollte sich schon dafür interessieren, was ein Feind des Staates zu sagen hat? Und nun schweigt endlich!!!” Er ritt näher an die Frau heran und versetzte ihr einen kräftigen Tritt in den Rücken. Dieser brachte Fedora aus dem Gleichgewicht und sie fiel auf den staubigen Boden. Ihr Atem ging schwer, in ihrem Kopf hämmerte es unentwegt, immer wieder tanzen weiße Funken vor ihren Augen. ”Ihr seid ein kleiner Bastard!” schrie sie. ‘Nein! Nein!‘ ”Denkt Ihr wirklich, Ihr könnt die Freiheit dieses Landes mit Füssen treten? Glaubt Ihr, daß sich aus dem Staub niemand erheben wird, um Euch aufzuhalten?” Fedoras Stimme war weithin zu hören. ‘Zu spät‘, meinte die Stimme resigniert. Mamercus gab einem der Olan ein Zeichen. Mit einem breiten Grinsen ging dieser langsam auf die am Boden hockende Person zu und versetzte ihr einen Fußtritt in den Magen. Fedora krümmte sich stöhnend zusammen. ”Ist dies alles was Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 13 Ihr könnt?” zischte sie, wobei Speichel und Blut aus ihrem Mund tropfte. ”Eure Macht liegt allein in Eurer Brutalität! Aber die kann Euch auch nicht retten!” Die Menge schwieg. Kein zustimmendes Gegröle auf die Reaktion des Olan oder auf die bissigen Worte der Frau waren zu vernehmen. Abermals nickte Mamercus dem Olan zu und ein erneuter Tritt beförderte Fedora ein Stück über den Marktplatz. ”Hurensohn”, zischte die Frau. Langsam ging der Olan auf sie zu, hob sie hoch und schlug ihr ins Gesicht. Ihre Lippe sprang erneut auf und Blut floß an ihrem Kinn herunter. Außerdem war ihre Schulterwunde aufgeplatzt und durchnäßte das Hemd an dieser Stelle wieder dunkelrot. Taumelnd stolperte Fedora nach hinten, wurde jedoch von dem Olan am umfallen gehindert. Wie eine Puppe hing sie an seinem Arm. \ Marzella stöhnte leise auf. Ihre Augen tasteten sich durch die Menge und blieben an der Schamanin Naim haften. Diese schüttelte kaum merklich, dennoch eindringlich ihren Kopf. ”Ihr werdet Eure Herrin sofort nach Hause bringen”, flüsterte Medaz seinen Begleitern zu. Seine Stimme war ruhig, in seinem Inneren sah es allerdings anders aus. Sein Magen verkrampfte sich bei jedem Schlag, der Fedora zugefügt wurde. Sie sah furchtbar aus, und ihn wunderte es, das der D’ascas seine Zustimmung zu diesem grauenhaften Schauspiel gegeben hatte. ”Parz.” Marzella rückte dichter an ihren Mann heran. ”Ich muß dir etwas sagen ...” ”Später, meine Liebe. Bitte geh nach Hause.” ”Aber ...” sagte sie. ”Bitte tue was ich dir sage.” Er küßte sie flüchtig auf den Mund und lächelte ihr dann zu. ”Geh. Ich komme bald nach. Mach dir keine Sorgen.” Seine Augen waren voller Liebe, als er zu ihr hinunter blickte. \ Arnoldos Hand verkrampfte sich. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Zum Glück hatte er mit Hilfe Gaetanos die Priesterinnen aus der Stadt schleusen können. Estrelle spürte, was in ihm vorging, und betrachtete in flehend. Aus ihrem Blick sprachen Bände. Ohne, daß ein Ton ihre Lippen verließ, erkannte Arnoldo, was sie ihm sagen wollte. ‘Tue nichts unüberlegtes. Dies ist genau das, wovor Fedora immer Angst hatte.‘ Liebevoll umschlang seine Hand die ihre. \ ”Quint, was macht Ihr?” Der Angesprochene wurde am Arm zurückgehalten. ”Seid Ihr wahnsinnig? Wenn Ihr nun dort runter geht, ist alles verloren.” Quint blieb stehen. Er hätte der Agia vertrauen sollen, dann wäre es mit Sicherheit nie soweit gekommen. Die Nachricht, daß sie sowohl im Widerstand war, als auch die ‘Lilie‘ erschütterte den alten Mann mehr, als andere sehen konnten. Warum hatte er der Frau nicht einfach vertraut? Vielleicht wäre unter ihrer Führung der Widerstand der Priester viel einfacher gewesen? Statt dessen hatten sie aneinander vorbei gearbeitet. Er hätte sie lenken können, ihr so Beistand gegeben. Aber er hatte sich von ihr abgewandt. Hilflos stand er da. Wenn sie starb, war es seine Schuld. \ Carlos Vottorio Salvatore il Rabbacca di Tulgari, der Flinke, Vetter von Hector Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 14 Vincenzo Manuel il Rabbacca di Tulgari, dem Jüngeren 3 , zog sich unerkannt aus der dichtgedrängten Menschenmasse zurück. Er mußte sofort zu seinem Kommandante um ihm von den neusten und sehr beunruhigenden Ereignissen, welche sich in Tizio zugetragen hatten, zu berichten. \ Der Torreòn schäumte vor Wut. Nun war es den Truppen des Imperiums doch vor ihm gelungen, die Agia zu ergreifen. Und er war auch noch ein Bündnis mit diesem Kerl eingegangen. Nun gut, darin sah er weiterhin einen großen Vorteil für sich. Er blickte sich in der Menschenmenge um. Wo ,verflucht noch mal, stekkte Iovanna? Von ihr hatte er seit Tagen weder etwas gehört, geschweige denn, sie gesehen. Der Verlauf der Ereignisse besorgte ihn ein wenig. Aber er wäre nicht schon seit so vielen Jahren der Torreòn, wenn ihm nicht doch noch eine Lösung zu seinem Problem einfallen würde. \ ”Laßt das Messer stecken und folgt mir.” flüsterte Medaz dem Mann ins Ohr. ”Ist es nicht ganz schön gewagt hier aufzutauchen?” Medaz zog den Mann unerkannt aus der Menge heraus, und gemeinsam versteckten sie sich in einem Torbogen. ”Ihr habt mir gar nichts zu sagen.” zischte Gaetano. ”Nun gut, wenn Ihr so denkt.” Er hob seine Hände. ”Bitte, stürzt Euch auf die Legionäre, wenn Ihr glaubt Fedora so helfen zu können.” Sarkasmus war nach wie vor eine von Medaz Stärken. ”Vielleicht wäre es aber auch besser gewesen, Ihr wäret nie von ihrer Seite gewichen, oder?” ”Was wollt Ihr damit andeuten?” 3 Follow 392, Gesprengte Ketten 4, Geschichte ‘Geister der Vergangenheit‘ Gaetano sah Medaz giftig an. ”Nun, Euer Fortgang hat Fedora den Boden unter den Füßen weggezogen. Meint Ihr nicht, ein Gespräch in Ruhe hätte einiges klären können? Ohne Euren Halt ist sie ja förmlich durchgedreht. Seht an, wo es sie hingebracht hat.” ”Sie hat sich Euch anvertraut?” fragte Gaetano erstaunt. ”Natürlich.” meinte Medaz knapp. ”Versucht nicht, mir die Schuld für das, was geschehen ist, zuzuschieben. Was habt Ihr denn bis jetzt für sie getan? Wart Ihr es nicht, welcher ihr andauernd Steine in den Weg gelegt hat?” Trotz dieser Worte sah Gaetano beschämt auf den Boden. Ein Schrei ließ die Köpfe der Männer hochfahren. Sie sahen gerade noch, wie Fedora auf den Boden stürzte, über ihr stand Wutschnaubend dieser Mamercus. Gaetano griff sich instinktiv an sein Messer. ”Ich werde ihn ...” ”Ihr werdet gar nichts. Auf jeden Fall nicht im Moment. Wir müssen genau überlegen, wie wir nun handeln wollen, uns einen Plan zurechtlegen und dann zuschlagen.” \ Kleine Blitze tanzten vor Fedora auf und ab. Schweiß rann ihr in die Augen und behinderte so ihre Sicht. Hätte sie doch den Mund gehalten, aber es war geradezu befreiend, diesen Legionär öffentlich in Rage zu versetzen. Der Hoendis hatte Fedora den Rücken zugedreht und sah in die betroffenen Gesichter der gaffenden Menge. ”So wird es jedem ergehen, der sich den Wünschen des MAGHANS und den Anordnungen des Militärs widersetzt! Schaut genau hin und überlegt, auf welcher Seite ihr stehen wollt! Schafft diesen Abschaum zurück zur Kaserne!” befahl Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 15 Mamercus seinen Männern. Zwei von ihnen hoben die inzwischen bewußtlose Frau auf und schleiften sie über die Straße. Der Rest bestieg seine Reittiere und setzte sich in Bewegung. Langsam löste sich die versammelte Menge auf. An allen Ecken wurde über die neuste Entwicklung in dieser Stadt gesprochen. ”Ich möchte, das die Gefangene im Innenhof angebunden wird!” brüllte Mamercus, als sie durch das Kasernentor ritten. ”Und jemand soll Porcius holen. Er wird benötigt!” \ Als sich Marzella auf dem Heimweg befand, lief ihr Sebastian über den Weg, welcher sich nur mühsam sein siegessicheres Grinsen verkneifen konnte. Zwar war Medaz immer noch auf freiem Fuß, aber dies würde sich sehr schnell ändern. ”Sebastian!” rief Marzella. ”Ich habe mit dir zu reden. Laßt uns allein”, meinte sie gebieterisch zu ihren Begleitern. Ohne den Mann zu Wort kommen zu lassen, sprach sie mit ruhigem, aber energischen Ton zu ihm. ”Ich warne dich Sebastian. Hüte dich davor, mein Glück zu zerstören.” ”Aber ...” ” ... was? Denkst du, ich wüßte nichts von deinen Absichten? Glaubst du wirklich, ich wäre so blind? Höre mir gut zu. Ich liebe dich nicht. Und werde dies auch nie. Meine Liebe gehört einzig und allein meinem Mann und meiner Tochter. Sollte ihnen etwas zustoßen, werde ich dich mit meinen eigenen Händen umbringen! Du kannst froh sein, das ich dir nicht den Schutz unseres Hauses und unsere Farben entziehe!” wütend sah sie Sebastian an. Wie konnte sie nur ahnen, daß er für die Ergreifung dieser Frau verantwortlich war? Was hatte ihn verraten? Als die Worte Marzellas sich vorarbeiteten und er endlich begriff, was sie meinte, brach für ihn eine Welt zusammen. Er hatte gedacht, Marzella wäre froh darüber, wenn ihre Widersacherin aus dem Weg geräumt würde. Sebastian wollte etwas sagen, aber Marzella ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. ”Achte von nun an darauf, an nichts anderes zu denken, als wie du deine Familie ehren kannst. Und nun geh mir aus den Augen, damit ich deine schändliche Tat vergesse.” \ ”Bei den Göttern! Laßt die Frau sofort in den Krankenraum bringen.” Porcius Nerva war entsetzt über das Bild, welches sich ihm bot. ”Das habt Ihr nicht zu Befehlen. Sorgt dafür, daß das Weib wach und vorerst noch bei Kräften bleibt, alles andere soll nicht Eure Sorge sein.” ”Ihr werdet sie umbringen ...” ”Ihr wiederholt Euch. Führt Eure Befehle aus, ansonsten .... Ich kann gut auf Euch verzichten. Wie Euch bekannt sein dürfte, gibt es noch mehr Heiler in dieser Stadt.” Mamercus reagierte wie immer eiskalt und berechnend. Der Medicus öffnete nach einigem zögern seinen Lederbeutel und mischte verschiedene Flüssigkeiten zusammen. Das Ergebnis hielt er dem Hoendis entgegen. ”Ihr seht, es geht doch.” Mamercus ließ es sich nicht nehmen, auch diesmal Fedora das Mittel eigenhändig einzuflößen. Gewaltsam bog er ihren Kopf nach hinten und zwängte ihr die Öffnung der Ampulle zwischen die Lippen. Achtlos ließ er das leere Gefäß fallen und wendete sich zum gehen. ”Laßt mich rufen, wenn sie erwacht!” Danach verschwand er im Gebäude. \ Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 16 Die Luft in dem Raum war schneidend. Niemand wagte es, als erster das Wort zu ergreifen. Geschäftig plazierte Gioconda einige Tassen und Gläser auf den Tisch. Gaetano und Medaz blickten bedrückt zu Boden. ”Aber ...” meinte Marzella, ”wir müssen doch etwas unternehmen ...” Medaz legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm. ”Das werden wir auch ...”, beschwichtigte er sie. ”Ich .... ich habe hier einen Brief von Fedora.” Alle blickten auf Arnoldo. Langsam zog er das Pergament aus seiner Jackentasche. ”Sie gab ihn mir einige Tage, bevor sie gefaßt wurde.” Er geriet ins Stocken. ”‘Für alle Fälle‘ hatte sie gemeint ... Als hätte sie geahnt, was mit ihr passieren wird.” Die Anwesenden sahen sich betroffen an. ”Nun, was steht darin?” wollte Gioconda wissen. Umständlich öffnete Arnoldo den Brief, wobei die Anderen den Eindruck gewannen, daß er gar nicht wissen wollte, was darin geschrieben stand. Arnoldo atmete noch einmal tief durch und las dann laut vor. Meine lieben Freunde, für den Fall, daß mich das Imperium ergreifen sollte, gebe ich Euch folgenden Befehl: Unternehmt nichts, um mich zu befreien. Die Interessen des Landes und seiner Bewohner stehen an erster Stelle. Auf einzelne Personen kann und muß im Zweifelsfalle verzichtet werden. Ich bitte Euch inständig, so weiter zu machen, wie bisher. Und verliert Euch nicht in unnötigen Befreiungsversuchen. Ich hoffe, Ihr werdet nur dieses eine Mal auf mich hören, und Euch nicht über meine Wünsche hinwegsetzen. Arnoldo, dir bürde ich die Last auf, von nun an als Lilie aufzutreten. Wir werden uns unter keinen Umständen unterkriegen lassen. Kämpft unter der Flagge der ‘Lilie‘ und dem der ‘Hydra‘ für ein befreites und geeinigtes Xiduria. Zeigt den Legionären, aus welchem Holz Ihr geschnitzt seid. Euch stehen starke Verbündete zur Seite, die sich Euch zu erkennen geben, wenn die Zeit dazu bereit ist. Ich werde immer an Euch und an die Sache denken. Alle meine guten Wünsche und Hoffnungen werden Euch stets begleiten. Handelt klug und weise, so wie Ihr es bisher immer getan habt, und laßt Euch nicht dazu verleiten, blind und überstürzt zu reagieren. Möge Euch das Licht auf all Euren Wegen und bei all Euren Taten hilfreich zur Seite stehen. Fedora ”Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann”, unterbrach Medaz die wiederkehrende, bedrückende Stille. ”Aber ... wie?” ”Ganz einfach. Ich werde Morgen in die Kaserne gehen.” \ ”Hoendis, der Qaom’de Medaz wünscht Euch zu sprechen.” ”Führe ihn herein.” antwortete MamerHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 17 cus geistesabwesend. Der Olan trat einen Schritt zur Seite und ließ den Besucher eintreten. ”Seid gegrüßt, Mamercus.” Medaz ging auf den Hoendis zu und reichte ihm seine Hand. ”Was führt Euch zu mir, mein lieber Medaz?” ”Sollten nicht alle reichstreuen Bürger hier Schlange stehen, um sich bei den tapferen Olan des Imperiums zu bedanken, das es ihnen gelungen ist, den Rebell zu ergreifen, welcher seit Monaten das Land in Atem hielt und seine Bewohner in Angst und Schrecken versetzte?” Medaz zeigte sein schönstes Lächeln und verbeugte sich leicht vor dem Hoendis. ”Ich denke doch, daß in kürze mit dem Ende des Widerstandes zu rechnen ist und alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt. In diesen unruhigen Zeiten ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher.” ”Dies hofft das Reich auch, mein lieber Medaz.” Gemeinsam gingen sie an ein Fenster. ”Seht,” Mamercus zeigte nach draußen. ”Wir unternehmen alles, um an Informationen zu gelangen, damit wir den Widerstand ergreifen und zertreten können.” Mamercus Augen hatten sich auf einen Schlag verdunkelt, seine Stimme klang eisig. Medaz Innerstes verkrampfte sich bei dem Anblick, welcher sich ihm bot. Diese Schweine hatten Fedora in die pralle Sonne gebunden. Sie sah noch fürchterlicher aus, als auf dem Marktplatz. Ihr Hemd hing in Fetzen von ihrem Körper, welcher über und über von Wunden gezeichnet war. Ihre Beine hatten wohl schon vor längerem ihren Dienst versagt, und wie leblos hing sie an den Ketten. Neben ihr konnte er eine Feuerschale erkennen, in der Eisenstangen vor sich hin glühten. ”Ist sie ...?” ”Nein. Ich sorge schon dafür, das sie mir erst noch ein paar Dinge verrät, bevor der Tod ihre Erlösung sein darf.” sagte Mamercus. Medaz hob seine Augen und erkundete den Rest der Kaserne. Überall konnte er lauernde Olan erkennen. Zwar machte es nach außen nicht den Anschein, aber hier wartete man augenscheinlich nur darauf, das jemand versuchen würde, die ‘Lilie‘ zu befreien. Damit hatte er gerechnet, aber nicht mit solch einer Übermacht. ‘Fedora, das hast du gewußt‘, dachte Medaz. Es klopfte an der Tür, und beide Männer wandten sich um. ”Herein!” rief Mamercus. Ein Olan erschien und überreichte dem Hoendis eine kleine Amphore. ”Hier ist das Serum, Hoendis.” Er salutierte kurz und verließ den Raum. ”Leider erwarten mich nun dringende Pflichten. Kommt und begleitet mich nach draußen”, meinte Mamercus. Auf dem Innenhof angekommen, sah sich Medaz noch einmal unauffällig um. Auch was er von hier unten bemerkte, gefiel ihm keineswegs. ”Ich denke, wir sehen uns bei der Hinrichtung dieses Weibes wieder.” Mamercus reichte Medaz zum Abschied seine Hand. ”Ja, das werden wir.” Noch immer hielt der Hoendis die Hand fest. ”Sagt, wie geht es Eurer Schulter?” fragte er völlig unvermittelt. ”Danke, gut. Wir haben hervorragende Heiler in Tizio.” ”Ja,” grinste Mamercus. ”die haben wir hier, in der Tat.” ”Ihr seid von Euren Wunden ja auch wieder vollkommen genesen, wie ich zu behaupten wage.” ”Allem Anschein nach hatten die Rebellen nicht vor, uns zu töten, nicht wahr? Welch glücklicher Umstand für Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 18 uns beide.” Mamercus ließ Medaz los und spielte geistesabwesend mit der Amphore. ”Nun müßt ihr mich aber entschuldigen, ich habe noch einiges zu erledigen. Ich danke Euch für Eure Glückwünsche zur Ergreifung dieses Weibes. In diesen schweren Zeiten ist es schön, zu wissen, wer zu einem steht.” Langsam ging Medaz auf das Tor zu, blieb noch einmal zögernd stehen und blickte sich kurz um. Mamercus stand mittlerweile bei Fedora und verabreichte ihr den Inhalt der Amphore. Kurz darauf schlug ihr der Hoendis ins Gesicht. Medaz ballte seine Hände zu Fäusten. ‘Du wirst für alles bezahlen, was du ihr angetan hast‘, schwor er sich. \ Leise schlichen zwei Maskierte Männer auf das Zelt des D’ascas zu. Im Lager der Legionäre war alles friedlich, die Wachen hatten sie nicht entdeckt. Conius wachte auf, als man ihm die Spitze eines Schwertes gegen die Kehle drückte. ”Keinen Laut, verstanden.” zischte ihm eine maskierte Gestalt zu. ”Hört einfach nur gut zu. Wir wollen doch unnötiges Blutvergießen vermeiden.” Der D’ascas nickte, zum Zeichen, das er verstanden hatte. ”Gut. Ich wußte, Ihr würdet vernünftig sein.” Der Mann hielt kurz inne, dann fuhr er leise fort. ”Gestatten,” er deutet eine Verbeugung an. ” wir sind eine Abordnung der ‘Lilie‘.” Dabei zeigte er auf einen zweiten Mann, welcher am Eingang des Zeltes Posten bezogen hatte. ”Aber ...?” ”... Ihr dachtet, mit der Gefangennahme der ‘Lilie‘ würde es uns nicht mehr geben? Ihr enttäuscht mich. Aber wir haben keine Zeit zum Philosophieren. Ihr rennt direkt in eine Falle des Torreòn und Eures geliebten Hoendis Mamercus. Die Nachricht, sofort in Dithorno zu erscheinen ist eine Fälschung.” ”Ihr lügt ...” ”Ich habe Dir gesagt, das er zu stur ist, um die Wahrheit zu begreifen.” meinte der Mann, an seinen Gefährten gerichtet. Dieser zuckte nur mit der Schulter. ”Hier habe ich eine Nachricht, welche Mamercus an diese Torreòn schicken wollte. Erkennt Ihr die Schrift?” Er hielt sie näher an eine Kerze heran. ”Eine gelungene Fälschung ...” ”Ja Sicher. Verdammt, wenn Ihr nicht auf uns hört, wird es Euer verderben sein. Gegen einen Hinterhalt habt Ihr doch überhaupt keine Chance ...” ”Warum sollte Mamercus sich mit dem Torreòn verbünden?” ”Weil er Euren Posten haben möchte, das ist doch wirklich nicht so ...” Er hob resigniert seine freie Hand. ”Sind eigentlich alle Legionäre so schwer von Begriff?” ”Warum warnt Ihr mich? Sollte es nicht in Eurem eigenen Interesse liegen, daß ich beseitigt werde?” ”Nun, dies ist in der Tat eine reizvolle Vorstellung, und Euer Einwand ist nicht von der Hand zu weisen ...” Ein ungeduldiges Schnaufen unterbrach seinen Redeschwall. Sein Gefährte sah mehr als ärgerlich zu ihm hinüber. ”Ja, ist schon gut. Also. Unsere Gründe haben Euch nicht zu interessieren. Hört auf die Warnung, oder laßt es bleiben. Ganz wie es Euch beliebt. Aber ... unter allen Umständen solltet Ihr zuerst so schnell wie möglich nach Tizio zurückkehren. Ach ja.” Er deutete auf den Boden. ”Hier haben wir ein kleines Paket für Euch. Den Boten. Vielleicht Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 19 schenkt Ihr dem ja mehr Glauben. Und nun, meine Empfehlung.” Der Mann machte Anstalten, den D’ascas ins Land der Träume zu befördern. ”Wartet. Warum warnt Ihr mich nur, wo Ihr mich doch anscheinend ohne große Schwierigkeiten als Geisel nehmen könnt? Schließlich befindet sich die ‘Lilie‘ in meiner Gewalt.” ”Falsch. Sie ist in den Händen von Mamercus. Und glaubt Ihr wirklich, er würde sie gegen Euch austauschen? Wo er doch gerade dabei ist, sich Euch vom Hals zu schaffen und die ‘Lilie‘ zu Tode foltert.” \ ”Zum letzten Mal. Gebt mir was ich verlange, oder ...!” ”Oder was?” seufzte Fedora. ”Es gibt nichts, was ihr mir noch antun könntet ...” Erschöpft von den langen Folterungen des Hoendis hing Fedora zwischen den beiden Pfählen. ”Wirklich nicht?” Der Mund des Mannes verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. ”Das Beste hebe ich mir immer für den Schluß auf.” Er ging auf einen Olan zu und erteilte diesem einige Befehle, dann kam er zurück und wartete. Ängstlich erschienen die Priesterinnen auf dem Hof und sahen sich irritiert um, bis sie schließlich die Agia erkannten und auf die Frau zustürzen wollten, jedoch wurden sie von den Olan daran gehindert. ”Nein,” flehte Fedora. ”Laßt sie in Ruhe, sie haben nie jemandem etwas angetan ...” ”Das hängt von Euch ab. Wo ist das Amulett?” Mamercus griff sich eine der Frauen, und zusammen gingen sie näher an die Gefangene heran. ”Bitte, Agia. Was immer man von Euch verlangt ... gebt es ihnen”, bettelte Iovanna. Der griff an ihrem Arm verstärkte sich, als sie Anstalten machte, sich loszureißen. ”Ihr solltet auf diese junge Dame hören.” ”Nehmt Eure dreckigen Hände von ihr!” schrie Fedora. Sie riß an den Fesseln, als könne sie sich damit daraus befreien. Mamercus war mehr als belustigt. ”Wußtet Ihr eigentlich, das einige Eurer Priesterinnen keine Jungfrauen waren?” Er lachte laut los, als er in das betroffenen Gesicht Fedoras blickte. ”Also, ich warte!” ”Ich habe es nicht,” meinte die Frau leise und schüttelte ihren Kopf. ”Ich habe es .....” Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als sie sah, wie sich eine Schwertspitze durch Iovannas Brust schob und das weiße Kleid dunkelrot verfärbte. ”Nein!!!” schrie Fedora. ”Das waren acht Wörter. Also bringt noch sieben von ihnen um,” befahl Mamercus seinen Männern. ”Hört auf!” brüllte Fedora. ”Ich bitte Euch ...” ”Noch weitere fünf.” ertönte die Stimme des Hoendis. Fedoras Magen verkrampfte sich, als sie die toten Frauen vor sich sah und sie begann zu weinen. ‘Komm,‘ meinte eine Stimme. ‘Nur ein kleiner Feuerball, was ist schon dabei?‘ ‘Laß mich.‘ Fedora kämpfte mit sich. ‘Aber dann ist Ruhe. Sie haben es nicht besser verdient ...‘ ‘Ich habe es geschworen. Nie wieder.‘ ‘Nie?‘ ‘Nie!‘ Mamercus stand mittlerweile dicht vor seiner Gefangenen. ”Eure Kore war aber noch eine Jungfrau.” flüsterte er, ”Bei ihr Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 20 hat es besonders viel Spaß gemacht.” dann lachte er lauthals los. ”Nein!” schrie Fedora und zerrte erneut an ihren Fesseln. ‘Nicht Kore‘ Sie schien innerlich zusammenzubrechen. Fedora sah auf die grinsende Fratze des Hoendis, sah die Leichen der Priesterinnen und die noch lebenden, welche sich ängstlich in die Arme genommen hatten, und beobachtete das selbstgefällige Gehabe der übrigen Olan. Ihr Atem ging schwer und sie schloß für einen Augenblick ihre Augen. ‘Das habe ich nie gewollt.‘ ”Ich werde Euch zu ihm bringen.” meinte Fedora unvermittelt. ”Bitte?” fragte Mamercus. Die Frau öffnete ihre müden Augen. ”Ich werde Euch zu der Stelle bringen, an dem sich das Amulett befindet.” Der Hoendis grinste siegessicher. Endlich hatte er einen Weg gefunden, in das Innere dieses Weibes vorzudringen. Ja, sie litt. Ihr Herz mußte wirklich sehr an den Frauen hängen. Aber dies war nur ein Teil dessen, was er ihr zurückgeben wollte. Er war noch lange nicht mit ihr fertig. ”Wir müssen aus der Stadt heraus. Hier befindet es sich nicht.” meinte Fedora leise. ”Es ist ... in der Nähe von Colpeque.” In weniger als einer Stunde könnten sie dort sein. ”Bindet sie los und macht die Pferde bereit!” befahl Mamercus. ”Jetzt?” fragte ihn einer der Olan. ”Es wird bald dunkel ...” ”Habt ihr etwas an meinem Befehl nicht verstanden?” brüllte ihn Mamercus an. Niemand achtete für einen Augenblick auf die Gefangene. Fedora brach sofort zusammen, nachdem sie nichts mehr in die Höhe zog. Sie holte ein paar mal tief Luft, bevor sie sich langsam an die Leichen der Frauen heranzog. Behutsam nahm sie das Gesicht von Iovanna in ihre Hände und streichelte sanft darüber, bevor sie sich den Kopf der Frau an die Brust drückte und langsam mit ihrem Oberkörper hin und her schaukelte. Tränen liefen ihr dabei über das Gesicht. ”Holt sie da weg!” rief Mamercus. Ein Olan kam näher und wollte Fedora fortziehen. Sie schlug nach seinen Händen. Er beugte sich zu ihr hinunter und sie griff instinktiv nach seinem Messer. Der Olan sank sofort zusammen als sie ihm die Klinge durch den Hals bohrte. Ein anderer eilte ihm zu Hilfe und schlug mit einer Fackel nach dem Gesicht der Frau. ”Hört auf!” Der Hoendis eilte verärgert näher. ”Halt!” tönte es donnernd über den Hof. Ohne, daß Mamercus oder seine Männer im Hof etwas davon mitbekommen hatten, war der D’ascas in die Stadt zurückgekehrt. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, die Wut war deutlich von ihm abzulesen. Conius verschaffte sich einen schnellen Überblick der Lage. In der Mitte des Hofes lagen die getöteten Priesterinnen. Davor hockte eine jammernde Gestalt, einige Olan standen um sie herum. Der D‘ascas ritt näher an Mamercus heran und stieg vom Pferd. Der Hoendis versuchte seine Überraschung zu verbergen. Was war hier schief gelaufen? Sollte dieser Kerl nicht tot sein? ”Ihr seid schon zurück? Welch freudige Überraschung.” Ohne zu Antworten, schlug ihm Conius ins Gesicht. Mamercus drehte sich durch die Wucht des Schlages um seine eigene Achse und fiel in den Staub. Conius pakkte ihn unsanft am Kragen, zerrte ihn hoch und verpaßte ihm einen erneuten Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Gesprengte Ketten Seite 21 Schlag. Ehe Mamercus wieder stürzte, setzte der D’ascas einen Faustschlag hinterher. Keuchend kippte Mamercus um und mit geballten Fäusten stand der D‘ascas über ihm. ”Führt diesen Verräter ab. Und seine Handlanger ebenfalls.” brüllte er seinen Leuten zu. ”Ich möchte, daß dieser Abschaum aus meinen Augen verschwindet. SOFORT!!!” Er drehte sich um. ”Conius, wartet ...” stammelte Mamercus, dabei hob er seinen Oberkörper und streckte flehend seine Hand aus. ”Für Euch immer noch D’ascas Corvin!” Conius wirbelte herum und verpaßte dem Hoendis einen letzten Schlag. ”Schafft ihn endlich fort!” Mit schnellen Schritten hatte der D’ascas Fedora erreicht und blieb wie angewurzelt stehen. ”Bei den Göttern!” rief er entsetzt. Fedoras Körper, welcher von Blutergüssen und Hieben übersät war, zuckte immer wieder zusammen. Er kniete sich neben die auf dem Boden liegende Frau und führte seinen Arm unter ihren Kopf hindurch, um diesen leicht anzuheben, wobei sie wieder anfing zu schreien. ”Holt den Medicus. Beeilung!” ‘Was hat sich Mamercus bloß dabei gedacht?‘ Corvin schüttelte seinen Kopf. \ Fedora fühlte sich so leicht. Alle Ängste und jeden Schmerz hatte sie hinter sich gelassen. ‘Meine kleine süße Fiona. Zu gerne hätte ich dich noch einmal in meinen Armen gehalten, aber ich denke, dieser Wunsch wird mir nicht mehr erfüllt. Verzeih mir bitte mein Versagen. Ich liebe dich.‘ Bald hatte sie es geschafft. Für einen kurzen Augenblick eröffnete sich für Fedora die ganze verworrene Welt dessen, welches man Leben nennt. Alle Fragen schienen sich von selbst zu beantworten. Endlich drangen die wissenden Stimmen zu ihr durch, doch leider zu spät. Fedora hatte sie seit Monaten erfolgreich ignoriert und betäubt. War es wirklich so einfach gewesen? ‘Ja, das war es!‘ Das Licht, welches Fedora sah, war sehr verlockend. Freudig ging sie darauf zu und zärtlich umschloß es sie bei jedem weiteren Schritt mehr und mehr. Wie ein schützender Mantel hatte es sich um sie gelegt und führte sie weg von diesem schrecklichen Ort. Leichtfüßig folgte sie ihm. Es war, als wurde sie von dem Licht getragen, alle Last war von ihr gefallen. Sie spürte nur noch die einladende Wärme und eine herzzersprengende Geborgenheit. ‘Komm‘ rief eine Stimme einladend. ‘Komm‘ Ja, sie ging. Weiter und weiter, leichtfüßig, ohne zu zögern. Sie würde alles hinter sich lassen. Keine Zweifel mehr, kein Kämpfen, nie wieder um Freunde bangen. Keine Stimmen, die einen um den Verstand brachten. Die Verlockung auf einen Aufenthalt in der Umgebung dieses Lichtes war einfach zu stark. ‘Hab keine Angst‘ Nein, die hatte sie nicht. In ihrem Leben war sie noch sie so froh gewesen, wie in diesem Augenblick. Dies hier war nicht mehr ihr Kampf. Mochten ihn andere zu Ende führen, sie würde es jedenfalls nicht. \ Noch einmal atmete Fedora aus, ihre Hand erschlaffte, dann fiel ihr Kopf zur Seite. ”Neeein!!!” rief Conius. Porcius Nerva hatte ihm gerade zu verstehen gegeben, daß die Frau, daß die Agia .... daß Fedora gestorben war.