Nubyry, Malinali und der Protektor: Unterschied zwischen den Versionen

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(kein Unterschied)

Version vom 30. Januar 2022, 13:05 Uhr

Stefan Fehres, Debora Jarosch, Februar 2007 Prolog Lucrezia war auf dem Weg nach Hause. Es war früher Abend, und ein Sturm tobte über N'ga Nova, wie er in diesen Breiten häufig vorkam. Der Regen stach wie Nadeln auf ihrer Haut, während der Wind an ihrer Kleidung riß. Angst schnürte ihr die Kehle zu, denn in N'ga Nova ging in den letzten Wochen Merkwürdiges vor. Ein Mörder ging um in der Hafenstadt. Ein reißendes Raubtier, der seine Opfer verstümmelte, bevor er ihnen das Leben nahm. Seine Opfer waren ausschließlich Frauen, und dabei machte er zwischen Arm und Reich keinen Unterschied. Ein heller Blitz zuckte auf, und die enge Gasse wurde für einen kurzen Moment in gleißendes Licht getaucht. Lucrezia keuchte vor Angst auf, als vor ihr im hellen Schein eine Ratte über die Gasse huschte. Sie war eine arme Frau, die von einem winzigen Suppenstand am Hafen ihre drei kleinen Kinder versorgen mußte, seit ihr Mann vor drei Jahren auf dem Meer geblieben war. Heute war ihr Geschäft wegen des schlechten Wetters ausgesprochen armselig gelaufen, und sie hatte länger als sonst am Hafen ausharren müssen, bis sie ihre Suppe an die hungrigen Hafenarbeiter hatte verkaufen können. Dann hatte sie eilig von dem Erlös Lebensmittel für ihre hungrigen Kinder eingekauft, doch die Dunkelheit hatte sie eingeholt. \ Es waren nur noch wenige Meter bis zu ihrer kärglichen Hütte, als erneut ein Blitz die Gasse hell erleuchtete und sie verängstigt stehen blieb. Eine Gestalt stand nur wenige Meter vor ihr. Der Mann trug eine schwarze Robe und hatte die Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Lucrezia war erleichtert. Offensichtlich war der vor ihr stehende Mann ein Priester oder Mönch, wie es viele in der Hafenstadt gab. Von diesem Bruder ging sicherlich keine Gefahr aus. Sie wollte den Mönch gerade freundlich grüßen, als die Gestalt die Hände hob und die Kapuze nach hinten schob. Noch nie hatte Lucrezia ein schöneres Gesicht gesehen. Alles in diesem Gesicht schien perfekt, wären da nicht diese merkwürdigen Augen gewesen. Sie waren gelb und erinnerten an die Augen einer Schlange oder eines Krokodils. Ein dumpfer Druck legte sich auf ihren Geist, während der Mönch auf sie zu ging. Unfähig, sich zu rühren, schien sie von den fremdartigen Augen aufgesogen zu werden. Als der Mann vor ihr stand, blitzte etwas Silbernes auf. Sie spürte keinen Schmerz. Plötzlich hatte sie einen merkwürdigen, metallischen Geschmack im Mund. „Ist das Blut? “ dachte Lucrezia noch, als ihr die Sinne schwanden und sie zu Boden stürzte. \ Der Centas Marcus Gnaeus Pulcher hatte auf vielen Schlachtfeldern der Legion gekämpft. Er hatte Leid und Elend in allen erdenklichen Facetten gesehen und hatte sich für einen abgebrühten und harten Mann gehalten. Doch was er in den letzten Wochen hier in N'ga Nova erlebte, zerrte an seinen Nerven. Wieder stand er vor einer grausam zugerichteten weiblichen Toten. Die Frau lag auf dem Rücken. Etwas hatte ihr den Brustkorb geöffnet und das Herz entfernt. Die gebrochenen Augen der Frau starrten in den wolkenverhangenen Himmel über N'ga Nova. An der Kleidung der Frau erkannte der Centas, das sie arm war. Ein Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij paar kleine Fische und etwas Gemüse lagen um den Körper der toten Frau, offensichtlich hatte sie gerade eingekauft und wollte nach Hause, als sie ihr Schicksal ereilte. Ein paar wenige Münzen trug die Frau fest in ihrer linken Faust. Dem Mörder kam es nur darauf an, ihnen das Herz aus dem Leib zu reißen. „Was macht er nur mit den Herzen?“, dachte Marcus betrübt, während er das abgehärmte Gesicht der Toten betrachte. „Oh Ihr Götter, warum lasst Ihr das zu!“ sagte die Stimme seines Codar Quintus neben ihm, der gerade einen Rekruten beruhigt hatte. Dieser hatte den Anblick der Laiche nicht ertragen können und stand zitternd neben seinem Unteroffizier. „Quintus, schicke mir diesen Waschlappen weg, bevor ich ihm eine Lektion erteilen muss!“, knurrte der alte Centas. „Immerhin sind wir Legionäre aus dem Reich des Feuers und keine Memmen.“ Innerlich schmerzten ihn diese harten Worte, doch durften durch diese Ereignisse die Disziplin und Moral der Truppe nicht untergraben werden. „Wie viele waren es jetzt, 15 oder 16 tote Frauen in den letzten Wochen, Quintus?“, fragte der Centas seinen Unteroffizier. „Ich muß gestehen, daß ich den Überblick verloren habe, doch Eure Schätzung wird richtig sein“, antwortete der Angesprochene. „Wir müssen etwas unternehmen, Quintus, die Bevölkerung wird unruhig, es wird nicht mehr lange dauern, und man wird uns mächtig in den Arsch treten“, sagte Marcus. „Da habt Ihr wohl recht, man wird uns sogar außerordentlich mächtig in den Arsch treten, wenn wir das Schwein nicht bald erwischen“, folgerte der Unteroffizier. „Ist das meine Mama?“ piepste plötzlich eine leise Stimme. Unbemerkt von den zwei Legionären hatte sich ein kleiner Junge durch die Menge der Schaulustigen gedrängt. „Sie ist nicht nach Hause gekommen“, sagte die Stimme weiter „mein kleines Brüderchen und mein Schwesterchen haben großen Hunger“. Beide Männer erstarrten augenblicklich. Marcus faßte sich als erster und drehte sich um. Ein etwa zehnjähriger Junge, in dreckige Lumpen gehüllt, stand vor ihnen und schaute sie mit großen Kinderaugen an. Marcus spürte, wie sein Mund trocken wurde. Ein großer Kloß stieg ihm in die Kehle, als der Junge seine Mutter erkannte und seine Augen sich augenblicklich mit Tränen füllten. Vorsichtig ging der Junge auf seine tote Mutter zu und kniete neben ihr nieder. Zärtlich strich er ihr über das Haar, und mit einer ruhigen Geste seiner Hand schloss er ihr die gebrochenen Augen, als hätte er in seinem Leben noch nie etwas anderes getan. Das war zuviel für den hartgesottenen Centas. Augenblicklich schossen ihm die Tränen in die Augen. Langsam trat er an die Seite des Jungen und nahm ihn auf den Arm. „Dann werden wir uns wohl um dich und deine kleinen Geschwister kümmern müssen,“ krächzte Marcus, und es wollte ihm das Herz brechen, als der Junge voller Vertrauen seinen Kopf an seine Schultern legte. „Na, wenn wir uns um alle elternlosen kleinen Racker in diesem Rattennest kümmern.....“, hob Quintus an, beendete den Satz aber nicht, als er den kalten und durchdringenden Blick seines Centas gewahr wurde. Er kannte diesen Blick, es war ein gefährlicher Blick, wie ihn der Centas normalerweise nur auf dem Schlachtfeld hatte. Langsam stapfte Marcus mit dem Jungen auf dem Arm davon. Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij „Unser Centas wird weich“, sagte einer der Legionäre neben Quintus. Sofort verpaßte ihm der Codar einen derben Tritt. „Was verstehst du Esel schon davon, siehe zu das diese Tote endlich von hier verschwindet!“, schrie Quintus seine Untergebenen an. „Diese Geschichte macht uns alle weich“, knurrte der Codar, als es niemand hören konnte. Dann sah er seinem Centas nach, der gerade mit dem Kind auf dem Arm in der schäbigen Hütte der Frau verschwand. \ In der letzten Zeit zog es Turonk an die Orte seiner Verbrechen zurück. Amüsiert hatte er aus der Entfernung die Geschehnisse über das letzte Opfer seiner Jagd verfolgt. Es bereitete ihm Vergnügen, das Grauen und die Angst der Menschen zu beobachten. Niemand beachtete den großen Mann in der schwarzen Kutte, der sich die Kapuze tief in das Gesicht gezogen hatte und nun langsam davonging. Natürlich empfand er kein Mitleid mit seinen Opfern, für ihn waren sie nur Beute und Nahrung. Nur durch das frische Blut, das durch ein noch schlagendes Herz strömte, gewährte ihm das Schicksal, in dieser Realität zu verbleiben, in die ihn ein unvorsichtiger Priester der Toquateken geholt hatte. Die Alternative war ein schneller und zügiger Verfall seines Körpers und das Verschwinden seiner Seele im Nimbus, bis wiederum jemand seinen Geist beschwor. Letztlich war es nicht entscheidend, ob das Herz einer Frau oder eines Mannes verzehrte. Frauenherzen schmeckten einfach besser. Turonk spürte die mentale Erschütterung, als sich der Gott regte. Baba Croqua hatte seine eigenen Pläne, und er war sein Instrument, sein Werkzeug, und der Krokodilgott der Toquateken war kein geduldiger Gott. Plötzlich erschütterte ein mentaler Schrei den Nimbus. Turonk keuchte auf, ein ungeahnter Schmerz durchzuckte seinen Körper. Etwas kam in die Welt. Hart schlug Turonk auf dem schmutzigen Boden der Gasse auf, als ihm für einen Moment die Sinne schwanden. Er hatte einen metallischen Geschmack im Mund. Der Schrei wurde immer lauter, und in seinen Gedanken erschien die Gestalt einer Frau. Turonk keuchte und rang nach Atem. „Nubyry!“, sagte Turonk mit matter Stimme. Nubyry war in die Welt gekommen. Das änderte für Turonk alles. \ Bericht Aeitus „Hüte dich vor betrunkenen Assassinen“ Seit unseren gemeinsamen Erlebnissen in den Mangrovensümpfen und der wundersamen Errettung waren Rhonda und Caligula Lupus oder Ehecacohuatltzin, wie sein richtiger Name lautete, ein Paar. Die Amazone und der Assassine waren in eine heftige Affäre verstrickt, und so kam es vor, das beide oft für mehrere Tage nicht auffindbar waren. Maximus und ich hatten uns daran gewöhnt. Ohne großes Murren hatte ich meine Interessen und Geschäfte in die kundigen Hände von Caligula gelegt, und seitdem liefen die Geschäfte gut, und meine Geldbörse entwikkelte sich prächtig. Zwar drehten sich die zu erledigenden Aufgaben nicht mehr um Salzwasserkrokodile oder Schätze der Toquateken, sondern um Angelegenheiten der Legion oder der Familie, doch dieses Verschieben der Schwerpunkte fiel mir nicht schwer. Nun waren jedoch weder Rhonda noch Caligula seit einer Woche auffindbar, und beunruhigt beschlossen Maximus und ich, in die traute Zweisamkeit einzubrechen. Natürlich konnten die Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij beiden machen, was sie wollten, solange der Profit nicht gefährdet war. \ Wir fanden den Assassinen in seiner Unterkunft in einem traurigen Zustand vor. Er mußte sich seit mehreren Tagen ununterbrochen betrunken haben, den seine Liegestatt war umstellt von leeren Kallebassen und Weinschläuchen. Seine Kleidung war beschmutzt, und er stank erbärmlich nach Schnaps und diversen Essenzen seines Körpers. Laut und vernehmlich schnarchte er, während er seinen schweren Rausch ausschlief. Maximus und ich sahen uns ratlos an, noch nie hatten wir den Assassinen auch nur einen winzigen Schluck Alkohol trinken sehen. Hatte die Amazone das Weite gesucht? Nun mag es schon unter normalen Umständen schwierig sein, einen schwer betrunkenen Menschen aus seinem Rausch zu erwecken, aber einen Assassinen? „Ich bin nicht lebensmüde“, sagte Maximus. „Wir müssen ihn fesseln, bevor wir ihn aufwecken. Ich erinnere mich da an ein altes Rezept aus der Legion, das ich zubereiten werde, während du ihn fesselst.“ „Nein, nein, mein Lieber“, erwiderte ich, „ich bin auch nicht lebensmüde, entweder wir fesseln ihn gemeinsam, oder wir werden gemeinsam hier warten, bis er aufwacht.“ Widerwillig nickte Maximus, und so machten wir uns an die Arbeit. Bei jedem Zucken des Assassinen brachen wir in Panik aus, und nachdem wir die Aufgabe glücklich gelöst hatten, war von jedem von uns ein erleichtertes Aufseufzen zu vernehmen. Maximus verschwand, um sein Gebräu zuzubereiten, und ich sah mich um. Es mußte hier zu einem Kampf gekommen sein. Ein Stuhl war zerbrochen, überall lagen Scherben, aber die Sachen der Amazone waren noch da. Die Amazone wäre nie ohne ihre geliebten Schwerter von dannen gezogen. Was war hier vorgefallen, hatte Caligula die Amazone in einem Anfall von Wut getötet? Als Maximus zurückkehrte, trug er einen Tonkrug bei sich, aus dem es stechend roch. Vorsichtig flößte er dem Assassinen die Flüssigkeit ein. Zuerst geschah nicht das Geringste, bis Caligula die Augen aufriß und seinen Körper verkrümmte. Ein unmenschliches Gurgeln erklang, während der Assassine Schaum spuckte. Die Krämpfe wollten nicht aufhören, und was ansonsten mit Caligula geschah, möchte ich hier unter dem Mantel des Schweigens verbergen. „Bei den Göttern, was hast du ihm gegeben?“, fragte ich Maximus. Dieser zukkte nur mit den Schultern, als er erwiderte „Oh, ein wenig Brechwurz, feinste und beste zermahlene Chillischoten, und das alles in Chocolatl verrührt.“ „Dafür wird er uns töten, wenn er zu sich kommt!“, sagte ich, als mich etwas traf und es schlagartig dunkel wurde. \ Bericht Maximus „Der Protektor“ Offensichtlich hatten wir die unbändige Kraft von Caligula unterschätzt, und so konnte ich nicht eingreifen, als der arme Aeitus von der Faust des Assassinen niedergestreckt wurde. Er hatte die Fessel an seiner rechten Hand zerrissen. Aeitus brach zusammen wie ein nasser Sack. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, als ich sah, wie Caligula sich nach und nach unter wütendem Brüllen von seinen Fesseln befreite. Obwohl mir Caligula in den Sümpfen das Leben und auch mein Bein gerettet hatte, trat ich ihm nur mit größtem Mißtrauen entgegen. Er schien eine starke Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Bindung zu den Toquateken in den Sümpfen zu haben, und sie nannten ihn „Ehecacohuatltzin“, was soviel wie „Wirbelwind“ in ihrer Sprache bedeutet. Was auch immer die Toquateken aus ihm gemacht hatten, er war gefährlicher als viele der Krieger, die ich in meinem langen Leben als Soldat der Legion kennengelernt hatte. Es war dieser dunkle, animalische Anteil seiner Persönlichkeit und die absolute Kompromisslosigkeit, die ihn zu einem der effizientesten Kämpfer machte, denen ich je die Ehre hatte, zu begegnen. Als er nun auf mich zustürzte, rechnete ich mir keine Chance aus, das Zusammentreffen zu überleben, doch er stürzte nur an mir vorbei zu einer Kanne voller Wasser, die er in gierigen Schlucken austrank, und die nächste Kanne und die nächste und noch eine. Vielleicht hatte ich es mit den Chillischoten übertrieben. \ „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!“, sagte Caligula zu mir und ließ sich mit einem Becher voll Wasser auf einem Schemel nieder. Er war nicht leicht zu verstehen, da seine Zunge durch die unglaubliche Schärfe des Chillis angeschwollen war. Mühsam stand Aeitus auf, der inzwischen wieder zu sich gekommen war. „Ich glaube, du hast mir die Nase gebrochen!“, stellte er fest, während er sein blutiges Gesicht abtastete. Caligula zukkte nur mit den Schultern. Schließlich erfuhren wir die Lösung unseres Rätsels. Rhonda, die Amazone, war entführt worden. Aeitus verstand die Welt nicht mehr. „Rhonda wird entführt, und du sitzt hier und lässt dich vollaufen!“, rief er empört aus, „wer hat sie entführt…?“ Doch der Assassine winkte ab. Natürlich hätte er alles getan, um die Amazone zu retten, sofern er dazu die Möglichkeit gehabt hätte. „Rhonda und ich kamen vor ein paar Tagen abends nach Hause“, berichtete er mit stockender Stimme. „Als wir diesen Raum betraten, traf mich ein Schlag und warf mich zu Boden. Es war kein körperlicher Schlag, sondern ein geistiger, und er wurde mit solcher Kraft durchgeführt, daß mir keine Möglichkeit zur Gegenwehr blieb. Ich konnte noch die Augen bewegen, das war alles. Rhonda musste es genauso wie mir ergangen sein, denn sie regte sich ebenfalls nicht. Im Raum stand eine schwarz gekleidete Gestalt, die Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Als der Fremde die Kapuze hochhob, sah ich, daß er die ebenmäßigen Züge eines wunderschönen Jünglings trug. Doch seine Augen waren die eines Krokodils. Er stellte sich als Turonk vor und mir war klar, das es sich um den Mann handelte, den die verfluchten Priester des Baba Croqua im Tempel der Urmutter zum Leben erweckt hatten und dessen Wiedererweckung ihr in eurem Tagtraum miterlebt hattet. Dann griff er nach Rhonda und begann, unverständliche Worte zu murmeln, und mit Schrecken sah ich, wie sie immer kleiner wurde, bis sie so groß wie mein kleiner Finger war. Turonk hob die gelähmte Amazone in seiner Hand hoch, zog eine Phiole aus seinem Gewand, in der sich eine milchige, leicht grünlich floureszierende Flüssigkeit befand und steckte Rhonda dort hinein, dann verschloß er die Phiole mit einem kleinen Korken und schüttelte sie, wobei er hässlich lachte. Ich konnte nicht einmal schreien, da sogar meine Zunge gelähmt war. Dann klopfte er mit einer hässlichen Geste an die kleine Phiole, in der meine Geliebte schwamm. Sodann erläuterte mir der Fremde meinen Auftrag. Ich soll eine Frau finden, die sich in Xanathoria Inferior aufhält. Der Name Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij der Frau ist Nubyry. Bis ich diese Frau gefunden und Turonk übergeben habe, lässt er meine geliebte Amazone am Leben, und da er sie in Lumen Vita eingelegt hat, bliebe sie auch jung und frisch.“ Damit beendete der Assassine seinen Bericht. „Welche Nubyry, wo befindet sich diese Frau, wie sieht sie aus, wo kann man sie finden?“, fragte Aeitus. Caligula zuckte wiederum mit den Schultern. „Ich glaube Caligula will dir sagen, das dies alle Informationen sind, über die er verfügt“, sagte ich, und dann wurde es still im Raum. „Ich glaube ich brauche was zu trinken!“, sagte Aeitus. \ So habe ich es aufgeschrieben, wie mir der Cheffe es aufgetragen hat und wie sich damals zugetragen hat. „Schreibt eure Erinnerungen auf!“, sagte er, „an die Tage der Befreiung, an die Revolution, damit unsere Taten nie vergessen werden!“ Doch ich bin ein ehemaliger Centas der Legion, meine Hand ist rauh und voller Schwielen, geübt darin, Hälse durchzuschneiden und nicht, um elegant und weibisch die Schreibfeder zu führen. Möge mir also der Leser, der diese Zeilen liest, das eine oder andere ungehobelte Wort oder die ungeschliffenen Sätze eines alten Soldaten verzeihen. Doch will ich weiter von den Ereignissen berichten, die sich seinerzeit in Xanathoria Inferior zugetragen haben. \ Nachdem wir Ehecacohuatltzin aus seiner mißlichen und traurigen Lage befreit hatten, kam der Waldläufer auf die Idee, daß man ein Wesen wie Turonk, über dessen Macht und Möglichkeiten wir immer noch keine klaren Vorstellungen hatten, am besten mit der Hilfe eines Magiers bekämpfen und vielleicht letztlich auch besiegen kann, um somit die schöne Amazone zu befreien (wobei ich sagen muß, daß ich bis heute nicht verstehen kann, was die beiden an dieser Amazone fanden, mir war sie entschieden zu dünn, aber das tut hier nichts zur Sache). Aeitus hatte in der Vergangenheit des öfteren Salzwasserkrokodile für einen Magier in N'ga Nova gejagt und mit diesem gute Geschäfte gemacht. Der Magier hieß ki’Ansi xa’Waja. Im Haus des Magiers sollte es zu einer Begegnung kommen, die unser aller Leben auf das Nachhaltigste verändern sollte. \ Die Wohnstatt des Magiers wirkte von außen unauffällig, wenn sie sich auch in einem der besseren Viertel der Hafenstadt befand. Das Haus bezeugte einen bescheidenen Wohlstand. Aeitus ging zuerst allein hinein und winkte uns nach einer kleinen Weile, daß wir nachkommen sollten. Der Magier öffnete uns selbst, und wie wir trug er eine dunkle Robe und hatte die Kapuze tief in das Gesicht gezogen, so daß seine Züge nicht zu erkennen waren. Da es inzwischen schon Abend in N'ga Nova geworden war, mußten wir in unseren dunklen Roben und Gewändern eine merkwürdige Versammlung abgegeben haben. Ebenso hätten wir uns Schilder mit der Aufschrift „Verschwörer“ an die Kleidung heften können. Seltsam war, daß keine Diener herbeieilten, das Haus schien bis auf den Magier unbewohnt. Wortlos führte uns der Magier durch sein Haus, wobei mich sein großes Laboratorium beeindruckte. Der Raum war übersät mit Kolben, Tiegeln und Pfannen. Überall kochten, brodelten und zischten geheimnisvolle Flüssigkeiten und tropften Säure oder Lauge zischend auf den Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij riesigen Tisch inmitten des Raumes, um den unzähligen Verätzungen und Brandflecken noch weitere hinzuzufügen. An den Wänden standen Regale voller unzähliger Tiegel und Töpfe mit Gewürzen und Kräutern, beschriftet mit Namen aus den Sprachen aller bekannten Länder. Überall lagen unzählige Folianten und Pergamente verstreut. Von den Decken hingen Zöpfe mit Knoblauch und Zwiebeln, ein riesiges ausgestopftes Salzwasserkrokdil, Vögel und andere Kuriositäten. „Oh, da hängt auch eine schöne Salami!“, entfuhr es mir. „Manchmal hat ein Magier vielleicht auch nur einfach Hunger!“, knurrte Aeitus hinter mir. Doch am meisten beeindruckte mich der Geruch in diesem Labor. Nie mehr habe ich in meinem Leben ein solches Spektrum an Gerüchen wahrnehmen dürfen. Hier roch es nach den feinsten Düften wie Ambra oder Moschus, und nur wenige Handbreit daneben zog ei-- nem der Gestank einer Abfall- oder Abortgrube in die Nase. ki’Ansi jedenfalls nahm von alledem keine Notiz, als ob an diesem Laboratorium nichts ungewöhnlich wäre und führte uns in ein angrenzendes kleines Schlafgemach. Im Raum stand lediglich ein einzelnes karges Feldbett der Legion. Der Mann, der dort lag, mußte einst eine stattliche Figur besessen haben. Er war jetzt jedoch bis auf die Knochen abgemagert, was man gut erkennen konnte, da er nur eine dünne Tunika trug. Man mußte nur in das Gesicht des Mannes sehen und die silberne Hand erblicken um zu wissen, wer da auf dem Feldbett lag. Die Augen des Protektors glänzten von hohem Fieber und waren tief eingesunken, die haarlose Stirn und Glatze war von Schweiß bedeckt. Das Zahnfleisch war entzündet, und ein Rinnsal aus Blut tropfte Lucius Scaevola argens aus der Nase. Als einzigen Schmuck trug der Protektor seine silbernen Hand und ein Amulett. Auch hätte dem Protektor ein Bad sicherlich nichts geschadet. Als ich das Amulett erblickte, konnte ich meine Überraschung kaum verbergen. Ich hörte, wie hinter mir der Assassine, der ein ähnliches Amulett besaß, vor Verblüffung einen toquatekischen Fluch ausstieß, den ich nicht verstand. Auch ki’Ansi schien überrascht und zog ebenfalls ein Amulett unter seiner Kutte hervor, wobei er es aber vermied, sein Gesicht zu zeigen. Zwar waren alle drei Amulette in der Art ihrer Beschaffenheit und Fertigung verschieden, jedoch zeigten alle drei das gleiche Bildnis, der Kopf einer Hydra. Was in den nächsten Minuten am Krankenlager des Protektors der Provinz des Reich des Feuers, Xanathoria Inferior, geschah, kann ich nur schwer in Worte fassen, gehörte es doch zu den großartigsten Erlebnissen und Erfahrungen meines Lebens. Der Assassine, der Magier und der Protektor erstarrten augenblicklich und rührten sich nicht. Aeitus und ich sahen uns derweil ratlos an. Plötzlich durchzog mich eine Wärme, wie ich sie vielleicht als Knabe auf dem Schoß meiner Mutter erfahren hatte. Ein Gefühl großen Glückes durchströmte mich, von meinen äußersten Haarspitzen bis hinunter zu meinen zur Zeit ungewaschen Fußzehen. Plötzlich wurde mir klar, wo mein Platz war und für was es sich lohnte, das Schwert zu erheben. Alles Leid der vergangenen Jahre, die Gefühle der Ohnmacht und des Verlustes der Heimat, waren verschwunden. Kein Platz mehr für Melancholie und Haß. Es erschien mir, als würde mich das Land, auf dem ich stand, der Boden selbst, willkommen heißen und herzlich umarmen und küssen. Ich brauchte mich nicht mehr zu schämen, ein Geächteter ehemaliger Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Centas der Legion zu sein, den man in die Westliche Welt verbannt hatte, ich wurde in diesem Augenblick neu geboren und erhielt eine zweite Chance. Ich wurde Maximus aus dem VOLK VON XIDURIA. \ Ich spürte zwar, wie der magische Moment verging, doch war mir in diesem Moment gleichgültig, ob es sich bei der gemachten Erfahrung um eine Zauberei des Magiers oder um etwas anderes handelte, so erfüllt war ich von dem Erlebten. Als ich mich umblickte, nahm ich wahr, daß Aeitus sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte. Sein Blick schien sich in weite Fernen zu verlieren. Als sich unsere Blicke streiften, erkannten wir augenblicklich, daß uns dieses Erlebnis zu Brüdern im Geiste bis zur Ewigkeit gemacht hatte. Doch was war aus unseren Amulettträgern geworden? Was immer auch der Assassine dachte oder fühlte, wurde von der mächtigen Aura des schwarzen Otzelotl verdeckt. Zwar schien das merkwürdige Licht in den Augen mächtiger zu leuchten, doch kann es sein, daß ich mir eine Regung des Assassinen lediglich herbeiwünschte. Der Magier jedoch schien unter starken Schmerzen zu leiden und krümmte sich. Ein leises Wimmern kam unter der Kapuze hervor. Das schloß eigentlich aus, daß es sich um einen Trick des Zauberers handeln konnte. Der Protektor jedoch schien von der gemeinsamen Erfahrung am meisten mitbekommen zu haben. Zwar sah man ihm immer noch an, daß er vom Tode gezeichnet war, jedoch leuchteten seine Augen kraftvoller, und zumindest erschien es so, als habe ihm eine Gottheit oder andere gute Wesenheit einen Aufschub vor dem Tod verschafft. Ehecacohuatltzin bedeutete uns, den Raum zu verlassen, da er den Protektor untersuchen wollte, und so zogen wir uns in das Laboratorium des Magiers zurück. \ Aeitus und ich schwiegen beide und hingen unseren Gedanken nach, und so bemerkten wir nicht, wie die Zeit verging. Als der Assassine das Laboratorium betrat, waren ihm die Sorgen um den neu gewonnen Freund, der in diesem winzigen Raum im Sterben lag, anzusehen. Wie kam ich dazu, den Protektor einen Freund zu nennen? ging es mir durch den Kopf. „Lucius Scaevola argens ist über einen sehr langen Zeitraum mit dem Gift der Purpurnen Lilie vergiftet worden, wie mir ki’Ansi berichtete“, sagte der Assassine. „Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit. Wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir den Protektor retten wollen!“ Aeitus jedoch sah ihn kopfschüttelnd an. „Du willst allen Ernstes Rhonda diesem Turonk überlassen, um diesen aufgeblasenen Protektor zu retten!“, murrte er. Für einen kurzen Augenblick verlor der Assassine die Kontrolle über seine Aura. Eine Woge des Schmerzes zuckte über sein Gesicht. In diesem Augenblick wurde mir deutlich, wie sehr Ehecacohuatlztin die Amazone liebte, und wie groß und unermeßlich sein Verlust und seine Trauer sein mußten. Der Assassine trat zu seinem Freund hin und legte ihm den Arm um die Schultern. „Rhonda würde es verstehen, Aeitus“, sagte er mit leiser Stimme, als würde ihm jedes Wort große Mühe bereiten, „doch hier geht es um einen größeren Einsatz. Der Mann, der dort in diesem Bett im Sterben liegt, ist nur ein Stein von vielen, doch er trägt eine gewaltige und gewichHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij tige Aufgabe in der Zukunft für dieses Land. Meine Aufgabe ist es, diesen Stein auf das Spielbrett zurückzubringen und dafür zu sorgen, das daß Spiel weiter gespielt werden kann. Wie auch immer der Ausgang dieses Spieles sein mag, und wer auch immer der Gewinner sein wird. Wenn wir diese Aufgabe erledigt haben, das verspreche ich dir, suchen wir diese Frau, diese Nubyry, oder rächen Rhondas Tod. Ich schwöre es dir, Aeitus, bei meinem Blut!“ Mit seiner üblichen, fast einer Katze gleichen Gewandtheit hatte er einen langen Dolch aus seiner Robe gezogen und ihn sich durch die Hand gezogen. Blut quoll heraus. Aeitus tat es ihm gleich, und beide besiegelten den Schwur mit ihrem Blut. „Was ist mit mir?“, rief ich aus, zog meinen Dolch und schwor ebenfalls, Rhonda aus den Klauen von Turonk zu befreien. Aber erst mußten wir das Land retten. \ Bericht Aeitus „Malinali“ Es war zu spät am Abend, um noch aufzubrechen. Also verbrachten wir die Nacht mit den Vorbereitungen. Wir entschlossen uns, als Mitglieder der Bruderschaft von Anghkor zu reisen, die mildtätige Gaben der guten Bürger von N'ga Nova in das Waisenhaus der Bruderschaft in Dithorno bringen sollten. Es war natürlich völlig unmöglich, den Assassinen auf ein Reittier zu bringen. Ich wußte gar nicht, ob er überhaupt reiten konnte. Aber jedes Reittier, egal ob Pferd, Nandu oder Armadillo würde sofort die Aura des schwarzen Otlzelotl spüren und den Assassinen augenblicklich abwerfen, denn nicht umsonst ist der Otzelotl das größte und gefährlichste Raubtier in Xiduria. Wir reisten mit kleinem Gepäck, keine sichtbaren oder auffälligen Waffen, die unsere Tarnung zunichte gemacht hätte. Der Assassine trug einen etwa 1 Meter langen, merkwürdigen schwarzen Stab bei sich, den mal als religiöses Artefakt ansehen konnte, da er jeweils an seinen Enden vergoldete Kappen trug. Außerdem war der Stab mit kostbaren Schnitzereien verziert, die jedoch ausgesprochen fremdartig auf mich wirkten. Ich trug meinen Dolch und Maximus sein Kurzschwert, was sich ebenfalls gut in der Kutte eines schwarzen Bruders verbergen ließ. Die schlechten Nachrichten, die uns ki’Ansi noch in seinem Haus mitgeteilt hatte, taten ein übriges, um unseren Aufbruch zu beschleunigen. Von diesen Nachrichten war vor allem Maximus betroffen, und noch nie hatte ich den alten Haudegen so bestürzt und verwirrt gesehen. Der Magier hatte Lucius Scaevola argens gerade noch aus seinem Palast retten können, bevor dort am Tag darauf mit einem Feuerdämon ein D’Ascas aus dem Reich des Feuers mit frischen Truppen eingetroffen war und die Ablösung von Lucius, sowie seine Verschickung in die Alte Welt angeordnet hatte, um sich vor dem MAGHAN zu verantworten. Dieser D‘Ascas war niemand anderes, als der grausame Marcus Tiberius Scylla, die Geisel von Huanaca, der Schlächter der Tacyrer. Maximus hatte dereinst unter ihm in Huanaca gedient, und obwohl Maximus damals vielen Menschen das Leben rettete, indem er sie versteckte oder ihnen zur Flucht verhalf, wurde er durch den Imperator zu 10 Jahren Dienst in einer Strafeinheit und anschließender Verbannung nach Xanathoria Inferior verurteilt. Jetzt war der Mann, den Maximus für tot gehalten hatte, in Dithorno, und so musste ich nicht nur den ohnehin unbeHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij rechenbaren Assassinen im Auge behalten, sondern auch noch einen vor Rachegelüsten bebenden, ehemaligen Centas der Legion, der am liebsten mit seinem Schwert in das Schlafzimmer des neuen Protektors in Dithorno marschiert wäre, um diesen umgehend einen Kopf kürzer zu machen. \ Ich sorgte am nächsten Morgen für einen zweirädrigen Lastkarren, wie er oft von den Bauern in Xiduria benutzt wurde, und diesen beluden wir mit allerlei Lebensmitteln und Amphoren voller Öl und Wein. Zwei kräftige Armadillos sollten den Wagen ziehen, und als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, bezogen Maximus und ich Platz auf dem Kutschbock, während der Assassine behende auf die hintere Ladefläche kletterte. Doch hatte ich die Rechnung ohne die Armadillos gemacht. Kaum hatten sie die Aura des schwarzen Otzelotl wahrgenommen, gingen sie durch, als sei die Horde der Finsternis hinter ihnen her. Maximus und ich hatten alle Mühe, die Tiere zu lenken und zu beruhigen. So reisten wir von Nga Nova in die Nähe von Dithorno, und ich sah das Land seit unserem Erlebnis im Haus des Magiers nun mit anderen Augen. \ Im Gegensatz zu Maximus, hatte es mich in der Vergangenheit bereits an viele Gestade und Lande verschlagen, und niemals hatte ich eigentlich erfahren, wo meine Wurzeln waren. Meine Eltern waren Gaukler gewesen und zogen von Stadt zu Stadt. Sie konnten sich einfach nicht erinnern, in welcher Stadt und in welchem Land ich geboren worden war. Schließlich entdeckte ich meine Liebe zur Jagd und zur Natur und durchstreifte allerlei Länder und Wälder auf der Suche nach nach seltenen Tieren oder Abenteuern. Nach Xiduria war ich gekommen, weil es hier die außerordentlich seltenen Salzwasserkrokodile gab, deren Jagd sehr lukrativ war. Doch nun sah ich dieses Land mit anderen Augen. Ich sah die großen Plantagen, in denen das köstlich duftende T’chubac oder Xoxlatl angebaut wurde. Überall wuchsen Bananenstauden, Wolfsmilchgewächse, Dattelpalmen, Drachenbäume, Wacholdergewächse, Lorbeerbäume, Gagelbäume, Xiduriakiefern, Opuntien-, Agaven und Kakteenarten und unzählige Blumen und Orchideen. Meine Augen erblickten ständig neue Wunder dieses Landes, und mein Herz wollte immer noch überströmen vor Freude über dieses wunderschöne Xiduria. Selbst die Eingeborenen, die Chinche, die ich früher herablassend als Bauern beschimpft hatte, kamen mir mit meinen verliebten Augen wie Brüder und Schwestern vor, und wenn wir abends in einem ihrer Dörfer für die Nacht verweilten, gemütlich beim abendlichen Feuer saßen, die Chinche ihre lustigen Lieder sangen und dazu tanzten und wir uns dem Genuß ihres T’chubacs und ihrer vielen verschiedenen Schnäpse sowie ihrer Töchter hingaben, hatte ich das Gefühl, daß ich nach Hause gekommen war. \ Ehecacohuatltzin hatte uns eines abends erklärt, daß durch eine äußerst seltene Orchidee, die von den Toquateken „Tränen der Urmutter“ genannt wurde, ein verläßliches Gegengift zur Behandlung einer Vergiftung durch die Purpurne Lilie erzeugt werden konnte. Diese wilde Orchidee wuchs jedoch nur an einer ehemaligen Kultstätte der Toquateken, die in einem verlassenen Tempel der Urmutter in einem verwunscheHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij nen Waldstück in der Nähe von Dithorno lag, so hieß es zumindest. Die Orchidee öffne ihre Blüte nur einmal wöchentlich für genau fünf Minuten. Nur, wenn die geöffnete Blüte geerntet und sofort ausgekocht würde, könne der Sud die notwendige Kraft als Gegenmittel für das Gift der Purpurnen Lilie erreichen und somit das Leben von Lucius Sceavola argens retten. „Eine noch schwierigere Aufgabe hättet ihr nicht für uns ersinnen können, Herr Assassine!“, knurrte Maximus, worauf Ehecacohuatltzin nur mit den Schultern zuckte. Schließlich erreichten wir das Dorf Quahopetl, das in unmittelbarer Nähe der alten Kultstätte lag. Sogleich fiel uns auf, daß es diesem Dorf ausgesprochen gut zu gehen schien. Die Maisfelder, durch die wir fuhren, strotzten nur so vor Kraft und Gesundheit. Statt der üblichen Stroh- und Lehmhütten waren alle Häuser aus stabilen gebrannten Ziegeln gebaut und mit für meine Augen schreiend bunten Szenen bemalt, die Straßen bestanden nicht aus dem üblichen Matsch sondern waren trocken, festgestampft und mit Binsen bestreut, und die Chinche, die wir auf den Straßen sahen, trugen Kleidung aus guten Stoffen in hochwertiger Verarbeitung. Auch einen seßhaften Sumi schien das Dorf zu besitzen, bemerkten wir doch einen Schrein am Rande des Dorfplatzes. Auch, wenn das Dorf nicht besonders groß war, strahlte es doch einen für Chinche ungewöhnlich hohen Lebensstandard aus. Dennoch lag eine unerquickliche Stimmung über dem Dorf, die ich nicht ganz greifen konnte. Nach meinen bisherigen Erfahrungen waren Chinche, denen es so gut ging, wie diesen hier, nicht nur selten, sondern auch extrem fröhlich und glücklich. Doch hier in Quahopetl sah ich entschieden zu viele traurige und verschlossene Gesichter, man hörte keine spielenden und lachenden Kinder, und eine bedrückende Stimmung lag wie ein Gifthauch über dem schönen Anblick. Wir hatten es alle bemerkt, jedoch konnte keiner von uns sagen, woran dies liegen mochte. Kaum, daß wir den Dorfplatz erreicht hatten, schritten uns auch schon vier junge kräftige Männer entgegen, die uns bedeuteten, den Karren zu verlassen und uns ihnen anzuschließen. Als uns Ehecacohuatltzin mit einer Geste zu verstehen gab, dem Ansinnen zu folgen, sprangen wie aus dem Nichts einige Jungen herbei, die die Zügel der Armadillos ergriffen und diese wegzuführen begannen. Ich wollte schon protestieren, doch der Assassine beruhigte mich mit einer Geste und sagte leise: „Es gehört zur Gastfreundschaft hier. Sie werden sie bestens versorgen und unsere Sachen nicht anrühren.“ \ Also folgten wir den vier Männern zu einem Haus, auf das die breiteste Straße, die vom Dorfplatz wegführte, zulief und vor dessen Tür sie endete. Dieses eine Haus war größer als die anderen und derart farbenprächtig verziert, daß es beinahe in meinen Augen weh tat. „Dies ist das Haus ihres Häuptlings, Hualpa“, sagte Ehecacohuatltzin, nachdem er sich kurz mit den Männern in deren Sprache beraten hatte. „Er wird uns in seinem Dorf begrüßen.“ Als wir das angenehm schattige und kühle Innere des Hauses betraten und sich unsere Augen, die zuvor noch der grellen Sonne widerstehen mußten, an die angenehmeren Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sahen wir uns neugierig um. Neben der auch hier Wohlstand ausHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij strahlenden Einrichtung und der üblichen Reinlichkeit dieses Volkes fielen uns jedoch sofort die blauen Trauerbanner auf, die, scheinbar im ganzen Haus aufgehängt, aus leichtem, dünnen Xixal gewebt waren und sich in der fast unmerklichen Brise bewegten. Blau war als Farbe so schwierig herzustellen, daß die Chinche es nur zu Trauerzwecken verwendeten. Auch Ehecacohuatltzin und Maximus hatten die Zeichen der Trauer bemerkt und sahen auf einmal recht ernst drein. Doch wir hatten keine Zeit, uns darüber zu unterhalten, da wir fast sofort von einem circa 14-jährigen, ernsten und unter seiner typischen Bräune blaß wirkenden Jungen in schlichter, blauer Kleidung empfangen wurden, der leise, aber fest sagte: „Willkommen, Fremde. Bitte tretet ein und ruht euch von der Reise aus. Ich bin Ninancoro, der älteste Sohn von Häuptling Hualpa. Meine Schwester Quispe-Cusi wird Euch sogleich Erfrischungen bringen.“ Mit diesen Worten hatte er uns in einen recht großen Raum geführt und bedeutete uns, auf bestickten Sitzkissen rund um einen aus Maisstroh geflochtenen und bunt eingefärbten, niedrigen Tisch herum Platz zu nehmen. Sobald wir saßen, ging er wieder und ein hübsches junges, ebenfalls in Blau gekleidetes Mädchen, nicht älter als Elf oder Zwölf, kam mit einem für sie fast zu groß wirkenden Maisstroh-Tablett hereingewankt, welches sie auf dem Tisch abstellte, eine leichte Verbeugung andeutete und sich wieder entfernte. Auf dem Tablett befanden sich zwei tönerne Krüge, der größere mit Wasser, der kleinere, mit einem Korken verschlossene, enthielt einen starken Maisschnaps, wie wir nach einer kleinen Untersuchung feststellten. Für jeden von uns stand eine Trinkschale bereit. In der Mitte des großen runden Tabletts befand sich eine Schale mit kühlem Wasser, auf dem die Blütenblätter des Xibi-xkus schwammen, einer einheimischen Pflanze, die überall als Hecke gepflegt wurde, aber wunderschöne große rote Blüten trieb, die betörend dufteten. Neben jeder der Schalen lag ein XixalTuch. Beides war dafür gedacht, sich den Reisestaub abzuwaschen, wenn es beliebte. \ Alle drei nutzten wir das Angebot, was uns sehr erfrischte, und wir befeuchteten unsere ausgedörrten Kehlen mit dem kühlen, süßen und erstaunlich klaren Wasser aus dem Krug. Keiner von uns versuchte sich am Schnaps, wir hatten schließlich noch viel Arbeit vor uns. Kaum hatten wir uns erfrischt, kehrte Ninancoro zurück, der jedoch hinter der Erscheinung des Häuptlings, wie wir vermuteten, klein und unbedeutend erschien. Er kündigte an: „Hualpa, Häuptling von Quahopetl“, und dieser ließ sich auf einem stark verzierten Hocker am Ende des Raumes nieder, was ihn natürlich gegenüber seinen Gästen erhöhte. Sein Sohn stellte sich schräg hinter seiner linken Schulter auf. Wir rückten unsere Sitzkissen so, daß wir Hualpa ansehen konnten und verneigten uns leicht im Sitzen, während wir ihn betrachteten. Hualpa war ein beeindruckender Mann – nicht groß, wie alle Chinche, aber mit einer beeindruckenden Statur und breiten Schultern, ein Mann in seinen besten Jahren. Ich schätzte ihn auf Mitte bis Ende 30. Auch er trug hauptsächlich Blau und ich vermutete, daß sein üblicher Staat, in dem er Gäste empfing, nicht so schlicht war. Dennoch trug er einen verzierten Kopfputz mit Federn und Halbedelsteinen, den ich nur bewundern konnte. Für einen unbedeuHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij tenden Dorfhäuptling war dies schon ein sehr üppiger Kopfputz. Ehecacohuatltzin stellte uns vor, wohlweißlich seinen „offiziellen“ Namen – Caligula Lupus – nennend, um die Dörfler nicht mit seinem toquatekischen Namen zu verschrecken. Nachdem diese Formalität erledigt war, sprach Hualpa mit wohlklingender, aber trauriger Stimme: „Ich, Hualpa, heiße Euch als Gäste in meinem Dorf willkommen. Bitte nehmt die Gastfreundschaft meines Hauses an. Was führt Euch hierher? Womit können wir Euch, ihr Diener des Reiches des Feuers, behilflich sein?“ Wieder ergriff der Assassine das Wort. „Wir danken dir für deinen Willkommensgruß und deine Gastfreundschaft. Wir sind gekommen, weil wir eine seltene Pflanze suchen, die nur in dem Schrein der Urmutter, der sich in der Nähe deines Dorfes befindet, wachsen soll. Es ist eine Orchidee, die „Tränen der Urmutter“ genannt wird. Kannst du uns helfen, sie zu finden?“ Für einige Herzschläge sah Hualpa verständnislos drein, doch dann erwiderte er: „Seltsame Namen verwendet ihr, wie sie die Toquateken benutzen.“ Für einen Moment glaubte ich, tiefes Mißtrauen und Haß in seinem Blick zu lesen, doch der Eindruck verschwand schnell. Der Assassine hatte wohl recht getan, seinen toquatekischen Namen zu verheimlichen. „So laßt Euch gesagt sein, daß dies die heilige Stätte von Malinalhuatl ist, nicht der Schrein der Urmutter. Dies ist schon seit vielen Generationen so. Die Orchidee, die ihr sucht, kenne ich jedoch nicht.“ Für einen Moment hatte ich das Gefühl, Hualpa wollte noch etwas hinzufügen, doch er stockte nur und schloß dann seinen Mund, auf unsere Erwiderung wartend. „Bitte gestattet uns, die heilige Stätte von Malinalhuatl aufzusuchen. Wir werden selbst nach der Blume suchen. Wir schwören Euch, daß wir die heilige Stätte nicht entweihen werden.“ Hualpa überlegte einen Moment, wobei er uns abschätzend betrachtete. Irgend etwas beunruhigte ihn, das konnte ich deutlich erkennen. Doch schließlich sagte er: „Es liegt nicht in meiner Macht, irgend einem Wesen auf der Welt zu verbieten, Malinalhuatl aufzusuchen. Doch wird Euch unser Sumi begleiten, denn niemand sonst wagt es, Eigentum der Herrin der Pflanzenwelt zu entwenden, ohne Unheil über sich selbst und unser Dorf zu bringen. Tut, was er sagt. Schändet Ihr Malinalhuatls Altar, wird nur Euer Blut ihn wieder rein waschen können.“ Nach dieser feierlichen Drohung, die ich nicht ohne ein heftiges Schlucken hinnehmen konnte – er hatte immerhin ganz klar gemacht, was diese Stätte für sein Dorf bedeutete – entspannte sich seine Haltung sichtlich. Er schickte seinen Sohn los, um den Sumi, einen alten Mann namens Atoc-Suqui, der über und über mit rituellen Narben bedeckt war, zu holen. Dieser sollte uns zur heiligen Stätte der Malinalhuatl führen. Da er nicht über Nacht dort sein wollte – warum, sagte er uns nicht - , beschlossen wir, früh am nächsten Morgen aufzubrechen. \ Der Weg führte uns über einige Stunden hinweg zunächst durch üppige Maisfelder, später über trockene Prairie. Wie aus den Nichts erschien am späten Vormittag dann jedoch ein Flecken Dschungel, der so aussah, als gehöre er nicht hierher. Kein Übergang war in der Landschaft erkennbar, die trockene Grasebene hörte auf, der Dschungel begann. Es war nur eine kleine Stelle, die man in einem halben Tag umrunden konnte, doch sie Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij wirkte alt und sehr üppig. Als wir vorsichtig in den Flecken Dschungel eindrangen, wies uns der alte Sumi darauf hin, daß wir kein Blatt knikken und keine Frucht oder Blüte pflücken sollten, ohne ihn vorher zu befragen. Er selbst bewegte sich unglaublich vorsichtig durch den Wald, keine für mich erkennbare Spur dabei hinterlassend. Wir versuchten, es ihm nachzutun, waren dabei jedoch nicht ganz so erfolgreich. Der Dschungel war atemberaubend schön, und wieder sang mein Herz, das erst vor so kurzer Zeit seine Liebe zu diesem Land entdeckt hatte, und ich sah an Maximus' Gesicht, daß es ihm ähnlich gehen mußte. Die sengende Sonne war durch ein dichtes Blätterdach verborgen, durch das sie nur hier und da hindurchblitzte, helle Flecken auf den üppig bewucherten Waldboden malend. Das Licht war grün, der Boden angenehm weich. Die warme, feuchte Luft roch so reichhaltig nach Pflanzen und Leben, daß ich sie tief in meine Lungen einsog, dabei den ungewöhnlichen Geräuschen lauschend, die mir fremde Tiere, die ich nicht sehen konnte, hoch über uns im Blätterwerk erzeugten. Wunderschöne Blüten, pralle Früchte, fremdartige Pflanzen, das Ganze erschien mir so exotisch, daß ich mich tagelang hier hätte aufhalten können. Ein winziger, grünschillernder Vogel mit einem langen Schnabel, dessen Flügel sich so schnell bewegten, daß man nur ein Flirren in der Luft sah, schwebte über einer Blüte und bewegte sich ruckartig weiter zur nächsten. Fasziniert wollte ich stehen bleiben, doch der Sumi drängte uns mit Blicken über die Schulter und Gesten voran. \ Nach kurzer Zeit kamen wir zum Herzen dieses wundervollen Waldstückes: ein von allen Gewächsen befreiter Platz, so groß wie der Empfangsraum des Häuptlings, mit einem Altar in der Mitte und einer verwitterten Götterstatue darüber, die nicht mehr zu erkennen war. Auf dem Altar hatten sich dicke, dunkle Krusten gebildet, die ich für Blut hielt, und ein Schwarm Fliegen summte darüber in der Mittagssonne. Der Sumi hielt inne, erstarrte förmlich. Das war nicht das, was er zu finden erwartet hatte, das spürte ich deutlich. Auch mir erschien es befremdlich, daß eine Göttin der Vegetation den Platz rund um ihren Altar von Pflanzen befreien sollte. Doch bevor einer von uns etwas sagen konnte, raschelte neben uns etwas im Unterholz. Es schien ein großes Tier zu sein, und ein weißes dazu, denn ich sah einen sehr hellen Schemen, der aus einem Gebüsch aufsprang und wegrannte. Ehecacohuatltzin, der nun einmal phantastische Reflexe hatte, setzte dem flüchtenden Wesen nach, und das brachte mich auf den Gedanken, daß es gar kein Tier gewesen sein mußte. Auch der besorgte Blick des Sumi schien etwas ähnliches zu sagen. Nur einige Augenblicke später kehrte Ehecacohuatltzin zurück, ein junges Mädchen am Arm hinter sich her schleifend, das sich heftig wehrte, jedoch keinen Laut von sich gab. Als der Assassine mit dem Mädchen vor uns stand, schob er sie vor sich und packte sie von hinten an beiden Armen, so daß sie sich kaum noch bewegen konnte, ohne sich selbst weh zu tun. Als sie dies merkte, schien sie sich in ihr Schicksal zu ergeben und stand ruhig, mit hoch erhobenem Kopf und finsterem Gesichtsausdruck, vor uns, so daß wir Zeit hatten, sie uns zu betrachten. Sie war recht klein, so wie alle Chinche, ging mir nur knapp bis zur Schulter, und Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij ich bin kein großer Mann. Sie trug die hüftlangen, blauschwarz in der Sonne glänzenden Haare zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten, die jedoch struppig aussahen, so als hätte sie sich lange nicht neu frisiert. Auch ihr naturgebleichtes, am Rand aufwändig besticktes Kleid sah so aus, als hätte sie einige Nächte darin auf dem Waldboden gschlafen. Ihr Geruch war jedoch nicht unangenehm, sondern der des Waldes. Das Mädchen war jung – ich hätte sie auf 16 Jahre geschätzt – und eigentlich sehr hübsch. Sie hatte die typischen schwarzen Augen der Chinche und einen wunderschönen bronzenen Hautton. Hätte sie uns nicht so finster angestarrt, ich hätte gerne mein Bett für eine Nacht mit ihr geteilt. Und ihre Haltung war nahezu königlich. Beinahe hätte ich versäumt, den Blick des Sumi zu bemerken. Offensichtlich kannte er das Mädchen! „Wer bist du, und warum folgst du uns?“ fragte Ehecacohuatltzin nun von hinter ihr mit einer leichten Drohung in der Stimme. Sie jedoch antwortete nicht direkt, sondern wandte sich an den Sumi: „Warum hast du diese Leute hergeführt? Du weißt, was passieren könnte.“ Der letzte Satz klang beinahe verzweifelt und resigniert und schien so überhaupt nicht zu ihrer stolzen Haltung zu passen. „Wer ist die Kleine, Atoc-Suqui?“ fragte der Assassine nun den Sumi, da sie offensichtlich nicht vor hatte, ihm zu antworten. Der Sumi schien ein wenig in sich zusammen zu sacken und antwortete leise: „Das ist Malinali, die ältesten Tochter des Häuptlings Hualpa.“ \ „Was geht hier vor, wieso lebt sie an dieser Kultstätte im Dschungel, warum bestraft Ihr sie?“, knurrte der Assassine den Sumi an, während die Aura des schwarzen Otzelotl wie eine Flamme im Gesicht des Assassinen aufloderte. Plötzlich schien der Sumi zu begreifen, wen er da zu diesem heiligen Ort geführt hatte. Augenblicklich sank der Sumi zu Boden und führte die uralte rituelle Geste des Erdeküssens der Toquateken vor Ehecacohuatlztin aus. „Oh, Oh, Oh!“, jammerte der Sumi, „verzeiht, dass ich euch den gebührenden Respekt verweigert habe, Diener des Tlitlic Otzelotl, ich werde….. „! Für einen Moment konnte ich den animalischen Zorn, der im Geist des Assassinen tobte, auf seinem Gesicht erkennen und mir war klar, dass das Leben des Sumi an einem seidenen Faden hing. Was musste es den Assassinen für eine Kraft kosten, sich ständig zu kontrollieren und den in ihm wohnenden Geist dieses Raubtieres nicht frei zu lassen? „Du Narr, hältst mich für einen Diener!“ zischte der Assassine. „Schau mich an, was siehst du?“ Der Sumi, der immer noch in der unbequemen Stellung des Erdeküssens verharrte, sah nach oben, und seine Augen quollen ihm aus dem Kopf. Augenblicklich entleerten sich seine Blase und sein Darm, als er die Wahrheit erkannte. Bis dahin wusste ich auch nicht so genau, was der schwarze Otzelotl für die Toquateken und Chinche eigentlich war. Ehecacohuatltzin erklärt es mir später so: Der schwarze Otzelotl war der toquatekische Gott der Geheimnisse, der Niedertracht, der Heimtücke und der List. Wenn Chinche oder toquatekische Eltern Probleme mit unerzogenen Kindern hatten, stellten sie ihnen eine kleine Tonfigur, die Nachbildung eines schwarzen Otzelotls, ins Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij Fenster und sagten, die Tonfigur wäre eine Warnung des schwarzen Otzelotl, die er ihnen in der Nacht gebracht hätte. Ändern die Kinder dann ihr Verhalten nicht, so sagten die Priester, würden die Kinder vom schwarzen Otzelotl geholt und natürlich von ihm aufgefressen. Dass der Otzelotl das größte Raubtier in Xiduria war, machte die Angst vor dem Gefressen werden glaubwürdiger. Die Androhung wirkte bei Kindern angeblich immer. Wenn ein Toquateke einen anderen anlog sagte er, er wäre vom schwarzen Otzelotl besessen gewesen, was natürlich meistens nicht stimmte. Jeder Herrscher der Toquateken würde sich, bevor er einen Krieg begann oder führte oder eine Fehde oder einen Rivalen in seinem Reich ausschalten wollte, eines Priester des schwarzen Otzelotl bedienen. Was auch immer die Toquateken mit Caligula gemacht hatten, um ihn zu einem Priester des schwarzen Otzelotl zu machen, es musste ein langwieriger und schmerzhafter Prozeß voller Entbehrungen gewesen sein, denn soweit mir bekannt war, gab es im Reich der Toquateken und in ganz Xiduria nur noch einen weiteren schwarzen Otzelotl, den Ehecacohuatlztin seinen alten Meister nannte. Alle anderen Anwärter für den Orden des schwarzen Otzelotl hatten die Ausbildung nicht überlebt. Doch kehrten wir nach diesem Ausflug in die Götterwelt der Toquateken zu unserer langweiligen Geschichte „Wir retten den Protektor“ zurück. Was auch immer der Sumi gegessen hatte, ich vermutete, es waren Bohnen, es stank erbärmlich. Maximus und ich hielten uns die Nase zu. Auch das Mädchen, daß sich immer noch im Griff des Assassinen befand, wand sich nun und versuchte, sich die Nase zuzuhalten. Für einen kurzen Moment, so kam es mir vor, hatte Malinali tiefblaue Augen, doch das war unmöglich, kein Chinche oder Toquateke, egal ob Mann oder Frau, wurde je mit blauen Augen gesehen. Wir erlaubten dem Sumi schließlich, sich zu säubern, was dieser unter großem Jammern und Wehklagen tat, nachdem Ehecacohuatltzin offensichtlich beschlossen hatte, ihn am Leben zu lassen. Er beklagte lautstark die Entweihung der Kultstätte durch sein Mißgeschick und schien untröstlich zu sein. Dann befahl uns der Assassine, weder den alten Priester noch Malinali aus den Augen zu lassen. Wie er uns mitteilte, gingen uns die Sorgen und Nöte der Einheimischen nicht das Geringste an, und immerhin hätten wir schwergewichtigere Probleme zu lösen. Nachdem er diese kleine Rede gehalten hatte, was für den schweigsamen Assassinen recht erstaunlich war, verschwand er im Unterholz, um nach der „Träne der Urmutter“ zu suchen. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er zurückkehrte. Ich versuchte, während wir warteten und unser Lager bereiteten, mit der schönen Malinali zu tändeln, doch schien diese in ihrer eigenen Welt versunken zu sein, und kein gutes Wort von mir oder Maximus wollte ihr ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Nur ab und zu blitzten die Blicke zwischen ihr und dem Sumi hin und her. Schließlich kehrte der Assassine zurück, in jeder Hand eine kleine rote Orchidee mit geschlossener Blüte, und schon jetzt kam es mir so vor, als würde die Orchidee nie mehr blühen wollen. Als Malinali die beiden bedauernswerten Blüten sah, schrie sie entsetzt auf und hielt sich die Hände vor den Mund. „Was habt Ihr mit diesen armen xocoyol xochitl gemacht? S'uquay!“, sagte das Mädchen mit fester und empörter Stimme. Für einen Moment schien der Assassine sprachlos zu sein, dann drückte er die beiden zarten Pflanzen Malinali in Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij die Hände, die ohne zu zögern auf den großen Assassinen zugelaufen war und mit einer entschiedenen Geste die Herausgabe der Pflanzen eingefordert hatte. Sofort begann die Chinche, nach Behältnissen zu suchen, in die sie bedauernswerten Pflanzen setzen konnte und versuchte, diesen alle Pflege und Liebe angedeihen zu lassen, die eine kostbare Orchidee verdient hatte. „Was habt Ihr mit diesen beiden Orchideen vor? Es ist sehr traurig, dass Ihr sie so grob behandelt habt, das ist die einzige Pflanze, aus der ein Gegengift gegen das die purpurnen Lilie gewonnen werden kann, und hier gibt es nur noch diese zwei Pflanzen, und jetzt habt Ihr sie einfach herausgerissen! Wisst Ihr, dass man das Gegengift nur dann gewinnen kann, wenn diese Orchidee blüht, und wisst Ihr auch, dass sie dies nur einmal am Tag eine Stunde……!“, sprudelte Malinali hervor, immer noch empört und sehr autoritär. Dann verstummte sie schlagartig, als sie in das vor Entsetzen verzerrte Gesicht von Ehecacohuatlztin blickte. \ „Nur diese zwei Pflanzen?“, keuchten Maximus und ich überrascht auf. „Sorgt euch nicht!“, sagte Malinali ungerührt. „Ich kann die eine Pflanze wieder verwurzeln, damit sie nicht ausstirbt, und die andere vielleicht noch drei Tage in einem Behälter, getrennt von Malinalhuatl, am Leben erhalten und zum erblühen bringen, also wer von euch ist vom Gift der purpurnen Lilie vergiftet, wem soll durch den Sud der Blüten geholfen werden?“ Für einen Moment sagte keiner der Getreuen ein Wort. Während Maximus verlegen einen Haufen Blätter mit dem Fuß von einer Stelle zur anderen schob, zählte ich angestrengt die umhersirrenden Insekten „Wir haben über eine Woche gebraucht, um von N'ga Nova hierherzukommen“, stellte der Assassine fest, ohne dabei jemanden bestimmtes unserer Gruppe anzusprechen. „Es gibt nur eine Möglichkeit: ich muss selbst gehen, doch dafür brauchen wir jemanden, der bereit ist, freiwillig den Weg des Blumentodes zu gehen.“ „Was meinst du mit Blumentod?“, fragte Maximus. „Ich meine, dass jemand aus unserer Mitte bereit sein muss, sich dem schwarzen Otzelotl als Menschenopfer darzubringen, damit ich das Leben des Lucius Scaevola argens retten kann!“, antwortete Ehecacohuatltzin. Für einen Moment schwiegen wir alle. Dann starrten alle den einen Mann an, den wir in unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft entbehren konnten: den Sumi des Dorfes, AtocSuqui. Dieser schaute uns unterdessen einem nach dem anderen in die Augen, verdrehte sodann die seinigen nach oben und stürzte bewusstlos auf den Boden. \ Bericht Maximus „Die Errettung“ Nein, wir mussten den bedauernswerten Sumi nicht opfern. Was in den folgenden zwei Tagen geschah, erscheint mir nun, da ich es berichten soll, wie ein finsterer Traum. Ehecacohuatltzin begann umgehend ein langwieriges, mehrere Stunden dauerndes Ritual. Noch immer war uns unklar, was er vorhatte, und wie es seine Art war, hatte er es nicht für nötig gehalten, uns vorher darüber aufzuklären, wie er das Leben des ehemaligen Protektors doch noch retten wollte. Schließlich waren alle Vorbereitungen getroffen. Statt dem Sumi hatten wir mehrere Opoks gefangen, die der Assassine nun seinem finsteren Gott als Opfer darbrachte. Der Sumi hielt sich, so weit Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij wie es noch, ohne unhöflich zu sein, möglich war, von dem Assassinen fern. Schließlich entledigte sich Ehecacohuatltzin seiner Kleidung, und im dämmrigen Licht des Feuers stockte uns der Atem, als wir seinen nackten Körper erblickten. Es schien keine Stelle am Körper des Mannes zu geben, die nicht von einer Narbe oder Narbengewebe bedeckt war. Welche Schmerzen und welche Qualen musste dieser Krieger in seinem Leben bereits erlitten haben. Doch am meisten faszinierten mich die Tätowierungen auf der Brust und auf dem Rücken des Assassinen. Es waren hervorragende Arbeiten. Die Farben hatten eine Intensität und Leuchtkraft wie ich es noch nie bei einer Körperbemalung erblickt hatte. Es waren vier Tierfiguren dargestellt. Auf der Brust waren eine gestreifte Katze im Sprung dargestellt, die Ehecacohuatltzin später einmal einen Tiger nannte und ein bedrohlich wirkender Drache im Flug. Auf dem Rücken ein Insekt, das man Gottesanbeterin nennt und eine gefährlich und giftig aussehende Schlange. „Bei den Göttern!“, wunderte sich Aeitus, „woher hast du diese wunderbaren Tätowierungen?“ „Ich kann mich nicht erinnern!“ antwortete der Assassine mit angestrengter Stimme, während er gerade einem Opok das Herz herausschnitt und das Blut auf seinem Körper verstrich. „Du kannst dich nicht erinnern woher du diese wunderbaren Tätowierungen…? “, sagte ich, als mich dieser mörderische Blick des Assassinen traf, der keine Widerworte und keine Gegenrede zulässt. Also schwiegen Aeitus und ich, doch ich nahm mir vor, dass ich schon irgendwann hinter das Geheimnis des Assassinen kommen würde. Das Ritual schien Stunden zu dauern. Während Aeitus und ich dem merkwürdigen Treiben des Assassinen nur mit halbem Ohr zuhörten, schienen Malinali und der Sumi von dem, was hier geschah, im höchstem Maße fasziniert und entzückt. Schließlich endete das seit Sunden andauernde eintönige Gemurmel und Geseufze in der Sprache der Toquateken, und es wurde totenstill auf dem Lagerplatz. Ehecacohuatltzin stand, leicht schwankend, in allerlei blutigen Tierkadavern, von oben bis unten mit Blut beschmiert, und hielt sich eine kleine Phiole mit einer schwarzen Flüssigkeit an die Lippen. Er trank genau drei Tropfen aus der Phiole, die er sodann mit einem kleinen Korken wieder verschloß. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ein scharfer Wind über unseren Lagerplatz fuhr und die Pflanzen und Bäume zum schwanken brachte. Ehecacohuatltzin brach mit einem Wimmern in die Knie und stieß dann einen grausigen Schrei aus. Dann hörten wir entsetzt, wie Knochen brachen, aneinanderschabten und sich wieder zusammenfügten. Die Kiefer des Assassinen verlängerten sich um mehrere Handbreit, während sein Gesicht sich zu einem Tiergesicht verformte. Die Hände und Füße wurden zu Klauen und dann zu riesigen Tatzen einer Raubkatze. Einer sehr grossen Raubkatze, einem schwarzen Otzelotl, um genau zu sein. Normalerweise bestand ein Otzelotl aus fünf Zentnern reinen Muskeln, wobei die Beine bis zum Bauch mit Fell in der Struktur und Art eines gefleckten Leoparden oder Jaguars bedeckt war. Der Rest des Tieres bestand aus Schuppen. Dieser Otzelotl jedoch war von einer erschreckenden Schwärze, während seine Schuppen zusätzlich mit langen Knochendornen besetzt waren und leicht rötlich schimmerten. Die Reißzähne waren mindestens eine Handbreit länger ausgeHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij bildet, als es bei einem Otzelotl üblich ist, und er war größer, viel größer. Er wog mindestens zehn Zentner. Ehecacohuatltzin hatte uns befohlen, Malinali und mich nach seiner Verwandlung auf seinem Rücken festzubinden, damit er die Rückreise nach N'ga Nova umgehend beginnen konnte, denn wir hatten nur noch drei Tage, bis die letzte der Tränen der Urmutter blühen würde und die letzte Chance vertan war, Lucius Scaevola Argens zu retten. Mich hatte er ausgewählt, da ich kleiner und leichter als Aeitus war, und um Malinali zu beschützen. Vorsichtig näherten wir uns dem riesigen Tier, und Malinali streichelte vorsichtig über das Fell, was sich der Otzelotl ohne weitere Gegenwehr gefallen ließ. Er schnaubte lediglich und ließ ein tiefes ur-weltliches Grollen aus seiner Kehle er-klingen, was uns offensichtlich Ansporn sein sollte, uns ein wenig zu beeilen. Aei-tus sollte dann mit dem Gepäck und un-serem Wagen die Rückreise nach N'ga Nova alleine antreten. Ich hatte nur mein Kurzschwert im Gürtel und die merkwür-dige Waffe des Assassinen, die wie ein Zeremonienstab wirkte, auf den Rücken gebunden. Malinali trug nur vorsichtig die Pflanze, die sie mit ihren Händen vor Unbill und Leid zu beschützen versuchte. Sie fragte sich insgeheim, ob es diesem scheinbar sehr zaubermächtigen Mann, der nun in Gestalt eines schwarzen, wunderschönen Ozelotl vor ihr stand, tatsächlich gelingen sollte, sie von hier weg zu bringen. Alle ihre bisherigen Versuche, aus dem Umfeld ihres Dorfes zu entfliehen, hatten wieder an der Altarstatt des Baba Croqua geendet. Er wollte sie offensichtlich nicht von hier weg lassen. Deshalb hatte sie auch im Wald gehaust – das war so weit wie möglich weg von ihrem Dorf gewesen. Würde dieser Mann es schaffen, sie tatsächlich mitzunehmen? Sie hoffte es sehr. Und dies würde die Gegenleistung dafür sein, daß sie ihre schöneren Kräfte einsetzte, um die xocoyol xochitl lebend und blühend ans Ziel zu bringen. Endlich würde zumindest ihr Dorf frei sein, wenn sie selbst dies wohl auch niemals sein konnte. \ Als wir auf dem Rücken des riesigen Tieres sassen, stieß dieser wiederum ein tiefes Grollen aus seinem riesigen Maul hervor, rollte die roten Augen und lief los. Es war mehr ein Springen, und schon nach wenigen Minuten begannen mir alle Knochen und Weichteile zu schmerzen und mir wurde deutlich, warum Ehecacohuatltzin darauf bestanden hatte, daß wir uns auf seinem Rücken festbanden. Der wilde Ritt ging über Felder und Wiesen, durch Wälder und Flussläufe. Zwar versuchte Ehecacohuatlztin, alle bewohnten Bereiche zu meiden, doch bin ich sicher, dass wir gesehen wurden, und wenn wir schon nicht gesehen wurden, so waren wir bestimmt zu hören. Denn von Zeit zu Zeit stieß der Assassine in seiner Tierform ein fürchterliches Gebrüll aus. Von Stunde zu Stunde wurde für Malinali und für mich das Reiten auf dem Rücken des schwarzen Otzelotl unerträglicher, und an manche Abschnitte der Reise kann ich mich nur noch wie an einen durchlebten Alptraum erinnern. Trotzdem schien der Assassine instinktiv zu spüren, wenn wir dringend einer Pause bedurften, um zu speisen oder anderen dringenden Geschäften nachzugehen, die für Menschen auch auf einer Reise selbstverständlich sind. In den Pausen verschwand der Otzelotl und kehrte mehr als einmal mit einer blutverschmierten Tatze Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij und Schnauze zurück, was ich mit einem Schaudern zur Kenntnis nahm – Malinali hingegen schien das nicht im Geringsten zu stören. Schließlich erreichten wir am Abend des dritten Tages die Randgebiete von N'ga Nova. Ehecacohuatltzin hatte es geschafft. Schwankend und aus allen Poren dampfend und schwitzend, kam das riesige Tier zum Stehen, und ich stellte ohne jeden Zweifel fest, dass der Schweiß eines schwarzen Otzelotl nicht zu den Gerüchen gehört, die man unbedingt auflegen sollte, wenn man einer Dame imponieren will. \ Wir versteckten uns und warteten darauf, dass die Dunkelheit hereinbrach. Malinali wurde immer nervöser, denn der Zeitpunkt, an dem die Pflanze erblühen sollte, rückte immer näher. Ohne, dass wir es bemerkt hatten, war das riesige Tier im Unterholz verschwunden, und kurz darauf stand der nackte, von oben bis unten mit Schlamm und verkrustetem Blut bedeckte Assassine in seiner menschlichen Gestalt vor uns. Die An-strengung der Verwandlung und der Rei-se waren ihm in tiefen Falten in sein Ge-sicht gegraben, und seine Augen waren blutunterlaufen. Begeistert nahm der As-sassine zur Kenntnis, dass Malinali und ich in der Hektik des Aufbruches seine Kleidung vergessen hatten. Er warf uns einen wahrhaft mörderischen Blick zu, nahm jedoch immer noch schwer keu-chend und nach Atem ringend seinen Stab entgegen. Schließlich bedeutete uns Malinali, dass es nun Zeit sei, aufzubrechen, und so liefen wir los zum Haus des ki’Ansi. Den Assassinen nahmen wir in die Mitte, hoffend, dass seine Nacktheit in der Dunkelheit nicht so auffallen würde. Und diesmal half uns N'ga Novas schlechter Ruf, dass sich niemand um den anderen kümmerte, und so erreichten wir das Haus des Magiers ,ohne angesprochen zu werden, wenn auch so mancher Passant uns verwunderte oder erstaunte Blicke zuwarf. Wir klopften, doch niemand öffnete uns. Schließlich gelang es Ehecacohuatltzin, die Tür zu öffnen, und wir drangen in das Haus ein. Sofort sprang eine dunkle Gestalt auf den Assassinen zu. Ich sah, wie etwas silbern aufblitzte, dann brach der Mann gurgelnd zusammen. Der Assassine hatte mit einem Schlag seines Handballens den Kehlkopf des Angreifers zertrümmert. Ehecacohuatltzin warf mir einen Blick zu, und ich warf ihm seinen Stab hinüber, während ich mein Kurzschwert zog und die neugierige Malinali hinter mich drükkte. Plötzlich tauchte vor mir ein schwarzer Schatten auf, und ich stieß diesem mein Kurzschwert in den Bauch. Inzwischen hatte der Assassine seinen Stab mit beiden Händen gepackt und zog diesen auseinander. „Ein Zweiklingenschwert!“, entfuhr es mir vor Überraschung. Dann trat der Assassine in Aktion. Die Klingen wirbelten wie silberne Blitze um den Assassinen herum, während er sich langsam in das Haus des Magiers hineintastete. Jetzt verstand ich auch, warum die Toquateken den Assassinen „Ehecacohuatltzin“, Wirbelsturm, nannten. Finger, Hände und andere Körperteile flogen durch die Luft, während schwarz gekleidete Angreifer auf uns losstürmten und meistens von dem Assassinen abrupt zum Stillstand gebracht wurden. Blut spritzte an Decken und Wände, und mir blieb keine andere Aufgabe, als die Wenigen, die den Angriff auf den Assassinen mit erheblichen Beschädigungen überstanden hatHijklmnopqrsb PQRS\abcdefij ten, von ihrem Elend zu befreien. Schließlich erreichten wir das verwüstete Labor und fanden den leblosen Magier auf dem Boden liegend, während Ehecacohuatlztin wie von Sinnen in das Schlafgemach des kranken Exprotektors stürmte. „Malinali, kümmere dich nicht um ki’Ansi, folge Ehecacohuatltzin!“, rief ich der Chinche zu, die beherzt und ohne mit der Wimper zu zucken, die Orchidee mit ihrem Körper schützend, hinter dem Assassinen herlief. Wieder kam es mir so vor, als hätte ich für einen kurzen Moment eine tiefblaue Verfärbung ihrer Augen bemerkt. Der Brustkorb des Magiers hob und senkte sich, er war also noch am Leben. Dann stürmte ich mit meinem blutbefleckten Schwert in die Schlafkammer von Lucius Scaevola argens. Während die beiden Schwerter von Ehecacohuatltzin in einem der gedungenen Mörder steckten, war es offensichtlich einem anderen gelungen, den immer noch geschwächten Assassinen mit einer Keule zu treffen. Betäubt sank dieser auf den Boden und ließ langsam die Schwerter los. Malinali sah unterdessen entsetzt auf die Orchidee, deren Blütenkelch sich gerade zu öffnen begann, und eilte an mir wieder vorbei, in das verwüstete Labor. Eilig suchte sie ein Behältnis, in dem die Orchidee ausgekocht werden konnte, um das Gegengift zu erlangen, was den ehemaligen Protektor retten sollte. Noch ein Gegner lauerte hinter der Tür und begann, mit wilden Hieben seines Krummsäbels auf mich einzuhacken. Natürlich hatte ich damit ein Problem, und so kam es zu einem erhitzten Gefecht, während ich befürchten musste, das Ehecacohuatltzin seinem Gegner unterliegen würde. Gerade holte dieser mit seiner Keule zum letzten und entscheidenden Schlag aus, und falls er traf, würde er dem Assassinen den Schädel einschlagen. Es gelang mir, meinen Gegner durch einen raschen Hieb von seinem Krummsäbel und seiner rechten Hand zu befreien und mit einem weiteren Stoß mein Kurzschwert in die Eingeweide zu rammen, als der Kämpfer mit der Keule zu schwanken begann und mit einem überraschten Gesichtsausdruck erst seine Keule fallen ließ, um dann zusammenzubrechen. Im Bett saß Lucius Scaevola argens aufrecht und hatte seinen silbernen Arm ausgestreckt. Aus einem der Finger stammte der Bolzen, der nun im Hinterkopf des Angreifers steckte. Der kranke Protektor grinste mich an, murmelte „Das war der Torreon!“, verdrehte die Augen und fiel bewusstlos auf sein Lager zurück. \ Schließlich standen wir alle um das Lager des ehemaligen Protektors und bewunderten Malinali, die diesem vorsichtig einen streng riechenden Sud verabreichte. Ehecacohuatltzin stand schwankend neben mir und hatte sich eine Kutte des Magiers umgebunden, um seine Blösse zu bedecken. Nachdenklich rieb er eine große Beule am Hinterkopf. Malinali kicherte leise vor sich hin, als sie dies bemerkte, doch plötzlich sah sie um den Hals des Assassinen das geheimnisvolle Amulett, mit dem Kopf der Hydra. Ihre Augen wurden groß, die fröhliche Miene – ihr erstes Lächeln übrigens, seit wir ihr begegnet waren – verschwand, und voller Panik zerrte sie an ihrem Kleid, so dass sie fast den kostbaren Trank verschüttet hätte, dessen Ursprung – die Orchidee - wir unter soviel Gefahren hierher gebracht hatten, um den Protektor zu retten. Bis auf Lucius Scaevola argens, der mit sich und dem bitteren und übelriechenden Sud der Orchidee beschäftigt Hijklmnopqrsb PQRS\abcdefij war, zuckten wir alle vor Überraschung zusammen, als Malinali ein ähnliches Amulett hervorholte, das jedoch trotz seiner Unterschiede – es war mit getrockneten Maiskörnern besetzt, wie passend für eine Bäurin mit einem Händchen für Pflanzen - unverkennbar war. Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr verwunderte, dass Malinali auch zu dem erlauchten Kreis derer gehörte, die offensichtlich über ein solches Amulett der Hydra verfügten, oder wie das Amulett von Ehecacohuatlztin, das er vor drei Tagen vor seiner Verwandlung Aeitus zur Aufbewahrung übergeben hatte, nun wie gewohnt an seinem Hals baumelte. Die junge Chinche schien sich jedenfalls als erste von ihrem Schrecken zu erholen, denn rasch verstaute sie das Amulett wieder unter ihrem Gewand, lächelte den Assassinen noch einmal an, diesmal eher etwas verlegen, und wandte sich wieder ihrem Patienten zu. Das tat sie auch noch in den nächsten paar Tagen – nachdem sie die Beule und die Platzwunde am Kopf von ki'Ansi behandelt und ihn wieder aufgeweckt hatte, pflegte sie den kranken Protektor noch weiter, bis dieser wieder auf den Beinen war. Dies dauerte natürlich einige Tage. Der Sud der Orchidee, die Malinali xocoyol xochitl genannt hatte, reinigte Fleisch und Blut des Protektors von dem Gift, das man ihm so lange verabreicht hatte, doch geschah dies nicht ohne Nebenwirkungen. Bevor es ihm besser ging, ging es ihm zunächst schlechter, er übergab sich mehrmals, litt unter Krämpfen seiner Eingeweide und schwitzte wie ein Schwein übelriechende Körpersäfte aus. Malinali erklärte uns, dass sein Körper sich jetzt mit Hilfe ihres Trankes des Giftes entledigte, und das sei nunmal kein schöner Vorgang. Es klang einleuchtend genug, und sie kümmerte sich um den Kranken, als hätte sie nie zuvor etwas anderes getan. Sie wusch ihn, wechselte seine Kleidung und seine Laken, hielt ihm die Schüssel, wenn er sich übergab, stützte ihn, wenn er sich erleichtern ging und fütterte ihn. Es wirkte, als hätte sie nie etwas anderes gemacht, doch schien uns anhand ihrer meist ernste Miene, dass sie es als Buße ansah – für was auch immer. \ Schließlich war das Schlimmste vorbei, und Lucuis Scaevola argens war auf dem Wege der Besserung. Er wurde von Tag zu Tag kräftiger, und auch bei seinen kleinen Spaziergängen durch das Haus des Magiers begleitete und stützte ihn die kleine Chinche. Unwillkürlich dachte ich mir, dass sie bei all der intimen Pflege, die sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, hatte angedeihen lassen, auch sein Amulett entdeckt haben mußte, doch sie äußerte sich in keiner Form dazu. \ Malinali war erleichtert, dass es dieser zauberkräftige schwarze Ozelotl gschafft hatte, sie mitzunehmen. Dennoch fürchtete sie, dass ihr Entkommen zu genau diesem Zeitpunkt und mit genau diesen Leuten zum Plan des schrecklichen Gottes gehörte, der sie besaß, sonst hätte er sie nie gehen lassen, davon war sie überzeugt. Daher fragte sie sich in diesen Tagen nur eines, in ihrem Inneren davor bangend und zitternd: Wann würde Baba Crocqua wieder zuschlagen?